Читать книгу Gestern Kollege – heute Vorgesetzter - Dagmar Kohlmann-Scheerer - Страница 13

Fallstrick 6: Freundschaft

Оглавление

Das folgende Rollenspiel von Michael Birkenbihl (M. Birkenbihl: Rollenspiele schnell trainiert, 1996) beschreibt die Realität sehr genau:

Beispiel: Zwei Lebensweisen prallen aufeinander

Markus Bock arbeitet seit knapp vier Jahren als Bezirksvertreter. Er hat immer gute Leistungen erbracht – wenn er auch niemals unter den ersten Dreien war. Daran liegt ihm nichts, er führt eine sehr gute Ehe, hat zwei reizende Kinder und hält sehr viel von Lebensqualität. In dieser Einstellung war er sich immer mit seinem Kollegen Wolf Hilt einig, der vor etwa sechs Monaten zum Gebietsverkaufsleiter befördert wurde. Mit diesem Mann verband Markus eine dicke Freundschaft, die beiden Familien verbrachten jedes zweite Wochenende miteinander; Wolf ist außerdem Taufpate des zweijährigen Söhnchens von Markus.

Seit der Beförderung hat sich Wolf verändert, angeblich hat er keine Zeit mehr für die Treffen am Wochenende – im letzten halben Jahr fanden nur noch zwei Familienkontakte statt. Beim letzten Treffen, als alle schon etwas getrunken hatten, kam es zu einer erregten Auseinandersetzung. Markus (und seine Frau) warfen Wolf vor:

Er brenne vor Ehrgeiz und habe um seiner Karriere willen all jene Grundsätze hinsichtlich „Lebensqualität“ über Bord geworfen, die vorher eine der Grundlagen ihrer Freundschaft waren;

er kehre Markus gegenüber jetzt den Vorgesetzten heraus und mische sich in seine Tourenplanung ein; Markus steht aber auf dem Standpunkt, dass er sich seine Arbeit einteilen kann, wie er will – solange er sein Soll erbringt;

er hätte ganz allgemein zu seinen früheren Kollegen, bei denen er immer beliebt war, eine Distanz geschaffen, die ihn zwangsläufig immer mehr isolieren müsse; auf diese Weise werde er die Gruppe schwerlich motivieren können, in Zukunft höhere Leistungen zu erbringen.

Seit dieser Auseinandersetzung im privaten Kreise ist diese alte Freundschaft praktisch tot. Markus’ Frau ist auch dieser Meinung. Jetzt wurde Markus vom „Herrn Gebietsverkaufsleiter“ zu einer Aussprache gebeten. Markus ist aber nicht bereit, seine gesamte Lebensphilosophie infrage stellen zu lassen – nur damit der neue Gebietsverkaufsleiter Erfolge nachweisen kann! Soll er doch zusehen, wie er mit diesen „Führungsmethoden“ zurechtkommt!

Die Mehrzahl der Gruppe ist übrigens Markus’ Meinung und signalisiert ihre negative Einstellung zum „veränderten“ Wolf durch ein distanziertes und unterkühltes Verhalten ihm gegenüber. Möglicherweise wird Wolf Markus vorwerfen, er habe die Gruppe gegen ihn aufgehetzt.

Wolf Hilt ist vor sechs Monaten zum Gebietsverkaufsleiter befördert worden und seitdem für sieben Mitarbeiter verantwortlich. Die Umstellungsschwierigkeiten waren doch größer, als er sich vorgestellt hatte. Er hat sich nur durch Einsatz von viel Zeit und Energie in seiner neuen Position etablieren können. Ohne die tatkräftige Unterstützung durch seinen Vertriebsleiter wäre das ganze Unterfangen möglicherweise misslungen. Es ist eben zweierlei: einen Bezirk zu bearbeiten oder Menschen zu führen! Eigenartigerweise erwuchsen ihm Schwierigkeiten aus einer Richtung, aus der er sie am wenigsten erwartet hatte: Der Kollege Markus, mit dem er seit Jahren befreundet ist, stellt sich quer. Früher verbrachte er jedes zweite Wochenende mit ihm und seiner Familie. Wegen der Mehrarbeit, die mit der Beförderung auf ihn zukam, vor allem durch den Papierkrieg, hat er sich an den Wochenenden zu Hause hingesetzt und gearbeitet. Dadurch ist der private Kontakt zu Markus fast ganz zum Erliegen gekommen. Als Wolf, nach längerer Pause, mal wieder ein Wochenende bei Markus verbrachte, machten dieser und seine Frau ihm Vorwürfe; seit der Beförderung sei er ein ganz anderer Mensch geworden! Er würde jetzt ganz anders denken! Offensichtlich hätte man in der Zentrale eine „Gehirnwäsche“ mit ihm durchgeführt! Wolfs Frau griff auch in die Diskussion ein, um ihn zu verteidigen – und schließlich ging man auseinander, ziemlich angetrunken und mit einem schalen Geschmack auf der Zunge ...

