Читать книгу Equinox - Dana Schwarz-Haderek - Страница 13
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ОглавлениеGanz Gentleman hatte Robert mich am Abend bis zur Tür gebracht und mir mit einem sanften Kuss eine gute Nacht gewünscht. Nicht jedoch, ohne mir das Versprechen zu entlocken, am Morgen mit ihm zu frühstücken. Ich stimmte nur zu gern zu und er versprach, mich um acht Uhr abzuholen. Wir würden also nicht bei mir bleiben. Ich war wirklich schon neugierig, was er sich wohl einfallen lassen hatte.
Hatte ich noch vor vierundzwanzig Stunden das Gefühl, die Zeit würde langsamer als jemals sonst vergehen, zerrann sie mir nun sprichwörtlich zwischen den Fingern. Es war Mitternacht, als ich ins Bett ging. Als mein Wecker kurz vor halb 8 klingelt, war es mir, als sei ich gerade erst eingeschlafen. Verwunderlich! Nachdem ich nächtelang vor Angst und Ungewissheit, Robert nicht mehr wiederzusehen, nicht schlafen konnte, war ich endlich einmal wieder ausgeruht und erholt. Obwohl ich unglaublich aufgeregt war, wie es nun mit uns beiden weitergehen würde, hatte sich die Gewissheit, dass meine schlimmsten Ängste vorbei zu sein schienen, offenbar so beruhigend auf mich ausgewirkt, dass ich trotz meines überlauten, freudigen Herzklopfens zur Ruhe gefunden hatte. Robert wirkte sich also ganz wunderbar auf mein Wohlbefinden aus, stellte ich glücklich fest und schaute dem nun kommenden Tag mit ihm voller Vorfreude und beseelter Leichtigkeit entgegen.
Ich sprang aus dem Bett und duschte schnell. Robert hatte mich mehrmals gebeten, für das Frühstück warme, robuste Kleidung anzuziehen. Was er wohl vorhatte? Ich streifte mir also eine Jeans und ein hellblaues, langärmliges Shirt über und zog noch einen dicken weißen Rollkragenpullover darüber. Ich war gerade fertig mit Anziehen und Haare trocknen, als es auch schon klingelte. Ich schlüpfte in meine Schuhe und zog mir die Jacke treppabwärts laufend an. Obwohl ich immer noch dachte, dass ich nur geträumt haben konnte und ganz bestimmt nicht Robert in diesem Augenblick unten vor der Tür stehen würde, um mich abzuholen, freute ich mich unbändig auf den Morgen mit ihm. Wo wir wohl frühstücken würden? Ich flog die Treppe förmlich hinab.
Unten angelangt, riss ich die Tür auf und war völlig überrascht, als er direkt vor mir stand, dichter, als ich erwartet hatte. Mit dem letzten Schwung des Türöffnens fiel ich ihm direkt in die Arme, unfähig noch irgendwie die Balance zu halten. Robert fing mich mühelos auf und lächelte mich dann verschmitzt an, als ich wieder sicher auf meinen eigenen Beinen stand.
»Du bist aber stürmisch! Guten Morgen!«
»Guten Morgen!«, mir schoss das Blut in die Wangen. Wie peinlich, direkt mit der Tür nicht ins, sondern aus dem Haus zu fallen … So etwas konnte auch nur mir passieren!
Robert trug wieder seine Bikerjacke, eine dunkle Jeans, Bikerboots und um den Hals einen dunkelgestreiften Stoffschal. Mir fiel es erneut unendlich schwer, meine Augen von ihm abzuwenden. Und mir wurde klar, dass ich dies ja auch eigentlich nicht mehr tun müsste. Diese Erkenntnis jagte mit einem einmaligen, überwältigenden Gefühl gleich eines Stromstoßes durch mich hindurch, als hätte ich direkt in eine Steckdose gefasst und verursachte eine Gänsehaut, die man sicher sogar durch Pullover und Jacke noch sah.
»Hast Du Hunger?«, fragte er mich.
Ich nickte. Immer noch bedeckt mit kribbelnder Gänsehaut von Kopf bis Fuß.
»Na dann mal los.« Sein Gesicht leuchtete vor Freude. Er drehte sich um und nahm von einem hinter ihm parkenden Motorrad einen Helm und reichte ihn mir.
