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5. Kapitel – Mord

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Von nun an sahen Cridans Tage anders aus: Zwar wartete er noch immer Morgen für Morgen an Béos Haustür, um sie in die Burg zu begleiten, doch wenn er sie sicher dorthin gebracht hatte und keine Besprechung anstand, an der er als stummer Zuhörer an ihrer Seite teilnahm, traf er sich mit Raggal zum Unterricht.

Der jüngere T'han T'hau war ein begeisterter und fleißiger Schüler, und seine Fortschritte erfüllten Cridan mit heimlichem Stolz. Aus der abgesprochenen Stunde wurden regelmäßig zwei, drei oder noch mehr, weil keiner von beiden ein Auge auf die Zeit hatte. Raggals Fragen beantwortete Cridan zunehmend bereitwilliger, und schließlich ertappte er sich dabei, wie er geradezu darauf wartete, dass Raggal nach etwas fragte, das nicht mit dem Unterricht selbst zu tun hatte.

Doch obwohl Cridan spürte, dass Raggal ebendiese Fragen auf der Seele lagen, war sein Lehrling geduldig und schien wie er auf den richtigen Moment zu warten.

Cridan hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, nach den Stunden in der Übungshalle an der Schreibstube vorbei zu gehen, wo die Briefe und Nachrichten, die in die Burg kamen, sortiert und für ihre Empfänger aufbewahrt wurden. Er hoffte insgeheim darauf, Nachricht von Mert zu erhalten.

Nach und nach gewöhnten sich die Schreiber an den Anblick der beiden geschuppten Krieger, und schließlich begrüßte man sie wie alte Bekannte. Eine Nachricht für Cridan fand sich jedoch nicht ein – und allmählich begann Cridan, sich Sorgen zu machen.

Er gab sich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen, doch als sie heute auf dem Weg zu Enods Gemächern waren, wo Cridan sich mit Béo verabredet hatte, räusperte Raggal sich plötzlich und fragte leise:

»Etwas ist nicht in Ordnung, oder?«

Cridan hielt kurz im Schritt inne.

»Ich weiß nicht«, erwiderte er dann und ging weiter. »Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht dauert es einfach nur länger, als ich erwartet habe, aber vielleicht… ist es auch ganz anders.«

»Ganz anders ist nicht das, was du erhoffst«, stellte Raggal nach einem Blick in Cridans Gesicht fest.

»Korrekt«, nickte Cridan grimmig. »Ganz anders ist nicht das, was ich erhoffe.«

»Also ist der Mann gekommen, von dem du dir Hilfe erwartet hast«, folgerte Raggal. »Er hat dir Hilfe zugesagt, und jetzt wartest du auf Nachricht von ihm. Vergeblich. Das gibt dir zu denken.«

»Vollkommen richtig«, gab Cridan zu. Ihm gefiel Raggals Logik und was er daraus für Schlüsse zog.

Raggal schwieg einen Moment.

»Es ist viel mehr, nicht wahr?« fragte er dann. »Ein ficha'thar zu sein, bedeutet viel mehr als nur neben dem König zu stehen, einschüchternd auszusehen und Leute zu bestrafen oder dem König einen Rat zu geben. Was bedeutet es wirklich?«

Cridan schloss für einen Moment lang die Augen und schüttelte den Kopf.

»Dafür ist es zu früh, Raggal. Du stellst kluge Fragen, aber du bist noch nicht weit genug für die Antworten. Du wirst es eines Tages sein, dessen bin ich mir sicher, aber heute nicht.«

Raggal akzeptierte seine Erwiderung schweigend. Er begleitete ihn noch bis zur Tür von Enods Räumen, dann verabschiedete er sich mit einem angedeuteten Nicken und ließ Cridan allein.

Der ficha'thar blieb einen Moment vor der geschlossenen Tür stehen, bevor er die Schultern straffte und an den Wachen vorbei in die Gemächer trat.

Béo saß an ihrem gewohnten Platz auf der Eckbank, die Beine angezogen. Als sie ihn entdeckte, lächelte sie ihm zu und machte eine Kopfbewegung auf den freien Platz neben ihr.

Cridan erwiderte ihr Lächeln, schüttelte jedoch sanft den Kopf. Er würde sich nicht neben sie setzen – Mar'Tians bohrende Blicke verfolgten ihn bereits jetzt. Statt dessen ging er durch den Raum und zog sich wie immer in den Schatten der Wand hinter ihr zurück.

Dabei traf ihn ein neuerlicher, forschender Blick des Soldaten. Auf Mar'Tians Nasenwurzel hatte sich eine steile Falte gebildet, und für einen ganz kurzen Moment blitzte es ärgerlich in seinen Augen auf.

