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2. Nicht ganz klar im Kopf

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Das Dröhnen eines Traktors riss mich aus meinen Horrorträumen. Stöhnend rappelte ich mich auf, Rücken, Schulter und Knie absolut nicht angetan vom Schlafen auf der unbequemen Luftmatratze. Ich rieb mir die Spinnweben aus den Augen, tastete nach meinem Smartphone und checkte die Uhrzeit. Großartig! Mitten in der Nacht. Ich sank zurück auf das provisorische Bett und lauschte einem meiner Nachbarn, der munter seinen Acker umpflügte.

Einen Acker, der eindeutig zu nah an meinem Grundstück lag, um 5.30 Uhr am Morgen.

Das Haus lag im Grunde einsam und allein auf weiter Flur. Auf der Rückseite grenzte direkt an den verwilderten Garten ein weitläufiges Waldgebiet, das teilweise zu einem Naturschutzgebiet zählte. Der Rest rundherum war Ackerland, das natürlich bestellt werden wollte. Klasse.

Wie lange dauerte so etwas normalerweise? Ich hatte keinen Schimmer, wusste nicht mal, was hier überhaupt angebaut wurde. Ich gehörte ganz eindeutig und vehement in die Kategorie Großstadtjunge, der es gern bequem hatte und den Supermarkt mit den fertig abgepackten Notwendigkeiten direkt vor der Nase.

‚Willkommen in der Pampa, Lukas. Die Zeiten deines glorreichen Daseins in der pulsierenden Großstadt gehören der Vergangenheit an. Niemand will dich dort mehr.‘

Großartig. Meine boshafte innere Stimme war auch schon munter.

Ich ignorierte sie und zwang mich von der Matratze hoch. Haltsuchend stützte ich mich an der Ummantelung des Kamins ab und schnaufte durch die Pein, die durch meine Adern raste ... Wie jeden Morgen seit mir eine Kugel die Kniescheibe zerschmettert und die zweite meine Schulterarterie zerfetzt hatte. Dass ich noch lebte, grenzte an ein Wunder, doch in Augenblicken wie solchen, in denen ich mich kaum rühren konnte, wusste ich dieses nicht wirklich zu schätzen.

Nun denn, auf in den Kampf. Die Möbelpacker waren bereits für acht Uhr angekündigt, also sollte ich dem Bauern von nebenan vielleicht dankbar sein. Bei dem Schneckentempo, das ich momentan nur aufbrachte, reichte die Zeit vermutlich gerade mal für eine Dusche.

Mein Blick wanderte über die verkratzten Dielen, bis er an der Treppe hängen blieb. Wie hatte ich Idiot mir ein Haus kaufen können, wo die zwei Badezimmer, die Badewanne und Duschkabine beherbergten, im Obergeschoss lagen? Es gab zwar eine Gästetoilette hier unten, aber der Gedanke an eine Katzenwäsche am Waschbecken erschien mir nicht so prickelnd.

Ich brauchte unbedingt eine Dusche. Heiß. Ausgiebig. Bis meine Haut verschrumpelte und mir Schwimmflossen wuchsen. Ächzend bückte ich mich und raffte das Bettzeug zusammen. Erst als ich die Decke faltete - wobei mir bereits der Schweiß ausbrach -, fiel mir auf, dass etwas fehlte. Balous Körbchen am Fußende der Luftmatratze war leer, es sah nicht aus, als hätte er überhaupt darin gelegen.

„Balou?“

Meine kratzige Stimme hallte durch den weitläufigen Raum. Hastig ließ ich die Bettdecke fallen, schaute mich panisch um. Was, wenn der Kater irgendwie nach draußen gekommen war? Ich war gestern so k.o. gewesen, dass ich vergessen hatte zu checken, ob alles verschlossen war. Oder mein Stubentiger erforschte noch immer das Haus. Eine Bruchbude, die leicht zu einer Todesfalle für ein neugieriges Fellbündel werden konnte.