»Wir fahren Motorrad?«, fragte ich verwundert und begeistert zu gleich.
»Wenn du nichts dagegen hast …?«
»Natürlich nicht! Wow! Ich meine, das wollte ich schon immer mal! Was ist das denn für eins?« Ich strahlte ihn überglücklich an und versuchte, den Helm aufzusetzen. Das war gar nicht so einfach, aber es klappte.
»Eine BMW R69S von 1965«, antwortete er mit Kennerblick auf die Maschine, als müsste ich spätestens jetzt Bescheid wissen.
»Aha, ein Oldtimer. Sieht aber immer noch chic aus«, versuchte ich sein Motorrad ehrlich zu loben, was zu einem amüsierten Grinsen bei Robert führte.
»Chic?«, fragte er breit grinsend.
»Allerdings müsstest Du jetzt den Rucksack nehmen. Ich hoffe, das ist okay für dich?« Robert reichte mir mit fragendem Blick einen gut gefüllten Rucksack. Kein Problem, warum sollte ich etwas dagegen haben? Ich setzte ihn auf und sagte: »Klar, kein Thema.«
»Warm angezogen scheinst Du ja zu sein. Halte dich gut an mir fest, am besten mit deinen Armen um meinen Bauch«, erklärte er mir fürsorglich.
Oh mein Gott! Meine Arme um seinen Bauch …?
Er schlüpfte in den zweiten Helm, saß auf und ich kletterte hinter ihn. Ich hatte ihn in meiner Freude über die Motorradtour noch gar nicht gefragt, wohin wir fahren würden. Aber zum Fragen war es nun zu spät, denn Robert hatte die Maschine schon gestartet, drehte sich nochmal zu mir um, nickte kurz und es ging rasant los. Der Klang des Motors hallte von den Häuserwänden wider. Wir brachten bestimmt gerade alle Leute in der Straße um ihren Plan, am Samstag auszuschlafen. Na und? Ich musste leise lachen. Das war alles so gar nicht ich. Aber ich fühlte mich ausgesprochen wohl!
Ich achtete nicht darauf, wohin wir fuhren, sondern schloss die Augen und schmiegte mich eng an Robert. Ich spürte, dass er nach einem kurzen Moment ziemlich schnell fuhr, konzentrierte mich aber nur auf das Gefühl, ihm so nahe zu sein und genoss es, mit ihm förmlich durch Raum und Zeit zu fliegen.
Wir wurden langsamer und der Untergrund schien nicht mehr eben. Das Motorrad fuhr nun behutsam über einen wurzeligen Weg, als ich die Augen wieder öffnete. Wir fuhren unterhalb eines langgezogenen, grünen Hanges. Links neben uns war Wald. Leichte Nebelschwaden zogen rechts über dem Hang entlang. Hier und da brach die leuchtende Oktobermorgensonne durch den Nebel und ließ den Tau auf dem Rasen märchenhaft glitzern. Die Büsche am Waldrand waren überzogen mit tausenden Spinnweben, die, ebenfalls vom Tau feucht, in allen Regenbogenfarben strahlten. Es war wunderschön. Wie ein Zauber!
Nach einer Weile hielt Robert und wir stiegen ab. Er hängte unsere Helme an die Lenker des Motorrades und nahm mir den Rucksack ab.
»Wir sind da, Honey«, sagte er zärtlich und zog mich an der Hand den Hang hinauf. Honey, wow! Oben angekommen stellte ich fest, dass es gar kein Hang war, sondern ein Damm, der sich schnurgerade neben einem zahmen Flüsschen erhob und sich auf der gegenüberliegenden Seite wiederholte. Zum Fluss hinunter verlief der Damm nicht gar so steil. An einer etwas flacheren Stelle blieben wir stehen und er begann den Rucksack auszupacken. Zuoberst kam eine Picknickdecke zum Vorschein, die er im feuchten Gras ausbreitete.
»Keine Angst«, erklärte er, als er meinen skeptischen Blick bemerkte. »Die Decke ist beschichtet. Wir können nicht nass werden. Nimm schon mal Platz. Es ist gleich angerichtet.«
Und vor Vorfreude lächelnd packte er weiter aus.