Das Gespräch war ebenso anstrengend wie die vielen, vielen Gespräche davor. Regeln mussten gefunden werden, Gesetze geschaffen, Vereinbarungen getroffen… Die T'han T'hau wieder auf Gantuigh zu dulden, bedurfte mehr als einer einfachen Zustimmung Enods.

Letztlich war wie so oft eine leidenschaftliche Diskussion im Gange über den möglichen Ort, an dem sie sich niederlassen konnten. Enod, seine Berater und Mar'Tian hatten sich ebenso wie Tiko, Marud'shat und Cor'tarach über eine Karte Gantuighs gebeugt und hielten ein heftiges Streitgespräch, an dem sich auch Luitolf und Syrian – die heute als einzige ihrer Gruppe anwesend waren – beteiligten.

Schließlich hieb Enod mit der flachen Hand auf den Tisch:

»Schluss jetzt!«

Er sah sich im Kreise seiner Ratgeber um.

»Wir haben eine Übereinkunft getroffen! Wir haben uns dazu entschieden, die T'han T'hau in unserer Mitte nicht nur zu dulden, sondern sie wieder aufzunehmen, sie zu einem Teil von Gantuighs Gesellschaft zu machen, wie sie es einst waren! Was also, frage ich Euch, diskutieren wir hier? Geht es wirklich nur um den Ort, an dem sie sich niederlassen können?«

Eine Weile herrschte betretenes Schweigen.

Dann lehnte sich Mar'Tian vor, strich mit den Fingern über die Karte und fegte sie unvermittelt mit einer entschiedenen Handbewegung vom Tisch.

»Ihr habt Recht, mein Herrscher«, sagte er. »Wenn wir diese Entscheidung wirklich getroffen haben, gibt es keinen Ort, den wir bestimmen müssten. Weil sie sich überall niederlassen dürfen. Überall dort, wo es einem freien Bürger gestattet ist.«

Er holte tief Luft und blickte Enod an.

»Aber wir müssen einen Anfang finden. Wenn Ihr mich fragt, können wir es nur allmählich angehen. Das bedeutet, wir bestimmen einen Ort, an dem sie jetzt leben können, an dem sie heute Fuß fassen können – und von dort aus werden sie sich über Gantuigh verteilen. Wir haben Ländereien im Nordosten von hier, in den Ebenen nördlich der Berge. Das Land dort ist gut und fruchtbar, aber es ist nicht besonders groß. Es ist eine Möglichkeit für einen Anfang, doch es wird weitergehen müssen. Schenken wir ihnen den Beginn – alles andere ist ihre Aufgabe.«

Ratiko'khar sah abwechselnd Enod und Mar'Tian an. Dann nickte er.

»Alles andere ist unsere Aufgabe«, wiederholte er. »Ich bin mehr als einverstanden.«

Enod stieß einen langen, erleichterten Seufzer aus.

»Den Göttern sei Dank, dass endlich jemand einen vernünftigen Einfall hat«, brummte er. »Ich dachte schon, ich muss mich die nächsten Wochen darum streiten! Gut, hört meine Entscheidung: Ratiko'khar, Euch und den Euren wird gestattet, Euch auf dem Stück Land, das ich Euch zuweisen werde, eine vorläufige Siedlung zu errichten. Es wird keine dauerhafte Ansiedlung Eures Volkes werden, sondern nur ein Anfang, von dem aus ihr Familien und Gruppen in andere Teile Gantuighs entsenden werdet.«

Ratiko'khar senkte zustimmend den Kopf.

»Es wird geschehen, wie Ihr es sagt. Ich danke Euch.«

Enod schob seinen Stuhl mit einem Scharren zurück und erhob sich.

»Dann ist dieses Gespräch für heute beendet! Ich muss endlich etwas anderes sehen als immer nur Karten, Karten, Karten, und ich muss endlich etwas anderes hören als die ewigen Streitereien, Vorwürfe und Bedenken! Lasst in der großen Halle für alle decken! Lasst Musiker kommen! Es ist Zeit, einmal gemeinsam zu feiern anstatt immer nur zu zanken!«

Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung, und wenig später herrschte reger Trubel in der Burg.

Cridan staunte, in welcher Geschwindigkeit die Bediensteten und Köche es schafften, ein gewaltiges Festmahl auf die Tische zu zaubern, das selbst dem Hunger der versammelten Menge der Soldaten und T'han T'hau standhalten würde. Dazu gab es Bier und Wein – in weiser Voraussicht verdünnt und nicht sonderlich stark – und Musik.