„Komm schon, Tiger. Wo treibst du dich herum?“

Meine Stimme hatte unwillkürlich den strengen Klang eines Zuchtmeisters angenommen. Der einzige Ton, auf den meine Samtpfote ansatzweise reagierte.

Ein leises Maunzen antwortete mir. Es kam von der Treppe. So rasch meine schmerzenden Knochen es zuließen, humpelte ich in die Richtung und atmete erleichtert den angehaltenen Atem aus. Dicht vor der ersten Stufe saß Balou und starrte in die dunklen Schatten am oberen Treppenabsatz. Sein Schwanz peitschte wild hin und her und er beachtete mich überhaupt nicht.

„Da bist du ja.“

Ich seufzte beruhigt, bückte mich und hob das Fellbündel grunzend auf. Verwirrt registrierte ich, dass mein Kater weiter unverwandt hochstierte.

„Was ist da oben denn Interessantes, Tiger?“

Hoffentlich keine Mäuse - oder gar Ratten! Aber wie ich meine Katze kannte, beobachtete sie vermutlich nur die Staubflusen, die in der Luft tanzten, und überlegte sich einen Angriffsplan.

Ich setzte die Samtpfote zurück auf den Boden und fixierte die Bergerklimmung, die vor mir lag. Dann stützte ich mich am Geländer ab und zog mich daran hoch. Zum Glück ächzte es heute nicht gefährlich, obwohl es beinahe mein gesamtes Gewicht tragen musste. Der Aufstieg dauerte fast zehn Minuten und in der oberen Etage angekommen, tropfte mir der Schweiß aus allen Poren.

‚Nun ist die Dusche überfällig.‘

Okay, hinter welcher Tür war jetzt noch mal das große Badezimmer? Unschlüssig stand ich einen Moment am Treppenabsatz, nahm die verschiedenen Zimmertüren in Augenschein. Ich rollte die Schultern, um die angespannten Muskeln zu lockern, während ich versuchte, mich an den Lageplan des Hauses zu erinnern.

‚Na ja, egal. Hinter einer der sechs Türen muss es ja sein‘, dachte ich selbstironisch. Auf gut Glück öffnete ich die erste auf der rechten Seite.

Jackpot! Direkt beim ersten Versuch ein Treffer. Mein Hochgefühl schwand rasch, als ich die gesprungene Beschichtung der Badewanne sah. Na großartig. In dem Teil fiel eine Dusche aus. Ein weiterer Punkt auf der immer länger werdenden Reparaturliste.

Wenigstens schauten Waschbecken, Toilette und der Fliesenboden einigermaßen heil aus. Das Dunkelbraun des Bodens und der Wände musste jedoch weg, da wurde ich ja noch depressiver. Der Spiegel über dem Becken war völlig hinüber. Hm, das sah aus, als hätte da jemand seine Faust hineindonnern lassen. War das etwa getrocknetes Blut, das da klebte?

‚Unsinn, Lukas. Zügle deine überschäumende Fantasie!‘

Dennoch sah es merkwürdig aus. Seufzend humpelte ich hinaus und schloss die Tür von außen. Weiter ging’s. Ich tastete mich an der Wand entlang, suchte jetzt das große Schlafzimmer und das daran angrenzende Badezimmer. Hoffentlich war das in annehmbareren Zustand. Zuerst fand ich natürlich nur die Abstellkammer und einen kleinen Raum, der perfekt für Gäste geeignet war - falls ich denn jemals welche hierher einlud. Schnaufend hinkte ich auf die andere Seite des Flurs. Nur noch drei übrig. Die alte Tür knarrte laut, als ich sie aufstieß.

‚Okay, das ist unheimlich.‘

Das Erste, was mir auffiel, war der Geruch. Muffig und abgestanden, so als ob das Zimmer jahrelang nicht gelüftet worden war.

