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2. Kapitel – Cridans Königin

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Cridan ritt hinter Mar'Tian und Tiko. Da der Tross der T'han T'hau ihnen folgte, konnten sie nicht besonders schnell reiten, und Cridan hatte Zeit, nicht nur die fremden T'han T'hau genauer in Augenschein zu nehmen, sondern vor allem auch Béo.

Ihm fiel auf, wie unbedarft und sorglos sie schien: Immer wieder entfernte sie sich von der Gruppe, um den Zug entlang zu reiten, sich die Umgebung anzuschauen oder mit jemandem ein paar freundliche Worte zu wechseln. Sie schien nicht einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ihr möglicherweise etwas passieren könnte.

Cridans Gedanken stritten miteinander.

Du bist der ficha'thar. Dein Platz ist an Mar'Tians Seite. Nicht an ihrer.

Das ist er, entgegnete er sich selbst. Aber du hast gesehen, was sie für ihn bedeutet. Wenn ihr etwas geschieht…

Mar'Tian braucht dich! Er ist unser König, und ein König braucht einen ficha'thar. Er weiß, was es heißt, Menschen anzuführen, aber er hat keine Ahnung, was es bedeutet, König der T'han T'hau zu sein. Er weiß nicht, in welcher Situation er sich wirklich befindet! Du musst deinen Platz an seiner Seite einnehmen. Du bist der einzige, der das kann!

Cridan biss die Zähne aufeinander.

Ja, das bin ich. Aber ohne sie ist er verloren. Sie ist sein Herz und seine Seele. Für sie würde er alles tun. Und sie ist blind für Gefahren. Sie braucht jemanden, der auf sie achtgibt. Mar'Tian braucht jemanden, der auf sie achtgibt und sie beschützt!

Er ist der oberste Heerführer von Gantuigh! Er hat tausende von Soldaten, die auf sie achtgeben können!

Er konnte den Spott in seinen eigenen Gedanken hören:

Ja, natürlich. Und welcher Soldat hat auch nur eine Ahnung von der Situation, in der sie sich befinden? Niemand! Und das weißt du so gut wie kein anderer.

Als sie L'hunival erreicht hatten, war Cridan sich noch immer nicht schlüssig darüber, welche Entscheidung er treffen sollte, und er kam auch erst einmal nicht weiter zum Nachdenken.

Es war kaum genug Zeit gewesen, die neuen T'han T'hau in ihre Quartiere einzuweisen, da ließ Enod sie bereits rufen: Mar'Tian, Ratiko'khar, Cor'tarach, Marud'shat und Dra'vn.

Marud'shat war Inth Silias Zwillingsschwester und die Anführerin einer weiteren Gruppe T'han T'hau, ebenso wie Drav‘n, das Oberhaupt der T'han T'hau, die man an Bord eines kaum noch seetüchtigen alten Schoners im Hafen von Drost aufgestöbert hatten – eine Gruppe halb verhungerter, verwahrloster Kreaturen, die mehr als froh darüber gewesen waren, sich Ratiko'khar anschließen zu dürfen.

Cridan und Béo begleiteten die Anführer der T'han T'hau bis zum Thronsaal, mussten dann jedoch vor den Flügeltüren warten.

Cridan sah den anderen hinterher, als sie den großen Raum betraten. Mar'Tian machte Anstalten, das Knie zu beugen, hielt jedoch jäh inne, als Gantuighs Herrscher Enod ihn anfuhr:

»Untersteht Euch!«

Dann fiel die Tür ins Schloss.

Cridan trat an die Seite, lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick ruhte auf Béo, die ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat und im Flur vor den Wachen auf und ab ging.

»Warum bist du so nervös?« fragte er schließlich. »Es gibt nichts mehr, was du tun kannst. Unsere Entscheidung steht fest, jetzt muss Enod die seine treffen.«

»Ich weiß«, gestand sie. »Aber ich mache mir Sorgen. Wie wird Enod reagieren, wenn er erfährt, dass Mar'Tian nun euer König ist?«

Cridan lachte auf.

»Ich bin mir sicher, er weiß es schon, Béo. Welchen anderen Grund hätte er, Mar'Tian den Kniefall zu verbieten?«

»Da fallen mir mindestens ein Dutzend Gründe ein«, murmelte sie und nahm ihre Wanderung wieder auf. »Ich will endlich wissen, wie es weitergehen soll!«

»Wir werden es erfahren«, sagte Cridan kurz. »Es hat keinen Sinn, sich verrückt zu machen.«

Er beobachtete sie noch eine Weile, dann gab er sich einen Ruck. »Komm, zeig' mir lieber die Burg. Ich war nur selten hier, und das letzte Mal ist lange her.«

Béo maß ihn mit einem halb überraschten, halb argwöhnischen Blick, doch schließlich hob sie die Schultern: »Wenn es dir Freude macht… Meinetwegen.«

Sie führte ihn durch die Burg und gab sich tatsächlich Mühe, ihm die Dinge, die sie sahen, zu erklären oder seine Fragen zu beantworten. Es gab hundert, wenn nicht tausend Dinge, die er hätte wissen wollen, doch er hielt sich zurück und bemühte sich, sie nicht über die Maßen mit Fragen zu löchern.

Als sie auf dem Wehrgang in Richtung Turm gingen, legte er den Kopf in den Nacken und sah nach oben.

Es war eine einmalige Gelegenheit: Mit Béo, da war er sich sicher, würde sich ihm niemand in den Weg stellen. Und er war noch nie auf einem der Türme gewesen.

»Von dort muss man einen herrlichen Ausblick haben«, bemerkte er, zeigte auf den Turm und deutete dann auf die Berge, die sich um sie herum ausbreiteten.

»Stimmt«, sagte Béo.

Cridan sah sie an. »Können wir hinauf gehen?«

Achselzuckend willigte sie ein.

Der Turm war leer. Sie stiegen mehrere Leitern empor und kamen schließlich durch eine hölzerne Luke, die so schmal war, dass Cridan sich seitlich hindurchzwängen musste, auf der Plattform oben auf dem Turm wieder ins Freie.

Cridan trat an die Zinnen und sah lange schweigend auf die Berge hinaus.

