Читать книгу Eine wie wir - Dana Mele - Страница 7

5

Оглавление

Ich durchwühle eine Weile meinen Wandschrank, bevor ich mich auf den Weg zu dem Treffen mit Greg mache. Mode hat den Ruf, affektiert zu sein, aber sie ist eine Form der Kunst, die ich verstehe. Mit ihr können sich Menschen und das Umfeld verwandeln, sie kann etwas verstecken oder verführen, Herzen brechen oder zum Singen bringen. Als ich zum ersten Mal in meine Schuluniform geschlüpft bin, habe ich fast geweint. Ich habe mich in das Zimmer meiner Mutter eingeschlossen und eine Stunde damit verbracht, mich in ihrem großen Spiegel aus allen Blickwinkeln zu betrachten. Ich habe Dutzende verschiedene Posen ausprobiert, Hunderte Gesichtsausdrücke, sogar Tonfälle, -arten und -höhen beim Sprechen. Die Uniform passte, aber sie passte nicht zu mir. Und als ich den marineblauen Blazer und den Faltenrock, die weiße Bluse mit dem gerafften Stoff an der Knopfleiste, der weicher ist als jedes Laken, auf dem ich jemals geschlafen habe, und die rote Krawatte in meinen Koffer legte, fühlte ich mich wie ein anderer Mensch.

Jetzt bin ich ein wenig wie Greg angezogen, vielleicht steigt damit meine Chance, sein Vertrauen zu gewinnen. Ist eine subtile, unterbewusste Sache. Aber es funktioniert.

Leute vertrauen anderen, die ihnen ähnlich sind. Daher habe ich mich für eine schwarze Alexander-McQueen-Patchworkjeans entschieden, die Tricia nie zurückkriegen wird, und ein dunkles Hemd mit Kragen. Meine Haare sind zu einem straffen Knoten zusammengebunden, was mich ein wenig älter wirken lässt und ein bisschen wie eine Ermittlerin in einem polizeilichen Verfahren. Ich stecke ein Notizbuch und den Laptop in meinen Rucksack und schnappe mir noch meine Lesebrille. Ich brauche sie nicht wirklich, aber ich wirke damit seriöser. Nach kurzer Überlegung entscheide ich mich, meinen dunkelblauen Wollmantel überzuziehen. Ich trage ihn fast nie auf dem Campus, weil er mir viel zu groß und an vielen Stellen zerrissen ist. Er wurde oft ausgebessert und sieht insgesamt wie ein Secondhandfetzen aus. Aber er hält wärmer als die deutlich schmeichelhaftere Balenciaga-Bomberjacke, die mir Tai zu Weihnachten geschenkt hat, und ich habe nicht vor, heute Abend Leuten zu begegnen, denen das wichtig wäre. Außerdem fühle ich mich damit irgendwie sicherer. Der Mantel gehörte meinem Bruder, und wenn ich ihn trage, fühle ich mich ihm nahe.

Am Empfangstresen im Erdgeschoss lächle ich dem Sicherheitsmann zu und trage Bibliothek in das Zielfeld ein. Dann schreibe ich mich in der Bibliothek ein, schleiche zur Hintertür heraus und mache mich auf den Weg zum See.

Es ist heute noch kälter als letzte Nacht, aber ich trage ja meinen warmen Wollmantel. Der Himmel ist klar und der Mond und die Sterne spiegeln sich im ruhigen Wasser. Ich vermeide die Stelle, wo Brie Jessicas Leiche gefunden hat, haste am Ufer entlang und versuche, in der Deckung der Büsche zu bleiben, damit mich niemand entdeckt. Jetzt wäre kein guter Zeitpunkt, beim Wegschleichen erwischt zu werden.

Das Café Cat war schon immer mein Lieblingsgeheimtreffpunkt. Es ist vom Campus aus gut zu Fuß zu erreichen, liegt aber nicht so nah, dass es von vielen Schülern oder Lehrkräften besucht wird. Es ist klein und es gibt dort nur einfachen oder koffeinfreien Kaffee und Tee. In der Stadt gibt es noch sieben weitere Cafés, also herrscht hier nicht viel Betrieb. Genau der richtige Ort, um nicht aufzufliegen. Und es ist billig.

