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5. Damis und der Boss

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Pantelis war es kalt, verdammt kalt. Mit der flachen Hand schlug er mehrmals auf die Ablage des Armaturenbretts und drehte am Regler der Heizung. ›Mist, die Heizung des klapprigen Lastwagens ist nach wie vor im Arsch.‹ Das war sie zwar schon seit neun Monaten, in der Frühlings- und in der Sommerzeit hatte er sie nicht vermisst. »Dabei ist erst Anfang November«, fluchte er, »Da sind noch milde Herbsttage angesagt.« Zum Überfluss fing es zu regnen an. ›Die Scheibenwischer hätte ich ebenfalls erneuern müssen‹, fiel ihm jetzt ein. Er schaute angestrengt durch die verschmierte Windschutzscheibe nach draußen. Der Wagen rumpelte durch den Vorort Kalamaria von Saloniki. ›Bloß nicht den Abzweig nach Stavronikita verpassen, um 12 Uhr werde ich mit meiner Ladung im Kassandra-Gefängnis erwartet.‹

›Da der Parkplatz. Wollen sehen, ob alles vorbereitet ist.‹ Er verminderte die Geschwindigkeit und fuhr auf den geschotterten Platz. Bis auf einen weißen Ford-Kombi war er verlassen. Pantelis hielt hinter dem Wagen, stieg aus, ging zu dem Fahrzeug und wischte mit der Hand die Wassertropfen von der Heckscheibe weg. Im Innern stand eine geräumige Kiste mit der Nummer TA-17-1. Auf Minas konnte man sich verlassen! Er warf einen Blick in den Abfallcontainer des Parkplatzes. Gähnende Leere, wohl deshalb, weil in aller Regel die Menschen ihn nicht benutzten und ihren Dreck aus dem Autofenster warfen. ›Klasse‹, resümierte er, ›Da drinnen können wir nachher den entleerten Karton entsorgen. Aus der Fahrerkabine zog er zwei stinkende Plastiksäcke mit Essensresten und deponierte sie hinter dem Container. ›Jetzt los‹, befahl er sich, ›Die Zeit wird knapp.

Pünktlich rollte der klapperige Lkw auf das Eingangstor des Gefängnisses zu und hielt an. Widerwillig traten zwei bewaffnete Wächter aus ihrem trockenen Unterstand in den Regen hinaus, grüßten und sahen fordernd zum Führerhaus empor.

»Die Lieferung der achtzehn Tische«, sagte Pantelis und legte die Dokumente zusammen mit zwei Zwanzig-Euro-Scheinen in die ausgestreckte Hand des Wächters. Die Zwei verzogen sich schleunigst zurück ins Trockene. Nach ewig langer Zeit kam einer heraus.

»Laderaum öffnen!«, befahl er kurz.

»Muss das sein?«, stöhnte Pantelis, »Bei dem Regen! Wer wird sich schon ins Gefängnis hineinschmuggeln wollen.« Gehorsam stieg er aus, zog seine Jacke über den Kopf, rannte nach hinten, entriegelte die Luken und öffnete sie.

Der Wächter kletterte in den Frachtraum, prüfte bei jeder Kiste die Unversehrtheit der Klebestreifen, klopfte gegen den Karton, horchte dem Klang nach und schien endlich zufrieden.

Quietschend schob sich das angerostete Gittertor zurück und Pantelis fuhr an dem mit hohem Unkraut bewachsenen Sportplatz des Gefängnisses vorbei zur Warenannahme.

Die Häftlinge, die den Lastwagen entladen sollten, warteten schon ungeduldig. Ihre schäbigen Klamotten waren für das Wetter nicht gemacht, sie froren erbärmlich. Heruntergekommen sahen sie aus und dabei waren sie die auserwählten Günstlinge des dicken Aufsehers.

Pantelis zündete sich eine Zigarette an und schaute scheinbar gleichgültig den Männern beim Abladen zu. »Dahinten, die Kiste mit der Nummer TA-17-1, die lasst bitte stehen, Jungs. Sie ist für die Touristenpolizei in Saloniki!«, rief er so lauthals, dass auch der Aufpasser, der im Trockenen stand, das mitbekommen musste. »In der Platia Haghias Sophias 10 warten sie schon sehnsüchtig darauf.« Pantelis warf einem Mann mit kurz geschorenen Haaren und eingefallenen Wangen einen listigen Blick zu. ›Wird Zeit, dass Damis von hier verschwindet‹, dachte er, ›Der Aufenthalt bekommt ihm nicht.‹

Zusammen mit einem zu kurz geratenen Buckligen wuchtete Damis eine der Kisten auf die Verladerampe empor. Unvermittelt richtete er sich auf. »Chef, ich muss mich kurz zur Toilette abmelden«, rief er dem Aufseher zu und presste seine Hand auf die Magengrube.

