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Noch zwei weitere Tage verbrachte Deacon im Bett und pfleg­te seine Wunde. Als er sich besser damit fühlte, versuchte er, das Bettlaken wie eine Tunika tragend, in Abständen aufzuste­hen und einige Meter zu gehen, auch wenn es ihm mitunter noch schwerfiel. Oft hatte er Kopfschmerzen, aber zumindest brach die Verletzung nicht mehr auf.

Ted gab ihm wie versprochen seine Uniform zurück. Ein­drücklich nahm er Nadjas Nähkünste unter die Lupe. Bei sei­nem Shirt und der Drillichhose waren die Risse sauber verar­beitet worden und er zollte ihrem Können großen Respekt. Es tat gut, wieder bekleidet zu sein.

Der Mantel jedoch stellte beide Geschwister vor ein Rätsel. Nachdem der von Blut reingewaschen war, sah man keinerlei Rückstände, geschweige denn Schäden am Gewebe. Nicht ein­mal Nahtstellen, als wäre er aus einem Schnitt gemacht.

Das war halt weiße Engelskleidung. Flügeltransparenter Stoff, der weder Schaden noch Schmutz an sich haften ließ, und gleich einer gepanzerten Rüstung vor allen irdischen Ge­fahren schützte. Feuer und extreme Kälte hielt er sicher ab. Und einen Sturz aus dem obersten Stock eines Hochhauses konnte er abfangen und seinem Träger die Knochen retten. Ohne diesen Wundermantel wäre sein kleiner Unfall wohl ganz anders verlaufen.

Schade nur, dass die Fasern keine heiligen Klingen abhiel­ten. Ähnlich der Flügeldurchlässigkeit bot der sonst so robuste Faden gegenüber Engelsschwertern keinen Widerstand.

Eigentlich war es nicht einmal sein Mantel. Vor ein paar Jahrzehnten hatte er ihn einem feindlichen Krieger abgenom­men und aufgrund seiner Nützlichkeit behalten.

Nicht dass die Höllenuniform dagegen wertloser war. Doch in den schwarzen Stoff ließen sich keine weißen Zauber ein­weben, was auch die nötigen Schutzfunktionen minderte. Im­merhin war das Dunkelgespinst weich, gut passend und at­mungsaktiv. Darin wurde ihm nie zu heiß oder frostig kalt.

Überirdische Waffengewalt hielt das freilich nicht auf.

Die Dienstkleidung und sein durchtrainierter Körperbau warfen die Frage auf, ob er Deserteur einer Armee sei. Deacon verneinte und schwieg beharrlich. Wer hätte ihm die schräge Geschichte vom Obergeneral eines Dämonenheeres geglaubt?

Es war gegen Mittag, da Deacon aus dem Fenster seines Zimmers sah und vom ersten Stock weithin die Siedlung über­blickte.

Viele Gebäude wirkten dem Zustand von Teds Haus recht ähnlich. Nichts als verfallene Ruinen, die rund um den Haupt­platz aneinandergereiht waren. Ein Zugangsweg führte Men­schen und eventuelles Fuhrwerk auf freigeräumte Straßen. Sonst lag alles in Schutt und Dreck versunken.

Auf dem Platz herrschte buntes Treiben. Ein fahrender Händler bot auf seinem Karren allerlei Müllware zum Tausch an. Schrauben, Nägel, Draht, Holz – manches, das man brauchte, um aus dem Mangel etwas zu schaffen. Weiter ab spielten die Kinder, wie jeden Tag, mit ihrem alten Fußball oder Lumpenpuppen. An einer Wasserpumpe wuschen Frauen ihre Wäsche in einer verbeulten Zinkwanne und schnatterten über dies und das.

Einige ältere Leute saßen in einer Runde und steckten die Köpfe zusammen. Deacon konnte sich das bestimmt nur ein­bilden, doch glaubte er zu sehen, wie verstohlene Blicke in seine Richtung geworfen wurden. Zu dem Fremden, von dem niemand was wusste und der halb tot hier angeschleppt wor­den war. Der sich bei ihnen wie ein Kuckuck einnistet hatte und vom Gemeindewohl zehrte.

Während eines der Kinder fröhlich zu ihm hinaufwinkte, schienen die Alten ihn am liebsten sofort loswerden zu wollen. Wenn nicht auf friedliche Art, dann anders.

Deacon seufzte. Womit hatte er nur diese Abneigung ver­dient?

