Читать книгу Hass: Vom Lieben und Sterben in Oxford - Daniel D. Wilde - Страница 9
7
ОглавлениеThomas flanierte in aller Herrgottsfrühe die Daumen in die Manteltaschen eingehackt, den Hut schräg auf dem Kopf durch die schmalen romantischen Straßen und Gassen, am Regents Kanal gegenüber dem Park. Der von hier, aus, wie ein grünes Lebewesen wirkte, nicht wie ein Ding, sondern ein lebendes und atmendes Wesen, das im sanften Schlummer versunken existierte. Schlief wie ein Bär im Winterschlaf. Die Preise für die Reihenhäuser waren doppelt so hoch wie im Rest von Westminster 10 tausend Pfund und mehr. Thomas konnte es verstehen, es war anheimelnd hier in den verwinkelten Straßen am Kanal, anheimelnd wie in einem Dorf. Die Leute, die morgens unterwegs waren, nickten einander zu. Die Passanten, die er sah, wie er in Mantel und Hut gekleidet wirkten anders als er entspannt und zufrieden. Neben den Vortreppen mit den geputzten Steinstufen und den gusseisernen Treppengeländern standen Blumentöpfe, ohne das hier jemand Angst zu haben schien jemand stahl sie oder warf sie aus Wut auf das Straßenpflaster. Autos parkten vor den Häusern auf der Straße und Fahrräder waren an die Baumstämme vor den Geschäften gelehnt. Ein Constable mit rotem Gesicht radelte vorbei und lächelte. Thomas sah ihm erstaunt hinterher, lächelnde Constables er schüttelte den Kopf. Geschäfte, Buchläden, die Werkstätten von Instrumentenbauern reihten sich aneinander, unterbrochen von zwei Pubs und einem Kaffeehaus. Thomas hätte diese Atmosphäre in einer anderen Situation gierig in sich aufgesaugt aber in den letzten vierundzwanzig Stunden hatte sich sein ereignisloser Frühling verwandelt. In etwas Unschönes verändert, so wie ein knackiger roter stinkgewöhnlicher Apfel über Nacht in ein fauliges braunes Ding verändert werden konnte. Durch die makaber zugerichtete Leiche und die Hinweiszeichen, die Anhaltspunkte, die den Mord mit dem Schwanenmörder in Beziehung brachten. Er hatte seine Arbeit nicht beendet und da brauchte er nicht lange herum zu überlegen das machte ihn schuldig. Er fühlte sich verantwortlich, aber man hatte eine Spur. Der Misthaufen hatte Laudanum gekauft und besaß eine Fotokamera. Der Fluchtweg verlief durch das Gebüsch, der Misthaufen – der Mann dem Foltern spaß machte – lebte in der Nähe des Parks. Es gab hier drei Fotografen, eine Spur, die sich zu verfolgen lohnte, aber auf die er nicht alles setzen würde. Das Fotografieren war in den letzten zehn Jahren zu einem beliebten Hobby geworden. Sein Haus musste direkt am Wasser stehen, er hatte ein Boot. Er konnte nicht mit dem Opfer über die Schulter geworfen durch die Straßen laufen. Kein Mann mit einem Koffer war in den Park gekommen, er wäre aufgefallen. Die Folter, der das Mädchen ausgesetzt gewesen war, erzählte nicht nur von seinem Geist, sondern auch von seiner Wohnsituation. Ein Haus, kein Mietshaus. Die vier Eingänge des Parkes wurden überwacht es durften keine Autos durch den Park fahren, also hatte er sie anders zum Auffindplatz geschafft. Der Misthaufen war gestern allein gewesen und sein Opfer hatte nicht geschrien, war betäubt. Oh Gott lass sie betäubt gewesen sein! Oder aus seinem Haus drang aus irgendeinem Grund kein Ton. Es blieb als einziger Weg das Boot, was ein Haus am Kanal hier in der Gegend voraussetzte. Er hatte das Opfer betäubt zum Park gerudert, hatte sie am Kanalufer umgebracht und abgelegt dann gewartet und ein Foto von den Amerikanern gemacht, er musste ein Boot haben. Geschwommen mit der schweren