Dort draußen lagen nicht nur die Höhlen, in denen so viele T'han T'hau damals Zuflucht gesucht hatten, sondern auch das Hochplateau, auf dem sie ihren Tod gefunden hatten. Irgendwo dort draußen war Sureth und plante…

Ja, was plante er eigentlich?

Cridan drehte sich zu Béo um und sah sie an. Sie erwiderte seinen Blick, offen und ohne jedes Misstrauen. Und in diesem Augenblick traf er seine Entscheidung.

»Warum vertraust du mir?« fragte er leise.

Seine Frage schien sie zu verwundern.

»Weil Tiko dir vertraut«, antwortete sie nach einem kurzen Zögern. »Und weil ich Tiko vertraue.«

Er wandte sich wieder ab und starrte in die Ferne.

»Du bist unvorsichtig, Ibéowe«, sagte er dann, seine Stimme rau und beinahe zornig. »Hier in dieser Burg und dort hinten in den Bergen ist mein Volk gestorben, hingeschlachtet durch die Hand deines Ehemannes. Zu Tausenden niedergemetzelt, Männer und Frauen, Kinder, Alte und Kranke, ohne Rücksicht oder gar Gnade. Ja, es war Skatarhaks Schuld und Skatarhaks Verantwortung, aber es war Mar'Tian, der es befohlen und getan hat! Und die Frau, die er über alles liebt, folgt einem Dämon mutterseelenallein zu einem Ort, an dem es für ihn ein Leichtes wäre, sie zu töten? Einem Dämon, den sie nicht kennt, von dem sie nichts weiß außer seinem Namen? Bei allen Göttern, das ist wahrlich unvorsichtig!«

Er sah sie an. In ihren Augen spiegelte sich der wolkige Himmel.

»Nur ein Schritt, nur ein Stoß«, fuhr er fort, »oder nur ein einziger Hieb mit dem Schwert.« Er ließ seine Hand auf den Griff der Waffe klatschen.

Sie kam nicht einmal mehr dazu, vor ihm zurückzuzucken: Er stieß sie hart nach hinten, bis sie mit dem Rücken gegen die kalten Steine der Mauer prallte. Seine Hände umklammerten ihre Oberarme, und er stand so dicht vor ihr, dass sie keine Möglichkeit hatte, ihn zu treten oder auch nur wegzustoßen.

»Du bist unvorsichtig«, wiederholte er. »Weißt du nicht, dass es Mar'Tian das Herz brechen würde, dich zu verlieren? Oh ja, man sagt uns T'han T'hau nach, dass wir keine Gefühle hätten, aber wir verstehen uns bloß besser darauf, sie zu verbergen! Mar'Tian liebt dich mehr als du auch nur ahnst.«

»Was soll das?« fragte Béo zurück. Er konnte ihre erschrockene Angst riechen, aber sie gab sich Mühe, sie zu verbergen. »Warum sagst du mir das?«

»Weil Mar'Tian nicht nur mein König ist, sondern auch der Bruder meines besten Freundes«, entgegnete Cridan. »Ich würde mir lieber bei lebendigem Leibe die Eingeweide herausreißen als zuzulassen, dass ihm etwas geschieht!«

Er brachte sein Gesicht so nah an ihres, dass sich ihre Nasenspitzen berührten.

»Du musst besser auf dich aufpassen, Ibéowe, denn du bist wichtig. Und weil ich glaube, dass du nicht genug achtgibst, werde ich es für dich tun. Ich werde dich nicht mehr aus den Augen lassen. Nie wieder, hast du das verstanden?«

Seine Stimme war zornig und drohend, ebenso wie sein Blick, der sich in ihren bohrte, aber dann lächelte er, und seine nächsten Worte waren freundlicher:

»Ich werde auf dich achtgeben, ob du das willst oder nicht. Du wirst es akzeptieren müssen, meine Königin.«

Er küsste sie zart auf die Stirn und spürte, wie sie unter seiner Berührung schauderte. Dann ließ er sie los und trat zurück.

»Du hast Mar'Tian die Treue geschworen«, brachte sie hervor.

Er nickte.

»Das habe ich«, bestätigte er. »Und ich werde an seiner Seite sein, wenn er mich braucht. Vor allem aber braucht er jemanden, der auf dich aufpasst. Mehr als alles andere. Er wird keinen Mangel an Beschützern haben, allen voran Ratiko'khar.«

»Und… Tiko?« fragte Béo zögernd. »Wird er dich nicht brauchen?«

Cridan lächelte.

»Tiko hat mir die Entscheidung freigestellt«, antwortete er. »Er ist ein kluger Mann, und wie Mar'Tian sieht auch er nicht nur mit den Augen.«

Er lachte auf, als er ihrem Blick begegnete, in dem noch immer eingeschüchterte Unsicherheit schimmerte.

»Entschuldige, dass ich dich erschreckt habe, aber du bist so leichtsinnig! Wie schnell hätte ich dich über die Mauer stoßen oder erschlagen können!«

»Ich hätte mich gewehrt«, entgegnete sie, doch es klang lahm.

Er grinste.

»Du hast dich noch nicht einmal gewehrt, als du vorgewarnt warst«, bemerkte er spöttisch. »Wie leicht wäre mein Spiel gewesen, wenn du nicht damit gerechnet hättest?«

Blitzschnell packte er sie an der Schulter, wirbelte sie herum und umschlang sie von hinten mit beiden Armen. Er hielt sie so eng an sich gedrückt, dass sie seine Schuppen spüren musste, selbst durch ihre feste Kleidung. Er schloss die Augen, nahm ihre Witterung auf und prägte sie sich genau ein.

Sie roch gut, bemerkte er.

»Nein«, sagte er leise in ihr Ohr. »Du bist klug, du bist schön, aber du bist nicht schnell genug. Nicht für mich. Willst du mir eine Frage beantworten?«

Als sie nickte, presste er seine Wange an ihr Haar und flüsterte: »Kannst du mich leiden, Béo?«

Er spürte das Zittern, das durch ihren Körper ging, und sein Griff wurde unwillkürlich noch fester.

»Ja«, erwiderte sie schließlich mit rauer Stimme. »Ja, das kann ich.«

»Gut«, sagte er und ließ sie los. »Dann wäre ich dir dankbar, wenn du mein Leben nicht sorglos aufs Spiel setzen würdest.«

Sie erschauerte unter seinen Worten, doch dann straffte sie die Schultern.