Béo und Mar'Tian saßen gemeinsam mit Enod und einigen weiteren seiner Berater an der Tafel am Stirnende des langen Raumes, während sich die Soldaten und die T'han T'hau auf die restlichen Tische verteilten. Zunächst war es auffällig, dass die Gruppen sich wie nach unsichtbaren Regeln getrennt hielten, doch je weiter die Zeit voranschritt, um so mehr lockerte sich die Sitzordnung, und als schließlich die ersten Bänke und Tische zur Seite gerückt wurden, um eine Fläche zum Tanzen zu schaffen, mischten sich Menschen und T'han T'hau endgültig miteinander – es war schlichtweg nicht mehr genug Platz, um es anders zu handhaben.

Cridan hatte sich mit seinem Becher Wein an einen hohen Seitenpfeiler der Halle gelehnt und gab vor, den Tanzenden zuzusehen, während er in Wirklichkeit den Rest des Saals im Auge behielt. Er wusste Béo in Mar'Tians Nähe und damit vermutlich in der größten Sicherheit, in der sie sein konnte, dennoch war er unverändert wachsam. Nur mit einem Ohr hörte er Raggal zu, der neben ihm stand und sich angeregt mit den Leibwächtern Tarpin und Sneyd über die Unterrichtsstunde des heutigen Morgens unterhielt.

»Nun«, sagte Tarpin gerade, »ich verstehe nicht ganz, was die Bewegungen zwischen den einzelnen Schlägen, die ihr durchgenommen habt, bewirken sollen. Sie dienen nicht dem Kampf, wenn ich das richtig beobachtet habe. Wozu dann?«

Raggal stieß Cridan leicht in die Seite.

»Das kannst du besser erklären als ich«, bemerkte er.

Cridan hob eine Braue, ohne seine Augen von den Geschehnissen in der Halle zu nehmen. Er beobachtete Béo und Mar'Tian, die sich inmitten der Paare und einzelner Tänzer wie in einer eigenen Welt bewegten – einer Welt, die nur für sie zu existieren schien.

»Was genau meinst du?« fragte er und ließ dabei seinen aufmerksamen Blick über die Menschen und T'han T'hau um sie herum gleiten.

Tarpin hob die Schultern. »Na, beispielsweise nach dem ersten Hieb. Du triffst das Ziel, machst einen Schritt zurück und bewegst die Hand in einem Halbkreis. Ich habe gelernt, sie gerade zurück zu nehmen. Warum machst du es anders?«

Cridan trank einen Schluck Wein.

»Weil du in einem Halbkreis die nächste Bewegung einleiten kannst«, entgegnete er. »Eine gerade Bewegung zurück löst zwar die Kugel aus dem Ziel, hält aber keine weiteren Vorteile für dich bereit. Wenn man es genau nimmt, kämpfen wir nicht mit einem Morgenstern, sondern mit einem Streitflegel. Das heißt, ich muss diese Besonderheit mit einrechnen – und wenn es irgend möglich ist, zu meinem Vorteil nutzen.«

Sneyd grinste.

»Etwas pedantisch«, sagte er lachend, »aber er hat Recht: Ein echter Morgenstern besitzt keine Kette, sondern lediglich einen Kopf.«

»Gut, gut, dann eben ein Streitflegel«, räumte Tarpin ein. »Welchen Nutzen bringt dir die Bewegung denn nun?«

Cridan leerte den Rest aus seinem Becher in einem Zug und drückte ihn Raggal in die Hand.

»Lass nachfüllen, während ich dem Soldaten hier ein wenig Nachhilfe erteile«, bemerkte er spöttisch, dann wandte er sich zu Tarpin um.

»Einen echten Morgenstern kannst du genauso gut gerade zurückziehen. Macht es dir sogar einfacher, weil sich die Dornen besser lösen und du den nächsten Schlag einleiten kannst. Ist schneller als eine komplizierte Bewegung. Du brauchst nur entsprechend viel Kraft. Die Art Morgenstern, mit der wir heute gekämpft haben, ist jedoch anders.«

»Ein Streitflegel, schon gut«, Tarpin rollte mit den Augen, »ich hab‘s ja verstanden!«

»Eben«, nickte Cridan. »Eine gerade Bewegung zurück reißt die Kugel zwar aus dem Ziel, aber auch genau in deine Richtung. Nicht unbedingt das, wohin ich dieses mörderische Ding bewegen möchte! Also ein Halbkreis von dir weg: Löst die Dornen und sorgt dafür, dass die Kugel außerhalb deiner empfindlichen Teile bleibt. Stellst du es geschickt genug an, kannst du den Schwung dann direkt in den nächsten Hieb umleiten.«

»Ja«, brummte Sneyd. »Das hat man bei dir schön gesehen. Drei Stück nacheinander! Du hast die Ziele heute morgen ganz schön zerlegt! Eigentlich müsste man dir die Dinger in Rechnung stellen – noch zwei Tage in deinem Unterricht und wir brauchen neue!«

Cridan nahm Raggal, der eben zurückkam, den neu gefüllten Becher ab, trank einen Schluck und zuckte die Achseln.