Fotokamera und seinem Opfer konnte er nicht sein. Man konnte auch nicht für zwei Minuten ungesehen in einem Ruderboot den Regents Kanal befahren, egal zu welcher Zeit, also ein Haus irgendwo hier. Auf dem Regents Kanal war rund um die Uhr mehr Verkehr als auf der Whitechapel Road einer der Verkehrsadern Londons. Es gab dreizehn Brücken allein in der Gegend und vier Schleusenwärter. Thomas hob den Blick und sah das Ladenschild, das er suchte, an einer Eisenkette im Wind schaukeln. Ein Mörser und ein Stößel, das Zunftzeichen der Londoner Apotheker. Wenn der Mörder hier wohnte und Laudanum nahm, war zu vermuten, dass er nicht erst durch die halbe Stadt fuhr, außer er brauchte es nur zum Betäuben, blieb noch das Haus am Wasser und das Boot. Thomas begab sich nach dem ersten erfolglosen Versuch in die zweite der drei Apotheken in der Gegend. Er kniff fest die Daumen zusammen und stieg die drei Vorstufen hoch und öffnete die Ladentür und wurde sofort umhüllt von einem starken Geruch nach Salmiaklakritze. Thomas drehte sich weg von der Tür und sah ihn an, er dachte, dass der Apotheker ein junger rothaariger Kerl mit Sommersprossen der eine Brille trug, als Apotheker über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügen muss.
»Guten Tag Sir womit kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Apotheker und schenkte ihm ein ernst gemeintes Lächeln.
»Es ist wichtig Sie haben ja von der Leiche gehört.«
Der Mann stutzte und sein nettes Gesicht nahm einen empörten Ausdruck an er sagte: »Ja schrecklich, was da passiert ist, was kann ich für Sie tun?«
Thomas trat dicht an den Ladentisch, hinter dem der Apotheker mit dem Rücken zu ihm auf einem Tritt stand. Aus dem Apothekerschrank aus hellem Birkenholz standen unzählige Schubladen heraus. Der Apotheker drehte seinen Kopf wieder und schob sie zu. Er stieg von seinem Tritt herunter und kam zum Apothekertisch.
»Haben Sie Laudanum in Angebot und verkaufen es?«, fragte Thomas.
»Ja. Obwohl heutzutage die Leute glauben Opium sei ungesund aber … ein wenig Laudanum bewirkt Wunder und ist weit verträglicher als all das moderne Zeug.«
Thomas Stimme und wie er seinen wuchtigen Körper dichter an den Apotheker schob, nahm etwas Drängendes an.
»Ich brauche unbedingt die Information. Wir müssen unbedingt wissen, wer wie viel wann gekauft hat. Könnten Sie in Ihrer Buchhaltung nachsehen?«
Der Mann, der aussah wie Charles Dewitt der berühmte Cricketspieler von Yorkshire, der mit einer berühmten Schauspielerin verheiratet war, nur kleiner und mit Brille aber denselben regen Intellekt ausstrahlte nickte.
»Ja, natürlich helfe ich gerne Mister ...?«
»Inspector Woolfe Hafenpolizei Dockland, vielen dank Sir. Hoffen wir das Ihre Angaben uns, helfen, werden diesen schlimmen Menschen von der Straße hier zu holen.«
Der Apotheker sah aus dem Schaufenster an Thomas vorbei nach draußen, sah in eine bestimmte Richtung. Thomas kannte den Blick. So blickten Menschen, die unangenehme Gedanken hatten, einen Verdacht, der sich geradezu aufdrängte und für Logik nicht zu haben war. Das Misstrauen des Apothekers war auf etwas fokussiert, er starrte auf ein bestimmtes Objekt draußen auf der anderen Straßenseite. Thomas drehte den Kopf und folgte seiner Blickrichtung. Der Apotheker holte ein Buch aus der Tischlade und öffnete das schwere ledergebundene Kassenbuch auf der Verkaufstheke. Eine Minute lang durchblätterte er das Kundenbuch und die Apotheke war erfüllt vom Geräusch knisternden Papieres und dem Geruch nach Lakritze und von Thomas Ungeduld.