Da ging hinter ihm die Tür auf und Nadja trat ein. Sie leis­tete ihm ohne Scheu Gesellschaft, obwohl er merkte, dass sie vorsichtig war. So hielt sie es immer. Zwar war sie freundlich, redete locker über alles und machte Scherze – trotzdem war er ihr nicht ganz geheuer.

Natürlich. Sie kannten ja einander nicht und waren sich fremd. Menschen bauten ihr Vertrauen nur langsam auf und je­mandem zwanglos zu begegnen, der nichts von seiner Person preisgab, konnte in diesen Zeiten fahrlässig sein. Dabei wollte er schon von ihr mehr beachtet werden, statt nur der Unbe­kannte zu sein.

Wenn sie das genauso sah, zeigte sie es nicht. Die Hilfe für ihn war für sie sicher ganz logisch. Sie hätte jeden gerettet, der in Not war, und würde auch in Zukunft versuchen, die Welt besser zu machen. Irgendwie erinnerte sie ihn an ein träumeri­sches Kind, das Hoffnung witterte, selbst wenn alle anderen schon verzweifelten. Ihre Güte und Anteilnahme galt nicht ihm allein, was er leicht bedauerte. Vielleicht wünschte er sich einfach nur etwas Aufmerksamkeit nach seiner identitätslosen Reise unter den Menschen.

„Hey“, begrüßte sie ihn mit sanftem Lächeln, „wie geht es dir?“

„Ganz gut, denke ich. Jedenfalls nicht mehr so durchbohrt“, versuchte er, das Gespräch entspannt zu sehen.

Nadja lehnte ihren Oberkörper aus dem Fenster und ver­folgte kurz den lebhaften Trubel der anderen, wie auch er ihn gesehen hatte, bevor sie fortfuhr: „Meine Tante will dich unbe­dingt sprechen. Sie sagt, dass du simulierst, um ihr aus dem Weg zu gehen und wir sollen dich nicht verhätscheln.“

„Scheint ja eine reizende Person zu sein“, feixte er iro­nisch.

Sie nahm ihm den Spruch scheinbar nicht übel, dennoch blickte sie ihn merkwürdig an. Betrachtete sein Gesicht, als wollte sie in seinen Augen lesen, ob er Wahrheit oder Lüge sprach.

Das beschämte ihn und er wandte sein Gesicht ab. „Ent­schuldige, ich wollte nicht unhöflich gegenüber deiner Tante sein.“

„Ich werde aus dir nicht ganz schlau, Deacon“, gab sie zu.

„Wie meinst du das?“

Sie streckte beide Arme aus und legt ihre Zeigefinger auf seine Lippen. Diesen Kontakt hatte er nicht erwartet, aber er zuckte auch nicht davor zurück. Ihre Fingerkuppen fühlten sich glatt an, wie sie zu seinen Mundwinkeln hinauffuhren, und Nadja kannte fürwahr diesbezüglich keine Berührungs­ängste.

Wirklich sorglos und ungehemmt, wie ein neugieriges Kind.

Nur ihre Stimme klang ernst: „Irgendwie bist du seltsam. Du hast stets dieses Lächeln auf deiner Miene, egal, wie du dich gerade fühlst. Ob du dich entschuldigst oder dir etwas peinlich ist. Oder traurig, nervös oder ängstlich bist – du lä­chelst immer.“

„Ist das falsch?“, fragte er.

Sie zog ihre Hände zurück. „Es ist unecht, find ich. Du magst ein hübsches Aussehen haben, aber das ist hässlich. Du ziehst die Mundwinkel hoch und schon sieht es aus, als ob du grinst. Ich denke, man sollte erst dann lächeln, wenn man sei­ne Fröhlichkeit auch so meint.“

Das haute ihn um. Dieses Mädchen hatte ihn schnell durchschaut. Im Grunde dachte Deacon, nach all den Jahren und Erfahrungen als Seelenfänger unter Menschen, habe er seine Maske unter Kontrolle und wirkte bereits menschlich. Sie gehörte wohl zu denen, die er nicht täuschen konnte.

Gut, ließ er das Versteckspiel eben. Das Grinsen ver­schwand und seine Mimik wurde völlig ausdruckslos.

„Wenn du es ehrlich willst, wirst du mich nie wieder la­chen sehen.“

Nadja bereute ihre harten Worte. „Nein, so hab ich das nicht gemeint ... Ich dachte ja nur ... Ich habe dich, seit du hier bist, noch nie glücklich gesehen. Oh, Mist. Ich rede ein Blech zusammen!“

Sie reagierte sich kurz über ein paar gestikulierte Zornes­ausbrüche ab und stapfte dabei durch den Raum. Deacon be­obachtete sie verwundert.

