Читать книгу Wintercount - Dämmerung über dem Land der Sioux - Dallas Chief Eagle - Страница 12
ОглавлениеEIN UNBEFOLGTER RAT
Die Eingangsklappe von Chiefeagles Behausung war geschlossen und verankert worden, denn die Leute sollten wissen, dass sie das Familienoberhaupt und seinen Enkel nicht stören durften. Eine wichtige Besprechung wurde darin abgehalten, denn Keyaschante suchte den Rat eines Älteren, der über mehr Weisheit als er selbst verfügte.
„Deine Ankunft hier hat mich sehr erfreut, mein Sohn, aber das Wissen um Tscheyesa-win betrübt mein Herz. Ich habe dafür gesorgt, dass die anderen Stämme von ihrem Verschwinden benachrichtigt werden. Sie wird gefunden werden. Gib die Hoffnung nicht auf. Wir müssen geduldig und stark sein und darauf warten, dass wir ein Lebenszeichen von ihr erhalten.“
Chiefeagle sprach auf eine Weise, als wolle er die Angst eines Kindes zerstreuen. „Du bist zu mir gekommen, um meinen Rat zu hören und dies werde ich nun versuchen.“
Chiefeagle nahm seine Pfeife aus dem reich mit Perlen verzierten Tabaksbeutel und stopfte sie bedächtig mit indianischem Tabak. Seine Hand zitterte, als er nach einem trockenen Zweig griff und dessen schmaleres Ende in das heiße, niedrig brennende Feuer hielt. Er wartete einen Moment, dann entzündete er den Inhalt der Pfeife. Als der Häuptling einen tiefen Zug nahm und den Rauch in einer großen Wolke entließ, wirkte er auf Keyaschante wie ein alter, müder Mann.
„Das ist gut so! Es ist dein Vorrecht und es zeigt, dass dein Verstand groß genug ist, das aufzunehmen, was ich dir zu sagen habe. Denke immer daran, dass dein Verstand wie ein Tipi sein sollte. Lass die Klappe am Eingang offen, so dass immer frische Luft hereinkommen kann, um den Rauch der Verwirrung hinauszuwehen.“
Er lehnte sich vor, schaute Keyaschante mit einem stechenden Blick in die Augen; dann nahm er noch einen Zug von der Pfeife, ehe er fortfuhr. „Mein Enkel, du bist von meinem Blut und ich werde die Last, die auf deinen Schultern liegt, mit dir teilen. Du musst bereit sein, deinen tiefen Schmerz mit mir zu teilen und deshalb bist du nun hier.“
Diesmal nahm der alte Mann mehrere Züge aus seiner Pfeife und blickte nachdenklich dem Rauch hinterher, der zur Spitze des Tipis hinaufwirbelte.
Weisheit spricht nicht aus der Hast heraus und so nahm er sich Zeit, um seine nächsten Worte zu bedenken. „Du, mein Junge, musst nun lernen, dass alles, was für uns von Wert ist, nicht unbedingt leicht zu erringen ist, und dass die Qualen des Verstandes und des Herzens das ganze Leben hindurch ertragen werden müssen.“
Es folgte noch ein Zug aus der Pfeife, als müsste er sich vergewissern, dass sie noch brannte. „Keyaschante…. das Oberhaupt aller, das Große Mysterium, hat die Natur in aller Stille für uns erschaffen, so dass wir sie nutzen und beschützen mögen. Aber die Natur zwingt uns auch, gemäß ihren Gesetzen zu leben. Das muss einfach so sein. Deshalb sind wir die Teton Sioux – die Leute, die ihr Lager aufschlagen.“
„In diesem, unserem Leben können wir sagen, dass wir Menschen sind, die sich auf einem Weg befinden! Wenn wir all unsere Leben zu einem einzigen scharfen Gedanken zusammenfassen, dann wirst du wissen, dass wir das Leben nur streifen, ehe wir die ewigen Jagdgründe unserer Vorfahren erreichen!“ Die Worte von Chiefeagle waren langsam und bedächtig.
Für Keyaschante klangen die nächsten Worte, die er hören sollte, mehr nach einem Befehl als nach einem Ratschlag.
„Mein Enkel, bleibe hier und warte auf Tscheyesa-win. Du musst auf ihre Rückkehr warten. Das scheint deine Bestimmung zu sein.“
„Warten?! Hier bleiben und warten?“ Fast schrie Keyaschante diese Worte.