»Ich habe drei Kunden die das Medikament auf ärztlichen Rat beziehen. Mister Therse ein alter Mann von 87 Jahren, der das Medikament seit 1902 hier bezieht. Er kann einfach nicht mehr ohne sein Glas Whisky mit Laudanum Schlafen sagt er.«
»Hat er Kinder, Söhne?«
»Nein, ihr Sohn ist gestorben. 1919 am Flandern Fieber, der spanischen Grippe. Der andere Kunde ist eine Mrs Bayers.«
Thomas dachte an den Reim, der beim Ausbruch der zweiten Krankenwelle 1918 unter den Soldaten in Flandern die Runde machte. Er murmelte: »Ich hatte einen kleinen Vogel, sein Name war Enza. Ich öffnete das Fenster und ließ herein die Influenza.«
»Mrs Bayers ist eine 76 jährige Witwe mit Migräne«, er lächelte. »Aber ohne Kinder, nein Moment sie hat eine Tochter die in Australien verheiratet ist glaube ich, sagte sie mir jedenfalls.«
»Hören Sie mir zu, es ist mir, egal ob Sie in Hinterzimmer eine Spielhölle oder ein Opiumden betreiben. Ich muss wirklich jeden Namen wissen, der mit oder ohne Rezept Laudanum wollte.«
Der Apotheker lächelte: »Ich habe verstanden. Der Apothekerberuf schafft Vertrauen und die Leute reden mit einem und manchmal fehlt tatsächlich ein Rezept. Ich gebe aber diese Medikamente nur heraus wenn, ich den Kunden kenne. Mister Woolfe wie soll ich sagen«, jetzt war jedes Lächeln aus dem gutmütigen Gesicht gewichen. Es schien ihm unangenehm zu sein über jemanden nichts Gutes sagen zu müssen. »Mister MacCarthy ... Ian MacCarthy, der hier das Fotostudio betreibt.«
Der Apotheker zeigte aus dem Schaufenster. Thomas Blick folgte dem Wink und blieb an einem grünen zweistöckigen Haus hängen, in dessen eckigen Schaufenster gerahmte Fotografien von Kindern, Pummelchen in Rüschenkleidern oder Matrosenanzug ausgestellt waren. Das Haus stand direkt am Kanal und aus seinen Hinterfenstern musste man eine herrliche Aussicht auf den Regents Park haben. MacCarthys Fotoatelier seit 1899 stand auf der staubigen Schaufensterscheibe, die seit Langem nicht geputzt war. Das Gebäude machte einen heruntergekommenen Eindruck.
»Was ist mit ihm?«, fragte Thomas hellhörig und sein Blick pendelte zwischen dem Gesicht des Apothekers und dem heruntergekommenen Haus hin und her.
»Nun er ist etwas absonderlich was nicht heißt ich will ihm irgendetwas unterstellen. Aber Sie fragen mich ja offiziell als Polizist, wer Laudanum kauft. Er nimmt es seit dem tot seiner Mutter vor drei Jahren er sagt es liegt an den träumen.«
Thomas spürte wie sich Erregung in ihm aufbaute, »er sagte er nimmt es wegen den träumen? Wie sieht Mister MacCarthy aus und verhält er sich in irgend einer Beziehung ungewöhnlich?«
»Er ist dicklich nein das ist der falsche Ausdruck er ist eher stämmig, ein Ire nehme ich wegen des Namens an. Er ist immer ziemlich in Eile und kann einem nicht in die Augen sehen, er ist mir deshalb nicht sehr angenehm als Kunde. Sie verstehen er wirkt«, der Apotheker suchte nach dem Wort das MacCarthys Wesen am besten beschrieb. »Er wirkt immer unruhig speziell wenn hier weibliche Kundschaft ist. Er wirkt verbockt und man muss ihm alles aus der Nase ziehen. Wirklich keiner der angenehmsten Zeitgenossen.« Er beugte sich näher zu Thomas. »Die Leute erzählen sich er ist ein komischer Vogel sagen er geht immer erst abends aus dem Haus und Sonntags putzt er sein Auto von innen und außen besonders den Kofferraum.«
»Mister ...?«, Thomas nickte breit grinsend und widerstand dem Impuls dem Apotheker Geld für die Information in die Hand zu stecken.