In dem Augenblick reichte Pantelis dem Gefängnisbeamten die Papiere zum Unterschreiben hin. »Hier, die Unterschrift für die siebzehn Kisten«, sagte er und gab sich eilig. Er hielt dem Dicken den Stift hin, ließ ihn versehentlich los, sodass er auf den Boden in eine Pfütze fiel. »Verdammt«, stieß Pantelis hervor, »wenn man es eilig hat!« Er fing an, in den Taschen seiner Jacke nach einem anderen Kuli zu suchen und hob dann bedauernd die Hände. »Warten Sie«, sagte er, »im Handschuhfach habe ich noch einen.«

Derweil war Damis zusammen mit dem Buckligen in den Lastwagen geschlüpft. Aus einer in der Lkw-Plane verborgenen Tasche zog er ein Teppichmesser und eine Rolle mit Klebestreifen hervor. Mit dem Messer trennte er den Klebestreifen von Kiste TA-17-1 in der Mitte durch, klappte die beiden Pappdeckel zur Seite, hob von der drinnen befindlichen Holzkiste den Deckel ab und schlüpfte hinein. Sein Komplize verschloss sofort wieder die Kiste, klappte den Transportkarton zu, zog einen Klebestreifen ab, setzte ihn passgenau auf den zerschnittenen und legte den Rest der Rolle zurück in das Versteck. Der Kleine war zwar nicht der Intelligenteste, jedoch das wochenlange Training machte diesen Nachteil wett. Das Ganze hatte kaum eine halbe Minute gedauert.

Der Bucklige sprang von der Ladefläche und stellte sich zu den anderen, die dem Geschehen scheinbar unbeteiligt den Rücken zugewendet hatten. »Damis ist nicht auf der Höhe, Chef«, rief er leicht stotternd dem Beamten zu. »Er hat sich den Magen verdorben. Die trocknen Bohnen heute, den gesamten Morgen jammert er schon.«

»Okay, Stratos«, erwiderte der Aufseher gutmütig. Die beiden Kumpel hatten bei ihm ein Stein im Brett, versorgte Damis ihn ausreichend mit geschmuggelten Drogen und der Weiterverkauf an einsitzenden Junkies besserte seine kümmerlichen Beamtenbezüge ordentlich auf. ›Wieso hat den Fraß gegessen‹, wunderte er sich, ›Der hat genug Geld, sich einiges extra zu besorgen.‹ Aber er hatte keine Zeit darüber nachzudenken, gemäß Dienstplan musste er jetzt die Ladefläche kontrollieren. Missmutig schleppte er sich hinter den Lkw und schaute in die Ladeluke. Es wäre seine Pflicht gewesen, hochzuklettern und die Kiste zu untersuchen, die da einsam in der hintersten Ecke stand. Das war ihm mit seinem dicken Bauch zu beschwerlich. ›Was soll's, darum kümmern sich die Wachen am Tor‹, dachte er, ›die haben eh nichts zu tun.‹ Gnädig nickte er Pantelis zu, der verschloss die Ladeluken und machte, dass er mit seinem Wagen fortkam.

Am Tor wurde er von den beiden mies gelaunten Wächtern erwartet. ›Ich hätte denen mehr Schmiergeld zustecken müssen‹, dachte er missmutig, ›hoffentlich schikanieren sie mich jetzt nicht.‹

»Luke öffnen und Ladepapiere!«, befahl der eine.

Pantelis stöhnte. »Muss das sein, Leute? Seht, wie nass ich schon bin«, jammerte er. Aber es half nichts.

Während der eine sich genau notierte, wer der Empfänger der verbleibenden Kiste war, kletterte der andere auf die Ladefläche, kontrollierte misstrauisch die Klebestreifen der Verpackung und klopfte die Kiste ab. Endlich schien er zufrieden, Schlagbaum und Tor öffneten sich, Pantelis winkte den beiden zu und gab Gas.

Der Regen hatte aufgehört. Pantelis konnte – ohne von den schmierenden Scheibenwischern in der Sicht beeinträchtigt zu werden – über die holperige Straße brettern. Er erreichte den Parkplatz. ›Glück muss man haben‹, freute er sich, ›kein Mensch zu sehen‹. Er hielt neben dem weißen Ford-Kombi, lief nach hinten, öffnete die Ladeluke, kletterte empor, holte Messer und Klebeband aus dem Versteck, riss die Kiste auf und entriegelte den Deckel des innenliegenden Holzkastens.

