Читать книгу Wintercount - Dämmerung über dem Land der Sioux - Dallas Chief Eagle - Страница 13
ОглавлениеMORD
Von der Sehnsucht nach Tscheyesa-win getrieben, durchstreifte Keyaschante die Einsamkeit der Berge und Prärien. Einmal wurde ihm dabei von einer hellhäutigen Frau berichtet, die irgendwo im Norden bei einem Indianerstamm leben sollte. Er folgte dieser Spur, nur um herauszufinden, dass sie ein Halbblut war. Entmutigt, aber noch immer voller Hoffnung, machte er sich in der anderen Richtung auf die Suche.
Das sehnsüchtige Verlangen nach Tscheyesa-win gestattete ihm nicht, sich für längere Zeit auszuruhen. Ehe noch die ersten Sonnenstrahlen die Erde berührten, traf er bereits seine Vorbereitungen für den Tagesmarsch. Wenn er dann den Rücken seines Pferdes bestieg, keimte neue Hoffnung in ihm auf, und jedes mal wieder sagte er: „Heute ist der Tag, an dem ich sie finden werde.“ Keyaschante war so abgelenkt von seiner Suche, dass er die nahenden Zeichen eines frühen Wintereinbruchs übersah. Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit Tscheyesa-win – und seine Gedanken schienen ein eigenes Leben zu haben.
Als einsame Gestalt auf dem Rücken seines Pferdes zog er von Lager zu Lager, bis er schließlich das gesamte Gebiet der Teton Sioux westlich des Missouri Fluss durchstreift hatte. In einigen Lagern verweilte er ein oder zwei Tage, um auf die Rückkehr einer Jagdgruppe zu warten, aber nie beteiligte er sich an irgendwelchen Aktivitäten. Manchmal gelang es einigen gutmütigen Frauen, ihn zum Verzehr einer Büffelsuppe oder einem Hasenbratens zu überreden; aber sobald die Krieger wieder zurückgekehrt waren und Keyaschante von ihnen Auskunft erhalten hatte, bestieg er wieder sein Pferd und ritt davon.
Die Frauen und alten Männer – die ihn als „Den Einsamen“ bezeichneten – bemerkten wohl die ersten Anzeichen der Fieberkrankheit in ihm, aber Keyaschante hörte nur die Worte, die er hören wollte: „Wenn wir Tscheyesa-win sehen, dann werden wir Chiefeagle eine Nachricht zukommen lassen. Sei unbesorgt, du wirst sie finden.“
Die Luft war mittlerweile eiskalt geworden, aber die Leidenschaft in seinem Herzen gab Keyaschante die Kraft, dem Eis und dem Wind der ersten Schneestürme, die über die Hochebene fegten, zu trotzen. Es waren die Strapazen der Reise und die entbehrungsreiche Nahrung, die ihn schließlich niederstreckten.
Als das Fieber in ihm aufstieg, verdrängte es den Tumult, der in seiner rastlosen Seele tobte.
Er suchte sich eine geschützte Stelle mit genügend Feuerholz und musste sich eingestehen, dass er nicht mehr die Kraft hatte, seine Suche fortzusetzen. Regungslos lag er acht Nächte in seinen Umhang eingewickelt auf der Erde, fast ohne Nahrung und Wärme, bis das Fieber sich schließlich von selbst ausgetobt hatte.
Er wischte die Spinnweben von seinem Verstand, und als er wieder klar denken konnte, bemerkte er, wie dumm er doch gewesen war, das Land ohne Plan und ohne die geringste Ahnung, wo er hätte suchen können, durchwandert zu haben.
Während all der langen Wochen, in denen er seinen Körper bis an den Rand der Erschöpfung gebracht hatte, hatte er eigentlich nur versucht, seine eigenen Qualen zu vergessen.
Warum war er nicht bei seinem Großvater geblieben, der seiner Hilfe bedurft hätte? Jegliche Nachricht von Tscheyesa-win würde ohnehin auf dem schnellsten Wege seinen Großvater erreichen. Hier, mitten in der Wildnis, konnte er sie eigentlich nur durch puren Zufall finden.