»Barnabas Huxley.«
»Mister Huxley, London braucht mehr Menschen wie Sie und das meine ich wirklich Ernst!«
Als Thomas auf die Straße trat und tief einatmete und den Mantel öffnete um seinen Körper von der Frühlingsluft umspülen zu lassen flüsterte er, »dann sehen wir mal was für einer sie sind Ian MacCarthy.« Thomas überquerte die Straße und warf einen Blick auf das Haus am Canalway Nummer siebenundsiebzig, in dem MacCarthy wohnte und sein Fotogeschäft betrieb. Kein Auto stand vor dem Haus. Es war ein schmales zweistöckiges altes grünes Gebäude mit schmalen hohen Schiebefenstern zur Straßenseite hin. Hinter allen staubigen Fenstern waren die Vorhänge dicht zugezogen. Thomas zog sich auf die andere Straßenseite zurück und setzte sich auf die Haustreppe eines Gebäudes in dem ein zu Verkaufen Schild im Erkerfenster angebracht war. Thomas überlegte, wie viel es kostete, vermutlich mehr als er mit ehrlicher Arbeit verdienen konnte. Die Arme vor der Brust verschränkt, in der Frühlingsluft auf der Vortreppe sitzend beobachtete er die Leute, die unterwegs waren, sich trotzdem Zeit ließen. Er bemerkte, wie Männer ihre Hüte voreinander zogen, um Scherzworte miteinander zu wechseln. Der Canalway war eine gute eine lebensbejahende Nachbarschaft, eine Mischung aus Händlerfleiß und kreativer Freiheit. Zwei Frauen standen auf den Vortreppen auf die Geländer gestützt und tratschten miteinander. Der Milchmann befand sich am Anfang der Straße und stellte die Milchflaschen vor die Tür und hängte die Papiertüte mit den Brötchen an die Türknäufe. Thomas hielt weiter mit einem Schmunzeln im Gesicht nach einem Zeichen von Leben in den Geschäftsräumen von MacCarthys Fotoladen Ausschau. Nach dem Öffnungsschild an der Ladentür würde er es um zehn Uhr öffnen. Thomas ging kurz zu einer Telefonzelle am Anfang des Parks Way‘s und rief in der Dockland Wache an und gab einem Sergeanten MacCarthys Adresse durch. Eine halbe Stunde, nach Öffnungszeit, in der noch nicht das Geringste in dem Haus geschah, nicht einer der Vorhänge weggezogen wurde beschloss Thomas, einzubrechen. Den Hauseingang zur belebten Straße hin zu knacken war keine gute Idee. Er umrundete das Haus und quetschte sich in einem Moment, wo niemand ihn beachtete, in die schmale Spalte zwischen MacCarthys und dem Nachbarhaus, in dem ein Plattenspieler Swingmusik abspielte und die Musik aus einem geöffneten Fenster zu ihm klang. Seine klobige Schuhspitze klopfte den Takt auf den mit Gras bewachsenen Pfad zwischen den Häusern. Cootie Williams, er liebte seinen Song Ring Dem Bells. Cootie war der beste Jazztrompeter den Thomas je gehört hatte. Er riss sich von der Musik los und ging weiter, schlich durch die zehn Meter lange Enge, in der es nach Katerpisse stank. MacCarthys grünes Haus stand dicht am Kanal, und die überdachte Hintertür führte unmittelbar auf einen Holzsteg, der mit Töpfen verblühter Blumen und zerbrochenen Tonscherben und schwarzer Blumenerde gesäumt war. Gartenmöbel verrotteten zu einem Haufen geschoben. Ein Tisch zwei Liegestühle. Es sah aus als hätte irgendwer dieses Haus einmal geliebt und diese Liebe war vor Jahren kaltem Desinteresse gewichen. Am Pfeiler des Stegs war ein Ruderboot festgetaut, das in den Wellen auf und ab schaukelte. Unter der Ruderbank des in den Wellen schaukelnden Kahnes lagen im schwarzen Brackwasser