Ich tat, wie mir geheißen und setzte mich auf die Decke. Von diesem Punkt war das Naturschauspiel noch beeindruckender. Staunend sah ich mich um. Die Nebelfetzchen, die wir vorhin oberhalb des Dammes gesehen hatten, schwebten nun verträumt über dem träge dahin fließenden Fluss, als würde das Wasser wohlig warm sein und dampfen. Die Sonnenstrahlen brachen sich auf der Wasseroberfläche und spiegelten sich in goldenen, tanzenden Lichtflecken auf der gegenüberliegenden Dammseite. So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen!
Plötzlich hockte sich Robert neben mich und sah mich aus seinen grünen, sonnenlichtdurchfluteten Augen an. Mir verschlug es den Atem. Hatte ich gerade gedacht, die Natur um mich herum war das Schönste, was ich je gesehen habe? Ich hatte mich geirrt! Wie konnte ein so schöner Mann nur für mich bestimmt sein? Ich war einfach nur fassungslos und unendlich glücklich zur gleichen Zeit.
»Du hattest noch gar keinen Guten-Morgen-Kuss!«, sagte Robert leise und küsste mich behutsam auf die Stirn.
»Stimmt«, erwiderte ich, »Du auch nicht«, und küsste ihn mit einer federleichten Berührung auf seine Lippen zurück. Er umfasste zärtlich mein Gesicht, und noch bevor sein Mund sich meinem nähern konnte, knurrte mein Magen laut und vernehmlich. Ein wirklich toller Zeitpunkt …
»Wir sollten vielleicht erst frühstücken«, sagte Robert mit belegter Stimme. »Tee oder Kaffee?«
Tatsächlich! Er hatte wirklich an alles gedacht. Ich ließ meinen Blick über die Picknickdecke wandern. Zwei große Tassen standen da, zwei kleine Flaschen Orangensaft mit Strohhalm, Croissants, Brötchen, Käse, Schinken, Honig, Weintrauben, zwei Birnen, ein Schälchen frische Brombeeren.
»Tee bitte«, antwortete ich. »Es sieht köstlich aus!«
Robert zauberte einen kuvertierten Teebeutel hervor, Twinings English Breakfast – wow – und goss heißes Wasser aus der Thermoskanne darüber. Wie er die richtige Teesorte wohl erraten hatte?
»Milch?«
»Ja, bitte!«
»Das ist zwar im Style nicht ganz formvollendet richtig, aber ich denke, hier tut’s auch mal Kaffeesahne, oder?«, und hielt mir auch schon kleine Kaffeesahnenäpfchen hin.
»Weißt Du, das ist mein Lieblingstee! Woher wusstest Du das? Ich bin begeistert!«
»Ich auch!«
»Wie bitte?« Ich konnte nicht ganz folgen.
»Na, begeistert. Ich bin auch begeistert! Von Dir!«, und er grinste frech. »Gefällt es Dir hier?«
»Es ist wunderschön!«, hauchte ich und ertrank einmal wieder in seinen tiefgrünen Augen, während ich völlig vergaß, ihn noch einmal nach der treffenden Teewahl zu befragen.
»Iss!«, lachte Robert und steckte mir keck eine Weinbeere in den Mund. »Du frisst mich sonst noch, so wie dein Magen vorhin geknurrt hat.«
»Das wäre auch nicht so schlimm«, murmelte ich leise vor mich hin, während ich die Beere kaute. Hatte ich das gerade gesagt? Ich sollte versuchen, meine Gedanken nicht auf der Zunge zu tragen. Das passierte schließlich sonst auch nicht. Aber in Roberts Gegenwart schien ich sowieso nicht wirklich ich zu sein.
»Was hast du eben gesagt?«, fragte Robert schelmisch. Er hatte auf jeden Fall mehr verstanden, als er sollte. Ich wurde schon wieder rot. Und das passte mir gar nicht. Ich hielt mich an meiner Tasse Tee fest und wusste nicht so richtig, was ich jetzt tun sollte. Ich war ja selbst schuld, dass ich mich auf solch glattes Eis begeben hatte. Robert schien dies ziemlich zu unterhalten und er lachte leise.
»Croissant oder Brötchen?«, fragte er und rettete mich so dankenswerterweise aus meiner Verlegenheit.