Das Café ist von oben bis unten mit kitschigen Gemälden und Katzenfiguren dekoriert, im Hintergrund läuft immer leise altmodische Big-Band-Musik. Als ich die Tür aufdrücke, erklingt ein Miau von einem Band. Die Luft riecht nach Kaffeebohnen und Räucherkerzen, Lampen im Tiffany-Stil sorgen für ein warmes orangefarbenes Licht. Ich sehe mich nach Greg um, während ein Mädchen mit pechschwarzen kurzen Haaren und übertrieben geschminkten Augen meine Bestellung aufnimmt, doch ich entdecke ihn nirgendwo.

»Pass auf dich auf, Süße.« Die Kellnerin schnalzt mit ihrem Kaugummi und gibt mir meinen Kaffee.

»Danke.« Ich gehe zum Selbstbedienungstresen und nehme mir Sahne und Zucker. Als ich den Kaffee mit einem Plastikstäbchen umrühre, das oben mit einer grinsenden Katze verziert ist, höre ich wieder das Miau und drehe mich um. Greg betritt das Café, er ist klitschnass. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass es inzwischen regnet.

Er sieht mich. »Schöner Abend für einen Spaziergang.«

»Ich habe das Unwetter gerade verpasst.«

»Vielleicht erwischt es dich ja auf dem Rückweg.« Er lächelt wenig begeistert und sucht einen Tisch in der Ecke aus, ohne etwas zu bestellen.

Ich nehme meinen Kaffee und meinen Rucksack mit zu ihm hinüber und stelle meinen Laptop auf, um mir Notizen zu machen. Er holt ein Sandwich aus seinem Rucksack. Irritiert sehe ich zu, wie er abbeißt.

»Was?«, fragt er mit vollem Mund.

»Du kannst doch nicht dein eigenes Essen in ein Restaurant mitbringen«, flüstere ich mit einem verstohlenen Blick zur Kellnerin, die am Tresen lehnt und in einer Snowboard-Zeitschrift liest.

»Wieso nicht? Hier wird kein Essen angeboten. Ist keine Konkurrenz.«

»Also warst du schon mal hier. Mit Jessica?«

Er nickt. »Und anderen.«

Ich frage mich, wer die anderen waren. Aus irgendeinem Grund überrascht es mich, dass er Dates mit mehreren Bates-Schülerinnen hatte. Er kommt mir einfach nicht wie der Bates-Typ vor. Ich verharre mit den Fingern über der Tastatur. »Also, wie hast du Jessica kennengelernt?«

»Tinder.« Er mustert mich und wartet auf eine Reaktion, aber ich signalisiere ihm, dass er fortfahren soll. »Ich arbeite häufig ehrenamtlich und habe durch einen Flyer in der Kirche von ihrer Organisation erfahren. Ich bin zu einer der Veranstaltungen gegangen und wir sind ins Gespräch gekommen.«

Ich tippe, während er redet. »Und wann war das?«

»Etwa vor einem Jahr. Wir sind aber erst über Neujahr zusammengekommen.«

»Während der Ferien?«

»Wir leben beide das ganze Jahr über hier«, erinnert er mich.

»Ach, stimmt ja.« Ich halte inne. »Was hat dich zu ihr hingezogen?«

Er lächelt schwach und streicht sich die Haare aus seinen stechenden Augen. »Führst du Ermittlungen durch oder schreibst du einen Liebesroman?«

Ich verziehe keine Miene. »Jedes Detail ist relevant.«

»Okay, wenn du meinst. Sie war nett. Großzügig. Beeindruckend. Sie hat mit fünfzehn ihre eigene Organisation gegründet. Wie viele Leute kennst du, die das von sich behaupten können?«

Ich schüttele den Kopf. »Niemanden.«

»Sie war natürlich hübsch, aber das sind viele. Alles andere an ihr kommt eher selten vor.« Er fummelt an seinem Lippenpiercing herum. »Ich habe mich gern mit ihr unterhalten und war gern mit ihr zusammen. Das ist es, was wirklich zählt, oder? Und ich schätze, das beruhte auf Gegenseitigkeit.«

»Du schätzt?«

»Ich kann keine Gedanken lesen.«

»Warum habt ihr euch getrennt?«

Seine Miene verfinstert sich. »Ich kann keine Gedanken lesen.«

»Okay. Wann hast du das letzte Mal mit ihr gesprochen?«

»Gestern Abend.«

»Die letzten Worte?« Er zuckt zusammen, was mir peinlich ist. »Entschuldige, das habe ich falsch ausgedrückt. Ich meinte –«

»Ich weiß, was du meinst«, unterbricht er mich. Er holt sein Handy aus der Tasche und zeigt mir den letzten Teil ihrer Unterhaltung um 21:54 Uhr.