Stöhnend und nach Luft schnappend kletterte Damis heraus. »Mann, Pantelis! Du hast mich schön durchgeschüttelt«, jammerte er, »Mir tun alle Knochen weh.«

Der machte eine wegwerfende Handbewegung. »Zack zack, die Bullen können jederzeit anrücken«, drängte er.

Mit dem Messer zerschnitten die Beiden den Karton der Verpackung, zerlegten den Holzkasten in seine Bestandteile und warfen alles, samt Klebeband und Teppichmesser in den Abfallcontainer des Parkplatzes. Sie zogen aus dem Ford die Zwillingskiste heraus und luden sie in den Lkw um.

Damis zog sich aus, schmiss die Häftlingsklamotten ebenfalls in den Container und zog die Kleidungsstücke an, die auf dem Beifahrersitz des Autos bereitgelegen hatten.

Unterdessen hatte Pantelis die schweren Plastiksäcke von der Rückseite des Containers hervorgezerrt und sie aufgeschnitten. »Igittigitt!«, rief er und verzog angeekelt das Gesicht, »Das Zeug stinkt barbarisch. Komm, hilf mir mal!«

Die verfaulten und verschimmelten Essensreste, die tagelang in den Plastiksäcken vor sich hingegammelt hatten, wurden in den Container gekippt. Damis ließ es sich nicht nehmen, mit einem Stock das glibberige Zeug derart zu verteilen, dass von der Kiste nichts mehr zu sehen war.

»Mach zu,«, trieb Pantelis ihn an, »es reicht mit dem Verteilen!« Er griff in seine Jacke. »Hier habe ich was für dich.« Er warf Damis irgendetwas Pelzartiges zu.

Der fing das Ding auf und betrachtete es angeekelt. »Igitt, was ist das? Eine Perücke?«

»Setze sie auf und verschwinde endlich!« Pantelis grinste. »Für Eitelkeit ist jetzt kein Platz. Mit deinem rasierten Schädel fällst du zu sehr auf.«

Damis, für den ehemals nur das Beste gutgenug gewesen war, fluchte, zog die Perücke über und stieg in den Wagen. Er musterte sich im Rückspiegel: Der dreijährige Gefängnisaufenthalt hatte Spuren hinterlassen, Bartstoppeln, eine ungesunde graue Gesichtsfarbe, scharfe Falten um die Mundwinkel herum. Er war entsetzt. Dabei war es ihm noch verhältnismäßig anständig ergangen, seine Freunde draußen hatten ihn nicht vergessen und ihm Geld und Drogen zugespielt. Damit konnte er sich eine Matratze und besseres Essen leisten. Wer so ein Glück nicht hatte, dem blieb nur ein nackter Fußboden und elender Fraß aus trockenen Bohnen. Er dachte an die Erniedrigungen zurück, denen er ständig ausgesetzt gewesen war und spukte angewidert aus dem Fenster. ›Nein, ins Gefängnis lass ich mich nicht mehr stecken, da gebe ich mir gleich die Kugel.‹ »Danke, Pantelis«, rief er seinem Kumpel zu, drehte den Zündschlüssel und fuhr los.

Zehn Minuten später tauchte im Rückspiegel von Pantelis' Lastwagen das Blaulicht der Polizei auf. Es war für die Polizisten sehr enttäuschend, als sie die Verpackung der Kiste TA-17-1 öffneten und anstatt des entflohenen Mörders nur einen Tisch, bestellt von der Touristenpolizei in Saloniki, Platia Haghias Sophias 10, vorfanden.


Ein Mann mit einem schwarzen Lockenkopf drückte gegen die Tür des Restaurants Mantra Fani in Volos. Sie war verschlossen. Ärgerlich blickte er auf die spottbillige Armbanduhr, die er heute Morgen einem afrikanischen Straßenhändler abgekauft hatte. ›Mist, das Restaurant öffnet erst in einer Viertelstunde.‹ Er ging um das Gebäude herum und klopfte an die Fensterscheibe der Küche.

Das Fenster wurde einen Spalt geöffnet. »Wir öffnen in zwanzig Minuten!«, rief der Koch abweisend und wollte das Fenster schließen.

»Stopp, warte Minas! Ich bin es, Damis«, erwiderte der Mann und schaute sich ängstlich um. »Erkennst du mich nicht?«

Das Fenster wurde zugezogen und gleich darauf öffnete sich die Tür zum Lieferanten-Eingang. Ein Arm schob sich heraus, packte Damis und zog ihn ins Innere. »Rein mit dir und keinen Mucks«, sagte der Koch. »Wenn dich jemand sieht, komme ich in Teufels Küche!« Entsetzt blickte Minas in die verhärmten Gesichtszüge seines Gegenübers. »Mensch, Damis, ich dachte, du sitzt, und zwar lebenslänglich!« Er zog die Rollos der Fenster herunter. »Hast es geschafft, zu türmen«, stellte er mit geringer Begeisterung in der Stimme fest.

