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VERTRÄGE UND RECHTSSTREITS
ОглавлениеGuter rechtlicher Beistand ist für die Karriere als Popstar durchaus empfehlenswert. Künstler*innenverträge werden vermutlich genauso oft gelesen wie die Nutzungsbedingungen des neuesten Social-Media- Hypes. Dabei können rechtliche Differenzen Alben zurückhalten wie auch provozieren. Oftmals pochen Labels eher darauf, dass sie noch weitere Alben von ihren Künstler*innen bekommen müssten, da die abgeschlossenen Verträge mehrere Alben umfassen. Um früher aus solchen Verträgen zu kommen, behalfen sich einige damit, ein Best-of oder ein Livealbum anstelle von neuem Material abzuliefern. Manchmal wird aber auch einfach auf bisher unveröffentlichtes Material aus vorherigen Sessions zurückgegriffen. So entstand 1973 z. B. »Dylan« von BOB DYLAN. Columbia nahm einfach einige nicht für Platten genutzte Studio-Aufnahmen, ausschließlich Cover-Songs und Traditionals, aus den Sessions zu »Self Portrait« und »New Morning«, und brachte die Platte ohne Beteiligung von Dylan selbst auf den Markt. Dieser war kurz zuvor zu Asylum gewechselt und kündigte seine erste Tour seit 1966 an. Manche sagen, dass Columbia Dylan mit der von ihnen zusammengestellten Platte eins auswischen wollte. Immerhin stand das knapp zwei Monate vor seinem eigentlichen neuen Album »Planet Waves« erschienene Cover-Album in direkter Konkurrenz zum Asylum-Werk. Andere vermuten, dass Columbia einfach nur noch einmal Geld mit dem Künstler scheffeln wollte und den Wirbel um die anstehende Tour und das neue Studioalbum für sich nutzte.
Monty Python’s Contractual Obligation Album (1980). Links unten: »Can T.G. do a nice eye-catching cover to help it sell? E.I./Not really worth it – T.J.«
Auch MONTY PYTHON griffen auf Outtakes zurück, als sie 1980 ihren Vertrag mit Charisma Records erfüllten und machten keinen Hehl daraus, dass sie eigentlich gar keinen Bock auf ein neues Album hatten. Folglich nannten sie die Platte, die weitestgehend aus ungenutzten Aufnahmen und neu aufgenommenen alten Sketchen bestand, »Monty Python’s Contractual Obligation Album«. John Cleese kam erst gar nicht ins Studio und ist dementsprechend nur auf drei bis dato unveröffentlichten Aufnahmen zu hören. Terry Gilliam war fast gar nicht an der Platte beteiligt. Die Pythons sahen die Situation mit Humor und gestalteten ein Non-Cover, das aussah wie eine Innenhülle und versahen diese mit einer Notiz von Eric Idle, ob Terry Gilliam nicht ein tolles Cover gestalten könne, damit sich die Platte besser verkaufe. Terry Jones schrieb dann »Not really worth it« dazu. Die Platte sei es nicht wert. Trotz aller Mühen wurde das Album aber dennoch veröffentlicht. Ganz im Gegensatz zu »The Hastily Cobbled Together for a Fast Buck Album«, das Produzent Andre Jacquemin 1987 aus den Outtakes vom »Contractual Obligation Album« zusammenstellte. Nachdem Virgin die Rechte an den Aufnahmen des Charisma-Backkatalogs erwarb, wollte das Label noch eine neue Platte veröffentlichen. Statt »The Hastily Cobbled Together for a Fast Buck Album« erschien dann letztlich »The Final Rip Off«. Eine Compilation mit weitestgehend bekanntem Material.
Ähnlich wie die Pythons verkündete TODD RUNDGREN seinen Unmut gleich im Albumtitel. »The Ever Popular Tortured Artist Effect« war eine vertragliche Verpflichtung, in die Rundgren nur wenig Zeit und Arbeit investierte. Dennoch wurde das Album wohlwollend aufgenommen und war relativ erfolgreich.
Mitunter versuchen Musiker*innen ihrem Label möglichst unkommerzielles Material vor die Nase zu setzen, um ihnen eins auszuwischen und dennoch ihren Vertrag zu erfüllen. Nicht wenige Kritiker*innen nahmen an, dass LOU REED sein »Metal Machine Music« nur aufnahm, um aus seinem Vertrag mit RCA zu fliegen. Das ist vermutlich genauso falsch wie die Behauptung, dass Labels nach Veröffentlichung des berüchtigtlärmigen Werks damit begannen, »Metal Machine Music«-Klauseln in ihre Verträge zu schreiben, um Künstler*innen daran zu hindern, derart unverträgliche Kost zu kredenzen.
Fakt hingegen ist, dass die ROLLING STONES mit dem »Schoolboy Blues« – besser bekannt als »Cocksucker Blues« – ihren verhassten Vertrag mit Decca erfüllten und absichtlich ein nicht veröffentlichbares Werk lieferten. Mehr dazu später.
