Читать книгу Eine wie wir - Dana Mele - Страница 5
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ОглавлениеIch klicke hektisch auf den Link, aber die Seite ist mit einem Passwort geschützt. Rache ist süß. Jessicas letztes Projekt ist ein Rachefeldzug. Und sie beginnt ihn bei mir. Ich starte einen weiteren vergeblichen Versuch, die Seite zu öffnen, dann schiebe ich den Laptop so weit wie möglich von mir weg. Trotzdem kann ich den Blick nicht davon lösen.
Ich wünschte, Spencer hätte nicht so eine blöde Scheiße gebaut. Er ist ein genauso begnadeter Zocker wie Sportler, er hätte sich problemlos in die Seite hacken können. Ich scrolle durch meine jüngsten Anrufe. Sein Name stand nie weiter als ein Wischen nach unten in der Anrufliste und das deprimiert mich. Ich warte immer noch darauf, dass er anruft und sich wieder entschuldigt, dass er sich nach mir erkundigt, mir etwas Beliebiges erzählt, damit ich wieder an ihn denke. Aber offenbar kann ich das vergessen.
Ich werfe mein Handy aufs Bett und wende mich wieder meinem Laptop zu. Ich logge mich in das Schulnetzwerk ein und scrolle durch die Schülernamen auf der Suche nach jemandem, der mir helfen könnte. Die Bates ist eine angesehene MINT-Schule, es wird also großer Wert auf den wissenschaftlich-mathematischen Bereich gelegt und eine ansehnliche Zahl von Schülerinnen weiß zumindest ein wenig über Computerprogrammierung. Maddy, Brie und Cori absolvieren in diesen Fächern ein ziemliches Lernpensum. Ich könnte Maddy fragen – sie hat die meisten Computerkurse –, aber ich bin unschlüssig. Wegen der Drohung in der Nachricht möchte ich eigentlich nicht, dass meine Freundinnen etwas von Jessicas Projekt erfahren, ganz besonders nicht Maddy. Eigentlich wäre es mir lieber, wenn niemand darin verwickelt wird, mit dem ich näher zu tun habe. Je geringer die soziale Glaubwürdigkeit, desto besser. Nur für den Fall, dass doch etwas herauskommt und dann mein Wort gegen ein anderes steht.
Nola Kent. Neben dem Namen ist ein kleiner grüner Punkt, also ist sie online. Ich zögere, bevor ich ihr eine persönliche Nachricht schicke. Vor zwei Jahren, als Nola an diese Schule gewechselt ist, waren Tai, Tricia und ich ziemlich gemein zu ihr. Vor allem hinter ihrem Rücken. Wir haben uns einen gut gewählten Spitznamen ausgedacht und ein oder zwei Gerüchte gestreut. Aber das ist ewig her. Ihr wäre es wahrscheinlich sogar peinlicher als mir, wenn ich sie darauf ansprechen würde. Ist ja nicht unsere Schuld, wenn sie sich wie eine Mischung aus Bestattungsunternehmer und Mörderpuppe anzieht. Und sie war seitdem bei ein paar Fußballspielen, also gehe ich mal davon aus, dass sie nicht mehr sauer ist.
Hey, bist du da? Ich drücke auf Enter und warte.
Ihr Klassenfoto taucht auf, zusammen mit Auslassungspunkten, also antwortet sie. Sie ist ziemlich klein und wirkt irgendwie verwahrlost mit ihren dicken, langen Haaren, die ihren übrigen Körper zu erdrücken scheinen. Ihre Haut ist porzellanweiß und sie hat hellblaue Augen, die so rund sind, dass sie immer irgendwie abwesend wirkt. Das erste Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an Nola Kent denke, ist nichtssagend. Sie hat einfach nichts Besonderes an sich, zumindest dachten wir das, als wir anfingen, sie zu verarschen. Doch wie sich herausstellte, hat sie doch äußerst nützliche kleine Eigenschaften. Sie kann zum Beispiel echtes Chaos bei Programmen und Computersystemen anrichten.
Hi.
Ich habe ein Problem, ich komme nicht auf eine Website.
Passwortgeschützt?
Ja.
Hast du das Passwort?
Nein.
Solltest du es haben?
Ist eine lange Geschichte.
Erzähl sie mir.
Ich seufze. Ich muss wissen, was Jessica gegen mich in der Hand zu haben glaubt und was sie mit Feinden und Rache meint. Nola ist meine beste Chance, das herauszufinden, ohne die Informationen an die große Glocke zu hängen.
Treffen wir uns.