Die Entscheidung war längst getroffen, und Keyaschante machte sich auf den Weg zum Dorf seines Großvaters.
Nach Tagen fand er das Winterlager schließlich am Ufer eines Flusses und trieb sein Pony einen Abhang hinunter. Freudenrufe hallten ihm entgegen und die Menschen geleiteten ihn zur Behausung der Schwester seines Großvaters. „Hau!“, grüßte er höflich die alte Tante.
„Es ist schön, dich wieder zu sehen. Diesmal musst du aber hier bleiben, bis der böse Geist der Krankheit aus deinem Körper vertrieben wurde“, mahnte die alte Frau mit einem zahnlosen Lächeln.
„Ich bin dankbar, endlich zu Hause zu sein“, gestand der Jüngling. „Inzwischen tut es mir sehr leid, dass ich in meinen Gedanken und Handlungen so egoistisch war. Es ist schlimm, dass ich meinen Großvater verlassen habe, als er mich bei der Ratsversammlung gebraucht hätte.“
Er beobachtete das Gesicht der Frau, dessen Ausdruck sich vor Kummer verzerrte, und Verzweiflungen erfasste ihn, da er annahm, dass sie schlimme Neuigkeiten über das Mädchen erfahren hatte, das sie einst wie ihre eigene Tochter aufgezogen hatte. „Hast du etwas von Tscheyesa-win gehört?“, fragte er mit bangem Herzen.
„Nein, mein Sohn, niemand hat etwas von Tscheyesa-win gehört. Keiner der Stämme hat sie gesehen, aber wir fordern alle auf, weiter nach ihr zu suchen.“
Dinge, die dem Herzen nahe stehen, bedürfen keiner großen Worte, und so wussten sie beide, wie tief dieser Verlust den anderen getroffen hatte.
Mit den Augen einer Mutter bemerkte die alte Frau den hageren Körper und die gelbliche Gesichtsfarbe von Keyaschante.
„Irgendwie hast du dir die Krankheit des weißen Mannes zugezogen. Ich muss darauf bestehen, dass du hier bleibst, bis es dem Medizinmann gelungen ist, die Krankheit aus deinem Inneren zu vertreiben.“
„Es ist nicht die Krankheit des weißen Mannes. Diese Krankheit habe ich mir selbst zu verdanken. Indem ich das Land in allen vier Himmelsrichtungen durchkämmte, habe ich meinen Körper ausgemergelt, bis er völlig geschwächt war – nur, um mich vor meinen eigenen Gedanken zu bewahren. Aber es war der Wille des Heiligen Mysteriums, und Er hat mir gezeigt, dass ich die Erde mit blinden Augen abgesucht habe.“
Sein ureigenes Lächeln kehrte in Keyaschantes Gesicht zurück, als er fragte: „Darf ich mit meinem Großvater sprechen? Er ist von viel größerer Weisheit als ich und ich brauche seinen Rat.“
Bei der Erwähnung von Chiefeagles Namen füllten sich die Augen der alten Frau mit Tränen und mit einem erstickten Schluchzen wandte sie sich ab.
„Zwei volle Monde sind vergangen, seit dein Großvater in das Land der Ahnen gegangen ist“, flüsterte sie mit heiserer Stimme. Keyaschante starrte sie mit großen, ungläubigen Augen an.
„Nein! Nein! Nein!“ Jedes Nein hallte als noch stärkeres Echo zurück, als sein Verstand die volle Bedeutung ihrer Worte erfasste. Unwillig schüttelte er seinen Kopf bei dem Versuch, die Tränen zurückzuhalten, die selbst in dieser familiären Umgebung nicht gestattet waren. Aufgewühlt sprang er auf und stürmte aus dem Zelt. Er musste weggehen, um sich wieder in den Griff zu bekommen, konnte die Anwesenheit eines anderen Menschen nicht ertragen. Was hatte er nur getan, um derartiges Unglück über seinen Großvater zu bringen? Der Gedanke, sich selbst zu opfern, schoss durch seinen Kopf, als er blind vor Tränen aus dem Dorf stolperte.
