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In eigener Sache
ОглавлениеDer moderne Buchhandel, ob papierfixiert oder elektronisch variabel, bietet ein beachtliches Arsenal an Texten, die uns nahezubringen versuchen, wie sich die Physiker die Welt vorstellen. Und wie es sich gehört, bemühen sich die Autoren, möglichst aktuell zu sein, also die neuesten Erkenntnisse und Beobachtungen, Modelle und Theorien darzustellen. Wir sollen auf dem Laufenden sein, soweit das in der schnelllebigen Zeit, die auch die Wissenschaften erfasst hat, einigermaßen möglich ist. Das ist anerkennenswert.
Wir sollen wohl auch über die Natur staunen und von den Leistungen der Physiker beeindruckt sein. Das ist gut so.
Häufig ist wohl auch gemeint, wir mit dem nur so genannten gesunden Menschenverstand sollten in Ehrfurcht erstarren und gläubig zu ihnen, den Physikern, aufblicken. Das ist überflüssig.
Wünschenswert wäre, etwas mehr und Deutlicheres über die Lücken und Irrtümer, das Unbeantwortete und Unerklärte, das Unsichere und nur Vermutete zu lesen, an Stelle der Selbstbeweihräucherungen und der Lobpreisungen der gewaltigen Fortschritte in der Naturerkenntnis.
Die gegenwärtigen Schriften zum Weltbild der Physik drehen sich im Wesentlichen um Stringtheorie, Schleifenquantengravitation, Dunkle Energie und Dunkle Materie, Beschleunigte Expansion, Higgsteilchen und Higgsfelder, Wurmlöcher, Paralleluniversen und andere Denkmodelle der modernen Physik. Das wird uns häufig beschrieben, als handele es sich dabei um etwas Mystisches, Geheimnisvolles, das für das Verständnis eines Nichtwissenschaftlers denkbar ungeeignet ist. Die moderne Physik scheint etwas zu sein, was sich dem gesunden Menschenverstand völlig entzieht, außerhalb jeder erlebbaren Realität existiert und nur auserwählten Menschen zugänglich ist.
Selbstverständlich, wer zur Kenntnis nehmen möchte, welche Standpunkte und Denkrichtungen das gegenwärtige Weltbild der Physik prägen, muss möglichst viel über diese Fragestellungen und Antworten wissen. Und wenn sich die neuen Modelle der Physik in Regionen weit weg von unserem alltäglichen Erleben bewegen und ohne höhere Mathematik nicht zu haben sind, dann ist es eben zunächst so; kann aber so nicht bleiben.
Wie bei so vielen Entwicklungen in der menschlichen Gesellschaft sollte man sich, so denke ich, auch in den Naturwissenschaften, und besonders in der Physik, immer mal wieder etwas Zeit nehmen und innehalten. Stetig voranzuschreiten, alles Neue als wichtigen Schritt zu feiern, immer wieder nach noch Neuerem zu suchen, das ist legitim und bringt voran, keine Frage. Aber es lohnt auch, immer mal wieder zurückzublicken, auf die zurückgelegte Wegstrecke zu schauen, sich zu fragen, wo wir mit unserem Weltbild eigentlich herkommen und wie wir hierher geraten sind. Mit anderen Worten: Es kann auch im Ringen um Verständnis der gegenwärtigen physikalischen Theorien nicht schaden, sich mal wieder zu erinnern, wie dieses moderne Weltbild der Physik eigentlich wurde. Auf welchen Wegen sind die Physiker da gewandelt, wie kam es zu diesem heute vorherrschendem Denken, ist da eine durchgehende Linie zu erkennen, auf der sich das Eine aus dem Anderen ergab, das Nachfolgende die notwendige Konsequenz des Vorangegangenen war oder taumelten die Denker nur von einer Vermutung in die nächste?
Aus diesen Gründen habe ich die drei Texte Weltbilder sind Zeitbilder verfasst. Ich will darin zurück- aber auch drauf-blicken, wenigstens in den wichtigsten Etappen – eine vollständige Darstellung würde dicke Bände füllen – die Geschichte des heutigen Weltbildes der Physik umreißen. Klar schöpfe ich dabei – und wo immer es mir angebracht schien, berufe ich mich auch ausdrücklich darauf – aus den in zurückliegenden Zeiten von Wissenschaftlern propagierten Erkenntnissen und Vorstellungen.
Ich denke, es kann der Physik und den Physikern nicht schaden, angesichts der verwirrenden Vielzahl der Modelle und Theorien, der unzähligen Einzelheiten und der unüberschaubaren Datenfülle, unsere Blicke mal wieder, und sei es auch nur für kurze Momente der Nachdenklichkeit und Bescheidenheit, vom reduktionistischen Einzelnen zu lösen und auf das Ganze zu blicken.
Ich will damit auch zeigen, dass die Weltbilder der Physiker immer Bilder zu ihrer Zeit, also Zeitenbilder sind. Sie veränderten sich, führten immer tiefer hinein in die Tiefen der Materie, immer weiter hinaus in die Weiten des Universums und immer höher in die Höhere Mathematik. Ob sich damit das Bild, das wir uns von unserer Welt machen, auch immer mehr und besser der Realität angenähert hat, wissen wir nicht.
Zu jeder Zeit waren die Denker überzeugt, wenigstens auf dem richtigen Weg zu sein, manche wähnten sich sogar schon so gut wie am Ende des Weges. Die Natur belehrte sie stets eines Besseren. Es gehört nicht viel Weitblick dazu, genau das auch von den gegenwärtigen Überzeugungen zu erwarten, so festgefügt und unbezweifelbar sie uns auch entgegentreten.
Wir werden sehen.