Wo in dem Gewimmel?
Bibliothek.
In fünf Minuten.
Ich nehme den Hintereingang des Wohnheims, um dem Menschengedränge zu entgehen, und laufe den Hügel zur Bibliothek hinunter. Die Luft riecht nach Holzrauch und Apfelwein, genau wie es an einem frühen Novembersamstag sein sollte. Die Stimmen der Reporter und Trauernden wehen von der Vorderseite des Gebäudes herüber. Einige haben begonnen, Hymnen zu singen, während andere sich weiter unterhalten. Es klingt wie eine Mischung aus Trauerfeier unter freiem Himmel und riesiger Parkplatz-Party. Das Ganze ist plump und bizarr und gruselig. Abseits der Trauergesellschaft sind nicht besonders viele Schülerinnen zwischen den Wohnheimen und dem Schulinnenhof unterwegs. Ich werde langsamer und kicke nachdenklich tote Blätter vor mir her. Heute sollte eigentlich ein großer Tag werden. Training bis fünf, Abendessen mit Brie und Justine, und dann wollten wir eine endgültige Entscheidung treffen, ob man Spencer je wieder vertrauen kann. Ich meine, die Antwort ist eigentlich ziemlich offensichtlich. Laut Justine, einer äußerst verlässlichen Gerüchtequelle an der Easterly, hat er mich mit einer Bates-Schülerin betrogen, und zwar in dem Café, wo wir uns zu unserem ersten offiziellen Date getroffen haben. Aber Menschen ändern sich. Jeder hat in der Vergangenheit Dinge getan, die er oder sie bereut. Heb die Hand, wenn das bei dir nicht der Fall ist. Yeah …
Ich gehe die Treppe zur obersten Etage der Bibliothek hinauf, weil dort die geringste Wahrscheinlichkeit besteht, dass ich jemandem begegne. Dann sende ich Nola eine Nachricht, dass ich da bin. Die oberste Etage ist absolut retro. Hier gibt es VHS-Kassetten, Mikrofilme und altmodische Karteikarten. Aber das alles muss irgendeinen Wert haben, sonst hätte die Schule den Kram schon längst ausrangiert. Im Grunde ist es ein Friedhof für alte Medien, und ich bin ziemlich sicher, dass uns hier oben niemand stören wird. Ich finde einen bequemen, von Motten zerfressenen grünen Cordsessel, der bestimmt genauso alt ist wie die VHS-Sammlung, mache es mir darin bequem und öffne den Laptop auf meinem Schoß.
»Hi.«
Mir entfährt ein leiser Schrei. Nola hockt auf einem Bücherregal direkt über meinem Kopf und ist ganz in Schwarz gekleidet wie ein verdammter Rabe.
»Was machst du da oben?«
Sie springt flink herunter, schiebt das Kinn über meine Schulter, streckt ihr knochiges Handgelenk aus und beginnt auf meiner Tastatur zu tippen. »Auf dich warten, Lahmarsch.« Sie stößt mich mit der Schulter an, bis ich auf dem Sessel Platz für sie mache und ihr den Computer ganz überlasse.
Nachdem sie einen genaueren Blick auf den Racheblog geworfen hat, richtet sie ihre riesigen Augen auf mich. »Warum stalken wir ein totes Mädchen?«
Ich rutsche unbehaglich auf dem Sessel hin und her. Für jemanden, den ich kaum kenne, ist diese Sache viel zu vertraulich. Jetzt kommt die Idee sogar mir völlig bescheuert vor. »Wie ich schon sagte, lange Geschichte. Vertrau mir einfach, denn es ist wirklich wichtig, dass ich Zugang zu dieser Website bekomme.«
Sie kneift die Augen zusammen. »Warum?«
Ich zögere einen Moment. Jessica hat geschrieben, dass ich nicht zur Polizei gehen soll. Von Nola Kent war nicht die Rede. »Jessica hat mich darum gebeten.«
Sie hält kurz inne. »Wart ihr befreundet?«, fragt sie dann.
Es gibt Momente, da muss man lügen. »Irgendwie schon, aber wir waren nicht die besten Freundinnen.«
»Warum hat sie dir das Passwort nicht gegeben?«
»Hör zu, ich muss einfach wissen, was auf dieser Website ist. Jessica hat mir eine Nachricht hinterlassen und ich habe sonst keine Möglichkeit, darauf zuzugreifen. Es sind im Grunde ihre letzten Worte.«
Sie klappt meinen Laptop zu. »Das klingt nicht sehr überzeugend.«
»Was willst du?«
»Du hast kein Geld.« Das sagt sie völlig sachlich. In einem herablassenderen Tonfall hätte es mich weniger getroffen.
