Читать книгу Equinox - Dana Schwarz-Haderek - Страница 10

4

Оглавление

Wie ich den Rest des Wochenendes überstand, kann ich nicht mehr sagen. Es verging … irgendwie und unendlich langsam.

Ich war froh, als ich am Montagmorgen aufstehen, und mit dem Ziel der ersten Vorlesung meines Studiums in Richtung Uni aufbrechen konnte.

Als ich den Hörsaal in der Beethovenstraße betrat, wäre ich fast wieder rückwärts zur Türe herausgekippt. Nach den letzten Tagen, die ich versunken in meine Gedanken an Robert, den Unbekannten, verbracht hatte, schlugen mir die Geräusche des schon mit Studenten gut gefüllten Raumes entgegen wie eine Welle hunderter lärmender Spatzen. Ich suchte mir einen der wenigen noch freien Plätze recht weit hinten. Die vorderen Sitzreihen waren noch nicht so dicht belegt, doch mir war einfach nicht danach, im Vordergrund zu sitzen. So war ich schlichtweg dankbar, zwischen all den anderen sprichwörtlich untergehen zu können. Ich kannte sowieso noch niemanden und war daher froh, mich nur auf mich selbst konzentrieren zu können.

Kurze Zeit später betrat eine junge Frau forschen Schrittes den Hörsaal, legte ihre Tasche ab und stöpselte ihren Laptop an den Beamer. Eine Professorin, damit hatte ich nicht gerechnet. Zwar hatte ich mich im Vorlesungsverzeichnis über die Veranstaltung und ihren Lektor erkundigt. Aber soweit ich mich erinnern konnte, stand da Prof. Dr. Chr. Rosenberg. »Early American Short Stories«, für dieses Thema und noch dazu mit der Abkürzung Chr. hatte ich mir irgendwie einen älteren Herren vorgestellt. Christoph, Christian oder so ähnlich, aber ihre Fußzeile in ihrer Powerpointpräsentation enthüllte nun ein schlichtes Chris.

Warum also nicht? Ich lehnte mich zurück und lauschte ihren Ausführungen über Nathaniel Hawthornes Initiationsgeschichte »Young Goodman Brown«. Die in ihrem Vortrag untersuchte vielfältige Symbolik, die darstellt, welchen seine Tugend bedrohenden Versuchungen der Protagonist auf seinem Weg zum Glück ausgesetzt ist, faszinierte mich und zog mich für die folgenden neunzig Minuten in ihren Bann. Die Geschichte musste ich mir unbedingt in der Bibliothek besorgen und noch einmal in Ruhe lesen.

Viele der um mich herum sitzenden Kommilitonen verfolgten das Geschehen nicht ganz so begeistert. Der alte Hörsaal mit seinen Holzklappstühlen und ausklappbaren Holztischchen, die immer an den davor stehenden Rückenlehnen der Stühle angebracht waren, war erfüllt mit einem nicht abebben wollendem leisen Gemurmel. Dies störte die Professorin jedoch ganz offensichtlich nicht. Sie sprach betont, überzeugend und schien die störenden Geräusche auszublenden. Wie in einem Bienenstock, schoss es mir durch den Kopf, ehe ich mich wieder der Vorlesung zuwandte.

Anschließend hatte ich ein Seminar zum Thema »Sociolinguistics«. Darunter konnte ich mir noch nichts vorstellen. Ich ließ mich also überraschen. Da ich mich mit den verschiedenen Räumlichkeiten der Uni noch nicht auskannte, hatte ich die Zeit, die ich von dem Gebäude in der Beethovenstraße zu meinem nächsten Seminarraum am anderen Ende der Stadt benötigen würde, völlig unterschätzt und kam gerade noch rechtszeitig. Ich setzte mich gleich nahe der Tür neben ein recht hübsches, sportlich gekleidetes Mädchen mit einem frechen blonden Kurzhaarschnitt und lustigen Sommersprossen. Ihre männliche Begleitung, offensichtlich ein Austauschstudent, der sich auffallend laut und mit starkem nordamerikanischen Akzent mit ihr auf Englisch unterhielt, schien eng vertraut mit ihr zu sein. Er, betont lässig in khakifarbenen Chinos und einem hellen T-Shirt mit braunem Pullover darüber, zeigte durch seine Körperhaltung deutliches Interesse an dem Mädchen, schien sie aber nicht offensiv zu umwerben. Sie bemerkte seine Flirtversuche jedoch nicht oder ignorierte sie gekonnt und verhielt sich ihm gegenüber einfach nur unbefangen und freundlich. Kaum saß ich, unterbrachen die beiden ihre Unterhaltung und er sprach mich auch schon an.