»Keine Sorge«, antwortete sie betont gleichmütig, »das werde ich nicht tun.«

Cridan nickte und trat an ihr vorbei, um sich durch die Luke wieder auf den Weg nach unten zu machen.

»Wo willst du hin?« fragte Béo überrascht.

»Zurück«, erwiderte er mit einem kleinen Lächeln. »Ich hoffe, dass unsere Könige ihre Zwiesprache inzwischen beendet haben. Kommst du mit?«

Einen winzigen Augenblick zögerte sie, bevor sie ihm mit einer zustimmenden Geste folgte.

Doch Cridans Hoffnung wurde enttäuscht – die Türen des großen Saals waren weiterhin geschlossen, und auch in den nächsten Stunden öffneten sie sich nicht, so dass er sich gezwungen sah zu warten, während Béo in Begleitung eines Leibwächters davon gegangen war.

Er nutzte die Gelegenheit, sich weiter in der Burg umzusehen.

Als die Sonne unterging, stand er an die Mauer des Turms gelehnt da, lauschte auf die Geräusche in der Burg und wartete auf Béo. Er wusste, früher oder später würde sie sich auf den Weg in ihr eigenes Zuhause machen, um sich um ihre Tochter zu kümmern, und dafür musste sie hier entlang gehen.

Die beiden Soldaten, die vor dem Tor Wache standen, warfen ihm immer wieder Blicke zu, doch er ignorierte sie.

Endlich kam sie über den Hof. Es war dunkel, aber er erkannte ihre Schritte, lang und schnell, und die Art, wie sie sich bewegte. Schweigend kam er an ihre Seite und fiel in ihr Tempo ein.

Erstaunt blieb sie stehen.

»Cridan? Was machst du hier?«

Er zuckte die Achseln. »Was soll ich hier wohl machen? Ich gebe auf dich acht.«

Sie runzelte die Stirn, sah von ihm zu den Wachen am Tor und sagte dann: »Du darfst die Burg nicht verlassen.«

»Als deine Begleitung werden mir die beiden wohl kaum den Durchgang verwehren«, gab Cridan zurück.

In ihren Augen blitzte es verärgert auf.

»Und wenn ich deine Begleitung nicht will? Ich könnte ihnen sagen, sie sollen dich hier festhalten!«

»Das könntest du.« Er nickte, lächelte und ließ dann seine Zähne in einem breiten Grinsen sehen. »Aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass zwei Soldaten für mich ein Hindernis darstellen.«

»Du würdest sie nicht töten«, entfuhr es ihr.

Cridan lachte leise.

»Nein, würde ich nicht. Aber ich würde mich auch nicht von ihnen aufhalten lassen. Wie ich schon sagte: Ich passe auf dich auf, ob du es willst oder nicht.«

Sie seufzte resigniert. »Also gut. Dann komm eben mit.«

Sie gingen gemeinsam zum Tor. Als einer der beiden Soldaten vortrat, winkte Béo ab: »Es ist in Ordnung, Tarpin. Er gehört zu mir. Er begleitet mich auf dem Heimweg.«

Nach einem argwöhnischen Blick nickte der Mann knapp, trat ans Tor und entriegelte es, um sie hindurch zu lassen.

Während sie die Straße hinunter gingen, wurde der Schein der Fackeln auf dem Wehrgang über ihnen immer schwächer, bis sie schließlich in die Dunkelheit zwischen den Häusern eintauchten.

Béo ging unbeirrt voran. Sie zögerte nicht ein einziges Mal, eine Straße zu überqueren, sah sich nicht um und hielt nicht inne.

Cridan blieb dicht an ihrer Seite, die Hand am Schwertgriff. Er war wachsam, musterte ihre Umgebung und horchte in die Nacht – und zugleich genoss er das Gefühl von Freiheit, das ihn überkam. In plötzlicher Freude atmete er tief ein und stieß die Luft in einem langen, erleichterten Seufzer wieder aus.

Béo blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Was ist los?«

»Nichts«, entgegnete Cridan. »Ich freue mich nur.«

»Worüber?« fragte sie verwirrt.

Cridan wies auf die Häuser um sie herum. »Darüber. Über die Nacht, die Sterne, die Stadt. Ich kann hier gehen, atmen, lachen… Es ist das erste Mal für mich seit sehr langer Zeit, dass ich mich nicht verstecken oder wie ein Gefangener verhalten muss. Ich bin endlich wieder frei.«

Sie hob die Brauen.

»Du willst mir sagen, das hier«, sie deutete wie er auf die Häuser ringsum, »sei Freiheit für dich? Ich glaube eher, dass das hier«, sie tippte auf den Knauf seines Schwertes, »deine Freiheit ist. Dass du es hier tragen darfst.«

Sie fing seinen Blick auf und lächelte.

»Ich habe gesehen, wie du es berührt hast, als du es das erste Mal wieder in der Hand hattest. Wie man eine Geliebte berühren würde.«

Sie sah auf ihre eigene Waffe. »Für mich ist es ein Gebrauchsgegenstand, aber für dich… Es bedeutet dir sehr viel. Warum?«

Cridan zögerte einen Moment mit der Antwort.

»Es war ein Geschenk«, sagte er dann. »Von jemandem, der mir sehr viel bedeutet hat.«

»Von Tiko«, vermutete Béo.

Cridan schüttelte den Kopf, ging aber nicht weiter darauf ein, und sie fragte nicht nach, sondern sagte statt dessen: »Mar'Tian ist wie du, was sein Schwert angeht. Sein singendes Schwert.«

»Ja«, bestätigte Cridan. »Jeder T'han T'hau trägt ein singendes Schwert, das nur für ihn angefertigt wurde.«

»Singende Schwerter«, murmelte Béo, wandte sich wieder nach vorn und setzte ihren Weg fort. »Eigentlich müssten sie schreiende Schwerter heißen. Wenn ihr mit ihnen kämpft, klingt es, als ob sie einem in den Kopf beißen. Es ist grässlich.«

»Das soll es auch sein«, entgegnete Cridan.

Sie nickte, scheinbar in Gedanken versunken.

