Читать книгу Equinox - Dana Schwarz-Haderek - Страница 15
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ОглавлениеEng aneinandergekuschelt lagen wir lange wach und genossen einfach nur die Nähe zueinander. Irgendwann müssen wir beide dann doch eingeschlafen sein, denn ich wurde wach, als ich im Unterbewusstsein hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss der Wohnungstür geräuschvoll drehte und nur Augenblicke später Gepäck geräuschvoll im Flur zu Boden plumpste. Da außer mir und Kristin aber niemand einen Schlüssel zu unserer Wohnung hatte, musste ich wohl geträumt haben.
Robert schlief noch tief und fest. Er lag auf dem Bauch, sein Gesicht zu mir gewandt und hatte seinen linken Arm locker über meinen Bauch gelegt. Ich lächelte gerührt. Diesen Anblick würde ich nie wieder vergessen! Es war so einladend, sein schlafendes, schönes Gesicht aus dieser unmittelbaren Nähe zu studieren. Wie es wohl wäre, mit den Fingerspitzen seine Wangenknochen nachzuzeichnen, seine vollen Lippen zu berühren …? Schon hob ich meine Hand, um diesen Gedanken Taten folgen zu lassen, als im Flur plötzlich jemand laut meinen Namen rief.
OH GOTT!
Kristin war zurück.
Wie spät war es eigentlich? Was machte sie hier? Sie wollte doch erst am Sonntagabend kommen? Was sollte ich jetzt tun? Wenn sie in mein Zimmer kam? … ja und … wäre das so schlimm? Mein Herz raste durch den unmittelbaren Adrenalinschub. Was sollte ich nun tun? Meine Gedanken überschlugen und wiederholten sich.
Totale Panik!
Aber warum?
Leise und vorsichtig öffnete sich meine Zimmertür und Kristin steckte ihren Kopf herein: »Bist du da?«
»Eli?« Sie klang alarmiert. »Bist du krank? Du bist ja noch im Bett!«
Ich winkte ihr verlegen zu und deutete auf Robert, der immer noch halb auf mir liegend schlief. Offensichtlich konnte man das Haus um ihn herum abtragen. Wenn er schlief, schlief er, wie es aussah.
Statt die Tür wieder diskret zu schließen, kam Kristin noch einen Schritt näher und stand nun mitten im Raum. Feingefühl wie ein Trampeltier! Also wirklich!
»DU BIST NICHT ALLEIN?«, Kristin schaffte es einfach nicht, ihre totale Überraschung über das Bild, das sich ihr bot, zurückhaltend zum Ausdruck zu bringen.
Sie starrte mich mit aufgerissenen Augen und weit geöffnetem Mund an.
»Könntest Du vielleicht ein bisschen lauter schreien? Die Nachbarn haben dich eventuell nur schlecht verstanden!«, zischte ich verärgert und beschämt zugleich.
»Wer ist das?«
Anstatt die Gelegenheit zu nutzen und stillschweigend aus dem Zimmer zu flüchten, fragte sie mich nun auch noch aus. Ich konnte es nicht fassen, musste aber auch etwas amüsiert feststellen, dass ich Kristin, die mich nach Luft schnappend anschaute, wie ein Fisch auf dem Trockenen, noch nie sprachlos gesehen hatte. So grotesk diese Situation gerade war, sie war doch auch sehr unterhaltsam und ich schwankte zwischen purer Wut und einem drohenden Lachanfall. Oder vielleicht auch beidem auf einmal.
»Sorry. Ich … ich lasse euch dann mal wieder allein.« Dunkelrot anlaufend verließ Kristin, nun endlich aus ihrer Schockstarre aufgewacht, eilig das Zimmer. Na bitte, dachte ich, geht doch. Und Kristin war rot geworden! Allein der Gedanke daran war für mich ziemlich unterhaltsam und einzigartig.
Robert neben mir regte sich langsam und fragte mich mit noch immer geschlossenen Augen: »Wer oder was war das denn gerade?«
»Kristin, meine Mitbewohnerin. Sie ist etwas früher zurückgekehrt als erwartet, wie es scheint.«
»Du hättest mich der Dame ja vorstellen können!«, grinste Robert mich nun breit an.