»Entschuldige, dass ich nicht um Erlaubnis gebeten habe.« Damis war ungehalten, er spürte, dass er nicht willkommen war.

»Wenn wir öffnen, musst du verschwunden sein«, drängte Minas. »Ein Glück, dass der Chef heute nicht da ist!«

»Okey-dokey«, erwiderte Damis wütend. »Vergiss nicht, du stehst in meiner Schuld.«

»Reg dich nicht auf und verzieh dich ins Lokal. Ich muss in der Küche ein Menü vorbereiten«, sagte Minas mit einer Stimme, die versöhnlich klingen sollte. »Willst du was trinken?«, bot er an. »Warmes oder Kaltes?«

»Mach mir einen kräftigen Kaffee, mir ist saukalt.« Damis blickte sich im Gastraum nach einer passenden Sitzgelegenheit um. In der Ecke war ein Bereich durch ein Paravent, den ein griechischer Tempel zierte, vom restlichen Gästebereich abgetrennt.

Minas folgte seinem Blick. »Hinter den Raumteiler mit dir! Dort steht ein Tisch, da speist der Chef, wenn er von niemandem gestört werden will.«

Als der dampfende Kaffee seine Eingeweide aufgewärmt, das Koffein, an den er nicht mehr gewöhnt war, ins Blut übergegangen war und das Denkvermögen geschärft hatte, wurde Damis ratlos. Was jetzt? Wen anpumpen? Wo schlafen? Wohin fliehen? Fragen über Fragen, auf die er keine Antwort fand. Dem ehemaligen Boss durfte er auf keinem Fall mehr über den Weg laufen. Der hatte definitiv nicht vergessen, wie viel Geld er ihm schuldete. Es gab nur eine Möglichkeit, er musste sich ins Ausland absetzen, gefälschte Papiere besorgen, an irgendeinem Ort neuanfangen. Schon wollte er aufstehen um Minas um Geld anzugehen, als er hörte, wie zwei Gäste direkt vor dem Paravent Platz nahmen. Das Restaurant hatte geöffnet.

»Schön, dass wir die einzigen Gäste sind, Vasilios«, sagte eine sanfte Frauenstimme, die ihm bekannt vorkam, »Da können wir in Ruhe über alles reden.«

»Ich brauche zuerst einen Tee zum Aufwärmen«, erwiderte der Mann, der mit Vasilios angesprochen worden war. »Soll ich dir auch einen bestellen, Atridi?«

Atridi! Urplötzlich war Damis hellwach. Natürlich, das war die Stimme von Atridi Papaluka, deren Nichte Lena er vor zwei Jahren entführt hatte! Kein Tag war seitdem vergangen, an dem er nicht darüber gegrübelt hatte, warum das seinerzeit derart fürchterlich schief gegangen war. Die Geisel befreit, sein Freund Meletis erschossen, er und Stratos gefangen! Wie zum Kuckuck hatte die Polizei herausfinden können, wo ihr Versteck gewesen war?

»Lena hat es jetzt besser als wir«, hörte er Atridi träumerisch sagen. »In Südafrika ist jetzt Frühling!«

»Mich wundert, dass die Eltern das Mädchen überreden konnten, mitzukommen«, sagte Vasilios. »Die hätten sich besser einen Eheberater als Begleiter engagiert. Wo treiben die Drei sich herum? Kap-Region, Gartenroute?«

»Zuerst besuchen sie den Kruger National Park, sodann machen sie in der Provinz KwaZulu-Natal Urlaub, ich glaube an der Delfin-Küste.«

»Bleiben sie lange fort?«

»Ich schätze vier Wochen.«

»Hat Lena schon konkrete Pläne, was sie nach der Schule machen wird?«, erkundigte sich Vasilios. »Ich hoffe, dass sie mit ihrer sagenhaften Gabe in meine Schuhstapfen tritt und Medizin studiert. Stell dir nur vor, zu was für exakten Diagnosen ein Arzt fähig wäre, wenn er in die Gedanken- und Gefühlswelt des Patienten eindringen könnte!«

›Wie war das?‹, dachte Damis, ›Habe ich richtig gehört? Das Mädchen kann Gedanken lesen? Das gibt es nicht.‹

»Bei Gelegenheit muss ich Lena überreden, mit mir in die Spielbank zu gehen«, flachste Atridi. »Nur zum Spaß! Mit ihren Fähigkeiten wird es uns nicht schwerfallen, im Handumdrehen die Bank zu knacken. Zum Beispiel mit Black Jack. Ich würde mich wahnsinnig über die wütenden Gesichter der Direktion amüsieren, dass zwei harmlos aussehende Frauen, wie wir beide es sind, sie derart erleichtern können!«

Selbst durch den Paravent hindurch spürte Damis, dass Vasilios der Idee nicht viel abgewinnen konnte. »Das ist hoffentlich nicht dein Ernst«, hörte man eine vorwurfsvolle Stimme antworten.