»Und doch«, sagte sie dann plötzlich, »als Mar'Tian mir das erste Mal zeigte, was diese Klingen so besonders macht, da hat sein Schwert wirklich gesungen.«

Sie sah ihn von der Seite her an. »Ich habe das Lied der Schwerter nur ein einziges Mal gehört. Kennst du es?«

»Den Gesang der Schwerter?« Cridan lächelte. »Jeder T'han T'hau kennt ihn. Wir lernen ihn von unseren Waffenmeistern.«

Er dachte zurück an Maret'kar und was dieser ihm beigebracht hatte, bevor er unter eben jener Klinge den Tod gefunden hatte, die Cridan jetzt in seinem Gürtel trug. In einer unbewussten Geste legte er die Finger auf seine Waffe.

Béo hatte die Bewegung bemerkt.

»Würdest du dein Schwert für mich singen lassen?« fragte sie leise. »Ich meine, richtig singen? Ich würde das Lied gerne noch einmal hören.«

Erneut antwortete er nicht sofort.

»Warum fragst du nicht Mar'Tian? Ich bin mir sicher, er wird es dir gerne noch einmal zeigen.«

»Gewiss«, stimmte sie ihm zu, »aber er hat so viel zu tun, dass ich ihn mit solchen Fragen nicht belästigen mag.«

Cridan hob eine Braue.

»Aber mich kannst du damit belästigen?« fragte er amüsiert.

Sie sah ihn herausfordernd an. »Hast du etwas Besseres zu tun?«

Nein, das habe ich nicht, dachte er, doch er schwieg.

»Also?« fragte sie nach. »Wirst du deine Klinge für mich singen lassen?«

»Nicht hier«, erwiderte er ausweichend. »Ich hätte eine Menge Schwierigkeiten am Hals, wenn ich in L'hunivals Straßen anfange, mein Schwert zu schwingen.«

Sie lachte. »Davon bin ich überzeugt. Aber wir haben einen Hof, in dem dich niemand sehen würde.«

»Niemand sehen vielleicht«, entgegnete er, »aber hören.«

Sie sah aus, als wollte sie etwas sagen, doch dann schien sie es sich anders zu überlegen und deutete nach vorn.

»Das ist unser Haus.«

Er musterte das schlanke, hohe Gebäude, dessen Fachwerk offensichtlich neu verputzt war. Eine Laterne hing davor und beleuchtete die zwei Stufen aus Stein, die zu der hölzernen Tür hinauf führten.

Béo zog einen Schlüssel aus der Tasche, stieg die Stufen nach oben und schloss auf.

»Rim'var?« rief sie in den Flur hinein. »Ich bin wieder da!«

Einen Augenblick später trat ein dunkelhaariger Mann aus dem Haus. Als er Cridan entdeckte, zuckte er zusammen, doch zu Cridans Verwunderung nickte er ihm dann bloß höflich zu und wandte sich an Béo:

»Sie ist schon im Bett, wartet aber auf dich. Ich habe mir gedacht, dass es später wird. Wie sieht es die nächsten Tage aus?«

Béo lächelte. »Ich denke, ich werde eure Hilfe noch ein paar Mal brauchen, aber ich bringe sie morgen früh zu euch. Ihr müsst nicht immer hierher kommen. Ajula kann auch bei euch bleiben, wenn ihr euch schon die Mühe macht, auf sie aufzupassen.«

»Das ist keine Mühe«, wehrte der Mann ab. »Du weißt doch, ich habe sie gerne um mich. Aber Hagorn wird sich freuen, wenn sie bei uns ist.«

Er schmunzelte.

»Sieh zu, dass du noch ein wenig Schlaf bekommst. Wer ist das?« Er machte eine Kopfbewegung auf Cridan.

Béo warf ihm einen raschen Blick zu.

»Das ist Cridan. Einer von Ratiko'khars Leuten. Nun ja, jetzt einer von Mar'Tians Leuten, nehme ich an«, sie lachte, »und mein selbsterkorener Leibwächter.«

»Leibwächter?« Rim'var runzelte die Stirn. »Seit wann brauchst du einen Leibwächter?«

Sie seufzte.

»Seit er der Meinung ist, ich bräuchte einen«, entgegnete sie und umarmte Rim'var, bevor er ging. Dann wandte sie sich zu Cridan um.

»Wie du siehst, bin ich heil zu Hause angekommen. Du kannst also gehen. Es sei denn, du hast es dir anders überlegt, was den Gesang der Schwerter angeht.«

»Gesang der Schwerter? Was ist das?« Ajula trat aus dem Haus, rieb sich über die Augen und gähnte.

Dann entdeckte sie Cridan. Ihr Mund öffnete sich.

»Bei allen verfluchten Höllen«, murmelte sie und starrte ihn an. »Was für ein Riese!«

Cridan grinste und deutete eine spöttische Verneigung an.

»Hocherfreut, Eure Bekanntschaft zu machen«, sagte er belustigt. »Wir sind uns allerdings schon begegnet. Und – sofern ich mir die Bemerkung erlauben darf – Ihr solltet weniger Zeit mit den Kameraden Eures Vaters zubringen. Es mag einem Mann wie Syrian angemessen sein, mehr Flüche zu benutzen als andere Worte, aber einer jungen Dame steht es nicht zu Gesicht.«

Ajula verdrehte die Augen.

»Lass mich raten, Mutter – ein Freund von Mar'Tian. Er redet genauso.«

»Oh, mit Sicherheit«, entgegnete Cridan mokant. »Ich empfehle mich. Das Lied der Schwerter muss warten.«

Ajula hob die Brauen.

»Was ist denn das, das Lied der Schwerter?« fragte sie neugierig. »Und außerdem – woher willst du wissen, dass ich Syrians Tochter bin? Esracan ist mein Vater.«

Cridan beugte sich zu ihr hinunter, bleckte die Zähne und sog hörbar die Luft ein. Dann wickelte er sich eine Strähne ihres dunklen Haars um den Finger. Die Lippen so nah an ihrem Ohr, dass er sie fast berührte, flüsterte er:

»Esracan hatte blonde Haare und blaue Augen, genau wie deine hübsche Mutter. Deine Haare und deine Augen aber sind schwarz.«

»Und?« Sie zog ihm die Strähne aus der Hand und erwiderte seinen Blick ohne eine Spur von Angst. »Vielleicht ist ja Mar'Tian mein Vater.«

Cridan musste lachen. Mumm hatte die Kleine, wirklich, und die Unverfrorenheit von Syrian hatte sie wohl auch geerbt.