»Wie bitte???«, fragte ich irritiert. Das konnte er doch unmöglich ernst meinen?!
»Kleiner Scherz, mein Schatz. Guten Morgen!« Er küsste mich liebevoll auf die Wange. Hatte er gerade Schatz gesagt? Juhu!!!
»Sehr lustig! Ich glaube, ich sollte mit ihr bei Gelegenheit mal das Thema Privatsphäre ansprechen …«
»Gute Idee!«, kicherte Robert sichtlich amüsiert.
»Auch guten Morgen, übrigens.« Ich wandte Robert, der immer noch in der gleichen Position neben mir lag und mit seiner linken Hand nun meinen Bauch streichelte, mein Gesicht zu und gab ihm einen leichten Kuss auf die Nasenspitze.
»Wir sollten, glaube ich, aufstehen und die offizielle Vorstellung tatsächlich nachholen. Ich fürchte nämlich, sonst platzt Kristin in ein paar Minuten vor Neugier. Und ich will hier ja nicht allein wohnen, vor allem wenn ich in den nächsten Wochen jemanden brauche, der meine Sehnsucht nach dir und alle damit verbundenen emotionalen Ausbrüche aushält«, sagte ich mit so viel Galgenhumor, wie ich gerade noch zusammenbekam und schauderte beim dem Gedanken an diese leider sehr reale nahe Zukunft.
»Das klingt überzeugend, aber nicht schön!« Robert drehte sich auf den Rücken, zog mich gleichzeitig mühelos mit und hob mich auf sich.
Welch unbeschreibliches Gefühl! Ich lag plötzlich völlig unverhofft auf ihm und spürte seinen gesamten Körper so eng wie nie zuvor an meinem. Selbst seinen Herzschlag konnte ich fühlen. Tausend verschiedene Empfindungen überfielen mich auf einmal und überraschten mich mit ihrer schieren Intensität. Es fiel mir mit einem Mal schwer, klar zu denken oder überhaupt zu denken. Mein Herz überschlug sich und hatte Mühe, seinen eigentlichen Rhythmus auch nur annähernd wieder zu finden.
Robert schaute mich absolut überrascht an und schien überhaupt nicht mehr zu atmen. Empfand er etwa auch so intensiv wie ich? War er auch so überrascht von der Wucht der Gefühle, die diese körperliche Nähe auslöste? Ich wagte kaum zu hoffen, dass es für Robert ein genauso überwältigendes Empfinden war, wie für mich.
Als es plötzlich laut in der Küche klapperte, atmete er scharf ein und drängte mich sanft von sich herunter.
Oh Kristin! Sie war gerade Fluch und Segen zugleich.
Was wollten wir gerade tun?
Mir gelang immer noch kein zusammenhängender Gedanke. Robert blickte mich mit seinen intensiv grünen Smaragdaugen auf eine Weise an, die mich noch inkohärenter und auch etwas nervös werden ließ.
Es klopfte leise an der Tür.
Meine Güte, Kristin! Sie hatte echt Nerven! Wir hielten beide die Luft an und lauschten. Hoffentlich konnte sie der Versuchung widerstehen, noch einmal hereinzuplatzen.
»Eli, ich gehe zum Bäcker. Ich laufe auch langsam, versprochen. Und ich bringe genug Brötchen für drei mit. Also, bis dann …«, rief sie betont laut durch die geschlossene Zimmertür und gleich darauf fiel die Wohnungstüre wieder ins Schloss. Glück gehabt!
»Okay, diese Chance sollten wir wohl oder übel nutzen«, brummte ich leicht verstimmt.
Ich krabbelte äußerst ungern aus dem Bett und öffnete meinen Kleiderschrank. »Ein großes und ein kleines Handtuch?«, frage ich Robert, der sich aufgerichtet hatte und mir zusah.
»Du bist wunderschön!«, sagte er.
»Wie bitte?«, mit dieser Antwort hatte ich nun gar nicht gerechnet. Zudem mir ein flüchtiger Blick in den Spiegel an meiner Schranktür ein zerzaustes Irgendwas in blauweiß karierter Pyjamahose und weißem Trägershirt gezeigt hatte, das nur mit Fantasie Ähnlichkeit mit mir aufwies, fand zumindest ich.