‚Komisch in der unteren Etage ist das nicht. War die Maklerin nie hier drin?‘

Ich kriegte plötzlich schwer Luft und musste husten, ehe ich mir mein T-Shirt über Mund und Nase zog und mich neugierig umschaute.

Überall wucherte eine dicke Staubschicht, bedeckte jeden Zentimeter des Raumes. Die gleiche grauenhafte Tapete wie im restlichen Haus wurde hier beinahe komplett von Postern populärer Musikbands verdrängt. Bands, die in den 80ern ihre Sternstunden hatten. Ein Schreibtisch stand in einer Ecke, ein aufgeschlagenes Buch lehnte darauf an der Wand dahinter. Ein Becher mit Stiften hielt es an Ort und Stelle. Auf der Gummiunterlage lag ein Schulheft. Es sah alles so aus, als ob gerade erst jemand aufgestanden war und jeden Moment wieder zurückkam.

Ein hölzernes Einzelbett war an die gegenüberliegende Wand gerückt, das Bettzeug in heillosem Durcheinander. Ich runzelte die Stirn. Wieso bitte war das Bett bezogen und sah aus, als hätte heute Nacht jemand dort geschlafen? Mensch, das war doch kompletter Blödsinn.

Das Haus stand seit über einem Jahrzehnt leer, die Maklerin wäre nicht so dumm, mir da einen Bären aufzubinden. Ich schaute mich aufmerksam um.

Das Zimmer wirkte wie das eines Teenagers, was merkwürdig war, denn der Vorbesitzer war zwar relativ jung verstorben - was hatte die Marquardt gesagt? Sechsundfünfzig oder siebenundfünfzig und vor elf Jahren gestorben?

Die Poster konnte ich so Mitte der 80er einordnen, da war er dann so um die fünfunddreißig. Durchaus möglich, dass er sein altes Kinderzimmer im ursprünglichen Zustand gelassen hatte. Es gab ja Nostalgiker.

Oder er hatte einen Sohn. Die Marquardt hatte davon jedoch nichts erwähnt. Vielleicht hatte ich auch nur nicht richtig hingehört. So kaputt, wie ich gestern gewesen war, hatte ich nur einen Bruchteil von dem mitgekriegt, was sie erzählt hatte. Aber falls es einen Erben gab ...

Ein ungeheuerlicher Gedanke kam mir, den ich sofort rigoros unterdrückte.

‚Denk nicht einmal daran, Lukas. Du bist kein Ermittler mehr!‘

Dennoch, der Einfall setzte sich in mir fest und fröstelnd rieb ich über meine bloßen Arme, auf denen sich Gänsehaut gebildet hatte. Plötzlich sah ich auch eine weiße Atemwolke.

Verdammt war das kalt hier drin. Wie in einer Tiefkühltruhe, um genau zu sein. Der Schweiß auf meiner Haut schien zu gefrieren. Wieso war es hier so eisig, wenn im Rest des Hauses eine Affenhitze von der bullernden Gaszentralheizung herrschte? Bebend und mit einem unguten Gefühl schaute ich mich erneut aufmerksam in dem Zimmer um.

Ich konnte leider nicht leugnen oder gar ignorieren, woran mich das hier erinnerte. Es war eine Art Schrein, alles war im Originalzustand gelassen worden, gesetzt den Fall der Besitzer kam jemals zurück. Mich überrollte ein Flashback aus meiner Dienstzeit und den Schlafzimmern von Opfern, die in peinlicher Ordnung von verstörten Familienmitgliedern gehalten wurden. Dieser Raum wirkte genauso, von ihm ging dieselbe traurige, desolate Stimmung aus.

Rasch erstickte ich die bittere Erinnerung an meine Vergangenheit.