»Und du brauchst keins«, sage ich. Das stimmt. Sie ist wie die anderen. Sie zieht sich vielleicht nicht so an und verhält sich nicht so wie sie, aber ihre Familie gehört ebenfalls zum alten Geldadel Neuenglands.
Meine Worte scheinen sie überrascht zu haben, denn es dauert einen Moment, bevor sie etwas erwidert. »Hol mich in dein Team, wenn ihr wieder spielen dürft.«
Mir fällt die Kinnlade herunter. »Aber … du warst noch nie bei einem Probetraining.«
Sie zuckt mit den Schultern, ihr Gesicht ist völlig ausdruckslos. »Ich habe nicht gesagt, dass mich Fußball interessiert. Ich sagte, ich will ins Team.«
Ich starre sie an. »So viel Einfluss habe ich nicht. Der Trainer trifft solche Entscheidungen.«
Sie glaubt mir kein Wort. »Du hast genügend Einfluss.«
»Ich müsste eine Spielerin rauswerfen, die wirklich hart dafür trainiert hat, um ins Team zu kommen.«
»Tja«, sagt sie gedehnt. »Das ist die Wahl, die ich dir überlasse.«
Ich denke darüber nach. Ich habe tatsächlich genügend Einfluss. Als Kapitänin leite ich das Team. An der Bates ermuntern Lehrer und Trainer die Schülerinnen dazu, die volle Verantwortung und Leitung zu übernehmen. Ich hasse die Vorstellung, eine Mitspielerin rauszuschmeißen, die ihren Platz verdient hat. Andererseits brauche ich Nolas Hilfe. Widerwillig gebe ich ihr meine Hand, die sie mit kühlen Fingern schüttelt.
»Ausgezeichnet«, sagt sie. »Ich wollte schon immer cool sein.« Sie grinst mich spöttisch an. »Ich kann doch jetzt cool sein, richtig?«
Ich überlasse ihr meinen Laptop. »Schließ bloß keine Anwendungen.«
»Schon kapiert.« Sie öffnet den Deckel und tippt drauflos. Dann startet sie einen Download.
»Hey!« Ich will mir den Computer schnappen, aber sie zerrt ihn aus meiner Reichweite.
»Entspann dich. Ich mache dein steinaltes Betriebssystem schon nicht kaputt. Ich lade nur ein Programm herunter, das ich ständig benutze und mit dem man echt gut Passwörter knacken kann. Jessica war eine ziemlich raffinierte Programmiererin, aber der menschliche Verstand kann sich nur so viele Kombinationen ausdenken …«
»Kanntest du sie?«
»Aus dem Informatikkurs. Hab nie mit ihr gesprochen.« Sie öffnet das Programm und tippt wie wild, dann sieht sie mich triumphierend an. »Siehst du?«
Das Wort L@br@d0r ist auf dem Bildschirm markiert.
Ich starre sie an. »Kannst du mein Passwort auch so leicht herausfinden?«
Sie gibt mir den Laptop zurück. »Das willst du bestimmt nicht wissen.«
Ich klicke wieder auf den Blog und gebe das Passwort ein. Der Backofen öffnet sich und in seinem Inneren taucht erneut die Überschrift der Seite in verbrannten roten Buchstaben auf: Rache ist süß: Eine köstliche Anleitung zum Beseitigen von Feinden. Ich klicke auf den Titel und darunter erscheinen sechs Kategorien: Vorspeise, erster Gang, Hauptgang, Zwischengang, Beilage, Dessert. Ich klicke auf Vorspeise. Die Abbildung eines verbrannten Tennisballs mit einem Rezept für Tai Burned Chicken taucht auf. Gleichzeitig erscheint ein Backofen-Timer, der auf 24:00:00 eingestellt ist und sofort abwärts zu ticken beginnt. Ich klicke auf den Timer, aber es gibt keine Möglichkeit, ihn anzuhalten oder die Zeit zu ändern.
Nola versucht es mit ein paar Befehlen und zuckt dann mit den Schultern. »Vielleicht bleibt der Link nur vierundzwanzig Stunden aktiv?«
Ich weiß genau, was dahintersteckt. Es ist die Zeit, in der ich die Aufgabe erfüllen muss.
Ich klicke auf die nächste Kategorie, bekomme aber nur eine Fehleranzeige: Ofen bereits in Betrieb. Küche erst wieder verfügbar, wenn der Timer zurückgesetzt ist.