»Du bist wunderschön!«, wiederholte er und schaute mich aus seinen, wie warmes, tiefdunkles Tannengrün leuchtenden Augen liebevoll an. »Und ja, ich nehme das Angebot gern an!« Nun lachte er auch noch. »Hast du eventuell noch eine Zahnbürste für mich?«
»Ja, ich glaube schon.« Ich wühlte im Schrank.
»Und danke«, murmelte ich beschämt in die Tiefen des Schrankes hinein.
»Sehr gern. Ich sage nur die Wahrheit«, antwortete er nicht nur vergnügt, sondern auch grundehrlich und versetzte mich damit in noch mehr Verlegenheit.
»Hier!« Triumphierend zog ich eine neue Zahnbürstenpackung heraus und drehte mich ein wenig zu schwungvoll Richtung Bett um.
Doch dort war niemand.
Stattdessen umfassten mich augenblicklich Roberts Arme. Wann war er denn aufgestanden und wie konnte er sich überhaupt so lautlos hinter mich stellen? Ich errötete über meine Ungeschicklichkeit, fand es aber unendlich schön, abermals von seinen muskulösen Armen aufgefangen, umfasst und eng an seine Brust gepresst zu werden.
»Hello again«, flüsterte Robert in mein Ohr und küsste wieder mein Ohrläppchen. Oh … langsam glitten seine Lippen meinen Hals hinunter, er schob meinen rechten Träger zur Seite und küsste meine Schulter mit federleichten Berührungen. Mit seiner linken Hand strich er mir sacht über den Rücken … und Po. Mein Atem und mein Puls beschleunigten sofort und wohlige Wogen durchflossen mich. Irgendwo tief in meinem Bauch krampfte sich ein bittersüßer Schmerz zusammen, von dem ich wünschte, er möge dort für immer bleiben. Meine Hände wühlten zärtlich in Roberts dunklem Haar und suchten sich langsam ihren Weg an seinem Hals entlang zu seiner Brust, wo sie, seinen ebenfalls hetzenden Herzschlag fühlend, ruhen blieben.
Erst leise und dann, mit jedem Schlag anschwellend, tickte es.
Wir lösten uns langsam voneinander und schauten uns überrascht an.
Dieses Mal hatte auch Robert nicht den Eindruck, dass es sich um einen Zufall handelte. Man sah ihm die Verwunderung deutlich an. Warum tickte es immer, sobald wir uns näher kamen???
»Das ist doch kein Zufall! Ich verstehe das nicht!«, stellte Robert fest und schaute mich mit hinreißend verwuscheltem Haar und fragendem Blick nach einer Antwort suchend an.
»Ich auch nicht«, erwiderte ich ehrlich ahnungslos und merkte, wie sich ganz tief in meinem Unterbewusstsein ein ungutes Gefühl niederließ. »Und es gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht«, antwortete Robert stirnrunzelnd.
Wir schauten uns irritiert an, mit einem kleinen, unangenehmen Abstand zwischen uns. Der schöne vertrauliche, aufregende Augenblick war jedoch völlig verloren. Wie frustrierend!
»Seltsam! Lass uns ins Bad gehen. Kristin kommt sicher bald zurück. Du kannst gern zuerst gehen. Ich ziehe mich so lange an«, schlug ich ihm vor.
»Okay.« Er nahm die Handtücher und verließ das Zimmer.
Ich schlüpfte schnell aus meinem Schlafzeug und zog mir frische Unterwäsche, Socken, eine hellbraune, enge Cordhose und ein zartblaues Kapuzensweatshirt mit dem Aufdruck der Universität von Exeter an. Während ich die Bettdecke glattstrich, kam Robert aus dem Bad zurück … das große Handtuch locker um die Hüften geknotet und das kleine lässig über der Schulter hängend. Er trug seine Kleidung unterm Arm und legte sie völlig unbefangen auf meinem Bett ab.
Meine Atmung setzte aus.