‚Du bist kein Kriminalbeamter mehr, Lukas‘, ermahnte ich mich. ‚Lass das Zimmer Zimmer sein und such jetzt endlich das Bad!‘

Das war eine hervorragende Idee und dennoch konnte ich mich nicht davon abhalten, einen Blick zurückzuwerfen, mich kurz zu fragen, wer dort wohl gelebt hatte. Ich zog die Tür zu, als plötzlich ein Luftschwall an mir vorbeirauschte. Es fühlte sich fast an, als atmete mir irgendwer oder -was direkt in den Nacken. Fröstelnd drehte ich mich ruckartig um, erwartete tatsächlich, dass jemand hinter mir stand.

Niemand.

Der Flur war völlig leer. Ich musste wirklich langsam anfangen, mein Pillenaufgebot zu reduzieren. Nicht, dass ich noch anfing zu halluzinieren. Aber allein der Gedanke, ohne die kleinen Helfer auszukommen, verursachte bei mir Grauen ganz anderer Art.

Mit den Tabletten und dem Alk als Unterstützung hielt ich die Dämonen im Kopf, aus der Vergangenheit, recht passabel in Schach. Ohne konnte ich mir mein Dasein momentan nicht mal ansatzweise ausmalen. Es war jedoch an der Zeit es herauszufinden. Als Junkie und Alki wollte ich nämlich keinesfalls enden.

Humpelnd suchte ich mir den Weg zu den letzten beiden Türen. Hinter einer befand sich das leere Elternschlafzimmer. Auch hier waren die Dielen völlig verkratzt, doch als ich darüber schlurfte, machten sie zwar Lärm, schienen dennoch immerhin stabil zu sein.

Erleichtert fand ich mich schließlich vor dem Bad wieder. Es besaß die gleiche Aufteilung und Einrichtung wie das andere, aber hier war die Badewanne heil. Nur der Spiegel wies exakt dieselben Zerstörungsspuren auf und mir rieselte ein Schauer die Wirbelsäule hinab. Unwirsch schüttelte ich die Beklemmung ab.

Rasch zerrte ich mir mein T-Shirt und die Boxershorts vom Leib, griff mit einem Stoßgebet hinter den vergilbten Duschvorhang und drehte den Hahn auf. Es gluckerte unheilvoll und zuerst schoss braune Brühe heraus, wurde jedoch erstaunlich schnell klar. Seufzend trat ich unter den prasselnden Strahl. Das heiße Wasser lockerte sofort die verkrampften Muskeln der Schultern und im Rücken und ich spürte, wie ich allmählich relaxte.

Erst als ich blind nach der Shampooflasche tastete, fiel mir schlagartig ein, dass ich etwas Elementares vergessen hatte. Meinen Rucksack, in dem alles untergebracht war, was ich für die Körperpflege brauchte.

Fuck!

Mein Gehirn weichte tatsächlich auf, hatte ich so das Gefühl. Saubere Wechselklamotten befanden sich ebenfalls noch unten.

‚Großartig, Lukas. Ganz toll. Es geht doch nichts über einen gepflegten Marathon am Morgen.‘

Alles Fluchen und Schimpfen half mir jedoch nicht weiter, ich musste wieder runter. Seufzend stellte ich den wohltuenden Strahl ab, zerrte den Duschvorhang beiseite und ... erstarrte.

Direkt vor mir auf dem Toilettendeckel stand mein Backpack, so als ob es ganz selbstverständlich dahin gehörte. Und noch besser. Obendrauf lag sorgfältig gefaltet eins meiner Badetücher. Ich glotzte auf die Objekte vor mir und hatte keinen Schimmer, was ich davon halten sollte. Unbehaglich sah ich mich um, erwartete fast, dass jeden Moment ein Schatten aus einer Ecke auf mich zusprang.

Doch das winzige Bad war bis auf meine Wenigkeit leer. Dennoch wusste ich, dass ich den Rucksack nicht hier hoch geschleppt hatte.

‚Daran würde ich mich ja wohl erinnern. Oder etwa nicht?‘

Stirnrunzelnd starrte ich auf die Utensilien vor mir.

„Oh Mann, Lukas, jetzt geht’s wirklich bergab mit dir“, murmelte ich laut.