»War nur ein Witz«, lachte Atridi. »Lena würde das partout nicht mitmachen. Im Gegensatz zu mir!«

›Witz? Das ist nicht im Geringsten ein Witz, das ist die Idee des Jahrhunderts!‹ Der Lauscher geriet aus dem Häuschen. Wenn Lena ohne Witz Gedanken lesen kann, ließe sich mit ihr ein Bombengeschäft machen! ›Das muss ich mir genau durchdenken. Aber redeten die Beiden auch keinen Blödsinn?‹ Mit einem Schlag fiel ihm die Kinnlade herunter. Die Frage, über die er seit drei Jahren in seiner schmuddeligen Zelle pausenlos gegrübelt hatte, war die nicht soeben beantwortet worden? Zwar war damit nicht zu erklären, wieso die Polizei so überraschend aufgetaucht war, ohne Zweifel hing das damit zusammen.

Man hörte das Klappern von Bestecken, dem Anschein nach aßen die beiden jetzt. Jenseits des Paravents klingelte ein Handy. »Atridi. Grüß dich! Wie geht es dir?« Sie flüsterte Vasilios »Der Polizeipräsident von Saloniki« zu. Zwei Minuten hörte man nichts mehr, dann ein »Oh Gott!« Ein Handy klappte zu.

»Mir ist der Appetit vergangen, Vasilios«, sagte Atridi mit sorgenvoller Stimme. »Weißt du, was gestern Nachmittag passiert ist?« Man hörte, wie Bestecke auf einen Teller zurückgelegt wurde. »Der Entführer von Lena, der brutale Damis, ist aus dem Gefängnis in Saloniki geflohen! Ein Glück, dass Lena in Afrika ist. Komm, lass uns gehen, ich muss einige Anrufe machen.«

Als die beiden gezahlt hatten, kam Minas um den Paravent herum. »Verschwinde jetzt, Damis«, drängte er. »Wenn dich jemand hier sieht, bin ich den Job los.«

Damis rieb sich die Hände, alle Trübsal war von ihm gewichen. Er stand auf. »Okay, ich verdufte«, sagte er, seine Stimme nahm einen unangenehmen Ton an. »Dein Handy, ruck, zuck, wenn ich bitten darf!«

»Was? Mein Handy? Bist du verrückt?«, wehrte Minas ab.

»Dein Handy, ein bisschen plötzlich«, wiederholte Damis mit einem drohenden Unterton. »Ein anonymer Anruf bei der Polizei und du bist deinen Job eh los. Vergiss das nicht!«

Resignierend glitt Minas' Hand in die Brusttasche.

»Danke, mein Freund«, sagte Damis mit honigsüßer Stimme. »Vergiss bitte, dass du mich gesehen hast.«


Der Spätherbst zeigte sich von der besten Seite. Von einem tiefblauen Himmel schien eine leicht wärmende Sonne und tauchte die Berge des Piliongebirges in samtweiches Licht.

Auf dem Parkplatz des Touristen-Pavillons am Chani-Pass lehnte Damis an dem weißen Ford und würdigte die Schönheit der Natur mit keinem Blick, obwohl er doch in den letzten drei Jahren nur unansehnliche Betonmauern angestarrt hatte. Gleich würde der Boss erscheinen, zum ersten Mal in seinem Leben würde er ihm Auge in Auge gegenüberstehen. Ihm war bewusst, dass er auf dünnem Eis wandelte. Der geringste Fehler von ihm und er wäre erledigt. Ein Wink vom Boss und die Kerle mit den kahl geschorenen Köpfen und schwarzen Anzügen, mit denen er sich umgab, würden nicht lange fackeln.

Endlich tauchten sie auf. Zwei schwarze Wagen kamen den Pass heraufgefahren, ein BMW und ein amerikanischer Van mit abgetönten Scheiben. Der Van hielt in einen Abstand von zwanzig Metern, der BMW kam an den Ford herangefahren. Zwei Bodyguards stiegen aus.

»So, mein Freund, da sind wir«, sagte der eine und packte ihn, ohne um Erlaubnis zu bitten, an den Armen, dieweil der andere ihn mit geübten Griffen nach Waffen untersuchte.