Ich starrte ihn an.
Wow!
Er hatte echt Nerven!
Wir waren über das Küssen noch nicht hinausgekommen, und das war mir bisher auch völlig recht. Und nun stand er hier quasi nackt, … also so ziemlich fast nackt vor mir. Und er sah gut aus! Schlank und muskulös zugleich. Angedeutete Bauchmuskeln unter zart gespannter Haut auf seinem flachen Bauch. Keine Brusthaare. Das gefiel mir! Sein Anblick weckte mein Verlangen, ihn zu berühren. Die Linien seiner Muskeln mit den Fingern nachzuzeichnen …
Nach einer kleinen Unendlichkeit merkte ich, dass ich noch immer starrte. Robert sortierte unbeeindruckt und vor allem unbekümmert seine Sachen.
Ich merkte, wie mir das Blut in die Wangen schoss und ich schon wieder hochrot wurde. Wie peinlich!
Robert merkte davon jedoch nichts, denn er drehte sein T-Shirt begutachtend hin und her und sagte: »Naja, es geht noch, oder? Man sieht nur auf dem zweiten Blick, dass ich die Nacht darin verbracht habe. Was denkst du? Tragbar oder nicht? Ich habe ja sowieso keine andere Wahl, als es noch einmal anzuziehen.«
Ehe er meine Verlegenheit sah, murmelte ich im Hinausgehen: »Nicht schlimm. Dein T-Shirt, meine ich … ich bin dann auch mal im Bad.«
»Na klar. Bis gleich«, rief er mir weiterhin unbekümmert hinterher.
Ich putzte mir schnell die Zähne und wusch mein Gesicht gleich mehrmals mit eiskaltem Wasser. Meine Haare kämmte ich eilig und band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen. So, das musste reichen. Beim Blick zum Glas der durch Roberts Duschen noch beschlagenen Duschkabine musste ich schmunzeln. Womit er wohl geduscht hatte? Auf der Ablage standen zwei bunte Fläschchen. Pink Grapefruit von mir und intensiv duftendes Vanilleduschgel von Kristin. Nicht wirklich männlich. Ob er eines benutzt hatte? Und wenn ja welches? Das war leicht herauszubekommen. Ich machte mich auf den Weg zurück in mein Zimmer.
Vor der Tür stehend zögerte ich. An meiner eigenen Tür. Wie grotesk. Aber was, wenn er immer noch nackt war? Ich klopfte lieber an.
»Herein!«, rief Robert gut gelaunt … und angezogen. Glück gehabt, und doch irgendwie schade!
»Du musst doch an deiner eigenen Zimmertür nicht anklopfen!«, neckte er mich.
»Naja …«, murmelte ich, küsste ihn sanft auf den Mund und – ah, Grapefruit. Gut! – sagte: »Komm, wir bereiten schon mal das Frühstück vor.«
»Gute Idee!«, meinte Robert, ich nahm seine Hand und zog ihn in die Küche.
»Tee oder Kaffee für Dich?«, fragte ich ihn.
»Nun ja, ….«, druckste Robert herum: »Das ist mir jetzt fast ein wenig peinlich … aber … hättest du eventuell etwas Milch?
»Milch?«, das meinte er nicht ernst, oder? Ist ja süß.
»Ja?«, kam es mehr fragend als antwortend zurück.
»Klar, Milch habe ich. Milch also für Dich. Einfach nur Milch? Oder mit Kakao? Und vor allem, warm oder kalt?«, ich gebe zu, ich schaffte es nicht, mir ein breites Grinsen zu verkneifen. So ein Bild von einem Mann … und er trinkt Milch zum Frühstück. Womöglich noch warme Milch?!
»Warm …?«, schaute er mich unsicher an. »Lachst Du mich aus?«
»Nur ein bisschen«, gab ich breit grinsend zurück. »Aber ich mache Dir gern eine warme Milch.«
»Vielen Dank! … Wo finde ich nochmal die Teller?«
Ich deutete auf den betreffenden Schrank. »Da oben.«
Während Robert Teller, Tassen und Besteck verteilte, kochte ich Kaffee, Tee und stellte eine große Tasse Milch in die Mikrowelle. Danach räumte ich Honig, Marmelade, Butter und Käse auf den Tisch. Kaum waren wir damit fertig, öffnete sich die Tür im Flur und ein für Kristin ziemlich schüchtern fragendes »Haaallo?« ertönte vorsichtig.