»Ein kluger Einwand«, bemerkte er, legte den Zeigefinger an seine Nase und klopfte leicht dagegen. »Aber nein. Dein Vater ist Syrian. Und wenn du wissen willst, was der Gesang der Schwerter ist, solltest du deine Mutter fragen.«

»Warum erklärst du es mir nicht?«

Cridan musterte sie von Kopf bis Fuß. Sie mochte etwa zwölf Jahre alt sein, aber die Herausforderung in ihren Augen war nicht die eines Kindes.

»Sag mir, Ajula«, begann er ruhig, »hast du schon einmal ein Schwert in der Hand gehabt?«

Ajulas Blick flog für einen Sekundenbruchteil zu Béo, dann schüttelte sie den Kopf.

»Nein«, log sie.

Er hob eine Braue und schwieg.

»Na gut«, räumte sie nach einer Weile ein. »Ich habe mal eins in der Hand gehabt. Einmal oder zweimal.«

Er hob auch die zweite Braue.

Sie starrte ihn an. Ihre Augen verrieten, dass sie zwischen Ärger und Staunen schwankte.

»Oh, verdammt!« Sie zog einen Schmollmund. »Woher weißt du das?«

»Woher weiß er was?« fragte Béo scharf. »Ajula! Lügst du mich etwa an?«

Ajula schnaubte durch die Nase. »Nein, tue ich nicht! Du hast nie gefragt, also konnte ich dich ja wohl kaum anlügen, oder?«

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schob trotzig die Unterlippe vor. Plötzlich wirkte sie wieder wie ein Kind.

»Tarpin hat's mir beigebracht. Und Sneyd! Und Vater manchmal auch! Wir… Wir waren alle der Meinung, es wäre besser, wenn du es nicht weißt. Aber auch, dass es besser ist, wenn ich mich selbst verteidigen kann. Du weißt schon, wegen der Geschichte mit Seroc und so!«

Béo stieß scharf die Luft zwischen den Zähnen aus. Sie sagte nichts, aber der Blick, den sie ihrer Tochter zu warf, sprach Bände. Und Cridan war sich sicher, dass Tarpin, Sneyd und Syrian einiges zu hören bekommen würden.

Er grinste, ließ die Hand auf den Schwertgriff fallen und sagte dann:

»Da hast du eine Menge Leute, die dir erklären können, was es mit dem Gesang der Schwerter auf sich hat.«

»Aber keinen, der es ihr zeigen kann«, mischte Béo sich ein. Ihre Stimme klang ruhig, aber er spürte den schwelenden Ärger darunter. »Und sie wird nie wirklich begreifen, was es ist, bis sie es gehört hat. Bitte. Ich sagte dir doch schon, ich würde es gerne noch einmal hören. Es ist so lange her, aber ich habe es nie vergessen.«

Cridan sah sie eine Weile schweigend an. Ihre Bitte war ehrlich. Für einen Moment schloss er die Augen, dann seufzte er.

»Also gut«, gab er nach. »Wenn ihr mich dann damit in Frieden lasst! Aber nicht hier. Du sagtest, ihr habt einen Hof?«

Zu seiner Erleichterung war es ein echter Innenhof, mit Wänden an allen vier Seiten, die entweder zu Béos Haus oder zu den Stallungen gehörten. So würde nicht allzu viel nach draußen dringen.

Er stellte sich in die Mitte des freien Platzes, zog das Schwert aus der Scheide und hielt es vor sich, den Griff in der Rechten und die Klinge flach auf der Linken ruhend.

Jedes singende Schwert war einzigartig. Keine Klinge glich der anderen, und jede hatte ihre eigene Stimme. Cridan hatte Jahre damit zugebracht, den Tönen zu lauschen, bis sie in seinem Kopf beinahe so etwas wie eine eigene Gestalt angenommen hatten. Er konnte anhand des Geräusches, das die Luft an der Schneide verursachte, die Richtung eines Hiebes und den Winkel der Klinge erkennen, und es war eins der Geheimnisse, warum er so gut kämpfte. Er hörte, was ein Gegner im Begriff war zu tun, manchmal, bevor dieser selbst es wusste.

Die Stimme seiner Waffe war ihm so vertraut wie die eigene, und doch hatte er sie noch nie für jemanden außer für sich und Maret'kar singen lassen.

Langsam zog er die Linke zurück, hielt aber die Schwertklinge weiterhin waagerecht. Die Finger seiner Rechten schlossen sich fester um die Waffe, er atmete tief ein, konzentrierte sich – und dann ließ er die Klinge nach oben schnellen.

Das Lied der Schwerter war uralt. Seine Klinge folgte den überlieferten Mustern, bewegte sich in verschlungenen Bahnen und wirbelnden Linien, während die Luft, durch die sie sich bewegte, zu singen begann. Auf und ab schwollen die Klänge, wiederholten sich in einer Reihe von Schwüngen, kletterten hinauf und hinab, und als er den Bogen zum Anfang der Melodie zurück schlug, ließ er die Klinge auf den Schwingen ihrer eigenen Musik tanzen.

Er beherrschte die Kunst des Schwertkampfes besser als jeder andere T'han T'hau, und er hatte seiner Waffe gelauscht, ihr durch neue Bewegungen neue Töne entlockt und diese der alten Melodie hinzugefügt. Es war für ihn immer ein Spiel gewesen, hörbar gemachte Schwertkunst. Und niemand war darin so gut wie er.

Béo und Ajula lauschten in stummem Erstaunen. Als der letzte Ton zwischen den Mauern verklang und das Lied mit dem leisen Kratzen der Klinge in der Scheide sein Ende fand, stand Ajula mit offenem Mund da.

»Das war wunderschön«, flüsterte sie und sah ihn bewundernd an. »Kannst du mir das beibringen?«

Cridan ging auf ein Knie nieder, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte, ohne den Kopf in den Nacken legen zu müssen.

»Nein«, sagte er ebenso leise. »Nein, Ajula, das kann ich dir nicht beibringen. Nur ein T'han T'hau kann eine Klinge singen lassen.«

Er sah Béo aus seiner Position von unten herauf an. Sie erwiderte seinen Blick.

»Sie klingt anders«, murmelte sie. »Anders als die von Mar'Tian, meine ich. Hat jedes Schwert sein eigenes Lied?«

Cridan schüttelte den Kopf. »Jedes Schwert hat seine eigene Stimme, aber das Lied ist immer das gleiche, seit wir denken können.«

»Aber…«

Er sah, wie sie zögerte, stand auf und nickte.