Nun hat Wolf als Gebietsverkaufsleiter Dinge festgestellt, von denen er früher nichts wusste. So zum Beispiel, dass sein ehemaliger Freund seine Touren nicht exakt plant und mehr nach Lust und Laune (und nach Wetterverhältnissen) durch die Weltgeschichte reist. Außerdem nimmt Markus manchmal seine Frau mit; vor allem dann, wenn er durch eine landschaftlich reizvolle Gegend fährt. Dabei macht er ausgedehnte Kaffeepausen in schön gelegenen Ausflugslokalen. Schließlich ist Markus der Meinung, dass 50 Prozent des von der Zentrale verlangten Papierkriegs unnötig seien; um zu beweisen, dass dieser Papierkrieg volumenmäßig nicht zu schaffen sei, macht er „Dienst nach Vorschrift“ und liefert seine Berichte immer zu spät ab, was Wolf wieder Schwierigkeiten vonseiten seines Vertriebsleiters einbringt.

Am schlimmsten empfindet er jedoch, dass die Haltung seines früheren Freundes zum Teil auf die Gruppe abfärbt. Bei der letzen Regionaltagung wurde er von einigen Mitarbeitern des Öfteren ostentativ mit „Herr Gebietsverkaufsleiter“ angeredet – eine nicht zu überhörende Warnung der Gruppe!

Wolf will in einem Gespräch letztmalig versuchen, sich mit Markus in fairer Weise zu arrangieren.

Beim Durchspielen dieses Rollenspiels in den Seminaren erlebte ich folgende spontane Reaktion der Teilnehmer:

Markus wird ganz sachlich und in ruhigem Ton darauf aufmerksam gemacht, dass es so nicht weitergehen kann:

1 Seine Berichte müssen in Zukunft pünktlich auf dem Tisch von Wolf liegen.

2 Er soll in Zukunft den Kollegen gegenüber seine Zunge hüten! (Auch dies in sachlichem Ton mitgeteilt!)

3 Er könne sich ruhig ein bisschen mehr bemühen. Karriere sei keine schlechte Alternative.

4 Es würde ihm nichts schaden, wenn er mehr Verständnis für Wolfs Situation aufbrächte. Schließlich sei man ja lange Jahre miteinander befreundet gewesen.

5 Ihm wird eine Umsatzstatistik gezeigt, die beweist, dass seine Umsätze im letzten halben Jahr nicht „der Hit“ waren.

6 Markus wird (ganz sachlich) gefragt, was dieser unsinnige Widerstand eigentlich soll.

Ganz selten gelang der Durchbruch zum „Neubeginn“ der Freundschaft. In 95 Prozent der Fälle blieb das Verhältnis kühl und auf rein geschäftliche Basis reduziert. Das entstandene Misstrauen auf beiden Seiten vergiftete die Zusammenarbeit noch zusätzlich. In einigen Fällen kam es nach dem Gespräch zur Trennung.

Freundschaft lässt sich nicht sachlich behandeln

In der nachfolgenden Analyse der einzelnen Rollenspiele kristallisierte sich folgende Erkenntnis heraus:

Der Fall „Freundschaft“ lässt sich keinesfalls sachlich lösen! Hier geht es ausschließlich um Gefühle wie zum Beispiel Enttäuschung und Wut.

Markus ist enttäuscht, dass Wolf den gemeinsamen „Lebensweg“ verlassen hat.

Wolf kann nicht begreifen, dass Markus kein Verständnis für seinen Karriereschritt aufbringt.

Hier schlägt die Alexithymie wieder voll zu! Keiner der beiden Kontrahenten kann erkennen, in welchem Gefühlszustand er steckt. Also muss der Konflikt „versachlicht“ werden. So kommt es dann zu den fruchtlosen Diskussionen über fehlende Berichte, Aufhetzen der Kollegen usw. – klassische Nebenschauplätze.