»Wir sind schon in der Küche und freuen uns auf dich und die Brötchen!«
Kristin rumpelte noch kurz im Flur herum und kam dann mit einer überdimensionalen Brötchentüte in die Küche. Ich wunderte mich, wer das wohl alles essen sollte.
»Ihr habt Euch ja noch nicht offiziell kennengelernt. Also, Kristin, das ist Robert. Robert – Kristin«, stellte ich die beiden vor.
»Hallo, schön dich kennenzulernen!«, sagte Robert und schüttelte Kristins ausgestreckte Hand.
»Ganz meinerseits«, antwortete sie und drehte sich kurz zu mir um, ein lautloses »WOW« mit ihrem Mund formend.
»Kaffee für die Dame, Milch für den Herrn und Tee für mich. Guten Appetit«, sagte ich und musste schmunzeln, denn Kristin platzte fast vor Neugier, nahm sich jedoch – noch – zurück und behielt ihren Fragensturm für sich.
»Milch???«, entfuhr es ihr dann trotzdem sichtlich belustigt.
Also doch. Typisch! Ich guckte Kristin strafend an.
»Nun ja, ich scheine die Damen ja mit der warmen Milch gut zu unterhalten«, wenigstens nahm es Robert mit Humor.
Kristin versuchte jetzt doch ihre Neugier zu stillen und probierte, zu mir gewandt, einen Schritt voranzukommen: »Cool, du hast Honig von daheim mitgebracht. Wie lange kennt ihr Euch schon?«
Ich rollte mit den Augen. Ihre Zurückhaltung hatte ja enorm lang gehalten! So gern ich Kristin hatte, aber sie konnte echt indiskret sein. Was machte sie eigentlich schon hier? Sie wollte schließlich erst am Sonntagabend kommen … fiel es mir wieder ein. Doch bevor ich meine Fragen stellen konnte, um einer Auskunft auszuweichen, antwortete Robert schon: »Seit einer Woche.«
Er schien völlig relaxt mit der beginnenden Fragestunde. Eigentlich sprach das nur für ihn, fand ich und freute mich über seine Reaktion.
»Ein Woche?«, sie verschluckte sich fast.
Robert schien es ebenso Spaß zu machen, Kristin sprachlos zu sehen, obwohl er sie kaum kannte und er setzte noch einen drauf: »Ja, vor einer Woche haben wir uns erstmals getroffen, dann leider aus den Augen verloren. Aber seit Freitag kann uns nichts mehr trennen, stimmt’s Elisabeth?«
»Mmmh«, antwortete ich nickend.
Kein Wunder, dass Kristin vergaß, weiter zu kauen und mich anschaute, als wäre ich nicht ich, das brave Mädchen, das ich bisher war. Ich war immer auf irgendeine Art sozial engagiert, liebte meine Welt der Bücher und pflegte meine Freundschaften, die überdies, wenn sie mit Männern waren, nie über herzliche, freundschaftliche Beziehungen hinausgingen. Ich hatte einfach noch nie einen festen Freund und war bislang an allen Herren uninteressiert vorbeigegangen. Es war halt auch nie ein Robert unter ihnen.
»Wir waren am Freitag in der Moritzbastei«, sagte ich zu Kristin, die mich noch immer wortlos fixierte. Als würde dieses nebensächliche Detail die tausend Fragen, die sich hinter ihrer Stirn zu bilden schienen, beantworten.
»Und gestern waren wir mit dem Motorrad am Elsterkanal«, erzählte Robert unbefangen weiter. Oje, merkte er nicht, dass das ganz augenscheinlich zu viele Neuigkeiten auf einmal für Kristin zu sein schienen? Mir wäre es lieber, wir könnten ihr unsere rasanten vergangenen Stunden eher häppchenweise servieren, damit sie sich zwischenzeitlich ein wenig erholen konnte.