»Das Lied der Schwerter ist uralt«, fuhr er fort, »und es ist das, was ihr zuerst gehört habt. Alles andere ist mein Lied. Akh gan’a ficha'thar. Gute Nacht. Ich werde morgen früh vor dem Haus auf dich warten.«

Er nickte Béo und Ajula zu, drehte sich um und ging.

Als er die Haustür leise hinter sich ins Schloss zog, bemerkte er den Mann, der eben die Stufen zum Nachbarhaus hinaufstieg. Er trug eine Laterne in der Hand und wandte sich bei dem Geräusch der schließenden Tür zu ihm um.

Entsetzen malte sich auf dem Gesicht des Mannes ab, er schrak zurück, und seiner Hand entglitt die Laterne. Blitzschnell sprang Cridan vorwärts, fing die Lampe auf und stellte sie auf die oberste Stufe.

»Vorsicht«, sagte er freundlich. »Wir wollen doch kein Feuer legen. Einen guten Abend wünsche ich Euch.«

Er nickte dem Mann noch einmal zu, dann wandte er sich um und machte sich auf den Rückweg zur Burg. Den Blick des überraschten Nachbarn konnte er noch lange im Nacken spüren, und es ließ ihn grinsen.

In einem früheren Leben hätte es ihn vielleicht gereizt, die Angst des Mannes auszunutzen, aber heute war alles anders. Er würde höflich und freundlich bleiben, und er würde Tikos Befehl, niemals einen Menschen anzugreifen, weiterhin befolgen. Es würde das Ansehen aller T'han T'hau nur verbessern, wenn sie merkten, dass selbst ein so furchterregend aussehender Dämon wie er sich benehmen konnte.

Die Wachen in der Burg ließen ihn ohne jeden Kommentar wieder eintreten. Cridan dankte ihnen kurz, bevor er die Stiegen hinunter eilte, die in den tieferen Teil der Burg führten.

Viele der T'han T'hau waren noch wach, und aus den Zimmern drangen leise Gespräche und Lachen, hier und da auch die Geräusche eines Paares, das sich vergnügte, doch alles in allem war es eine ruhige Atmosphäre.

Cridan schlug den Vorhang zu dem Raum zurück, den er sich mit Dorach'tar und Murth Gantor, den beiden Leibwächtern von Tiko, teilte, und wollte eben eintreten, als ihn eine helle Stimme innehalten ließ:

»Cridan, warte!«

Er drehte sich um und sah Brish'alt an, die mit einem Lächeln auf ihn zu kam.

Die junge T'han T'hau gehörte zu Ratiko'khars Gruppe und war mit ihnen nach Gantuigh zurückgekehrt. Cridan kannte sie, seit sie ein kleines Mädchen war – und so hatte er sie auch lange Zeit gesehen. Erst die letzte Nacht in ihrem Versteck in den Sümpfen hatte seine Meinung geändert. Brish‘alt war eine Frau mit einem ausgeprägten Willen, der zwar nicht unbedingt mit Umsicht gepaart war, sie aber dennoch in sein Bett gebracht hatte. Es war für ihn ein netter kleiner Zeitvertreib gewesen, nicht mehr, und er hatte sie nie gefragt, wie sie dazu stand. Um ehrlich zu sein, hatte es ihn auch nicht interessiert. Er hatte sie in seinem Bett gehabt, es hatte ihm in dem Moment gefallen, aber sie war niemand, an den er mehr als einen Gedanken verschwendet hätte. Dafür war sie weder gut noch begierig genug gewesen.

Doch nun stand sie da, und der Ausdruck in ihren Augen ließ keinen Zweifel daran, was sie wollte.

»Wo warst du?« fragte sie neugierig. »Ich habe dich gesucht.«

»Draußen«, entgegnete er geflissentlich vage. »Weshalb suchst du mich?«

»Weshalb wohl?« Sie lachte, stützte sich an der Wand ab und sah ihn von unten herauf an. »Ich dachte, du hast möglicherweise ein wenig mehr Zeit für mich, jetzt, wo du kein ficha'thar mehr bist und die Frauen vielleicht nicht ganz so versessen darauf sind, dein Bett zu bevölkern.«

Cridan verzichtete auf eine Antwort, schob den schweren Vorhang zur Seite und betrat den Raum. Er hätte gedacht, es sei genug, um ihr klarzumachen, dass er seine Ruhe wollte, doch sie folgte ihm. Also drehte er sich zu ihr um, seufzte und bemerkte mit einem Anflug von bösem Spott in der Stimme:

»Komm in ein paar Jahren wieder, wenn du genug Erfahrung gesammelt hast.«

Brish'alt rümpfte die Nase.

»Wenn ich Erfahrung gesammelt habe? Das habe ich. Momentan ist es recht einfach, Erfahrungen zu sammeln, in einer Burg voller T'han T'hau.«

Cridan unterdrückte einen neuerlichen Seufzer.

»Mit Erfahrung meine ich nicht, mit allen Männern, die nicht nein sagen, ins Bett zu steigen«, entgegnete er. »Tu mir den Gefallen und lass mich allein.«

Sie sah ihn einen Moment lang schweigend an, dann schüttelte sie den Kopf.

»Nein, das tue ich nicht. Warum bist du so schlecht gelaunt? Ist es so schlimm, kein ficha'thar mehr zu sein?«

Sie baute sich breitbeinig vor ihm auf, verschränkte die Arme vor der Brust und schob trotzig das Kinn vor. »Fehlt es dir tatsächlich so sehr, nicht mehr neben Tiko stehen und grimmig dreinblicken zu dürfen?«

Er ohrfeigte sie.

Er hatte weder besonders fest noch gezielt zugeschlagen, aber es reichte, um Brish'alt aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie landete unsanft auf dem Hintern, sprang jedoch wütend wieder auf die Füße. Ihre Augen blitzten vor Zorn, doch bevor sie dazu kam, etwas zu sagen, erklang eine belustigte Stimme hinter Cridan:

»Du bist erstaunlich milde. Man könnte meinen, die Beleidigung eines ficha'thar müsste mit mehr geahndet werden als mit einer Maulschelle. Oder nicht?«

Cridan wandte sich um. Er hatte weder Tikos Schwester Marud'shat, der die Stimme gehörte, noch den Leibwächter Dorach'tar, der hinter ihr stand, kommen hören – was ihm verriet, dass er vielleicht dringender Schlaf brauchte als er bisher gedacht hatte.