»Kann ich was dafür, wenn ihr so kleine Klötze benutzt?«

Sneyd lachte auf und wollte etwas erwidern, doch in diesem Augenblick trat Béo zu ihnen.

»Ihr scheint euch gut zu unterhalten«, sagte sie lächelnd. »Ich will auch gar nicht stören. Ich würde nur gerne meinen Leibwächter auf einen Tanz entführen.«

Cridan wäre beinahe der Becher aus der Hand gefallen.

»Wie bitte?«

Er sah sie ungläubig an. Sie hatte die Hand ausgestreckt und schien ihre Drohung tatsächlich wahrmachen zu wollen.

Langsam schüttelte er den Kopf.

»Meine Königin, das muss ich ablehnen. Du kannst von mir eine Menge verlangen, aber das nicht. Ich gäbe mein Leben für deine Sicherheit, aber ich werde nicht mit dir tanzen.«

»Wie?« Sie fing an zu lachen. »Du willst mir allen Ernstes erzählen, du würdest dich in einen Schwerthieb werfen, um mir das Leben zu retten, aber du weigerst dich, mit mir zu tanzen? Das ist albern!«

Er verfiel beinahe von selbst in die Haltung eines ficha'thar: die Arme vor der Brust verschränkt und die Beine leicht gespreizt.

»Albern hin oder her«, entgegnete er und bemühte sich um einen würdevollen Tonfall, »ich werde es nicht tun.«

Er konnte den Schalk in ihren Augen blitzen sehen.

»Und wenn ich es dir befehle?«

Er verdrehte die Augen. »Götter, Béo, tu mir einen Gefallen und lass mich damit in Ruhe! Ich werde nicht tanzen. Wie soll ich dabei auf dich achtgeben? Davon einmal ganz abgesehen: Ich kann es nicht, und du würdest dich und mich nur zum Gespött der versammelten Leute machen.«

Doch Béo blieb hartnäckig.

»Wie, du kannst es nicht?« fragte sie nach, den ersten Teil seiner Worte ignorierend. »Dann komm mit, ich bringe es dir bei! Inmitten der ganzen Leute fällt das doch überhaupt nicht auf!«

»Nein, natürlich nicht«, spottete Cridan ironisch. »Wie sollte es auch auffallen, wenn ein Mann meiner Größe reihenweise anderen um sich herum auf die Füße tritt – deine Füße eingeschlossen!«

Béo lachte nur noch mehr, griff nach seiner Hand und wollte ihn einfach hinter sich her ziehen: »Jetzt zier dich nicht so und komm!«

Cridan fing Raggals Blick auf und stöhnte innerlich: Der jüngere T'han T'hau schien sich köstlich zu amüsieren, und auch Sneyd und Tarpin grinsten über das ganze Gesicht.

»Geh endlich«, sagte Sneyd und machte eine auffordernde Geste. »Ich werde schon aufpassen, dass euch niemand inmitten einer Halle Soldaten, die Mar'Tian und seine Frau verehren, etwas antun wird!«

Cridan schenkte ihm einen giftigen Blick.

»Bei allen Göttern, wenn du es nicht lassen kannst«, knurrte er dann, an Béo gewandt, stürzte seinen Wein hinunter, warf Raggal den leeren Becher zu und folgte ihr. »Aber behaupte hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!«

»Werde ich nicht tun«, entgegnete sie fröhlich und führte ihn mitten auf die Tanzfläche, wo sie sich zu ihm umdrehte. »Also, pass auf…«

Sie sagte noch etwas, doch Cridan nahm es gar nicht mehr wahr: Seine Aufmerksamkeit galt dem verschwitzten Boten, der sich in diesem Augenblick seinen Weg durch die Menge bahnte und zu Enod eilte.

Der Herrscher, der mit Mar'Tian auf einer Bank saß, sah auf, als der Mann vor ihm auf ein Knie niederging, sich vorbeugte und ihm in hastigen Worten etwas mitteilte.

Auf Enods Gesicht machte sich Bestürzung breit. Er erhob sich, winkte Mar'Tian, ihm zu folgen, und blickte sich dann suchend um, bis er Ratiko'khar entdeckte und auf ihn zu eilte.

»Verzeih mir meine Unhöflichkeit«, unterbrach Cridan abrupt Béos Worte. »Aber da ist etwas passiert. Komm.«

Ohne auf ihre Antwort zu warten, fasste er ihren Oberarm und zog sie mit sich von der Tanzfläche, auf direktem Wege zu Ratiko'khar und den anderen.