»Wie entzückend«, sagt Nola.
Als ich mir das Rezept genauer ansehe, wandern meine Mundwinkel nach oben. Das muss ein Scherz sein.
Tai Burned Chicken
Nimm ein Hühnchen, weiß und rot
Mock, mock, verspotte es bis zum Tod
Brandmarke es mit 3,5 im Schnitt
Verbrenn es lebendig Schritt für Schritt
Stopfe es mit Scharapowas Skandal
Sieh es an und erkenn das Flammenmal.
Nola schaut mich aus den Augenwinkeln an. »Ich bin kein Meister der poetischen Bildsprache, aber es sieht fast so aus, als hätte Jessica irgendwelche großen Pläne mit Tai Carter. Was hat Tai ihr getan?«
Ich runzele die Stirn. »Ich glaube nicht, dass sie sich wirklich kannten.« Als wir die Leiche gefunden haben, wusste Tai nicht mal ihren Namen. Wie sehr kann man jemanden verletzen, dessen Namen man nicht kennt?
Nola zuckt mit den Schultern. »Von Gedichten bekomme ich Migräne. Alles bedeutet immer irgendwas anderes. Zumindest wenn es nach Mr Hannigan geht. Vielleicht sehen wir uns das Ganze mal im Hannigan-Stil an und beginnen mit der Überschrift.« Sie fährt mit dem Finger unter den Zeilen entlang und ahmt dabei den leicht singenden irischen Tonfall unseres Englischlehrers nach. Schade, dass sie nicht seine markanten, attraktiven Gesichtszüge hat, denn das würde die verstörende Metaphorik vielleicht etwas abmildern. Ihre Finger sind schlank und zierlich und ihre Nägel in einem glänzenden Auberginenfarbton lackiert. Während sie auf den Bildschirm starrt, lässt das bläuliche Licht, das von meinem Laptop ausgeht, sie noch blasser und dünner erscheinen.
»Tai Burned Chicken«, liest sie vor. »Eigentlich müsste es Thai geschrieben werden, es sei denn, es ist wirklich das Mädchen gemeint. Burned. Es geht um Essen, aber auch um Rache, richtig? Und Chicken. Wieder Essen, aber das könnte sich auch auf einen Feigling beziehen.«
»Tai ist kein Feigling«, sage ich.
Sie sieht mich interessiert an. »Ach ja?«
Ich habe null Bock, meine Freundinnen ausgerechnet vor Nola Kent zu verteidigen. »Vertrau mir.«
Nola wirkt enttäuscht. »Okay«, erwidert sie und verdreht übertrieben die Augen. »Ich vertraue dir.« Sie geht zur nächsten Zeile. »Nimm ein Hühnchen, weiß und rot. Offensichtlich die Schulfarben der Bates. Mock, mock, verspotte es bis zum Tod. Na ja, ich kenne Tai nicht so gut wie du, aber hat deine Busenfreundin nicht den Ruf, eine Klugscheißerin zu sein?«
Ich grinse. »Das stimmt.« Tai ist nicht nur witzig, sie ist auch unverblümt clever. Das macht es noch peinlicher, wenn sie ihr Augenmerk scharf auf jemanden richtet. Sie wird die nächste Tina Fey oder Amy Schumer, daran besteht kein Zweifel. Tina Fey hat sogar zugegeben, dass sie in der Highschool gemein zu anderen war. Natürlich würde ich Tai nicht als gemein bezeichnen. Die Wahrheit tut nur manchmal weh, besonders wenn die Leute darüber lachen. Und Tai macht dabei keine Unterschiede. Jeder bekommt sein Fett weg. Ich bin die berüchtigte Ausborgerin. Damit gängelt sie mich. Eine eisige Welle der Übelkeit erfasst mich jedes Mal, wenn sie mit der Ausleihmasche anfängt, aber jeder kriegt, was er verdient. Die anderen haben gelacht, als ich Lada Nikulajenko den Spitznamen Hodor verpasst habe, weil sie über eins achtzig groß ist und so schüchtern, dass man nie ein Wort von ihr hört, außer wenn sie die Lehrer bei der Aussprache ihres Namens korrigiert. Aber das konnte ich nur tun, weil ich mir auch jedes Mal ein Lächeln abringe, wenn Tai darauf herumreitet, dass ich mir die geborgten Klamotten selbst nie leisten könnte. Es geht immer in beide Richtungen. Fair ist fair.