»OK, du kannst jetzt zum Boss gehen. Sei zuvorkommend und sag nichts Dummes«, gab ihm der andere mit auf den Weg.

Damis spürte einen aufmunternd gemeinten Klaps auf dem Rücken und ging mit butterweichen Knien auf den Wagen zu. Es war ein Chrysler-Voyager mit vergoldetem Kühlergrill und enormen Reifen, deren blank polierte Alufelgen in der Sonne blitzten.

Als er vor dem Wagen stand, stieg der Chauffeur aus. »Hier, stell dich an die rechte Seitentür«, befahl er Damis und eilte hinüber zu seinen Kollegen, die zigarettenrauchend am Kofferraum des BMW lehnten und herübersahen.

Mit leichtem Summen glitt die seitliche Schiebetür des Vans zurück. Eine Geruchsmischung von süßlichem Moschus und saurem Schweiß wehte ihn an und Damis hatte Mühe, sich vor Ekel nicht zu übergeben.

Die hinteren Sitze des Vans waren ausgebaut und hatten für einen gigantischen Ledersack Platz machen müssen, auf dem ein Elefant bequem Platz gefunden hätte. Eine ähnlich monströse Gestalt lag darauf, ein Mann, so ungeheuerlich fett, dass Damis sich unwillkürlich fragte, ob das Ungetüm sich aus der Autotür überhaupt herausquetschen konnte. Er trug einen blauen Seidenkaftan, der bis zu den Füßen herunterfiel, dicke Goldringe zierten die Wurstfinger und unter den vielen Doppelkinnen quetschte sich eine Goldkette, an der ein dicker gefasster Brillant baumelte. Auf dem Kürbiskopf trug er ein Headset. Dünne Kabel führten zu seiner linken Hand, aus der zwischen Daumen und Zeigefinger ein Smartphone hervorlugte und zu einem aufgeklappten Notebook, das in einer Halterung klemmte, die an der Decke des Vans befestigt war. Damis fragte sich, wie er die Tasten mit den dicken Fingern bedienen konnte.

»Desktop anzeigen«, befahl der Boss in einer hohen, breiig fetten Stimme. Auf dem Display des Notebooks minimierten sich alle geöffneten Fenster und zeigten nur noch ein Hintergrundbild an. ›Aha, mit Sprachsteuerung regelt der Fettwanst das‹, beantwortete Damis sich die Frage selbst und hätte sich am liebsten eine runtergehauen, dass er seine Gedanken nicht auf brisanteres konzentrierte.

»So, so«, begann der Boss in einem amüsiert klingenden Unterton. »Du hast gemeint, du versteckst dich vor mir paar Jahre im Gefängnis. Jetzt kommst du heraus gekrochen und glaubst, ich hätte deine Schulden bei mir vergessen?«

»Nein, nein, Boss, ich weiß, was ich dir schulde«, erwiderte Damis unterwürfig. »Meletis Grigoris hatte alles verbockt! Der hatte nur Weiber im Kopf! Mit einem anderen Partner an seiner Stelle wäre das nicht schiefgelaufen.«

»Grigoris ist mausetot. Du bist jetzt mein Ansprechpartner!«, schrie der Boss wütend und angeekelt sah Damis wie seine Spucke auf das Display des Notebooks spritzte und herunterlief. »Also! Wann zahlst du?«

Der Abgekanzelte steckte die Hände in die Hosentaschen, zog sie wieder heraus und zeigte die Handflächen vor. »Du siehst, ich habe kein Geld«, sagte er furchtsam, denn die Schweinsäuglein blitzten drohend auf. »Ich komme trotz alledem nicht mit leeren Händen!«, schob er hinterher.

»Mach's kurz! Was hast du zu bieten?«, fragte der Boss und warf einen kurzen Blick auf das Display des Smartphones. »Die Geschäfte warten nicht!«

»Gestern, im Mantra Fani in Volos, habe ich ein aufschlussreiches Gespräch belauscht«, begann Damis und schaute nervös auf die linke Hand des Fettkloßes. »Eine Frau und ein Mann unterhielten sich über ein Mädchen, das Gedanken lesen kann! Stell dir das mal vor!«

Erleichtert sah er, wie die Hand mit dem Smartphone heruntersank und das fahle Kürbisgesicht sich ihm zuwandte. »Willst du mich verkohlen?«, sagte es halb erstaunt, halb verärgert.