Mar'Tian runzelte ganz leicht die Stirn, als sie bei ihnen ankamen, und Enod warf ihnen einen Blick zu.

»Ihr könnt uns gerne begleiten, Ibéowe«, sagte er dann, »aber nur Ihr allein.«

Wortlos machte Cridan einen Schritt zurück und folgte der Gruppe in einigem Abstand, wie sie den Saal verließen und auf den dunklen Hof hinaus gingen, wo man offensichtlich schon auf sie wartete.

Im Licht von gut einem Dutzend Fackeln, die von Dienern und Soldaten getragen wurden, verließen Enod, Mar'Tian und Béo ebenso wie Ratiko'khar die Burg in Richtung der Stadt.

Cridan stieg auf den Wehrgang hinauf. Niemand trat ihm in den Weg.

Halb über die Zinnen gelehnt beobachtete er gespannt, wie die kleine Gruppe in den Straßen der Stadt aus seinem Sichtfeld verschwand. Wenige Minuten später erschienen zwei berittene Soldaten auf dem Hof und folgten der Gruppe, und nur kurz darauf galoppierte Syrian an der Spitze seiner Kameraden aus der Burg.

Cridan sah ihnen nach, bis sie zwischen den Häusern verschwunden waren, dann kletterte er wieder auf den Burghof hinab, während seine Gedanken sich nur um eine Frage drehten:

Was mochte so wichtig gewesen sein, dass Enod selbst mit hinaus ging?

Es war mit Sicherheit keine angenehme Nachricht gewesen, das hatte ihm der Gesichtsausdruck des Herrschers verraten.

Mühsam seine Ungeduld zügelnd, ließ er sich nahe des Haupteingangs nieder und wartete.

Es dauerte nicht so lange, wie er befürchtet hatte, bis die Männer und Béo zurückkehrten. Sneyd war nun unter ihnen – er musste einer der beiden Reiter gewesen sein. Wo der zweite war und wo sich Sneyds Pferd befand, konnte er nur raten.

Zwei der übrigen Soldaten brachten einen kleinen Schubkarren mit, auf dem etwas lag, das mit einem Mantel zugedeckt war.

Neugierig folgte Cridan ihnen in einiger Entfernung bis auf den zweiten Burghof. Dort blieben sie stehen, und Sneyd zog den Mantel fort. Dennoch konnte Cridan immer noch nicht erkennen, was auf dem Karren lag – zu dunkel war es, und zu dicht standen die anderen darum herum.

Eine Weile schienen alle darauf hinab zu starren, dann traten Mar'Tian und Tiko dichter heran und beugten sich darüber. Sie wechselten einige Worte.

Schließlich drehte Tiko sich um und rief auf Alt-Gantuigh zu ihm hinüber: »Komm her! Ich will, dass du dir das ansiehst!«

Cridan gehorchte.

Als er näherkam, erkannte er im zuckenden Licht der Fackeln plötzlich, was es war, über das sich Tiko und Mar'Tian gebeugt hatten:

Eine Leiche lag auf dem Karren, und sie war fürchterlich zugerichtet.

Langsam ging er um den Karren herum und musterte den zerfetzten Körper.

Wer – oder was – auch immer den Mann umgebracht hatte, hatte ganze Arbeit geleistet:

Die Kehle war regelrecht herausgerissen. In der Tiefe schimmerte weiß das Rückgrat durch die blutige Masse, die einmal ein Hals gewesen war. Über den Brustkorb des Mannes zogen sich zahlreiche tiefe, parallel verlaufende Schnitte, die an einigen Stellen die Rippen zertrennt hatten und von denen jeder für sich schon tödlich gewesen sein mochte. Die rechte, mehrfach verstümmelte Hand war nur noch über einen verwüsteten Rest von Muskulatur mit dem Arm verbunden. In dem umgebenden Fleisch waren deutlich die Abdrücke von Reißzähnen zu erkennen. Auch die Linke war kaum mehr als ein blutiger Klumpen.

Das Schlimmste aber war das Gesicht: Drei tiefe, ausgefranste Risswunden hatten Haut und Fleisch vom Knochen gefetzt und nur ein blutiges Kraterfeld hinterlassen, in dem Zähne und Gebein weiß hervorblitzten. Der Mund stand weit offen, und in der Mundhöhle verriet ein unförmiger Stumpf, dass der Mörder auch vor der Zunge nicht Halt gemacht hatte.

Ein durchdringender, scharfer Geruch ging von dem Toten aus, wie nach Alkohol und Minze. Cridan beugte sich dicht über das, was vom Hals des Mannes übrig geblieben war, und versuchte mit geschürzten Lippen, genauer Witterung aufzunehmen.