Kristin schluckte schwer und starrte mich nun mit offenem Mund an.
»Du. Bist. Motorrad. Gefahren?«, brachte sie mühsam hervor.
»Ja. Es war toll!«, antwortete ich grinsend.
Zugegeben, das machte Spaß. Langsam fand ich auch Gefallen daran, Kristin so sprachlos zu sehen. Das erste Mal in unserer langen Freundschaft, dass ich sie so erlebte.
»Nochmal Kaffee?«, fragte ich sie betont freundlich und beschloss mitzuspielen.
»Nee«, gab sie knapp und tonlos zurück: »Danke. Ein Schnaps wäre mir jetzt lieber!«
»Oh …«, Robert und ich antworteten und lachten gemeinsam.
Kristin blickte uns abwechselnd an und schüttelte danach ihren Kopf.
»Ich begreife das nicht!«, sagte sie daraufhin fassungslos und schaute nochmal kopfschüttelnd erst mich, dann Robert und dann wieder mich an. »Aber ich freue mich für euch!«, stieß sie hervor.
»Vielen Dank!«, wir antworteten schon wieder gemeinsam. Unterm Tisch nahm Robert meine Hand und drückte sie sanft. Wir schauten uns lächelnd an und sofort verlor ich mich wieder in seinen uferlos schönen, intensiven grünen Augen, die mir unendliche Wärme und Zuneigung entgegenbrachten.
Kristin räusperte sich laut und blickte uns nun belustigt an.
»Wollen wir vielleicht abräumen?«, fragte sie und nahm sich, ohne eine Antwort abzuwarten, die Butter und Marmelade. Sie stand auf und sortierte alles in den Kühlschrank. Ich glaube, das war ihre Art, uns mitzuteilen, dass sie erst einmal genug zu verarbeiten hatte.
Robert machte einen Schmollmund und ließ ziemlich unwillig meine Hand los. Wir halfen dennoch, die Küche wieder in Ordnung zu bringen.
»Und was habt ihr zwei Turteltauben heute vor?«
»Oh, schlechtes Thema«, sagte Robert mit schmalen Lippen und verzog das Gesicht wie unter Schmerzen. »Ich muss in spätestens einer Stunde aufbrechen und meine Taschen packen. Ich fliege morgen früh für zwei Monate nach England, um ein Projekt zu betreuen.«
Kristin blickte mich voller Mitgefühl an und sagte leise: »Das tut mir leid. Das ist ja voll blöd, wo ihr doch gerade erst begonnen habt …«
»Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mich auch nicht danach gedrängelt. Nach dem Projekt natürlich«, meinte Robert leise. Er legte seinen Arm um mich und zog mich eng an seine Seite. Ich kuschelte mich nur allzu gern an ihn. Die unbeschwerte morgendliche Stimmung war jedoch mit einem Schlag wieder verschwunden und die bevorstehende Trennung schwebte abermals wie ein Damoklesschwert über uns.
»Ich muss ’nen Aufsatz schreiben und brauche noch ein Grundsatzurteil dazu. Ich gehe dann mal in die Bibliothek …« Kristin war ein wahrer Schatz! Völlig selbstlos hatte sie sich einen Grund gesucht, um uns noch ein wenig privaten Raum zu schaffen. An mich gewandt, fügte sie, sich ihre Jacke und Schuhe anziehend, hinzu: »Ich bin gegen sechzehn Uhr wieder da. Ich habe am Nachmittag Zeit, wenn Du reden willst …«
»Danke«, erwiderte ich leise.
»Tschüss dann«, sagte sie.
»Gute Reise und bis bald!«, sie schüttelte Robert die Hand und blickte mich danach besorgt an.
»Sechzehn Uhr. Versprochen«, versicherte sie mir mit ernstem Gesicht noch einmal und schloss die Wohnungstür hinter sich.
»Eine Stunde. Was willst du tun?«, fragte mich Robert leise.
»Ich denke, erst einmal sollten wir unsere Telefonnummern, Emails und so etwas austauschen.« Praktisch veranlagt zu sein, hatte manchmal auch seine Vorteile.