»Hi, ich bin Jason und das ist Theresa. Welches Semester bist Du?«

»Ähm, hallo, ich bin Elisabeth. Erstes Semester. Und ihr?«

»Ich bin im vierten«, antwortete das Mädchen, das Theresa hieß. »Jason hat schon seinen Bachelor. Er kommt aus Vancouver und verbringt zwei Austauschsemester hier.«

»Ja, das ist schon mein zweites Semester in Leipzig. So, also bist du ein Freshman, aren’t you?«, fragte Jason.

»Sozusagen … oh, es scheint loszugehen«, sagte ich, als ein Mann mittleren Alters mit dunklem Tweedjackett und alter, abgetragener Ledertasche hereinkam und sich als Dr. Gallington vorstellte. Während er seine Unterlagen auspackte und eine Teilnehmerliste herumgehen ließ, erläuterte er steif die Prüfungsanforderungen für sein Seminar.

»Oh, er sieht eindeutig ›very British‹ aus«, flüsterte Theresa mit belustigtem Blick auf die antiquierte, abgewetzte Jacke von Mr. Gallington und deutete dabei Gänsefüßchen an.

»Ja, wie ein alter Landlord«, lachte Jason leise in meine Richtung.

Ich musste zugeben, die beiden waren mir wirklich sympathisch und ich war erleichtert, wenigsten schon einmal zwei neue Namen zu kennen. Und mit der Einschätzung Mr. Gallingtons als Sinnbild eines britischen Landlords hatten die beiden irgendwie Recht, musste ich ihnen schmunzelnd zugestehen.

Die folgenden neunzig Minuten mit Mr. Gallington waren nicht ganz so kurzweilig wie die Vorlesung zuvor und ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich mit den beiden neben mir plauderte. Zudem schaute ich wieder und wieder sehnsuchtsvoll nach draußen, hoffend, dass der elende Dauerregen endlich nachlassen würde, was er aber nicht tat. Im Gegenteil, es schien mir, als würde es mit jedem Blick nach draußen nasser und dunkler. Meine Pläne, meine heimliche Hoffnung, Robert bald wieder zu sehen, vielleicht unter den Bäumen am Ende der Straße, rückten ins Unerreichbare. Gleichzeitig schalt ich mich wegen meiner Träume. Hatte er mich nicht zugunsten einer anderen am Samstag im Café verlassen? Schlag ihn dir aus dem Kopf, sagte ich mir ein ums andere Mal. Er ist sowieso nicht interessiert an dir. Und trotzdem konnte ich einfach nicht aufhören, an ihn zu denken. Wie er mich angesehen hatte …

Ich schloss die Augen und sah ihn sofort wieder vor mir. Nein, konzentriere dich, versuchte ich mich aus meinen Tagträumen zu reißen und strengte mich halbherzig an, dem wenig fesselnden, monotonen Redefluss des Dozenten zu folgen.

»Wir gehen nachher Mittagessen. Hast Du Zeit und Lust? Dann komm doch mit!«, forderte mich Theresa auf, als wir nach einer gefühlten Ewigkeit knochentrockener Textanalyse endlich unsere Sachen packten und eilig aus dem viel zu warmen Seminarraum flohen.

»Ja, gern«, antwortete ich und freute mich, so netten Anschluss gefunden zu haben.

»Oh Mann, den überleben wir nie!«, polterte Jason mit rollenden Augen auf dem Weg zur Mensa. »Dabei dachte ich mir, dass man gerade dieses Thema doch leicht mit Leben füllen und interessant gestalten könnte. Das hat der steife Brite aber voll vermasselt!« Jason, der, abgesehen von seinem verräterischen Akzent, ein bewundernswertes Deutsch sprach, betonte vermasselt eher wie vermesselt, was Theresa und mich schmunzeln ließ.

»Waaas?«, frage er gespielt genervt.

»Nichts! Ich sehe schon, das wird der harte Montagvormittag dieses Semester!« witzelte Theresa und lachte auffordernd in meine Richtung. »Was ist, bleibst du dabei oder suchst du dir eine Alternative?«

»Klar bleibe ich! Mit Euch beiden könnte man es dort schon überleben!«, und lachte mit.