Er lehnte sich mit der Stirn gegen die kalte Rinde eines Baumes und versuchte, die lähmende Trauer zu überwinden. Sein Großvater war tot! Die kalte Luft ließ ihn frieren und schweren Herzens entschloss er sich, zurück zum Lager zu gehen, um einen anderen seiner Verwandten aufzusuchen. Unaufgefordert trat er in das fremde Zelt ein und verlangte in brüsken Worten: „Berichte mir von meinen Großvater. Ich will alles wissen, was geschehen ist. Habe keine Furcht, es mir zu sagen.“
Die Frau in dem Zelt war über diese plötzliche Störung etwas verwundert, fing sich aber schnell wieder, als sie den Enkel von Chiefeagle erkannte.
„Ich werde dir alles erzählen. Aber warum warst du nicht hier, als es geschah?“ Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. „Du hättest viel verhindern können, aber du warst weg!“
Der Vorwurf traf Keyaschante bis ins Herz und er senkte betroffen die Augen.
Die Frau sprach nun sanfter und mit mäßigem Tonfall, sie hatte seine Reaktion sehr wohl gesehen.
„Einige der jungen Männer hatten Geister-Wasser von einem vorbeiziehenden Stamm erhalten und wurden dadurch verrückt im Kopf. Sie tranken bis spät in die Nacht und wurden sehr grob. Einige der Familienoberhäupter gingen zu Chiefeagle und beschwerten sich über die Taten der Jüngeren. Das ganze Lager war in Aufruhr. Chiefeagle war sehr verärgert und sprach harte Worte zu den Verrückten.“ Während sie diese Geschichte erzählte, hatte die Frau immer wieder Schwierigkeiten, die Tränen zu unterdrücken, die ihre Stimme erstickten.
„Am nächsten Morgen erschien Chiefeagle nicht und wir dachten, dass er sich nicht gut fühlen würde. Seine Schwester ging in sein Zelt, um zu sehen, ob er noch schliefe. Sie sagte, dass er mit mehr Fellen als üblicherweise bedeckt war und sie hatte angenommen, dass er krank wäre. Später ging sie noch einmal hinein, um ihn zu wecken, und als sie die Felle zurückschlug, fand sie deinen Großvater mit durchschnittener Kehle und herausgerissener Zunge. Deine Tante schrie vor Entsetzen und wir eilten herbei, Wirbelwind-Frau und ich. Als Rote-Feder herausfand, welch entsetzliches Unrecht geschehen war, rief er sofort eine Ratsversammlung ein. Alle Männer waren aufgefordert, dort zu erscheinen und als Zwei-Lanzen und Eiserner-Fuß nicht auftauchten, wussten wir, dass sie die Übeltäter sein mussten! Sie hatten diese Tat aus Rache begangen, weil Chiefeagle sie getadelt hatte. Auch ihre Pferde waren verschwunden und so zeigten die Ältesten des Rates mit dem Finger der Schuld auf sie und schickten die Akitschita aus, um sie zu jagen.“
Keyaschante konnte noch immer nicht begreifen, dass sein Großvater nie wieder zu ihm sprechen würde. Er dachte an die Lanze der Rache, die er nun halten musste, und fragte schroff: „Wurden Zwei-Lanzen und Eiserner-Fuß gefunden und bestraft?“
„Nein! Die Krieger des Hundebundes jagten sie viele Wochen hindurch mit ihren besten Spurenlesern, aber der Regen half den Flüchtenden schließlich zu entkommen.“
Die alte Frau versuchte ihn zu trösten: „Eines Tages wird man sie fangen, und dann müssen sie für ihre Tat bezahlen.“
„Ich werde nun die Lanze für meinen Großvater tragen. Es ist ein schlechtes Zeichen, dass unser verehrter und geachteter Anführer von seinen eigenen Leuten umgebracht wurde. Die Verantwortlichen müssen sterben wie Hunde!“
Nun erst verstand er die Prophezeiung seines Großvaters, als er gesagt hatte: „Ich sehe viele unglückliche Jahre auf die Sioux zukommen.“