Ein Reinfall wurde diese Taktik für den ehemaligen THEM-Sänger VAN MORRISON. Sein Plattenvertrag mit dem Label Bang Records verlangte von ihm für ein Jahr jeden Monat drei exklusive Songs. Zu allem Überfluss veröffentlichte Bang Records nach dem Top 10 Erfolg der Single »Brown Eyed Girl« das Album »Blowin’ Your Mind«, ohne Morrison davon in Kenntnis zu setzen. Dieser nahm an, dass sein aufgenommenes Material ausschließlich für Singles gedacht sei. Der Haussegen hing schief und Van Morrison wollte unbedingt aus dem Vertrag raus. Zu seinem Glück wurde Warner Bros. auf ihn aufmerksam und zahlte Bang Records eine Ablösesumme. Nur die Klausel mit den Songs hatte weiterhin Bestand, und so musste Van Morrison dem verhassten Label noch 31 exklusive Titel nachliefern. Also setzte er sich 1967 hin und nahm diese 31 Songs komplett improvisiert in nur einer Session auf.
Ein großes »Fuck You« schmetterte er seinem ehemaligen Partner entgegen und spielte komplett nicht zu vermarktendes Zeug ein. Anfangs verfolgte er ein striktes Schema mit den Stücken »Twist and Shake«, »Shake and Roll«, »Stomp and Scream«, »Scream and Holler« und »Jump and Thump«. Doch dann wurde es zunehmend abstruser. So sang er darüber, wie sehr er sein Label hasste, über Ringwürmer, Nasenbluten und einem Typen namens George widmete er gleich vier Titel (»Hold On George«, »Here Comes Dumb George«, »Goodbye George« und »Dum Dum George«). Morrison sang über sich selbst, George Ivan Morrison. Schließlich war er nicht ganz unschuldig an der Misere, in die er geraten war. Seine Naivität war es, die dazu führte, dass er einen Vertrag unterschrieb, den er nicht sorgfältig durchgelesen hatte. Zuerst ging der Plan von Morrison auch auf und das Material blieb unveröffentlicht, aber ab den 90er Jahren fanden sich legal lizensiert einige der Songs auf Compilations. Letztendlich wurden 2002 dann »The Complete Bang Sessions« als Doppel-CD veröffentlicht, die auf der zweiten CD das gesamte Material dieser vertraglich erzwungenen Aufnahmen enthalten. Und so kann man hören, wie die Songs immer skurriler werden und die Gitarre immer verstimmter.
Eine ähnliche Klausel hatte übrigens auch BEN FOLDS in einem Vertrag, der über das Fließband-Songwriting das Stück »One Down« schrieb:
»[…] I get paid much finer / For playin’ piano and kissin’ ass / This is one I wrote just an hour ago / And three-point-six at last«
Eine drohende Klage zwang JOHN LENNON hingegen, das Album »Rock ’n’ Roll« aufzunehmen. Nachdem Lennon in einem Interview zugab, dass er Teile von »Come Together« bei Chuck Berrys »You Can’t Catch Me« abgekupfert hatte, verklagte der Rechteinhaber des Songs, Morris Levy, Lennon. Die beiden einigten sich außergerichtlich. Ein Vergleich vom 12. Oktober 1973 sah vor, dass Lennon für seine nächste LP drei Songs aus dem Musikkatalog von Levy übernehmen sollte. Daraus wurde dann gleich ein ganzes Album mit Cover-Songs.
Im Falle der Popkünstlerin KESHA ist ein gesamtes Album aufgrund von Rechtsstreits infolge eines Vergewaltigungsvorwurfs gegenüber ihrem Produzenten Dr. Luke vom Label einbehalten worden. Schon 2012 arbeiteten Kesha mit den Flaming Lips auf deren Album »The Flaming Lips and Heady Fwends« zusammen. Gemeinsame Sessions im Jahr 2012 brachten sechs bis sieben Songs hervor, von denen »Past Lives« im Dezember als Bonustrack auf Keshas Album »Warrior« veröffentlicht wurde. Im April 2013 verkündete dann Wayne Coyne, dass mit »Lip$ha« ein gemeinsames Album der Flaming Lips und der Sängerin erscheinen würde. Doch nachdem Kesha im Oktober 2014 ihren Produzenten wegen sexueller Übergriffe und emotionalem Missbrauch verklagt hatte, wurde es still um das gemeinsame Projekt. Kesha versuchte zudem, aus ihrem Vertrag mit Dr. Lukes Label Kemosabe entlassen zu werden. Wie sollte sie weiter mit dem Produzenten arbeiten? Dr. Luke verklagte wiederum Kesha, deren Mutter und ihr neues Management. All dies verhinderte, dass Kesha neue Musik veröffentlichen konnte. Ihre Vertragssituation war ungeklärt. Nachdem Keshas Klage abgewiesen wurde, veröffentlichte sie 2017 tatsächlich ihr drittes Album bei Kemosabe, unter der Voraussetzung, nicht weiter mit Dr. Luke als Produzenten arbeiten zu müssen. Von »Lip$ha« war keine Rede mehr und es wurde still um die gemeinsame Kooperation mit den Flaming Lips. 2019 berichtete die Sängerin in einem Interview mit Front Row Live Entertainment rückblickend: »Wir schrieben zehn Songs gemeinsam, es war unglaublich. Wer weiß, ob die Stücke jemals jemand anderes hören wird, aber es war eine tolle Erfahrung für mich.«
Mit Ausnahme von Keshas Lip$ha, dem »Cocksucker Blues« der Rolling Stones und der Compilation von Monty Python ist allen erwähnten Alben und Songs gemein, dass sie letztendlich doch veröffentlicht wurden. Dementsprechend geht es auf den folgenden Seiten um drei Werke zur Vertragserfüllung, die bis heute noch in den Giftschränken der Labels ruhen.