Während des Mittagessens setzte sich unsere Unterhaltung fort und ich spürte, dass ich in den beiden tatsächlich die ersten neuen Freunde gefunden zu haben schien. Sie schafften es durch ihr unbekümmertes, freundliches Wesen sogar, mich von meinen sehnsuchtsvollen, schmerzhaften und vor allem sinnlosen Erinnerungen an Robert fern zu halten.

»Woher kennt ihr Euch? Seid ihr ein Paar?«, wagte ich mich am Ende der Mittagspause zu fragen, denn der vertraute Umgang der beiden miteinander war auffällig und die Frage nach ihrem Verhältnis zueinander nur naheliegend.

Jason lachte kurz gespielt amüsiert und leicht wehmütig auf und sagte dann, Theresa schelmisch anlächelnd: »Nein, als hätte ich jemals eine Chance bei Theresa! Wir sind zufällig beide zu Beginn des vergangenen Semesters in der gleichen WG gelandet, sind also sozusagen Zimmernachbarn. Und da wir auch noch die gleichen Fächer belegen, verbringen wir notgedrungen viel Zeit miteinander.«

Postwendend knuffte Theresa ihn in die Seite und entgegnete neckend: »Es scheint dich ja auch mächtig zu stören, ständig mit mir herumzuhängen!«

»Nun ja, es gibt schon noch Schlimmeres!«

»Sag mal Elizabeth … hast Du am Freitagnachmittag schon was vor? Es werden noch Leute für eine Studie zum Zweitspracherwerb gesucht. Weißt du, was das ist?«, fragte Theresa und beantwortete die Frage gleich selbst: »Klar, sicher weißt du das. Du bist ja schließlich vom Fach. Wir machen übrigens auch mit und das nicht zum ersten Mal.«

»Und was passiert dann da?«, fragte ich sie interessiert. Alles war gut, solange es mich ablenkte und beschäftigte, stellte ich etwas grimmig mit mir selbst fest.

»Das ist immer ganz lustig, man bekommt einen kleinen Test vorgelegt, füllt den aus oder spricht eine Testrunde lang mit den Leuten dort und am Ende gibt es meist sogar zwanzig Euro dafür.« Theresa schaute mich erwartungsvoll an.

»Ja, cool. Klingt interessant. Wo muss ich da hin und vor allem wann?«

»Wir können uns ja alle sechzehn Uhr am Bahnhof treffen und gemeinsam hinlaufen. Es ist nicht weit«, meinte sie.

»Okay, abgemacht.«

»Und danach wollen wir mit ein paar Leuten in die Moritzbastei zur Semesteranfangsparty. Es spielen auch zwei ganz gute Bands. Wenn Du willst, bist Du mit dabei!«, lud Jason mich ein.

»Ja, mal schauen«, zögerte ich.

»Ach komm schon, es soll die ganze Woche so weiter regnen,« sagte Theresa mit einem genervten Blick aus dem Fenster. »Da tut ein bisschen Ablenkung doch ganz gut!«

»Okay, einverstanden. Ich komme mit«, sagte ich, da ich nun bestätigt bekam, dass meine Pläne, jeden Abend den kleinen grünen Platz in unserer Straße aufzusuchen, in der stillen Hoffnung ihn zu treffen, endgültig durchkreuzt waren. Wenn das Wetter so bleiben sollte, brauchte ich dort nicht hinzugehen. Aber wenn es besser werden sollte … könnte ich immer noch absagen. Jedenfalls war gegen ein bisschen Ablenkung nichts einzuwenden, fand ich.

»Prima«, freuten sich Jason und Theresa gemeinsam. »Wir müssen nun los, mach’s gut, Elisabeth.« Bevor sie gingen, tauschten wir noch schnell unsere Telefonnummern aus, und dann waren sie auch schon weg.

Auf meinem Weg zur Bibliothek sah ich an der Eingangstür eines liebevoll gestalteten Kindergartens ein Schild hängen, auf dem ich las, dass Vorlesepaten für die Kinder gesucht würden. Da könnte ich mich doch melden, dachte ich mir. Denn Kinder hatte ich immer gern um mich. Meine Kleinen aus Exeter fehlten mir richtiggehend, als ich darüber nachdachte. Na, und Lesen … das war ja schließlich ich.

Equinox

Подняться наверх