Lösungsansatz

Lösung: Gegenseitige Verletzungen aufarbeiten

Das klärende Gespräch zwischen Wolf und Markus muss sich ausschließlich auf die Aufarbeitung der jeweiligen Verletzungen konzentrieren. Das könnte folgendermaßen ablaufen:

Fortführung des Beispiels

Wolf: „Markus, es tut mir Leid, dass unser letztes Treffen so in die Hose gegangen ist. Hinterher konnte ich mir nicht mehr erklären, was eigentlich passiert ist. Ich bin sehr unglücklich darüber, dass wir uns nicht mehr verstehen, und vermisse unsere Treffen und den Gedankenaustausch sehr.“

(Wolf hat seine Gefühle offen ausgesprochen und somit eine Vorgabe gemacht, wie das Gespräch verlaufen könnte.)

Markus: „An mir liegt das doch nicht, du hast dich doch plötzlich von unserer gemeinsamen Linie entfernt. Und das, ohne mir auch nur ein Wort zu sagen. Du bist doch gar nicht daran interessiert, was ich darüber denke – vielleicht bist du auch nur ganz einfach feige. Wirst dir schon gedacht haben, dass mir dein plötzlicher Karrieresprung nicht gefällt. Jetzt musst du schon sehen, wie du mit deinem ‚Aufstieg‘ fertig wirst. Mit mir kannst du nicht rechnen. Du kennst meine Einstellung zum Leben!“

(Markus muss erst einmal seinen ganzen Frust loswerden und Wolf muss Manns genug sein, sich diesmal nicht persönlich angegriffen zu fühlen.)

Wolf: „ Ja, so muss es nach außen gewirkt haben. So genau habe ich das noch gar nicht betrachtet – ein Fehler, wie ich jetzt begreife. Nur was machen wir jetzt? Ich hatte plötzlich ‚Lust‘ auf den Posten des Gebietsverkaufsleiters, und als mir diese Position angeboten wurde, konnte ich nicht widerstehen. Klar, ich hätte das mit dir besprechen müssen, wir haben früher ja auch alles miteinander bequatscht. Du hast Recht, irgendwie hatte ich Bedenken, dass du damit nicht einverstanden sein würdest, und so habe ich besser nichts gesagt. Der zweite Fehler. Ehrlich gesagt habe ich mir den Aufstieg nicht so arbeitsintensiv vorgestellt und hatte im Stillen gehofft, dass der Übergang nicht so krass ausfällt und ich dir die neue Position stückchenweise verkaufen kann. Offensichtlich der dritte Fehler ...“

(Wolf zeigt Verständnis für die Erklärungen von Markus und sieht dies als Chance, auch seine Beweggründe erklären zu können.)

Die Rahmenbedingungen der Freundschaft neu abstecken

Erst dann, wenn der Kopf und das Herz wieder frei sind, wenn Markus seinen Frust „ausgekotzt“ hat und Heilung durch das jeweilige Verständnis füreinander beginnen kann, ist eine Basis möglich, um die freundschaftlichen Gefühle wieder aufleben zu lassen. Da dies unter „neuen Vorzeichen“ geschieht, müssen diese auch offen benannt werden, zum Beispiel:

dass die beiden in Zukunft wieder öfter etwas unternehmen, auch wenn die Zeit von Wolf eingeschränkter ist als früher;

dass Wolf über geschäftliche Dinge nicht mehr sprechen wird, da er jetzt mit zur Geschäftsführung gehört;

dass Wolf Markus noch einmal versichert, dass seine Beförderung ausschließlich mit ihm (Wolf) zu tun habe und nicht als Ablehnung gegenüber Markus als Freund gerichtet ist;

dass Wolf sich wünscht, dass Markus ihn in seiner neuen Rolle als Gebietsverkaufsleiter akzeptiert.

Wolf muss sich die Loyalität von Markus neu erarbeiten, sonst wird es immer wieder zu Ausbrüchen auf Nebenkriegsschauplätzen kommen. Markus hingegen muss akzeptieren, dass Wolf das Recht hat, seine Meinung bezüglich „Karriere“ jederzeit zu ändern.

So entsteht wieder Vertrauen – die einzige Basis für gutes Miteinander. Sollte dies – trotz aller gefühlsmäßigen Offenheit – nicht möglich sein, dann muss Wolf letzten Endes doch entscheiden, sich von Markus als Mitarbeiter zu trennen. Damit wird dann endgültige Funkstille zwischen den beiden herrschen. Manchmal ist dies leider nicht zu ändern. Doch der Versuch, über Gefühlsoffenheit wieder zueinander zu finden, ist es allemal wert.

Gestern Kollege – heute Vorgesetzter

Подняться наверх