»Stimmt!«, antwortete Robert. »Hast du eigentlich auch eine Skypeadresse? Wir könnten telefonieren und uns dabei sehen. Das wäre doch schön, nicht wahr?«
»Bis jetzt noch nicht, aber das ist ja sicher schnell eingerichtet.«
»Ich schreibe dir meinen Skypenamen auf, dann brauchst Du mich nur anwählen und landest direkt bei mir.« Er reichte mir ein Blatt Papier mit seinen Kontaktdaten. Seine Handschrift war bildschön. Wie ein exquisiter Schriftstil, den man garantiert nicht bei Word fand. Regelmäßig, charaktervoll, elegant. Beeindruckend, vor allem für einen Mann!
»Okay. Lass mal sehen. Oh, Equinox. Wie ungewöhnlich! Was bedeutet das denn?«
»Na, ich bin doch am dreiundzwanzigsten September um null Uhr geboren oder am zweiundzwanzigsten September um vierundzwanzig Uhr, ganz wie du möchtest. Auf meiner Geburtsurkunde steht der dreiundzwanzigste September. Jedenfalls ist das die Tag- und Nachtgleiche. Und die heißt Equinox. Das fand ich besser, als meinen eigenen Namen. Roberts gibt es ja noch etliche weitere überall auf der Welt.«
Ich hörte ihm gar nicht richtig zu und stand mit dem Zettel in der Hand unschlüssig da.
»Komm noch ein wenig zu mir«, sagte Robert mit einladend warmer Stimme und streckte mir seine Hand aus.
Ich gab ihm meine bereitwillig, und ehe ich mich versah, hatte er mich mit Schwung an sich gezogen und strich mir übers Haar. Er hob mein Gesicht zu seinem und begann mich zugleich fordernd, leidenschaftlich und verzweifelt zu küssen. Ich schob alle Zweifel darüber, wohin dieser Kuss führen würde, weit von mir fort und entgegnete ihm mit der gleichen Leidenschaft. Unsere Zungen tanzten im selben Rhythmus und unsere Hände glitten gegenseitig so gar nicht mehr scheu über unsere Körper. Ich vergaß die Welt um mich herum und tauchte vollkommen ein in meine Achterbahn fahrenden Gefühle. Wir lagen eng umschlungen auf meinem Bett. Ich konnte beim besten Willen nicht mehr sagen, wann und wie wir dort gelandet waren.
Irgendwann hielt mich Robert mit seinen starken Armen zurück und sagte schwer atmend: »Das reicht, Eli, ich möchte dich nicht zu etwas drängen, wozu du augenscheinlich noch nicht bereit bist.«
Irritiert blinzelte ich ihn an, wie aus einem Traum erwachend. »Das musst du doch auch nicht!« Ich wäre in diesem Moment jeden Weg mit ihm gegangen, … auch wenn mein Unterbewusstsein Bedenken anmeldete. Woher wusste er außerdem, dass ich in Sachen Liebe noch absolut unerfahren war? Seine Intuition war einfach bemerkenswert. Oder stellte ich mich so offensichtlich ahnungslos an …?
»Unterschätze mich nicht«, sagte er mit dunkler, rauchiger Stimme. »Du bist eine so wunderschöne, verführerische Frau. Da fällt es mir nicht leicht, mich daran zu erinnern, dass wir uns erst eine Woche kennen und ich dir versprochen habe, die Sache langsam anzugehen.«
So sehr ich seine Worte auch schätzte, so sehr bedauerte ich sie auch. Und seine Worte hatten noch eine ganz andere Wirkung auf mich, als die implizierte. Tief in meinem Bauch krampfte sich etwas in demselben bittersüßen Schmerz zusammen, den ich heute schon einmal mit ihm gespürt hatte. Dieses Gefühl klang wie ein Versprechen auf etwas, dessen Ausgang ich noch nicht kannte und nur atemlos erahnen konnte.
»Eli, ich muss nun …«
Oh nein, unsere Zeit war um.
»Oh …«, mehr konnte ich nicht sagen.