»Nein, nein, Boss«, warf er ein. »Die Frau hat gesagt, dass sie mithilfe des Mädchens schon eine Spielbank gesprengt hat«, log er. »Das ist keine grandiose Leistung, wenn du bei Black Jack oder Poker die Karten deiner Mitspieler kennst. Was für fantastischen Vorteile würden sich daraus für dich ergeben! Stell dir vor, wie leicht man an die Nummern von Bank-Safes herankommen kann, dezent, ohne brutal zu werden, nur im Vorübergehen.« Er geriet in Begeisterung. »Ich sage dir, die Kleine ist nicht mit Gold aufzuwiegen!«

»Wie heißt sie? Wie alt ist sie? Wo wohnt sie?«, fragte der Boss und gab sich mäßig interessiert, obwohl seine Herzfrequenz durch einen Adrenalin-Ausstoß sich schlagartig erhöht hatte.

»Ja, das ist das Problem«, sagte Damis gedehnt. »Die Beiden nannten nur ihren Vornamen. Wie war der noch gleich ...?« Von Angst ergriffen sah er, wie sich die Hand mit dem Smartphone wieder hob.

»Nein warte, grade fällt es mir ein«, brach es aus ihm heraus, »Lena heißt sie, muss um die achtzehn Jahre sein.« Hastig schob er »Und ich weiß, wo sie sich zurzeit aufhält!« hinterher. »Sie macht mit ihren Eltern Urlaub in Südafrika. Ich weiß wo. Ich finde sie für dich und du kannst sie haben.«

Damis bemerkte nicht, dass dem Boss vor freudigem Erstaunen um Haaresbreite das Smartphone aus der Hand gefallen wäre. Zu sehr war er damit beschäftigt, seinen Gesichtszügen den Anflug von leichter Ratlosigkeit zu geben, was jetzt zu tun sei. Den Namen Lena Papaluka, wohnhaft in Volos, gegenwärtiger Aufenthaltsort Delfin-Küste, KwaZulu-Natal, Südafrika würde er ums Verrecken nicht erwähnen, zu leicht könnte er abserviert werden.

»Ich muss verrückt sein, einen derartigen Blödsinn zu glauben! Just du, der mich wiederholt enttäuscht hat, willst mir einen solchen Bären aufbinden«, sagte der Boss gönnerhaft. »Na schön, suche sie für mich! Mein Fahrer gibt dir eine Adresse in Saloniki, dort meldest du dich heute Abend. Kapiert?«

Erleichtert nickte Damis. ›Mann, geil, der Dickwanst hat das geschluckt, Glück muss der Mensch haben. Und das nach der Scheiße, in der ich drei Jahre gesteckt habe!‹

»Du bekommst Geld, ein Handy und einen bulgarischen Pass. Du fährst nach Sofia, von dort fliegst du nach Johannesburg. Am Airport werden dich drei meiner Leute erwarten. Sie sollen dir bei der Suche helfen.«

Er blickte Damis an und merkte an seinem Gesichtsausdruck, dass sich die Angst vor seiner Person verloren hatte. »Ich warne dich, mein Lieber! Wenn du mich reinlegen willst, werden meine Freunde kurzen Prozess mit dir machen! Geht das in deinen Schädel hinein?«

Damis nickte eifrig, er schwebte bereits auf Wolke Sieben. ›Wie schafft es der Fettwanst aufs Klo zu gehen?‹, überlegte er und versuchte seinen Gesichtszügen eine Spur von Unterwürfigkeit zu geben.

»Und das Wichtigste! Hör jetzt genau zu und verpatze es nicht! Du bist nur der Spürhund, nicht mehr und nicht weniger! Deine Aufgabe besteht nur darin, mir mitzuteilen, an welchem Tag um wie viel Uhr das Mädchen auf welchem Flughafen mit welcher Maschine aus Afrika zurückzukehren beabsichtigt. Klar?«

›Ich glaube, der kommt nicht aus dem Auto heraus‹, dachte Damis. ›der erledigt alles da drinnen!‹ Er nickte eifrig.

»Du hast genau vier Wochen Zeit!«, bellte der Boss aus dem Auto heraus, was sich wegen seiner hohen Stimme komisch anhörte. »Meldest du dich bis dahin nicht, treiben meine afrikanischen Geschäftspartner deine Schulden auf dem üblichen Weg ein! Sieh dich also vor, Freundchen!«

»Du kannst dich auf mich verlassen, Boss«, sagte Damis und versuchte einen geknickten Eindruck zu machen.

»Glaub ja nicht, dass du dich in Südafrika vor mir verstecken kannst!«, drohte ihm der Boss. »Du zappelst dort wie ein Fisch an meiner Angel! Jetzt verschwinde und mach dich an die Arbeit!« In der Erregung hatte er erneut das Display des Notebooks vollgespritzt. Er bemerkte es, wischte mit einem Lappen darüber und geriet bei der für ihn anstrengenden körperlichen Betätigung so außer Atem, dass sein Ärger abflaute.