„Wo bist du schon alles gewesen, Deac?“, wirbelte sie mit einem flotten Themenwechsel zu ihm herum. „Hast du viel von der Welt gesehen?“

Ein kleines Schmunzeln konnte er nicht verbergen. Was für ein quirliges Ding.

„Ich habe allerhand gesehen. Und noch vieles mehr, was ich nicht sehen wollte.“

„Und wie sieht es da draußen aus?“

Mit einem Ächzen warf er einen Blick über den Platz. „Dort, wo ich war, ist es nicht anders gewesen als hier. Dersel­be Sand, die gleiche Armut und Städte aus Glas und Überheb­lichkeit, die bis zum Hals im Müll versinken. Wenn ich mal weiterziehe, werde ich auch wieder nur das finden. Selten ist es besser, oftmals schlechter.“

„Und von dort, von wo aus du losgegangen bist ... Hast du Familie zurückgelassen? Deine Eltern oder Geschwister? Oder eine Freundin?“ Die letzte Frage deutete sie leicht schelmisch an.

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Da war niemand. Wenn du nur unterwegs bist, willst du keinem das Herz brechen. Und bevor es so weit ist, dass dich jemand vermissen könnte, soll­test du gehen.“

„Klingt einsam ... Du wirst also auch wieder fortgehen?“

„Eines Tages bestimmt. Und vielleicht schon heute, wenn eure Tante mich verjagt.“

Sie trat näher an ihn heran und fasste seine Hand. „Ach, du kannst gern noch bleiben. Zumindest, bis du wieder gesund bist. Und eher lasse ich dich auch nicht weg.“

„Ich mag dich nicht, Junge.“ Tesla schaute ihn grimmig aus zusammengekniffenen Augen an. All ihre Falten verwandelten sie in das menschliche Abbild einer fleischfarbenen Bulldog­ge.

Deacon lächelte etwas gequält und zuckte die Schultern. „Na ja, kann man nicht viel machen.“

Die alte Frau umkreiste ihn. Um sie beide herum standen Ted, Nadja und weitere Bewohner der Siedlung und warteten die Betrachtung des Fremden ab. Viele nickten bei Teslas Ur­teil und stimmten ihr zu, während sie Deacon von oben bis un­ten musterte. Mit ihren Gichtfingern zupfte sie an seiner Klei­dung, seinen Haaren, tastete nach seinem Gesicht und den Händen. Ihre Laune besserte sich kein Stück.

„Nein, du bist ein absonderlicher Kerl. Ich sehe es in dei­nen Augen.“ Sie starrte ihn erbarmungslos an, als wollte sie ihn einschüchtern. „Deine Augen sagen mir, dass du etwas im Schilde führst. Mehr als deinen Namen nennst du nicht. Kommst von nirgendwo, gehst nach nirgendwo. Du verbirgst etwas vor uns. Ich sehe in dir Dunkelheit und Leere. Du bist ein böser Mensch.“

Erstaunt hob er die Augenbrauen. Sagte sie das nur, weil sie ihn nicht leiden konnte? Oder sah diese Hexe wirklich mehr als andere? Gut, das Böse war Ansichtssache ...

„Schau nicht so!“, bellte die Alte daraufhin. „Hast du kei­nen Respekt?

Ich habe schon genug solche Männer wie dich kennenge­lernt. Ihr streift durch die Welt und drückt euch vor ehrlicher Arbeit und Verantwortung. Erst macht ihr euch in einer Grup­pe breit, lebt dort wie die Made im Speck, und wenn es euch zu bunt wird, haut ihr ab und sucht euch die nächsten armen Trottel, die euch aushalten. Männer wie du sind Faulpelze, die das Mitgefühl der anderen ausnutzen. Deine Hände haben noch nie für das Wohl deiner Mitmenschen geschuftet. Du hast noch nie etwas Sinnvolles zustande gebracht. Du bist nur weg­gelaufen!“

Okay, sie hasste ihn. Hielt ihn für einen Taugenichts und Vagabunden. Zum Glück reichte nichts an die Wahrheit heran. Gegen die Anschuldigungen sagte er nichts. Besser so. Bevor ein Streit vom Zaun brach, indem er sich schönredete, gab er lieber schweigsam alle Lüge zu und ließ diese Xanthippe wei­ter in ihrer Wahnvorstellung.

