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Ägypten
ОглавлениеHeute ist Ägypten ebenso wie Mesopotamien ein von Wüste umgebenes Flusstal. Doch die Sahara war nicht immer eine Wüste. Nach 9000 v. Chr. bekam sie mehrere Jahrtausende lang genug Regen und war eine Savanne mit Seen und Wasserlöchern, in der Nilpferde, Elefanten, Krokodile, Giraffen und unzählige andere Tiere lebten. Etwa ab 4000 v. Chr. wurde das Klima trockener, und Viehhirten tauchten auf, wo es früher nur Jäger und Sammler gegeben hatte. Als das Klima noch trockener wurde und die Vegetation abstarb, wanderten Hirten, Jäger und Sammler in eine günstigere Umwelt, das Niltal.
Der Nil hatte Jahre des Hochwassers und des Niedrigwassers, aber insgesamt waren seine Schwankungen weniger regelmäßig und extrem als die von Euphrat und Tigris. Er speiste sich aus dem Monsunregen, der im Frühling und Frühsommer auf das ostafrikanische Hochland fiel. Im oberägyptischen Assuan begann das Nilhochwasser meist im Juni. Die Flut erreichte im September ihren Höhepunkt und durchfloss Ende November den Norden des Tals. Während die Wasser der Flut langsam nordwärts durchs Tal flossen, bedeckten sie das Land mit einer frischen Schlammschicht. Schlammablagerungen schufen auch natürliche Deiche, zwischen denen der Nil sich über der Ebene erhob. Wenn das Wasser diese Deiche durchbrach, staute es sich in natürlichen Becken. Bevor der Fluss das Mittelmeer erreichte, lagerte er den restlichen Schlamm ab und schuf so das Nildelta.
Kurz vor 5000 v. Chr. siedelten die ersten Bauern im Niltal. Es erschien ihnen für die Landwirtschaft fast ideal.7 Die Schlammablagerungen erneuerten jedes Jahr die Fruchtbarkeit der Felder, und das Fließen des Wassers genügte, um das Salz auszuwaschen. Bis 3600 v. Chr. hatten Bauern die natürliche Vegetation im Tal beseitigt und Deiche, Bewässerungskanäle und Entwässerungsgräben gebaut. Sie brauchten das Wasser nicht durch Kanäle vom Nil zum Land zu bringen, vielmehr bauten sie niedrige Wehre, um das Flusswasser ein paar Tage lang zurückzuhalten, bevor sie es flussabwärts auf das nächste Feld leiteten. Diese Methode, die sogenannte Beckenbewässerung, garantierte, dass der Boden vollgesogen und genug Schlamm darauf abgelagert war. Die Ägypter benannten die Jahreszeiten nach den Zyklen des Flusses und der Landwirtschaft: Achet, die Flutsaison von August bis November; Peret, die Zeit der Aussaat im Herbst und Winter; und Schemu, die Zeit der Ernte und Trockenheit von Mai bis Anfang August.
Anders als in Mesopotamien schadete die Landwirtschaft in Ägypten nicht der Fruchtbarkeit des Bodens. Der Schlamm war so fruchtbar und der Nil floss so regelmäßig, dass sie die ägyptische Kultur tief prägten.8 Die altägyptische Kultur dauerte von 3200 v. Chr. bis zur Eroberung durch Alexander 332 v. Chr., länger als jede andere, bis auf China. Als Gleichgewicht zwischen den Menschen, dem Land und dem Nil überdauerte sie viel länger. Erst in den 1970er-Jahren löste Ägypten mit der Eröffnung des Assuan-Staudamms seine Bindung an eine 5000-jährige Symbiose zwischen Mensch und Natur.
Ägypten bewegte sich viel schneller als jeder andere Teil der Welt von jungsteinzeitlichen Dörfern zu einer voll ausgebildeten Kultur, die für ihre Eliten und ihre Monumentalarchitektur bekannt ist. Der Grund liegt darin, dass das fruchtbare Niltal zwischen zwei Wüsten lag, sodass Bauern nirgendwohin auswandern konnten, wenn Tribute und Steuern zu hoch wurden. Dieses Gefangensein hat die ägyptische Kultur vom 4. Jahrtausend v. Chr. bis heute geprägt.