ein gepunktetes Kleid und ein weißer Damenschuh. Tausend Erklärungen, konnte es dafür geben doch sein Herz pochte. Thomas bewegte sich vorsichtiger und leiser er ging zur Hintertür und presste sein Ohr fest auf das Holz. Nach einer Minute, in der er nicht das geringste Geräusch gehört hatte, öffnete er das alte Türschloss mit einem Dietrich und einer kleinen Uhrmacherzange, die fast immer in seiner Manteltasche waren. Er drehte vorsichtig den Türknauf nach rechts, spürte den Widerstand und öffnete sie einen Spalt weit und sah in die Diele. Er ließ den Türknauf los und zog seinen Revolver und brach in das düstere lautlose Erdgeschoss ein. Das Gewicht der Webley gab ihm ein gutes Gefühl von Sicherheit, obwohl es sehr dumm war und er sich eines bewaffneten Einbruchs schuldig machte. Er schloss hinter sich die Tür. Wenn Ian MacCarthy unschuldig war, wenn Ian MacCarthy nur ein harmloser Spinner war, bekäme er den Schock seines Lebens, wenn er ihn antraf. Er schlich durch einen leeren Flur. Kaum mehr als ein mit verstaubten gerahmten Fotografien einer alten Dame mit strengem Blick behängter in dreckige Dunkelheit getauchter Gang, der geradeaus in die Ladenräume führte und von der eine Treppe mit weißem Holzgeländer nach oben und nach unten abging. Thomas Schuhe eigneten sich nicht, um irgendwo einen Einbruch zu begehen, es waren klobige billige Arbeitsschuhe, das schöne Paar klebte voller festgewordenen Modder und war noch nicht geputzt. Thomas Ohren waren aufgestellt, er blieb stehen holte langsam Luft und zog seine Schuhe aus. Er betrachtete seine Fußbekleidung unschlüssig und steckte sie dann in die tiefen Manteltaschen. Er lauschte angespannt in die staubig aussehende Dunkelheit hinein. Wenn es etwas gab, dass Thomas auf den Tod nicht ausstehen, konnte dann waren es Räume, die verdunkelt waren und nach uraltem Staub rochen. Nach einem seit Jahrzehnten ungeöffneten Kleiderschrank, es roch dumpf hier drinnen wie in einem Mausoleum und dann war da noch ein anderer ein stechenderer Geruch. Vielleicht von einer offenen Flasche Entwicklerflüssigkeit im Fotobad. Thomas schnupperte, seine platte schief gewachsene Nase kräuselte sich. Wie konnte man hier kreativ sein? Er schlich zur Treppe und beschloss mit der Durchsuchung, der illegalen Suche nach Beweisen für Schuld oder Unschuld des Fotografen von unten nach oben anzufangen. MacCarthy war noch außer Haus, wenn er später wiederkam, würde Thomas oben sein und konnte dort abwarten, bis der Fotograf mit einem Kunden im Atelier war und dann durch die Hintertür schleichen. Wenn er ein harmloser Spinner war, würde Ian MacCarthy niemals mitbekommen, dass ein Fremder bei ihm gewesen war. Obwohl Thomas sich lächelnd den Staub ansah und sich überlegte in die Schicht grauen Staubes auf den eingeglasten Fotos der alten Frau – Putze mich Ian, dein Haus – zu schreiben. Er legte die Hand auf das weiße Holztreppengeländer, das sich rau und angenehm kühl anfühlte. Er lief barfuß und sehr leise aufrettend, als schwebe eine Ballerina die mit roten Kokosläufer belegten Stufen in den Keller hinunter. Er war jetzt einen Meter über Wasserhöhe vermutete Thomas und fragte sich wie die Bauleute es angestellt hatten, dass das Wasser mit der Zeit nicht durch die Steine sickerte. Er wusste, dass Londons Häuser auf Pfählern standen aber hier gab es nicht einmal.