Doch über dem süßlichen Geruch nach Blut und anderen Körpersäften lag ein abscheulicher, ätzender Gestank, der es ihm unmöglich machte, die einzelnen Witterungen voneinander zu trennen oder auch nur genauer wahrzunehmen. Auch die Schnitte auf dem Brustkorb stanken fürchterlich, und die Dämpfe, die davon aufstiegen, brannten in seiner Nase und ließen ihn husten.

Er richtete sich wieder auf und blickte nachdenklich auf die Leiche hinab.

»Wer immer das war«, murmelte er, »er hat eine Ekel erregende Vorliebe für Minze und billigen Alkohol – und zwar als Duftwasser in verschwenderischer Menge.«

Mar'Tian verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn finster an.

»Ich kann also davon ausgehen, dass du es nicht gewesen bist?«

»Ich?« Cridan starrte mit ehrlicher Verblüffung zurück. »Wie kommst du denn darauf?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, mein König, bei allem, was mir etwas bedeutet, ich schwöre, dass ich hiermit nicht das Geringste zu tun habe! Keiner von uns hat das! Ein T'han T'hau, der Minze und Alkohol als Duftwasser benutzt? Den wirst du vergebens suchen. Hier sind Spuren verwischt worden, von jemandem, der sehr genau weiß, was er tut! Um den Eigengeruch zu verdecken, braucht es nicht nur ein bisschen von dem Gemisch, sondern sehr viel. So viel, dass jeder es wahrnehmen würde, nicht nur wir. Glaub' mir, wenn einer von uns damit etwas zu tun hätte, hättest du es in dieser Burg längst gerochen!«

Tiko rieb sich nachdenklich den Nasenrücken.

»Damit bleibt nur eine Lösung«, brummte er.

»Sureth und seine Dämonen.« Mar'Tians Stimme war dunkel vor Zorn. »Und das bedeutet, dass er näher ist, als ich dachte. Er oder einer seiner Dämonen muss hier, in L'hunival, sein, und er hat diesen Mann umgebracht.«

»Aber warum?« fragte Béo. »Meinst du, er hat ihn vielleicht bei irgend etwas beobachtet?«

Der Soldat schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist viel banaler: Er will unsere Pläne durchkreuzen! Es war nie sein Ziel, Dämonen und Menschen zusammenzubringen. Das hat er uns nur zu verkaufen versucht, damit wir die Dämonen wieder auf Gantuigh dulden! In Wahrheit will er die Dämonen für sich! Wenn die Menschen nur wieder genug Angst vor den Dämonen haben, wird das unsere Versuche, ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen, scheitern lassen. Im schlimmsten Fall würde es wieder Krieg geben!«

»Krieg?«

Tiko schnaubte.

»Mach dich nicht lächerlich, Bruder! Was soll das für ein Krieg sein? Zehn- oder zwanzigtausend Menschen gegen nicht einmal tausend T'han T'hau, die sich einem Menschen, nämlich dir, unterworfen haben? Wir würden niedergemetzelt, bevor wir auch nur dazu kämen, unsere Waffen zusammenzusuchen!«

»Das kann nicht Sureths Plan sein«, stimmte auch Enod ihm nachdenklich zu. »Es würde zu einer endgültigen Vernichtung der Dämonen führen, nicht zu ihrer Herrschaft, die er anstrebt, wenn ich Euren Worten Glauben schenke.«

»Es sei denn, es gibt doch noch mehr Dämonen, und mit denen, die hier untergehen, sterben nur die, die sich ihm nicht anschließen wollten«, sagte Mar'Tian leise. »Einschließlich der Erben Skatarhaks. Die letzten Erben der Königslinie der T'han T'hau, und mit ihnen all die Dämonen, die sich an die alten Gesetze halten.«

Alle starrten ihn an.

Cridans Gedanken überschlugen sich förmlich, doch er schwieg und starrte weiter auf die Leiche, versuchte, sich einen Reim darauf zu machen.

Dann sagte er nachdenklich: »Aber du bist kein Dämon, um eure Bezeichnung zu benutzen. Und du bist ebenfalls Skatarhaks Erbe.«

Mar'Tian lachte, trocken und ohne jede Spur von Humor. »Glaubst du, er gäbe mir die Gelegenheit, das unter Beweis zu stellen?«

Sneyd runzelte die Stirn und wollte etwas sagen, doch Enod brachte ihn mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen.