»Ein Croissant wäre toll. Dankeschön. Sag mal«, fragte ich kauend, wann bist du heute eigentlich aufgestanden, um das alles« – ich deutete um mich – »vorzubereiten und vor allem auch noch zum Bäcker zu gehen?«
»So gegen sechs«, antwortete er.
Sechs Uhr, unglaublich! Er war schon um sechs Uhr extra für mich aufgestanden? Ich war beeindruckt und schluckte vor Freude, dass ich ihm offensichtlich wichtiger zu sein schien, als ich zu hoffen gewagt hatte.
»Vielen Dank …«, sagte ich leise: »… für das schönste Frühstück meines Lebens!«
Er legte seinen Arm um mich und zog mich näher zu sich heran. Schweigend saßen wir da und genossen unsere Zweisamkeit und die Stille um uns herum. Dieser Augenblick war so einzigartig schön, dass es keiner Worte bedurfte, ihn zu beschreiben. Und all die Dinge, die wir noch übereinander wissen wollten, hatten Zeit, um später gesagt zu werden, fand ich. Warum etwas übereilen? Ich fühlte, dass die ganze Zukunft wie ein Versprechen vor uns lag, und ließ mich von dieser noch ganz neuen Vertrautheit gegenüber Robert einhüllen und verzaubern.
»Ich muss Dir leider noch schlechte Neuigkeiten überbringen«, sagte Robert nach einer kleinen Unendlichkeit.
Ich richtete mich auf und schaute ihn fragend an. Was wollte er mir mitteilen? War es doch nicht seine Cousine, die er neulich abholen musste? War er vielleicht sogar schon mit einer anderen Frau verbunden? Oder meinte er es, trotzdem es bisher nicht den Anschein erweckte, nicht ernst mit mir? Panikartig schossen mir in Bruchteilen von Sekunden die verschiedensten Katastrophentheorien durch den Kopf, und eine nie gekannte Angst ließ meinen Puls rasen.
Es schien wirklich kein Spaß zu sein, was er mir sagen wollte, denn Robert blickte mich mit ernstem, gequälten Ausdruck an. Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine tiefe Sorgenfalte. Ich runzelte die Stirn ebenso und wartete darauf, dass er erklärte, was die schlechten Neuigkeiten waren. Mir wurde mehr als nur flau im Magen, als Robert augenscheinlich mühevoll nach den richtigen Worten suchte.
»Ich muss ab Montag für acht Wochen zu einer Projektbetreuung nach Plymouth. Ich hatte mich freiwillig dafür angeboten, damit meine zwei Kollegen, die dies auch hätten machen können, nicht für so lange Zeit von ihren Familien getrennt sein müssten. Ich war ja Single zum Zeitpunkt dieser Entscheidung und hatte keinen Grund, diese Aufgabe nicht zu übernehmen. Außerdem habe ich Familie in der Gegend. Es bot sich ursprünglich eigentlich als eine perfekte Gelegenheit an, Job und Privates miteinander zu verbinden. Ich konnte schließlich nicht ahnen, dass du so kurz vor der Abreise in mein Leben treten würdest.«
Das waren in der Tat sehr schlechte Neuigkeiten! Sie warfen mich buchstäblich um. Ich konnte gar nicht sofort antworten, obwohl mich Robert flehend anschaute. Das flaue Gefühl in meinem Magen verstärkte sich augenblicklich.
»Acht Wochen?«, fragte ich nach einer Weile mutlos.
»Acht Wochen«, antwortete er mit Grabesstimme.
»Oh nein!«, ächzte ich und fühlte mich, als würde ich körperlich gefoltert. »Ohne Pause?«
»Ja, ohne Pause. Es sei denn, du kommst mich dort einmal besuchen. Das ginge schon. Würdest du? … bitte?«
Hoffnung! Jedenfalls ein bisschen.
»Auf jeden Fall. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dich schon wieder gehen lassen zu müssen.« Um mich herum drehte sich plötzlich alles und ich umfasste Roberts Hand, als müsste ich ihn schon jetzt festhalten, damit er nicht bereits in diesem Moment ginge.
»Glaub mir«, stieß er bitter hervor, »es fällt mir genauso schwer wie dir!«
Ich konnte nur gequält stöhnen, aber fühlte dennoch eine große Erleichterung, dass keine meiner ursprünglichen, rabenschwarzen Vermutungen den Grund seiner ernsten Worte darstellte.