»Sie ist ein Kind«, beantwortete er Marud'shats Frage. »Ein beleidigtes Kind, das schmollt und versucht, die eigene Unsicherheit mit Trotz zu übertünchen. Dafür reicht eine Maulschelle.«

Dorach'tar drängte sich an Marud'shat vorbei, warf Brish'alt einen Blick zu und grinste.

»Ich habe dich gewarnt, Mädchen«, sagte er achselzuckend. »Ich habe dir gesagt, lass ihn in Ruhe. Sei froh, dass er es bei einer Ohrfeige belassen hat. Ich habe schon Männer für weniger sterben sehen. Und wenn du nur eine Lehre hieraus ziehst, lass es diese sein: Beleidige niemals einen ficha'thar.«

»Er ist kein ficha'thar mehr«, gab Brish'alt eigensinnig zurück. »Er ist ebenso wenig ficha'thar wie Ratiko'khar noch König ist!«

Dorach'tar sah sie für einen Atemzug schweigend an. Er war ein großer, gut gewachsener T'han T'hau mit dem beeindruckenden Körperbau eines Kriegers und erstaunlich schönen Augen, mit denen er Brish‘alt jetzt nachdenklich musterte.

»Das eine muss nicht zwangsläufig das andere bedeuten«, sagte er dann. Sein Blick weilte bei diesen Worten auf Cridan. »Und bei diesem T'han T'hau hier würde ich behaupten: einmal ficha'thar, immer ficha'thar. Und jetzt geh', bevor du dir noch eine einfängst.«

Brish'alt presste die Lippen aufeinander, sah Cridan und Dorach'tar böse an und stapfte dann zornig davon.

Während Dorach'tar sich gähnend auf seinem Lager niederließ, nahm Marud'shat Cridans Rechte und drehte sie mit der Handfläche nach oben.

»Du bist gut«, murmelte sie. »Nicht ein einziger Kratzer zu sehen.«

Cridan entzog ihr seine Hand.

»Ich bin ein ficha'thar«, erinnerte er sie. »Wenn jemand weiß, wie man einen T'han T'hau zu ohrfeigen hat, dann ich.«

Sie lächelte, lehnte sich an die Wand und sah zu ihm auf.

Er konnte nicht umhin zu bemerken, wie ähnlich sie ihrer Zwillingsschwester Inth Silia sah. Lediglich der muskulösere Körperbau und das lebendige Funkeln in ihren Augen unterschieden sie von Inth Silia, ebenso der ganz leicht schiefe Mundwinkel, der immer nach einem ironischen Lächeln aussah.

Marud'shat war eine Wildkatze, ein fauchender Berglöwe in einem Schuppenkleid, während Inth Silia eher die listige Eleganz eines Silbertigers verkörperte.

Er erinnerte sich daran, wie er als junger Mann eben dieser geheimnisvollen Eleganz verfallen war – und wie Inth Silia ihn betrogen hatte. Statt auf ihn zu warten, war sie die Gefährtin seines Bruders Guthrag geworden und hatte ihn verraten.

Marud'shat würde so etwas niemals tun, dessen war er sich sicher. Sie war die wilde, die ungezähmte der beiden Schwestern, aber wenn sie jemanden zu ihren Freunden zählte, war sie eine unerschütterliche Verbündete. Und Cridan und Marud'shat waren befreundet seit den Tagen, in denen sie gemeinsam in den Bergen aufgewachsen waren – sie als kriegerische Tochter des Königs und er als dessen Ziehsohn und zukünftiger ficha'thar. Ihre Beziehung war geprägt von gegenseitigem Respekt und Vertrauen, von schweigender Anerkennung und verborgener Zuneigung. Nur einmal hatte sich die Zuneigung ihre Bahn gebrochen und ihn zu der Erkenntnis gebracht, dass Marud'shat ebenso leidenschaftlich liebte wie sie kämpfte. Ihrer Freundschaft hatte das keinen Abbruch getan. Manchmal hatten sie sich Jahre nicht gesehen, und doch war es, als hätten sie sich gestern erst getrennt, wenn sie sich wiedersahen.

So auch dieses Mal: Elf Jahre lagen zwischen dem Heute und ihrer letzten Begegnung, dennoch schien es ihm, als wären es nur wenige Tage. Ja, sie war älter geworden, und die Jahre hatten ihre Züge geschärft und klarer werden lassen, aber sie strotzte noch immer vor Kraft und Lebenslust, und das Funkeln in ihren Augen war noch immer dasselbe wilde, hitzige Sprühen, das ihr Ungestüm verriet und das er so sehr mochte.

Eine Weile musterten sie sich ohne Worte, dann streckte Marud'shat die Hand aus und berührte sein Kinn.

»Es tut gut, hier bei dir zu stehen«, murmelte sie mit einem Lächeln. »Ich hatte immer gehofft, dich eines Tages wiederzusehen. Als Großmutter mir erzählte, dass Skatarhak euch fortgeschickt hatte, wusste ich, dass wir verlieren würden. Ohne dich war unser Vater… nicht mehr ganz.«

Ihre Finger folgten der Linie seines Kieferknochens und strichen über die Seite seines Halses nach unten bis zu seinem Schlüsselbein.

Cridan legte seine Hand auf ihre und hielt sie fest.

»Skatarhak war wahnsinnig«, sagte er leise. »Wahnsinnig vor Hass. Aber das war er schon, bevor ich ihn verließ.«

»Bist du deshalb gegangen?«

»Nein«, er schüttelte den Kopf. »Allein deswegen hätte ich ihn nie verlassen. Ich hätte es nicht gekonnt. Aber er hatte Tiko verbannt. Und ich hatte deiner Großmutter versprochen, Tiko zu beschützen. Khal‘atra wusste viel früher als wir alle, dass Skatarhaks Weg ins Verderben führt. Sie hat versucht, mich zu warnen. Und sie hat mir den einzigen Weg gezeigt, den Platz an Skatarhaks Seite zu verlassen. Ich konnte einen Schwur nur für einen anderen brechen. Aber auch das hatte seinen Preis.«

»Ich weiß.«

Ihre Augen ruhten unverwandt auf ihm, und dann ging erneut ein Lächeln über ihr Gesicht.