Greg Yeun: Wenn es dir leidtut, warum hast du es dann getan?

Jessica Lane: Ich sagte nicht, dass ich es bereue. Eine Entschuldigung bedeutet nicht automatisch Bedauern. Es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe. Es tut mir leid für dich.

Greg Yeun: Ich tue dir leid?

Jessica Lane: Du drehst mir die Worte um. Hör auf damit.

Greg Yeun: Weißt du, was ich bereue? Dich kennengelernt zu haben.

Mein Herz beginnt zu klopfen. Das sind gefährliche Worte. »Wie lange ist es her, dass ihr Schluss gemacht habt?«

»Offiziell drei Wochen. Aber du weißt vielleicht, wie sich Dinge hinziehen können.« Seine Wangen werden leicht rot und seine Augen glänzen, als würden ihm gleich die Tränen kommen, aber sein Blick bleibt fest.

Für den Bruchteil einer Sekunde verspüre ich den seltsamen Drang, den Arm auszustrecken und über sein Haar zu streichen, denn ich kenne diesen Gesichtsausdruck nur zu gut. Ich selbst hatte ihn unzählige Nächte allein in meinem Zimmer, habe in die Dunkelheit gestarrt und mir gewünscht, ich wäre jemand anderes oder an einem anderen Ort. Und bis zum Morgen war mir das immer gelungen. Aber er weiß nicht, wie man das macht. Ich würde ihn am liebsten an den Schultern rütteln und ihm sagen, dass man die schlimmsten Dinge vergessen kann. Dass man sie nur immer und immer wieder vergessen muss.

»Nichts hält ewig«, sage ich schließlich.

Er schluckt schwer und nickt.

»Ich bin jetzt auch etwa seit drei Wochen von Spencer getrennt.« Die Unterhaltung auf Gregs Handy wirkt schmerzlich vertraut. Und in Zusammenhang mit Jessicas Tod bekommt sie einen unheilvollen Beigeschmack. Wie schrecklich es auch klingt, ich würde gern hören, dass Jessica selbstmordgefährdet war. Greg soll der Polizei einen Grund liefern, Mord von der Liste zu streichen.

»Eine letzte Frage. Hat sie mich jemals erwähnt? Oder sonst jemanden von der Bates?«

Er mustert mich eindringlich. »Nein.«

Warum verhält er sich dann mir gegenüber die ganze Zeit so feindselig? Das ergibt keinen Sinn. Er muss etwas über die Verbindung zwischen Jessica und mir wissen.

»Warum hast du zugestimmt, dich mit mir zu treffen? Und mir das alles zu sagen?«

»Die Cops werden mich früher oder später befragen. Ich sollte dir also für die Möglichkeit danken, mich darauf vorzubereiten.«

»Sie haben sich noch nicht bei dir gemeldet?«

Er schüttelt den Kopf. »Das werden sie noch. Aber wer weiß. Sie halten mich wahrscheinlich nicht für den Hauptverdächtigen. Ich war in der Nacht nicht dort.«

Ich erhebe mich steif und halte ihm meine Hand hin. Er nimmt sie mit eisigen Fingern. Sein Blick ist leer und er zittert in seinen nassen Klamotten.

»Danke für das Treffen«, sage ich.

»Viel Glück bei deinen Ermittlungen. Ich hoffe, du kriegst den Killer.«

»Ich hoffe, es gibt keinen Killer.« Meine Stimme klingt etwas wackelig.

Sein Blick wandert über mein Gesicht. »Jess war glücklich. Sie war so voller Leben. Sie strahlte förmlich. Sie hatte jede Minute ihres Lebens geplant. Und falls sie sich je selbst hätte verletzen wollen, dann nicht auf diese Art. Sie hatte Angst vor scharfen Klingen. Sie hat sich nicht mal die Beine rasiert. Das hätte sie sich nie angetan. Es muss jemand anderes gewesen sein. Und das war ganz sicher nicht ich. An deiner Stelle wäre ich vorsichtig, Kay.«

Ich drücke beide Hände auf die Tischplatte, um mich abzustützen. »Warum ich?«

»Wer ist die Verbindung zwischen dir und Jess?«

Ich schüttele den Kopf.

»Spencer. Der Beziehungszerstörer höchstpersönlich.«

Eine wie wir

Подняться наверх