„Hier zu bleiben würde gleichsam bedeuten, an Untätigkeit zu sterben. Lieber sterbe ich, während ich tatsächlich etwas tue.“
Chiefeagle hob seine Hand und bedeutete ihm zu schweigen. „Jawohl, warten! Du musst warten! Falls sie am Leben ist, wird sie zurückkehren. Falls nicht, erinnere dich immer daran, dass dieses Leben nur der Weg zu einem besseren ist.“
Als der alte Mann fortfuhr, sprach er im strengen Tonfall und mit knappen Worten. „Geh hinaus und wandere über die Erde dieses Lagers, bis du über die Dinge nachgedacht hast, die ich dir gesagt habe. Wenn du dir über deine Gedanken klar geworden bist, kehre zurück. Was immer du dann sagen wirst - ich werde zuhören. Aber nun muss ich gehen, um die anderen im Zelt von Red Cloud zu treffen.“
Chiefeagles Leute bewohnten den äußersten nordöstlichen Teil des Lagers. Sie lebten am weitesten vom Ratsfeuer entfernt, da sie die Einladung hierzu als einer der Letzten erhalten hatten.
Die Vertreter fast aller Stämme der Teton Sioux waren selbst von weit her zu dieser Versammlung herbeigeeilt, denn sie waren von Red Cloud auserwählt worden, um sich mit den Männern der Regierung zu treffen. Oglalas, Hunkpapa, Miniconjou, Sans Arc, Brulé, Blackfoot; alle waren da. Selbst ein paar Yankton und Santees vom östlichen Zweig des Sioux-Volkes waren anwesend, ebenso wie ein paar Cheyenne und Arapaho.
Jeden Abend rief Chiefeagle die Männer seines Stammes zusammen, um ihnen die Einzelheiten mitzuteilen, die an diesem Tag in der Ratsversammlung besprochen worden waren. Noch am ersten Tag versammelten sich alle Mitglieder des Stammes in der Nähe von Chiefeagles Zelt, um seinen Worten zu lauschen. Doch als die Tage sich hinzogen, verloren sie zunehmend ihr Interesse und verließen sich darauf, dass die Ältesten sie informieren würden.
Am späten Nachmittag des siebten Tages kam Chiefeagle mit gesenkten Schultern in sein Zelt. Besorgt und müde ging er zu dem wartenden Keyaschante hinüber. Für Keyaschante schien der Großvater um Jahre gealtert zu sein. Er stand auf, um den alten Mann beim Hinsetzen zu helfen.
Großvater Chiefeagle seufzte und sagte mit belegter Stimme:
„All unsere Gespräche sind heute zu einem Ende gelangt. Wir können deren Papier nicht unterschreiben, und sie weigern sich, unseren Standpunkt zu verstehen. Die Weißen haben uns angeboten, unser Land für eine große Summe dessen zu pachten, was sie Geld nennen. Aber Geld bedeutet gar nichts! Die Paha Sapa sind alles.“
Er lehnte sich gegen seine Rückenstütze und begann ärgerlich an dem Büffelfell, auf dem er saß, zu zupfen, „Einige unserer Häuptling sehen das Angebot des weißen Mannes als gut an. Aber ich kann nicht für meine Leute unterschreiben, damit sie auf eine Reservation gehen, wenn ich genau weiß, dass sie innerhalb weniger Winter verhungern würden! Die meisten anderen Häuptlinge sind der gleichen Meinung. Die Weißen sind sehr wütend. Sie denken, dass wir ohne Verstand und selbstsüchtig sind.“
Er seufzte vor Kummer.
„Ich sehe unglückliche Jahre auf die Sioux zukommen. Die weißen Männer werden ihren Ärger die nächsten Jahre an uns auslassen. Wir müssen zu dem Heiligen Mysterium beten und darum bitten, dass uns der weiße Mann eines Tages verstehen wird; dass die Saat ihres Verstandes erwachen und wachsen wird. Ich muss gehen und meine Männer davon in Kenntnis setzen, was besprochen wurde.“
Keyaschante half seinem müden Großvater auf die Beine, legte ihm die Hände auf seine dünnen Schultern und sprach mit großem Bedauern:
„Ich muss dich verlassen, Großvater. Du kannst sehen, dass ich mein Herz auf der Stirn trage, sodass es jeder erkennen kann. Ich fühle mich nun stark genug, um mit meiner Reise zu beginnen und ich habe mich endgültig dazu entschieden. Der einzige Grund, warum ich solange gewartet habe, ist der, dass ich dich bei deinen Verhandlungen mit Red Cloud und den anderen unterstützen wollte. Ich weiß, dass ich an deiner Seite bleiben sollte, aber ich brenne darauf, endlich aufzubrechen.“
Chiefeagle stand mit gesenktem Haupt da, als Keyaschante den Vorhang aus Tierhaut öffnete und dann verharrte, um ein letztes Wort zu sprechen. In diesen schlechten Zeiten, in denen sich alle jungen Krieger versammeln sollten, um die Sioux zu verteidigen, war es Chiefeagle unmöglich, Keyaschantes übereilten Entschluss gutzuheißen.
Doch die Weisheit des Alters konnte der Ungeduld der Jugend keinen Einhalt gebieten, und er unternahm keinen Versuch, seinen impulsiven Enkel aufzuhalten. Sein gleichmütiges Gesicht zeigte keinerlei Gefühlsregungen, doch als Keyaschante seinen Großvater zum letzten Mal anschaute, spiegelte sich in dessen Augen die Trauer seines Herzens wider.