Aber scheiß drauf! Ich wischte das merkwürdige Gefühl beiseite, denn ganz ehrlich: Es war mir egal, wie das Zeug hierher gekommen war. Es war wie ein Geschenk des Himmels, da ich mich nun jedenfalls nicht extra wieder runterquälen musste.

Ich schnappte mir die Tasche, warf das Handtuch auf die Toilette zurück und kramte Duschgel und Shampoo aus dem vollgepackten Inneren. Dann zerrte ich den Duschvorhang hinter mir zu, drehte den Hahn auf volle Kraft und versuchte alles auszublenden, was in der Welt da draußen vor sich ging.

Nachdem ich mich gewaschen hatte, fühlte ich mich halbwegs wieder wie ein normaler Mensch.

‚Na ja, bis auf ein unwesentliches Detail‘, dachte ich sarkastisch, als ich meinen schlaff herunterbaumelnden Penis betrachtete.

Seit dem Krankenhaus lag meine Libido im Winterschlaf, vielleicht auch in einer Schockstarre, aber das war kaum ein Wunder, nach dem Scheiß, der hinter mir lag. Wichtig war die Funktionsfähigkeit meines Schwanzes jedenfalls momentan nicht, gab ja sowieso niemanden, den ich damit beglücken konnte. Oder wollte. Nicht nach Leo.

Dieser Erinnerung versetzte ich sofort den Todesstoß. Es gab keinen Grund mich unnötig zu geißeln. Es reichte, wenn mein Unterbewusstsein aus dem Hinterhalt auf mich einprügelte, ich musste es nicht auch noch selbst heraufbeschwören.

Entschlossen stieg ich aus der Wanne, rubbelte mich halbherzig mit dem Handtuch trocken und schlang es mir danach um die Taille. Ich humpelte zum Waschbecken und begutachtete mich in den spinnenwebartigen Rissen des Spiegels, die sich von der Bruchstelle in der Mitte ausbreiteten.

„Mann, der Neandertalerlook ist eindeutig nichts für dich, Lukas.“

Wildwuchs von mindestens sechs Wochen wucherte auf Wangen und Kinn. Das letzte Mal hatte mich eine Schwester zu Anfang der Reha rasiert. Leo fand Stoppeln ja immer sexy bei mir, aber das hier ... Und ich wollte keinesfalls mehr etwas von dem sein, was Leo gefallen hatte. Nicht mehr. Niemals wieder.

Also kramte ich entschlossen das Rasierzeug hervor und rückte der Gesichtsbehaarung zu Leibe. Danach fühlte ich mich noch ein Stückchen normaler und strich über die glatte Haut. Dann musterte ich mich nachdenklich. Ich war ungewohnt blass, die dunklen Augenringe bewiesen, dass ich zu wenig schlief. Dennoch war ich zufrieden mit mir.

Immer schon ziemlich fit gewesen hatte ich einen Großteil meines Muskeltonus behalten und im Krankenhaus nicht so viel abgebaut wie Untrainierte. Sobald ich mich wieder körperlich betätigte, kam der Rest auch schnell zurück. Ich drehte mich seitwärts, betrachtete meinen Arsch. Hm, rund und knackig. Er hatte kaum gelitten. Ich schnaubte unwillig. Und wen interessierte das?

Ein leises Kichern erklang hinter mir und ich erschrak. Ich wirbelte herum, wobei ich mit dem kaputten Bein wegrutschte und mich in allerletzter Sekunde am Becken abfangen konnte. Das weißglühende Brennen, das in meine Nerven raste, ließ sich jedoch nicht vermeiden und für einen Wimpernschlag wurde mir schwarz vor Augen.

Fuck!

Als mein Sichtfeld sich wieder normalisierte, starrte ich in einen leeren Raum. Nichts und niemand zu sehen! Das war doch verrückt. Da war ein Lachen gewesen. Hundertprozentig! Tja, und hundertpro war mein Rucksack von mir mitgenommen worden, obwohl ich mich nicht daran erinnern konnte. So eine verfickte Scheiße!