»Da ist auch noch diese unerträgliche Mock-mock-Sache«, fügt Nola hinzu, »wie bei Henry V, auf dem Hannigan letzten Monat so herumgeritten ist. Dabei geht es um Tennisbälle, stimmt’s?«
»Oh mein Gott!« Vor Prüfungen pauke ich immer wie verrückt und dann verschwinden die Informationen aus meinem Hirn, aber Shakespeare hat tatsächlich einen Dialog geschrieben, in dem er das Wort mock wiederholt benutzt, um das Aufprallen eines Tennisballs auf dem Platz zu imitieren. »Also vermute ich mal, dass Jessica Gedichte mochte.«
»Oder sie mochte Mr Hannigan«, sagt Nola und zieht neckisch eine Augenbraue hoch.
»Stopp!« Plötzlich schäme ich mich dafür, dass wir so zwanglos über Jessica reden, als wäre sie eine Klassenkameradin, über die wir ablästern. Was wäre, wenn sie sich wirklich in einen Lehrer verliebt hätte? Hannigan wäre die erste Wahl, wenn man sich einen aussuchen müsste. Er ist seit diesem Jahr neu an der Bates, extrem attraktiv und flirtbereit. Es gab Gerüchte, dass mit einer Schülerin sogar mehr als ein Flirt gelaufen sei, aber keine Beweise. Ich glaube es auch nicht. Aber diese Betonung …
Ich wende mich wieder dem »Rezept« zu und lese die nächste Zeile. »Brandmarke es mit 3,5 im Schnitt. Das ist Tais Notendurchschnitt.« Das weiß jeder. Die Durchschnittsnoten hängen in der Großen Halle aus, um uns zu motivieren Schrägstrich uns zu blamieren.
»Verbrenn es lebendig Schritt für Schritt«, fährt Nola fort. Sie schaut mich an.
»Verbrennen. Beleidigen. Tais Spezialgebiet. Die Linie zwischen witzig und verletzend wird verwischt.«
»Wie unterscheidet sich eine Beleidigung von Spott?«
»Bei der Spott-Zeile geht es um Sport. Verbrennen ist tödlich.«
»Und dann ist da noch Scharapowas Skandal. Das klingt wie schlechtes Laientheater.«
»Ernsthaft? Marija Scharapowa ist ein Tennis-Superstar. Vor ein paar Jahren gab es einen Riesenskandal, als sie wegen Dopings gesperrt wurde. Aber es ist kompliziert, weil das Mittel, das sie genommen hat, ein zugelassenes Medikament war.«
»Wie auch immer, ist mir scheißegal. Mir sagt das nur, dass deine Freundin Tai es offenbar wie Scharapowa gemacht hat. Die Frage ist nur, woher Jessica das wusste.«
»Also, falls das wahr ist, hätte sie sich nur in Tais E-Mail-Account hacken müssen, um alles zu erfahren, was Tai dort jemals erwähnt hat, richtig?«
Tanze, als würde dich niemand sehen.
Nola nickt. »Jess war eine solide Programmiererin. Diese Computertrainingsprogramme, die sie entwickelt hat, waren legal.«
»Aber ich glaube nicht, dass Tai so etwas tun würde. Eine wie wir nimmt keine Drogen. Das wäre automatisch ein Schulverweis.«
Nola schenkt mir ein leicht verächtliches Lächeln. »Eine wie ihr?«
Ich spüre, wie meine Wangen warm werden. »Tai könnte eines Tages Profi werden. Meine Freundinnen und ich haben eine Menge zu verlieren.«
»Wie trostlos, immer etwas darstellen zu müssen«, sagt Nola.
Ich denke an meinen Bruder. Nachdem er gestorben war, konzentrierten sich die Zeitungsartikel auf seine sportlichen Leistungen, aber sie gingen nicht darauf ein, was für ein Mensch er war, im Guten wie im Schlechten. Megans Tod wurde ganz anders behandelt. Sie war keine Star-Athletin oder Schülerin an einer renommierten Privatschule. Es gab ein paar Artikel, aber darin stand nichts über ihre Leistungen, ihre Hoffnungen und Träume, nichts, was sie besonders machte. Nur, was ihr passiert war.
»Wir haben alle viel zu verlieren«, sage ich. »Die Bates ist wie eine goldene Eintrittskarte. So was wirft man nicht einfach weg.«
Draußen geht langsam die Sonne unter. Rosa- und orangefarbenes Licht fällt durch das Dachfenster auf Nolas blasses Gesicht und lässt ihre Augen leuchten. »Warum hat Jessica das dann getan?«