Schimmel an den Wänden. In seinem Haus gab es Schimmel, wenn er vergaß, über Nacht ein Fenster zu schließen als wäre das Mistding auf einem riesigen Blue Stilton Käse erbaut worden. Thomas berührte mit der Hüfte das Treppengeländer und dachte wie ungewöhnlich tief die Treppe hinunter führte es waren zwanzig hohe Stufen hinunter und direkt an der letzten Stufe befand sich die Tür aus solidem Holz. Und dann, als er auf der letzten Stufe stand, hörte er ihn kichern, es war ein Kichern, Thomas war sich sicher und bei diesem Ton brach ihm der kalte Schweiß aus. Das Haus, das Boot am Steg dazu ein Fotograf, den sein Nachbar als komisch beschrieben hatte.
»Ist das ein Witz, seid ihr da oben noch sauer wegen des Marmeladenglases?«, hauchte er mit nach oben gedrehten Pupillen.
Thomas war eine Sekunde lang unschlüssig. Fragen schwirrten wie ein aufgescheuchter Schwarm Krähen durch seinen Kopf. Wusste er, dass er hier drin war? Hatte er ihn die Treppe herabsteigen gehört. Kicherte er extra, um ihm aufzulauern, hatte er ihn durch die Vorhänge beobachtet, wie er das Haus beobachtete. Jetzt war Nichts zu hören bis auf seinen schnellen Herzschlag. Wie ein Boxer der an einem Punchingball trainierte bumm bumm bumm, scheiße er sollte weniger Kaffe trinken. Die Frage, ob er es war und von ihm wissen konnte verdrängte einen Moment lang die Angst.
»Wenn du tapfer bist, mein Schwan, wenn du wirklich mucksmäuschenstill bist, lass ich dich Fliegen, aber machst du ein einziges Geräusch schneide ich dir die Zunge heraus und lass dich zusehen, wie ich sie esse.«
Hinter der Tür und Zeuge des Gewispers stellte er sich den Mann vor, entweder mit einem Opfer oder er übte für ein Theaterstück oder er war ein Selbstgespräche haltender harmloser Irrer. Gab es ein Shakespeare Theaterstück, in dem diese Worte vorkamen? Es gab Shakespeare Stücke da stach sich einer die Augen aus, scheiße! Aus dem Schlüsselloch fiel ein Strahl flackerndes Licht als fliehe er vor dem Anblick drinnen. Thomas
hatte keine andere Möglichkeit herauszufinden was vor sich ging als durch das, Schlüsselloch zu sehen. Während Thomas sich in Zeitlupe hinkniete, stellte er sich einen Mann vor, der auf der anderen Seite der massiven Kellertür hockte und von ihm wusste. Der die ganze Zeit auf das Schlüsselloch starrte und eine sehr lange Nadel in der Hand hielt. Thomas sah ein schlankes Frauenbein, das an eine Liege gebunden war. Bumm, bumm bumm, sein Herz trommelte vor Angst und dem verfluchten Kaffe, denn er in sich schüttete wie Westmore den billigen Hunters Whisky. Der Knöchel war mit einem spröden Hanfseil umwickelt und vor der Frau stand aufgebaut eine Fotokamera. Er sah einen Schatten von einem Mann auf dem Boden, der sich schwankend wiegte. Er hörte wieder das Kichern, das einem eine Heidenangst einjagte. Thomas richtete sich auf trat einen Schritt zurück und musste sich in Sekunden Entscheiden, wie er die verdammte Tür aufbekommen konnte. In einem Chaplin Film, man er liebte den