Musste ich jetzt ernsthaft befürchten, auch noch den Verstand zu verlieren? Reichte es denn nicht, dass ich physisch ein Krüppel war? Ein kalter Schauer rieselte mir das Rückgrat hinab, das Gefühl unsichtbare Augen auf mir zu spüren, verstärkte sich.

Ich fühlte mich absolut albern, dass ich hier splitterfasernackt vor einem eingebildeten Zuschauer einen auf erschrecktes Hühnchen machte, und hinkte zur Toilette. Ich verspürte den unwillkürlichen Drang, mich rasch zu bedecken, und zog eine saubere Jeans aus dem Rucksack. Ohne mich, um Unterwäsche zu kümmern, schlüpfte ich in die Hose.

Ein Geräusch, das sich verdächtig nach einem enttäuschten Stöhnen anhörte, hallte in dem kleinen Bad wider, als der Stoff meinen Hintern bedeckte, aber ich ignorierte es vehement. Das war nur Einbildung!

„Das ist ein morsches altes Haus. Eine ungewohnte Umgebung für dich, Kumpel. Wer weiß, was du hier noch alles hören wirst?“, versicherte ich mir selbst.

Dennoch beeilte ich mich fertig zu werden und wieder nach unten zu kommen. Da konnte ich mich notfalls besser verteidigen. Ich schlüpfte in ein neues T-Shirt, stopfte die benutzten Sachen in den Rucksack und machte, dass ich aus dem engen Bad heraus kam.

Auf dem Gang atmete ich tief durch, froh dort raus zu sein. Plötzlich fielen mir an der Wand gegenüber die Spiegel auf. Wie in den beiden Badezimmern waren auch diese zersplittert. Das war merkwürdig, besonders da es bei allen Spiegeln nach massiver Gewalteinwirkung aussah.

„Da hat jemand aber eine Menge Pech angehäuft“, sinnierte ich und schlurfte den Flur entlang.

Ich setzte gerade einen Fuß auf die erste Stufe der Treppe, als ich den Hauch einer Berührung auf meinem Arsch spürte. Ich zuckte zusammen und wäre die Stiegen hinuntergekollert, hätte ich nicht bereits das Geländer fest umklammert. Konsterniert und leicht geschockt warf ich einen Blick über die Schulter.

Der Gang war leer.

‚Ja, was soll er denn sonst sein. Idiot! Du leidest tatsächlich an Halluzinationen!‘

Ehe ich Gelegenheit bekam, diese merkwürdigen Ereignisse weiter zu analysieren und letzten Endes vielleicht wirklich durchzudrehen, ertönte eine Autohupe von draußen und katapultierte mich zurück in die Realität.

So schnell ich vermochte, hinkte ich die Stufen hinunter. Die Möbelpacker! Früher als abgemacht, aber eine willkommene Ablenkung von dem Irrsinn, der mich anscheinend kurzfristig befallen hatte. Ich beeilte mich, zur Haustür zu kommen, erpicht darauf, den Hauch von Unbehagen mit harter Arbeit zu ersticken.

Überrascht stellte ich fest, dass Balou immer noch am Fuß der Treppe saß, die bernsteinfarbenen Iriden starr auf den oberen Absatz derselben gerichtet. Die Augen huschten hin und her, folgten etwas, das wohl nur er sehen konnte.

Unwillkürlich schnellte mein Blick ebenfalls zurück nach oben. Nichts. Da war rein gar nichts.

Energisch schüttelte ich die Beklemmung ab und humpelte weiter zur Haustür. Ich war einfach nur überlastet und die ungewohnte Umgebung machte mich nervös. Sobald ich mich in meinem neuen Heim eingelebt hatte, würde alles in Ordnung sein.

Liebe mich ... unendlich

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