„Einen Strauchdieb füttern wir hier nicht durch!“, verdeut­lichte Tesla ihm erneut. „Du stehst wieder auf eigenen Beinen, also kannst du entweder deiner Wege weiterziehen oder du ar­beitest hier, solange du in unserer Gemeinschaft lebst. Hast du verstanden?“

Deacon nickte. „Ja, das habe ich. Ich werde versuchen, mich einzubringen.“

„Versuchen reicht nicht! Du bist ein junger, kräftiger Bur­sche, also stell dich nicht so an!“

Oh, mit der hatte er seine Not.

Zu ihren Ziehkindern sprach die Älteste im selben rauen Ton: „Ihr zwei habt diesen Herumtreiber aufgelesen! Kümmert euch darum, dass er sich nützlich macht! Und ich will kein Wort davon hören, dass der weiter auf der faulen Haut liegt!“

Die Geschwister konnten nichts erwidern, denn mit einem schlimmen Keuchhustenanfall kehrte Tesla zu ihrer Hütte zu­rück und verschwand hinter der Tür. Für sie und die restlichen Versammelten war das Gespräch vorbei und die Menschen­traube löste sich unter Gemurmel auf.

Wieder fühlte Deacon schlechte Blicke im Genick und er zog den Kopf zwischen die Schultern.

Ted klopfte ihm auf den Rücken. „Mach dich nicht rund deswegen. Die runzlige Gewitterziege lässt an niemandem ein gutes Haar. Du bist neu, also ein gefundenes Fressen.“

Nadja sprach ihm gut zu: „Wenn du bewiesen hast, was du kannst, wird sie dich nicht mehr so scharf angehen. Das wird noch.“

„Na ja, wenn ihr meint ...“ Deacon war da nicht so sicher.

„Besorgen wir dir ma’ ’nen Arbeitsplatz“, war Ted opti­mistisch. „Bloß nichts Anstrengendes. Die Trude glaubt zwar, dass du Bäume ausreißen kannst, aber deine Verletzung ist nach den paar Tagen sicher nicht so weit.“

Deacon nickte dankend.

Schlussendlich, nachdem die Bauern, Putzer, Bauarbeiter, Wä­scher, Müllhändler, Feuermacher und selbst die Lumpen­sammler ihn abgeschrieben hatten, weil sie Deacon wie Tesla nicht über den Weg trauten und der sich auch zu zögerlich an­gestellte, fanden sie eine Funktion als Aushilfe in der Gemein­schaftsküche.

Madeleine, die stark korpulente Köchin mit der tiefen Stimme und dem Armeebefehlston, scheuchte „das lange Elend“, wie sie Deacon nannte, gleich zu einem rostigen Spül­becken, neben dem die angeschlagenen Teller zu Türmen auf­stapelt standen. Danach sollte er die Kessel schrubben, die vie­len Tische im Essbereich abwischen, den Boden kehren und Rattenfallen aufstellen.

Arbeiten, als wäre er ein Mensch, war ihm irgendwie un­angenehm. Leider war gute Tarnung alles. Vor allem, wenn er in Wirklichkeit ein Wesen war, welches allgemein als Mythos abgestempelt wurde. Ohne zu nörgeln, nahm er Madeleines Anordnungen entgegen und hoffte jedes Mal, mit seiner über­menschlichen Kraft nichts dabei zu zerstören. Wenn dieser Panzer von Frau ungehalten aufbrauste, wollte er nicht in der Nähe sein.

Als an seinem ersten Arbeitstag die Abenddämmerung ein­setzte, entließ ihn seine neue Herrin mit der Warnung, dass, wenn er morgen nicht vor Sonnenaufgang vor ihrer Tür stän­de, es gewaltigen Ärger geben würde.

Selbstverständlich verpflichtete er sich.

Die Geschwister warteten geduldig auf ihn. Ihre Beschäfti­gungen als Jäger und Sammler schienen ihm zwar weniger an­strengend als der Küchenjob, jedoch wollte er nicht schimp­fen.

„Nun, Sklave? Wie war’s?“, nahm Ted ihn auf den Arm.

Deacon kratzte leicht die eigene Wange. „Meine Gesund­heit scheint es zu verkraften.“

„Maddie meint es nicht böse mit dir“, sagte Nadja freund­lich. „Sie hat zwar eine sehr dicke Schale, aber ein butterwei­ches Herz. Außerdem mag sie dich.“

„So? Komische Art, das zu zeigen.“

„Jedenfalls mehr als die meisten, glaube ich.“

Super.

Mit schwarzen Flügeln

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