»Als ich sagte, ich habe immer gehofft, dich wiederzusehen, war das die Wahrheit. Ich wusste, ihr wart nicht tot. Du hättest niemals zugelassen, dass euch etwas geschieht. Und als ich dich am Strand von Nerding gesehen habe, wusste ich, dass ich Recht hatte. So wie ich jetzt weiß, dass Dorach'tar Recht hat: Einmal ficha'thar, immer ficha'thar, nicht wahr? Weiß Mar'Tian, dass Tiko ihm mehr überlassen hat als seinen Platz als König?«

Cridan erwiderte ihr Lächeln. »Vermutlich nicht.«

»Es würde mich auch wundern«, gab sie zurück, lachte und legte ihm die zweite Hand auf die Brust. »Wie ist es – gilt deine Ablehnung heute Abend allen Frauen oder nur Brish'alt?«

»Ich weiß nicht«, sagte er und grinste. »Das letzte Mal, als wir uns ein Lager geteilt haben, taten mir noch zwei Tage lang alle Knochen im Leib weh.«

Marud'shat lachte hell auf.

»Ich könnte darauf verzichten, dich zu verprügeln«, bot sie an.

»Meinst du, ich würde mich noch einmal von dir verprügeln lassen?« gab er zurück. »Damals warst du noch fast ein Kind, und ich hatte eine Heidenangst, dir wehzutun. Ich hatte nämlich keine Lust, mich mit deinem Vater anzulegen.«

»Mein Vater ist tot«, erinnerte sie ihn. »Mit ihm brauchst du dich nicht mehr anzulegen. Ganz davon abgesehen, dass du vermutlich auch damals schon gewonnen hättest.«

Sie strich über seine Oberarme, dann knuffte sie ihn spielerisch in die Rippen. »Du bist fett geworden, kann das sein?«

Cridan blieb die Spucke weg.

»Fett geworden?« wiederholte er ungläubig, packte ihre Schultern und drückte sie gegen die Wand. »Suchst du Ärger?«

Sie lachte nur, reckte sich nach oben und küsste ihn auf den Mund.

»Ja«, gestand sie. »Seit ich weiß, wie du reagierst, wenn ich dich ärgere, warte ich schon lange auf eine zweite Gelegenheit. Aber keine Sorge«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. »An dir ist noch immer kein einziges Gramm Fett, fürchte ich. Du siehst genauso umwerfend aus wie früher.«

Dorach'tar gab ein unwilliges Grunzen von sich.

»Bei allen Göttern«, brummte er, »entscheidet euch endlich! Wenn ihr vögeln wollt, bitte, aber kommt zum Punkt! Ich will schlafen.«

»Du willst schlafen, während Cridan mich auf dem Nachbarbett vögelt?« spottete Marud'shat. »Ganz sicher nicht! Wie ich dich kenne, wirst du die ganze Zeit zusehen und dir wünschen, du wärst an seiner Stelle!«

Der T'han T'hau verzog den Mund.

»Wenigstens brauche ich keine dreifache Einladung«, entgegnete er. »Komm rüber zu mir, wenn du einen Bettgefährten suchst! Soll dein Schaden nicht sein. Denn der ficha'thar da«, er deutete auf Cridan, »wird sich heute Abend ohnehin keine mehr ins Bett holen, wie ich ihn kenne.«

Marud'shat legte den Kopf schief und sah Cridan fragend an.

Er lächelte.

»Er kennt mich besser, als ich gedacht hätte. Wenn du seine Einladung annehmen willst – ich stehe nach wie vor zu meinem Wort: Ich gönne dir jeden Bettgefährten, der dich zufriedenstellt. Über Dorach'tar habe ich noch keine Klagen gehört, insofern gehe ich davon aus, du wirst ihn annehmbar finden.«

Marud'shat lachte, während Dorach'tar verächtlich schnaubte, auf die Füße kam und zu Cridan trat. Doch Cridan wandte nur den Kopf und sah auf ihn herunter.

»Halt einfach den Mund«, sagte er grob, aber nicht unfreundlich. »Du kannst mir morgen dafür danken, dir eine Bettgefährtin wie sie überlassen zu haben. Aber ich rate dir, ihren Knien aus dem Weg zu gehen.«

»Bislang war ich mit deinen Empfehlungen zufrieden«, grinste Marud'shat, legte Dorach'tar eine Hand auf den Arm und schob ihn in Richtung seines Lagers, »also hoffe ich, dass es diesmal auch so ist.«

Cridan grinste zurück.

»Ich habe dir erst einmal eine Empfehlung ausgesprochen«, bemerkte er.

Sie nickte. »Ja, und er war in der Tat gut. Aber ich warne dich – über kurz oder lang werde ich in deinem Bett landen.«

»Ist das ein Versprechen oder eine Drohung?«

Marud'shat kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten, denn Dorach'tar zog sie auf seine Decken und legte ihr eine Hand über den Mund.

»Die Götter allein wissen, was ihr an diesem Kerl so unwiderstehlich findet«, knurrte er. »Aber jetzt bist du hier bei mir!«

Sie lächelte, legte ihm einen Arm um den Nacken – und ehe er sich versah, war er derjenige, der unten lag.

Cridan grinste, drehte sich um und ließ die beiden allein.

Dorach'tar hatte Recht: Ihm war nicht danach, sich eine Frau zu nehmen. Er wollte einfach nur seine Ruhe. Das Lied der Schwerter und auch Marud'shats Worte hatten Erinnerungen in ihm geweckt: Erinnerungen, die ihn traurig stimmten, aber auch solche, die ihn lächeln ließen.

Tiko sah nur kurz auf, als er den Raum betrat, musterte ihn und deutete dann schweigend auf die Felle vor dem Feuer. Dankbar ließ sich Cridan darauf nieder. Er fragte nicht, wie die Gespräche mit Gantuighs Herrscher ausgegangen waren – er kannte Tiko lange genug, um zu wissen, dass er ihm heute keine Antwort geben würde. So saß er einfach da und starrte ins Feuer, tief in Gedanken versunken, bis er sich irgendwann dem Schlaf ergab.

Dämonentreue

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