»Genug. Wir werden in meinen Räumen weiter reden. Schreibt ein Protokoll, mit allen Spuren und Hinweisen, die wir bislang haben, einschließlich der Verletzungen des Opfers. Ein ausführliches Protokoll. Begrabt diesen armseligen Mann, entschädigt seine Familie, so es eine gibt, und weist darauf hin, dass wir die Ermittlungen zu seiner Ermordung aufgenommen haben. Verwehrt Euch, Anschuldigungen anzunehmen. Wenn Syrian und seine Kameraden zurückkommen, werden sie zu uns stoßen. Ratiko'khar, ich wünsche, dass Ihr die anderen Anführer zu dieser Unterredung mitbringt. Ebenso«, er warf Cridan, der nachdenklich neben der Leiche stand und ein weiteres Mal die Verletzungen musterte, einen Blick zu, »Euren Freund hier. Ich will, dass er dabei ist.«

Cridan sah überrascht auf.

»Und Ihr, Ibéowe«, fuhr Enod fort, ohne auf Cridan zu achten, »nehmt bitte ebenfalls daran teil.«

Béo nickte. Sie wandte sich mit den anderen zum Gehen, doch als sie bemerkte, dass Cridan sich nicht rührte, blieb sie stehen.

»Was ist?« fragte sie.

Cridan blickte immer noch auf den Toten hinunter.

»Irgend etwas stimmt hier nicht«, murmelte er. »Etwas… passt nicht ins Bild. Von diesem fürchterlichen Pfefferminzgestank einmal abgesehen.«

Erneut beugte er sich über die Leiche und musterte die grässlichen Wunden in der Kehle. Dann hob er die Hand und versuchte, die Hautlappen, die zu beiden Seiten hinunter hingen, vor dem Hals wieder zusammenzufügen. Ein kleiner, triumphierender Laut kam über seine Lippen.

Béo unterdrückte ein Würgen und wandte sich ab. Mar'Tian jedoch, der ebenfalls geblieben war, ging neben Cridan in die Hocke.

»Ah«, sagte er leise. »Ich sehe, was du meinst.«

Er drehte den Kopf des Toten zur Seite.

In den entsetzlichen Wunden fast verborgen, zeigte sich am äußersten Rand der Wunde ein scharfer Einschnitt wie von einer Messerklinge. Er stach regelrecht ins Auge, jetzt, wo man sah, wie anders der saubere Schnitt im Gegensatz zu den Verwüstungen durch Schuppen und Reißzähne wirkte.

»Was habt ihr gefunden?« fragte Béo verwirrt.

Cridan antwortete an Mar'Tians Stelle: »Dieser Mann war schon tot, als man ihm die Kehle herausgerissen hat. Jemand hat ihm den Hals durchtrennt und ihn dann einem T'han T'hau überlassen.«

Er verzog das Gesicht. »Das ist widerwärtig! Alleine die Vorstellung, einem Toten die Zähne in den Hals zu schlagen… Abstoßend!«

Mar'Tian sah aus der Hocke zu ihm hoch.

»Ist der Unterschied zu einem Lebenden so groß?« fragte er, Zynismus in jeder einzelnen Silbe.

Cridan ließ die Fleischlappen los und sank langsam auf ein Knie nieder, so dass er auf gleicher Augenhöhe mit Mar'Tian war.

»Oh ja«, sagte er dann leise, seine Stimme ein tiefes Grollen aus seiner Kehle. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie groß dieser Unterschied ist, bis du es selbst erlebt hast. Nicht nur, dass es anders riecht und anders schmeckt, es ist ein gänzlich anderes Gefühl. Gespannte Muskeln, deren Fasern zerreißen, warmes Blut, das dir entgegen quillt und deine Sinne bis in den letzten Winkel ausfüllt, kraftvolles Leben, in dem du den Pulsschlag noch fühlen kannst – das ist fürwahr etwas anderes als kaltes, schlaffes, totes Fleisch. Es ist ein gewaltiger Unterschied. Du würdest auch nicht mit einer Toten das Bett teilen«, schloss Cridan seine Ausführungen und lächelte knapp.

Als er aufstehen wollte, legte Mar'Tian ihm eine Hand auf den Unterarm und hielt ihn fest.

»Wie viele von euch wissen um diesen Unterschied?« fragte er eindringlich.

Cridan sah ihn gedankenversunken an. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete:

»Ich kann es dir nicht sagen, Mar'Tian. Wenn es einer weiß, dann einer von den Alten. Vielleicht. Es ist sehr selten, dass wir so töten, und es gibt auch nur wenige von uns, die das jemals getan haben. Die jüngeren T'han T'hau haben vermutlich nicht die geringste Ahnung davon. Sie sind anders erzogen. Wir haben sie anders erzogen. Für sie ist es ebenso abwegig, mit einem Biss zu töten, wie es das für euch ist. Nur einige wenige wissen darum, und das hat seine Gründe. Wir haben das so entschieden, weil manche von uns eben doch wissen, was es bedeutet, ein erlöschendes Leben zu schmecken.«

Mar'Tian ließ ihn nicht los. »Und was bedeutet es?«

Cridan wich seinem Blick nicht aus.

