Читать книгу Gestern Kollege – heute Vorgesetzter - Dagmar Kohlmann-Scheerer - Страница 10
Fallstrick 3: Neue Besen kehren gut
ОглавлениеBeispiel: Überstürzte Veränderungen
Es ist seit langem bekannt, dass Dirk Schneider am 1. Oktober die Leitung des Callcenters übernimmt. Sein Vorgänger wurde ebenfalls befördert, jeder erreichte somit die nächste Stufe der Karriereleiter. Alle haben es als selbstverständlich angesehen, dass Dirk die vakante Position übernimmt.
Dirk freut sich schon riesig auf den 1. Oktober, denn dann kann er endlich die Organisation so gestalten, wie er sich das immer schon vorgestellt hat. Raus aus dem alten Muff, ein flotterer Ton am Telefon ist schon lange nötig! So wie die Schreibtische stehen, findet er das auch nicht optimal – seiner mittendrin –, er ist dann doch schließlich der Chef, da braucht er schon mehr Abstand und einen größeren Arbeitsplatz.
Das Gespräch mit seinem zukünftigen Vorgesetzten hat ihn zwar ein bisschen gewundert, ließ dieser doch leichte Skepsis durchblicken, ob die Gruppe unter Dirks Führung so viel Leistung erbringt wie unter einer „straffen“ Führung von außen: „Es sind doch immerhin gute Kumpel von Ihnen ...“ Na, dem wird er es zeigen – gerade weil es gute Kumpel sind, werden sie alles daransetzen, dass die Abteilung super läuft. Da ist er sich ganz sicher.
Allerdings hat sein bester Freund und engster Mitarbeiter beim abendlichen Kneipenbummel schon verlauten lassen, dass er auf Dirks Loyalität baut, bezüglich Gehalt und so . . .
Überhaupt hat die Gruppe schon durch die Blume zu erkennen gegeben, dass man keine Zweifel daran hat, dass er zukünftig die Interessen der Gruppe (in puncto Spesen, Arbeitsbedingungen usw.) wesentlich besser nach oben vertreten kann.
Am 1. Oktober, pünktlich um 8 Uhr, steht ein übermotivierter Dirk Schneider an seinem Arbeitsplatz und wartet auf das Eintreffen seiner Kollegen. Er braucht sie, damit sie bei der Umräumaktion kräftig mit anpacken.
Die ersten Telefone klingeln, noch sind nicht alle da, und Dirk jagt von Apparat zu Apparat. Allmählich trudeln auch die Letzten ein, nehmen sich erst einmal eine Tasse Kaffee und erzählen, was gestern „so abging“. Im Grunde ein Arbeitsbeginn wie jeden Tag. Dirk kann es nicht fassen. Wenn einer unpünktlich kommt, müssen die anderen das ausbaden – so hat er das bis gestern noch gar nicht gesehen.
Er nimmt sich den letzten „Zuspätkommer“ gründlich zur Brust. Er hat jetzt hier die Verantwortung und kann diesen Schlendrian nicht gutheißen. Und wo er gerade dabei ist, erklärt er allen ohne Umschweife, dass Zuspätkommen nicht mehr toleriert werde, und falls diese Warnung nicht genüge, würde er auch vor einer Abmahnung nicht zurückschrecken.
„So, nun lasst uns aber in die Hände spucken und meinen Schreibtisch dort in die Ecke stellen. Fasst mal mit an. Nein Boris, dein Schreibtisch bleibt da stehen, ich stell meinen dazu, mehr Verantwortung – mehr Platz, ha, ha, ha. Ja Boris, du teilst dir den Platz mit Biggi, der war für eine so zarte Person sowieso zu groß, ha, ha, ha.“
Außer bei Dirk Schneider ist nirgends Heiterkeit zu spüren. Unverdrossen räumt er ein, aus und um. Nach Vollendung seines Werkes betrachtet er seine Arbeitsstätte voller Bewunderung, ist sie doch jetzt viel größer – so hat auch mal ein Besucher Platz, hier kann er in Ruhe Mitarbeitergespräche führen, die wahrlich nicht für alle Ohren bestimmt sind.
So, jetzt gleich die andere Neuerung bekannt geben, der frische Schwung muss ausgenutzt werden. „Hört mal alle her – was haltet ihr davon, wenn wir uns am Telefon in Zukunft mit dem Satz „Was kann ich für Sie tun?“ melden? Klingt flotter, freundlicher und aufmerksamer. Außerdem habe ich mir überlegt, dass wir die Gleitzeit ändern, die Kernzeiten sind jetzt ... “ Lähmende Stille, null Reaktion!
Jetzt merkt auch der übermotivierte Dirk Schneider, dass etwas nicht stimmt. Sein Schwung und Elan sind auf blanke Ablehnung gestoßen. Selbst bei seinem besten Freund entdeckt er nur Widerstand in der Mimik. Er kann sich das befremdliche Verhalten seiner Mitarbeiter nicht erklären. Als er noch „einer von ihnen“ war, hatte sich die Gruppe vorgenommen, im kommenden Jahr das „Spitzenteam“ zu werden. Wo ist jetzt die Motivation? Er war sich sicher, die Gruppe auf seiner Seite zu haben – und jetzt das!
Wichtig: Den Rollentausch realisieren
Halten wir hier die Szene an. Was ist passiert?
Nichts Greifbares und doch etwas ganz Wesentliches! Die Distanz zu seinen früheren Kollegen hat sich verändert. Ob Dirk Schneider es wahrhaben will oder nicht, er ist nicht mehr „einer von ihnen“.
Obwohl seitens seiner Kollegen hohe Erwartungen in Richtung Interessenvertretung an ihn gerichtet werden, entsteht gleichzeitig ein gesundes Misstrauen. Denn naturgemäß vertritt er zukünftig auch die Interessen der Geschäftsleitung und wird somit zum „Geheimnisträger“. Er kann deshalb gar nicht mehr (wie früher) zur Gruppe gehören.
Lösungsansatz
Lösung: Neuerungen nicht übers Knie brechen
Im Grunde kann Dirk Scheider schon auf die Loyalität seiner Mitarbeiter zählen, nur darf er das „Rad nicht sofort anhalten“. Er muss sich und der Gruppe erst die Möglichkeit geben, sich an den Rollentausch zu gewöhnen. Das heißt im Klartext: zunächst das „Wesentliche“ ein Weilchen beim Alten lassen, das Vertrauen der Gruppe unter den veränderten Vorzeichen gewinnen und erst dann gemeinsam an der Erreichung neuer Ziele arbeiten. Zum Beispiel den neuen Telefonspruch „Was kann ich für Sie tun?“ nicht als rhetorische Frage in den Raum stellen, sondern auch die Vorschläge aus der Gruppe berücksichtigen.
Wenn Dirk Schneider dann spürt (auch hier ist Einfühlungsvermögen gefragt), dass sich das Klima normalisiert und eventuell aufgewirbelter Staub sich wieder gesetzt hat, dann kann er gemeinsam mit der Gruppe Neuerungen einführen.
Jeder Mensch führt grundsätzlich lieber seine eigenen Ideen aus als solche, die ihm „aufs Auge gedrückt“ werden!