kleinen komischen Mann einfach, würde er mit der Schulter gegen die Tür rammen die geöffnet wurde und er würde durch den Raum stolpern, um aus einem Fenster in einen Heuwagen zu fallen. Kein Chaplin Film und die Tür aus massivem Holz in dem Nieten eingelassen sind. Solides Eichenholz und bestimmt von innen abgeschlossen, vielleicht offen. Aufschießen, wie konnte man eine Tür aufschießen man musste den unsichtbaren soliden Türriegel treffen, er war ja nicht Gene Autry der singende Cowboy in seinem weißen Jeanszeugs und dem weißen Gaul, der mit einem strahlenden Lächeln und einer Gitarre durch den verfickt brutalen Wilden Westen reitet. Auftreten wer hatte denn
Beine wie korinthische Säulen wie mittelalterliche Rammböcke? Thomas pfiff auf seine innere Stimme und versuchte lautlos und mit mehr Gefühl als er unter diesen Umständen aufzubringen vermutete die Türklinke mit der linken Hand herunterzudrücken. Wer so blöd war und sein Fluchfahrzeug hinter dem Haus vergessen hatte und darin waren auch noch Beweise war wohl hoffentlich zu blöd hinter sich abzuschließen. Die Schultern breiter gemacht die Webley gezogen, die Augen zu Schlitzen gekniffenen drückte er die Klinke herunter und stürzte mit der Schulter voran in den Raum. Die Tür krachte gegen die Wand, Putz und Staubflocken rieselten von Decke. Thomas hatte das Gefühl plötzlich unter Wasser, getaucht zu sein. Ein grünes vom Fluss reflektiertes Licht fiel in Streifen zwischen den Brettern an den Fenstern hindurch an die Wände und spiegelte dort die Wasseroberfläche wieder. Aus den Augenwinkeln nahm er die Bewegung wahr ein Rauschen in der Luft und das asthmatische Keuchen eines Mannes, der sich seitlich von ihm befand, war zu hören. Seine Augen peitschten von der der Frau, die an die Liege gefesselt war und ihn anstarrte als habe sie eine Marienerscheinung nach rechts. Gleichsam mit den Augen schwenkte sein Oberkörper und die Hand mit seiner Waffe in dieselbe Richtung. Der pummlige Mistkerl war nackt und seine hängende Brust war mit Schnitten übersät, aus denen er blutete. Er hatte sich ein Schachbrettmuster in die Brust geschnitten, das Blut rann in dünnen Streifen von dort zu seinem Bauch und von dort hinunter die Schenkel entlang. Er hielt ein blutbeschmiertes Messer in der rechten Faust, die Schneide ruhte auf seiner blassen Brust, mit der linken Hand spielte er mit seinen behaarten Eiern. Er trug eine Henkersmaske, einen Kartoffelsack aus graugelbem Leder. Das Leuchten dieser blauen Augenkugeln dahinter war auf Thomas gerichtet ebenso wie eine Millisekunde später die Messerspitze. Es war ein ziemlich billiges Jagdmesser mit schwarzem Griff. Die Frau schrie, Thomas zuckte zusammen, ein hoher schriller Schrei, der sich seit 27 Stunden in ihr angesammelt hatte. Der Schrei füllte den Keller aus und befreite das Mädchen aus der Tatenlosigkeit aus Angst.
»Lady das brauche ich jetzt nicht!«, sagte Thomas und konzentrierte sich darauf, wohin er dem Misthaufen schießen würde.