Im frühen 3. Jahrtausend v. Chr., nachdem Menes, der legendäre Gründer der 1. Dynastie, viele kleine Königreiche vereinigt hatte, wurde die Wasserkontrolle entwickelt und ausgedehnt. Die Pharaonen und Landbesitzer Altägyptens betrachteten die Ernten der Bauern als Quelle von Steuern und Renten und registrierten jedes Jahr sorgfältig die Höhe der Überflutung. Ein paar Pharaos ließen Kanäle bauen. Pepi I. (2390–2360 v. Chr.) rühmte sich: „Ich habe das Hochland zu Marsch gemacht. Ich ließ den Nil das brachliegende Land überfluten. … Ich brachte den Nil ins Hochland auf eure Felder, sodass Äcker bewässert wurden, die nie zuvor Wasser gekannt hatten.“9 Die meisten zeigten aber wenig Interesse für die Methoden der Wasserkontrolle, welche die Bauern anwandten, und überließen diese Angelegenheiten Dorfgemeinschaften.10
Trotz seiner Regelmäßigkeit war das Fließen des Nils, was vom Monsunregen des Indischen Ozeans abhing, nicht völlig zuverlässig. In einem nassen Jahr hob die Flut den Grundwasserspiegel um 2 Meter und bedeckte zwei Drittel des Tals, bei schwachen Fluten war es vielleicht nur ein Viertel. Niedrigwasserperioden und die daraus entstehenden Hungersnöte waren zwar selten, bestimmten aber die dynastische Geschichte Ägyptens und das Wohlergehen seines Volks. Die ersten fünf Dynastien (etwa 3100–2345 v. Chr.) waren durch reichliches Wasser gesegnet. Als die Fluten ab ca. 2200 v. Chr. niedrig waren, löste das ägyptische Reich sich unter Bürgerkrieg und Hungersnot auf, und es kam zu Kannibalismus. Auf diese Ära, von Ägyptologen die Erste Zwischenzeit (2181–2133 v. Chr.) genannt, folgte eine Zeit reichlicherer Fluten, in der Ägypten wohlhabend war und sogar Kriege gegen die benachbarten Nubier führte.11
Irgendwann während des Mittleren Reichs oder danach (2040–1786 v. Chr.) begannen Bauern in den Sommermonaten ein zweites Mal auszusäen, dank der Erfindung des Schaduff, einer in Mesopotamien erfundenen Vorrichtung, welche die Unzulänglichkeiten des Flusses teilweise ausglich. Es war eine lange Stange, die auf einem senkrechten Balken ruhte und an einem Ende einen Eimer, am anderen ein Gegengewicht trug. Damit konnten Bauern bis zu 2,5 Tonnen Wasser täglich aus dem Fluss heben, viel mehr als mit einem Eimer am Seil. Obwohl ihnen das eine zweite oder sogar dritte Ernte in ihren Gemüsegärten in der Trockenzeit oder bei Niedrigwasser erlaubte, war es zu arbeitsintensiv, um Grundnahrungsmittel wie Weizen, Gerste oder Flachs zu bewässern.12
Ab 1797 v. Chr. litt Ägypten erneut an niedrigen Nilfluten. Das Resultat war die Zweite Zwischenzeit (1786–1552 v. Chr.), eine Zeit der Hungersnöte, Kriege und der Invasion durch ein Volk namens Hyksos. Das Muster wiederholte sich, als das Hochwasser nach 1550 v. Chr. zurückkehrte und eine Zeit des Wohlstands brachte, das Neue Reich (1552–1069 v. Chr.), das am bekanntesten ist wegen der Herrschaft Ramses II. (1290–1224 v. Chr.) und seiner Kriegszüge und gewaltigen Monumente. Dann kam mit den Niedrigfluten von 1069–715 v. Chr. – der Dritten Zwischenzeit – erneut eine Periode der Kriegsherren und Invasionen durch Libyer, Nubier und Assyrer.13 Herodot nannte Ägypten das „Geschenk des Nils“, denn wenn der Nil großzügig mit seinem Wasser war, blühten das Reich und seine Menschen. Wenn er sich geizig zeigte, litten sie.
Abb. 2: Ägyptische Schaduffs, mit denen bei Niedrigwasser des Nils Gärten bewässert wurden. (Oberägypten).