Robert setzte sich auf und zog mich auf seinen Schoß, so dass wir uns gegenseitig in die Augen schauen konnten. Ohne den Blick von mir abzuwenden, sagte er ernst: »Ich weiß, dass das alles viel zu früh ist. Aber alle Konventionen sind mir jetzt egal!«
Ich sah ihn überrascht an und ein Schauer lief mit über den Rücken. Wovon sprach er?
»Eli, ich liebe dich! Das musst du einfach wissen! Ich wusste schon bei unserem ersten Treffen, dass du für mich bestimmt bist! Ich fühle mich, als hätte ich mein Leben lang auf dich warten müssen und nun habe ich dich endlich gefunden.«
Er blickte mich glühenden, intensiv grünen Augen an und ich ertrank völlig in seinem Blick und seinen Worten, unfähig, zu antworten. Dabei lief mir mein Herz über und es gab so viel, was ich ihm gern hätte sagen wollen. Ja, ich liebe dich auch! Lass mich nicht allein! Aber meine Lippen konnten keine Worte formen.
»Ich will dich nicht allein lassen. Es tut mir so leid! Bitte vergiss mich nicht und warte auf mich! Und komme mich wirklich besuchen!!! BITTE!« Er sah mich flehend an.
Ich nickte stumm. Ergriffen. Unfähig zu antworten. In meinem Hals saß plötzlich ein riesiger Kloß. Langsam nahm ich sein Gesicht zwischen meine Hände und küsste ihn vorsichtig. Der Kloß wurde immer größer und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich war völlig zerrissen. Einerseits war ich über alle Maßen glücklich. Denn hatte mir Robert nicht gerade seine Liebe erklärt? Andererseits war mir, als wäre alle Freude aus der Welt gegangen, denn der Zeitpunkt unserer Trennung war nun da und wir würden uns wochenlang nicht sehen. Tränen sammelten sich in meinen Augen und liefen mir schließlich die Wangen hinunter.
»Weinst du?«, fragte Robert hilflos. »Oh, Elisabeth! Nein! Bitte weine nicht! Es sind nur ein paar Wochen! Bitte!«
»Ich weiß …«, schluchzte ich. »Aber … und …«, ich schaffte es nicht, meine Gedanken in Worte zu fassen und ihm zu antworten.
»Elisabeth …!«, Robert stöhnte gequält und bedeckte mein Gesicht mit tausend Küssen, küsste meine Tränen weg. Ein auswegloses Unterfangen, denn kaum hatte er sie weggeküsst, rannen schon die nächsten.
»Ich muss jetzt wirklich!«, sagte er leise, trostlos.
Ich nickte und rückte langsam von ihm herunter.
Er nahm meine Hand und zog mich zur Tür. Ein letzter Kuss und er ging die Treppe hinab.
Ich stand so lange, bis seine Schritte treppab verhallten und die Haustür sich quietschend hinter ihm schloss. Als ich langsam zurück in die Wohnung ging, hörte ich noch, wie er unten sein Motorrad startete. Oh nein! Ich sank auf mein Bett, das noch warm von uns beiden war, und zog mir die Decke über den Kopf. Meine Tränen kannten nun kein Halten mehr.
Ich weiß nicht, wie lange ich mich in meinem Bett vergrub. Irgendwann war Kristin da. Sie saß neben mir, zog die Decke vorsichtig von mir herunter und streichelte mir wortlos über den Kopf.
»Ich weiß«, sagte sie nach einer Weile. »Weine nur. Das hilft.«
Mein Schluchzen wurde wieder intensiver. Wie sollte ich die kommenden Wochen nur überstehen?
Kristin strich mir weiterhin über Kopf und Rücken. Irgendwann ebbte mein Schluchzen ab und sie fragte vorsichtig: »Tee?«
Ich schaute sie an und nickte dankbar.
»Mit Milch oder lieber mit Schuss?«
»Milch. Vorerst«, quakte ich.
»Na dann, bis gleich in der Küche.« Sie sprang auf und klapperte kurz darauf mit Tassen und Wasserkocher.
Ich erhob mich langsam und versuchte erst einmal, mein verquollenes Froschgesicht im Bad wieder einigermaßen herzurichten. Den Blick in den Spiegel vermied ich tunlichst.