»Macht«, erwiderte er schlicht. »Berauschende, erregende, mit nichts zu vergleichende Macht.«

Er schob Mar'Tians Hand zur Seite und stand auf.

»Die Zähne in einen Toten zu schlagen, ist einfach nur ekelhaft. Der T'han T'hau, der das getan hat, hat einen Befehl befolgt und nicht aus eigenem Antrieb gehandelt.«

»Das bedeutet, der Mann wurde getötet und dann erst von einem Dämon so zugerichtet«, überlegte Béo laut. »Das heißt aber auch, dass er nicht zwangsläufig in L'hunival getötet worden sein muss – und dass auch gar kein Dämon in der Stadt sein musste dafür. Genauso gut hätte jemand den Mann irgendwo töten und dem Dämon befehlen können, all dies mit dem Toten zu machen, bevor er ihn in die Stadt gebracht und in der Gasse abgeladen hat.«

Mar'Tian nickte.

»Ein Gedanke, der mir auch schon kam. Auf der Gasse war erstaunlich wenig Blut für diese Verletzungen. Wenn er dort getötet worden wäre, hätte das Pflaster in Blut schwimmen müssen.«

Cridan machte eine zustimmende Geste.

»Warum aber das Duftwasser?« fragte Béo nachdenklich.

»Das ist einfach«, entgegnete Mar'Tian. »Um zu verhindern, dass man die Tat einem bestimmten Dämon zuordnen kann. Wenn es niemanden gibt, dem man sie klar anhängen kann, könnte es jeder gewesen sein. Und damit auch jeder Dämon, der innerhalb dieser Mauern unter Enods Schutz steht.«

Er stieß einen langen Seufzer aus.

»Cridan, würdest du einen Waffengang mit mir austragen? Ich muss meine Gedanken ein wenig zur Ruhe kommen lassen.«

Cridan nickte überrascht.

»Selbstverständlich«, antwortete er. »Gib mir nur noch einen Augenblick.«

Mar'Tian musterte ihn einen Herzschlag lang, dann zuckte er mit den Schultern.

»Natürlich. Aber beeile dich. Ich warte nicht gerne.«

Cridan sah ihm hinterher, wie er mit Béo den Hof verließ, dann beugte er sich noch einmal über die Leiche. Das ungute Gefühl, dass er etwas übersehen hatte, ließ ihn nicht los.

Erneut sog er die Witterung über dem Leichnam ein und musste beinahe sofort husten. Es war zwecklos: Der Gestank des scharfen ätherischen Öls, der aus jeder Pore des Toten zu dringen schien, brannte in seinen Augen und seinen Lungen und lähmte seinen Geruchssinn.

Verdammt noch mal, dachte er mit wütend gefurchter Stirn, da war jemand wirklich gründlich! Nicht nur, dass er sehr wirkungsvoll seine eigenen Spuren verwischt hat, nein, er hat sich auch alle denkbare Mühe gegeben, den Toten so fürchterlich zuzurichten wie möglich! Die Hände, das Gesicht… Die Zunge! Hier ging es nicht darum, jemanden einfach nur umzubringen und es einem T'han T'hau in die Schuhe zu schieben. Das hier ist viel mehr. Aber was? Und warum?

Die Frage nagte immer heftiger an ihm. Was gab es für einen Grund, den Toten so zu verstümmeln? Was wollte man ihnen damit sagen?

Er ging noch einmal um den Toten herum, die Zähne nachdenklich in seine Unterlippe gegraben, und kniete sich dann neben dem Kopf des Leichnams auf den Boden. Je genauer er hinsah, um so mehr fiel ihm auf, dass die Verletzungen im Gesicht nur auf den ersten Blick zur Unkenntlichkeit geführt hatten – tatsächlich waren die Wunden jede für sich betrachtet überraschend sauber.

Aufmerksam folgte er mit Blicken den fürchterlichen Rissen, versuchte, Einzelheiten zu erkennen, und fasste dann vorsichtig nach den Stücken, die vom Knochen hingen. Langsam und mit größter Sorgfalt schob er die einzelnen Fetzen wieder an ihren Platz, bis schließlich nichts mehr übrig war, das er zuordnen konnte.

Er senkte den Kopf, sah bewusst fest zu Boden, stand auf und machte zwei Schritte rückwärts. Dann erst hob er den Blick.

Die Erkenntnis ließ ihn scharf die Luft einziehen.

Ein weiteres Mal sah er hin, genauer noch, beinahe verzweifelt, als hoffte er, etwas zu entdecken, das ihm sagte, dass er sich irrte – obwohl er wusste, wie vergeblich dieser Versuch war.

Es gab keinen Zweifel: Er kannte den Toten.

Es war Mert.

Dämonentreue

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