Er hatte 1918 einen Schuss unter das Schulterbein bekommen und es tat verdammt weh. Es hatte sich angefühlt, als ob jemand langsam einen stumpfen rot glühenden Eisenstab durch seine Schulter bohrte. Das Geräusch der gefesselten Frau, die leise vor Erleichterung, »Oh Gott Kino Kino Kino«, stöhnte und das Knurren, das der Irre unter seiner Ledermaske von sich gab, als er mitten in der Bewegung des Angriffs innehielt und mit unglaublicher Wut den Revolver anknurrte. Ian legte seinen Kopf, in dieses Drecksleder mit den runden Augenlöchern gehüllt schräg an die Schulter und seine gelblichen Zähne schnappten mehrmals in Thomas Richtung auf und zu. Er verlangsamte seine Bewegungen und war dabei seine Waffe, fallen zu lassen, um sich zu ergeben. Bei Mördern, die es nicht des Berufes wegen machten, konnte man davon ausgehen, dass sie sich in einem kritischen Zustand befanden. Außer Kontrolle geraten, die Gedanken verwirrt und die Handlungen wurden von Impulsen gesteuert. Wenn dem so war, dann war Ian MacCarthy sehr schnell abgekühlt.
»Nicht Schießen, Constable. Nicht schießen ich lege das Messer weg.«
Die Stimme klang ziemlich normal, fand Thomas. Es war komisch in diesem Albtraum zu stehen und auf dieses pummlige Menschlein zu sehen und ihn normal sprechen zu hören.
»Ich bin kein verfickter Bulle du Misthaufen und denkst du es interessiert mich einen Scheiß Penny, ob du dich ergibst oder nicht?«
Thomas dachte an die Lady in dem Raum und sagte, ohne Ian aus den Augen zu lassen: »Verzeihung für meine Wortwahl Miss.«
Thomas dachte er MacCarthy kann doch unmöglich annehmen ... er vergewisserte sich. Doch MacCarthy glaubte es bis vor einer Millisekunde, tatsächlich. Vielleicht war es der kalte Blick den Thomas ihm zuwarf, als sehe er bereits seine Leiche auf dem Boden liegen, ließ die blauen Augen den Ausdruck purer Panik annehmen. Das Messer fiel auf den Boden und Ian stolperte mit erhobenen Händen nach hinten. Thomas drückte ab. Die erste Kugel riss ein großes Loch in Ian MacCarthys Schulter unter dem Schulterbein, kleine scharlachrot glitzernde Blutstropfen spritzen durch die Gegend.
»Bitte Bitte nein!«, kreischte Ian voller Todesangst und Schmerz.
Der nächste Schuss übertönte das »Nein nein bitte nicht«, das MacCarthy ausstieß. Thomas senkte den Lauf der Waffe und drückte ab. Die linke Kniescheibe MacCarthys platzte, er fiel nach hinten gegen die Wand und schrie vor Schmerz. Thomas dachte an Schwäne daran das er Greenways 30 Pfund hätte nehmen sollen und ging auf ihn zu. Er sah in Ians Kieselsteinaugen und drückte aus einen halben Meter Entfernung ab. In Stirnhöhe auf der abstoßenden Ledermaske bildete sich sofort ein Daumennagel großes Loch. MacCarthy fiel nach hinten rutschte die Wand hinunter und fiel auf den Boden. Thomas schätzte nicht ohne ein gewisses Unbehagen das ganze hatte nicht mehr als drei Sekunden gedauert. Nach dem Mord an Ian wandte Thomas sich der Frau auf der Arztliege zu. Die ausgestreckten Arme der Frau waren mit Seilen an die Beine des Möbels gefesselt. Ihr anziehendes Gesicht wurde von langem blondem Haar eingerahmt. Die schwarze Schwellung um ihr linkes Auge stammte vermutlich von einem Faustschlag. Ihre Hände waren geballt und der rote Nagellack war abgeblättert, sie hatte versucht die Seile mit den Fingernägeln aufzuzwacken, Faser um Faser. Ihre Unterwäsche lag auf dem Schreibtisch, als hätte Ian sie aufbewahren wollen.
»Schon gut Lady«, sagte Thomas schob die kochend heiße Webley in die Hosentasche und trat vorsichtig zur Liege und band die Frau los.