»Wenn du das ordentlich erledigst, darfst du, wenn du zurückkommst, mein Chauffeur werden«, fuhr er jetzt in einem freundschaftlichen Ton fort. »Ich brauche einen gutaussehenden und gutgekleideten Fahrer. Keinen Trampel wie den da drüben!« Er deutete zu dem BMW hin. »Meine Geschäftspartner legen auf korrektes Auftreten viel Wert! Na, was hältst du von dem Angebot?«

»Boss, das wäre in jeder Hinsicht eine Ehre für mich« stammelte Damis scheinbar erfreut und verbeugte sich devot, da er nicht wusste, ob seine Gesichtszüge nicht zu verräterisch waren. »Tür schließen!«, hörte er und mit einem leichten Summen zog ein Elektromotor die Schiebetür des Vans zu.

›Mein Gott, bitte lass die verrückte Geschichte ein Stück weit wahr sein‹, dachte der Boss. ›Die niedliche Lydia beißt in Kapstadt bei Serios auf Granit, ohne Hilfe wird sie nicht weiterkommen. Ein Mädchen, das Gedanken lesen kann, ja, das wäre die ideale Ergänzung zu ihr! Wenn Lena nicht freiwillig mitspielt, was dann? Na, mit Geld kann man jeden Menschen überreden‹, stellte er seine Bedenken zurück. ›Sollte sie bockig werden, gibt es die altbewährten Methoden!‹ Damis traute er nicht, der wusste garantiert mehr, als er eingestanden hatte! Besser, er fand die Identität des Mädchen selbst heraus!

Er rief auf dem Notebook die Zeitungsberichte auf, die von Damis' Prozess berichteten. Er hatte ein sechzehnjähriges Mädchen entführt, um von deren reichen Tante Lösegeld zu erpressen. Alles war auf unerklärlicherweise schiefgelaufen. Genaueres war nie bekannt, Namen nicht veröffentlicht worden. Der Boss stutzte. Die Entführte wäre heute achtzehn Jahre, überlegte er. Könnte die überraschende Befreiungsaktion des Mädchens nicht mit der seltsamen Fähigkeit, Gedanken lesen zu können, zu tun haben? Er musste um jeden Preis herausfinden, wer das Mädchen gewesen war. Seine IT-Spezialisten würde er darauf ansetzen, die Passagierlisten der Fluglinien, die Südafrika anflogen, nach einer dreiköpfigen Familie mit einer achtzehnjährigen Tochter namens Lena zu durchsuchen.

Er schnaufte befriedigt. »Damis soll in Gottes Namen versuchen, das Mädchen zu finden. Wenn er scheitert, werden meine Geschäftspartner das erledigen.« Ein paar unkontrollierte Blähungen entfuhren dem massigen Körper. »So oder so, das Schicksal des unzuverlässigen Kerls ist besiegelt, hopp und weg. Ein Schlangenbiss, ein Angriff eines Hippos, ein Pistolenschuss in einem der elenden Townships, das passierte unvorsichtigen Touristen ratzfatz, wenn sie sich nicht vorsehen. Kein Hahn wird dort nach einem verschwundenen Bulgaren oder Griechen krähen. Mitwisser kann ich nicht gebrauchen.«

Per Smartphone gab er seinem Chauffeur das verabredete Zeichen. Nur widerwillig bewegte sich der Mann auf den Van zu.

›Die Idee, einen frischen Fahrer zu engagieren, ist garnicht schlecht‹, dachte der Boss, ›Ich schmeiße den Kerl raus. Ob ich es mit einer Frau versuche? Mit der supertollen Lydia, wenn sie aus Afrika zurückkehrt? Prima Idee!‹


Damis sah den abfahrenden Autos nach. Intensiv pumpte er die reine, kalte Luft in die Lungen, erst als die Autos außer Sicht waren, wagte er vor Ekel auszuspucken. »Mit dir in einem Auto?« Vor Entsetzen über die Vorstellung stellten sich seine kurzen Nackenhaare unter der Perücke empor. Die drei Jahre in dem verdammten Gefängnis, die Erniedrigung, der Gestank der ungewaschenen Körper der Mitgefangenen, der widerliche Fraß, den sie vorgesetzt bekamen, hatten ihm schon genug zugesetzt. Was er soeben gesehen und gerochen hatte, setzte dem die Krone auf. »Nein, wenn ich in Südafrika bin, werde ich mich absetzen. Nach Griechenland komme ich nicht mehr zurück. Werden sehen, was sich dort anbietet.«

Er setzte sich ins Auto und rollte die Passstraße hinunter nach Volos.

Der Bund der Katzenfrauen

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