Читать книгу Macht euch die Erde untertan - Daniel Headrick - Страница 59
Der Südwesten Nordamerikas
ОглавлениеIm Vergleich zu den Kulturen Zentralmexikos waren die im Südwesten der heutigen USA klein. Dank der sorgfältigen Erforschung durch Generationen amerikanischer Archäologen zählen sie aber zu den besterforschten präkolumbianischen Kulturen.
Das Colorado-Plateau und die Gebiete südlich davon variieren stark in Höhe, Regenmenge und Vegetation. Gegen Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. wandten sich die Bewohner der Region zunehmend dem Ackerbau zu, um ihre schwankende Ernährung aus Nüssen der Colorado-Kiefer, Fleisch vom Maultierhirsch und anderen Naturprodukten zu ergänzen. Im 1. Jahrtausend n. Chr. wurden sie fast völlig von Nahrung abhängig, die sie auf dem Boden von Canyons anbauten, wo das Grundwasser direkt unter der Oberfläche lag oder wo sie ihre Pflanzen durch Quellen oder Regenwasser, das über den Canyonrand floss, bewässern konnten. In trockenen Jahren zogen sie in gemäßigtere Zonen, wo sie Wildpflanzen sammelten und verschiedene Feldfrüchte auf verstreuten Äckern als eine Art von Rückversicherung anbauten. Wie in Mexiko und Mittelamerika war der Mais das Hauptnahrungsmittel, und im trockenen Klima des Südwestens konnte er 2 Jahre oder länger gelagert werden.32
Am höchsten entwickelt in der gesamten Region, aber auch am fragilsten, war Chaco, ein 30 Kilometer langer und bis zu 2 Kilometer breiter Canyon in New Mexico. Obwohl der Canyon selbst relativ wenig Regen erhielt, flossen Ströme über die Klippen an seinem Rand, und Sickerstellen darunter bedeckten den Boden des Canyons nach jedem Regen mit Wasser.
Ab dem 7. und besonders im 11. Jahrhundert regnete es mehr als in den vergangenen Jahrtausenden. Als die landwirtschaftlichen Bedingungen sich verbesserten, zogen die Anasazi (die Ahnen der Puebloindianer) in den Canyon und vermehrten sich. Der Ackerbau auf dem Boden des Canyons blühte, denn das Grundwasser lag so nah unter der Oberfläche, dass die Wurzeln es erreichten, und die Anbausaison war länger als auf dem Colorado-Plateau. Um den natürlichen Fluss des Wassers zu ergänzen, gruben die Bewohner Gräben und Kanäle und bauten kleine Deiche, um das Wasser festzuhalten.33
Auf dem Höhepunkt um 1150 lebten vielleicht mehrere Tausend Menschen im Canyon. Wie viele das ganze Jahr dort blieben und wie viele nur zu zeremoniellen Anlässen kamen, ist umstritten. Eines ist aber sicher: Das Volk hätte ohne massive Importe nicht überleben oder seine Bauwerke errichten können. Um 1100 war der Chaco-Canyon zum Zentrum eines Minireichs geworden, unterstützt von Satellitensiedlungen in der Umgebung, die mit dem Canyon durch ein Wegenetz verbunden waren. Im Austausch gegen politische Führung und spirituellen Schutz brachten die Bewohner dieser Siedlungen Keramik, Steinwerkzeuge und Nahrung aus bis zu 100 Kilometern Entfernung. Türkis, den die Canyon-Bewohner zu Ornamenten und Schmuck verarbeiteten, kam aus über 150 Kilometern Entfernung, ebenso Kupfer, Federn und andere Luxusgegenstände.
Am wichtigsten war der Import von Bauholz, mit dem die Häuser und Zeremonialbauten des Canyons errichtet wurden. Zuerst benutzte man Colorado-Pinyon-Kiefern und Wacholderholz aus den nahen Wäldern. Um das Jahr 1000 waren all diese Bäume verschwunden, und die Anasazi begannen Ponderosa-Kiefern, Fichten und Tannen an den 300 Meter höher als der Canyon gelegenen Berghängen zu schlagen. Für den Bau der Großhäuser wurden aus den 75 und mehr Kilometern entfernten Zuni- und Chuska-Bergen rund 200 000 Stämme von jeweils bis zu 320 Kilo Gewicht von Menschen getragen, gerollt oder gezogen, denn sie besaßen keine Karren oder Zugtiere. Das hatte eine bleibende Wirkung. Noch heute, 900 Jahre später, sind die Bäume nicht nachgewachsen, und das Land ist eine mit Gestrüpp bedeckte Halbwüste.34
Der Wohlstand des Chaco-Canyons dauerte an, solange genug Regen fiel, um die Nahrung anzubauen, die seine Bewohner und die der Satellitengebiete brauchten. Dann kam eine Dürre von 1090 bis 1096. Während die Eliten, vielleicht um die Regengeister zu besänftigen, den Bau immer größerer und aufwendigerer Gebäude befahlen, begannen Bauern, die Gegend zu verlassen. Nach weiteren Jahren der Dürre und des unregelmäßigen Regens von 1130 bis 1180, hörte das Bauen auf. Die entfernteren Siedlungen schickten keine Nahrungsmittel mehr, weil sie vielleicht den Glauben an die Zeremonien der Priester des Chaco-Canyons verloren hatten. Archäologen haben Spuren von Unruhen, Krieg, Massakern und Kannibalismus gefunden. Die Überlebenden verließen den Canyon, manche von ihnen so eilig, dass sie ihre Kochutensilien zurückließen. Die große Dürre von 1275 bis 1299, die den Südwesten und Nordwestmexiko traf, dezimierte die Bevölkerung der gesamten Region. Einige überlebten auf der Hochebene an entfernten und leichter zu verteidigenden Orten wie Mesa Verde, die ebenfalls bald verlassen wurden; andere zogen nach Süden, wo ihre Nachkommen, die Puebloindianer noch immer leben, aber in viel einfacheren Gesellschaften als ihre Vorfahren.
Man hat viele Ursachen für den Aufstieg und Fall der Anasazi vorgeschlagen, meist in Verbindung mit den Umweltbedingungen. Die 1130 beginnende Trockenperiode spielte eine Rolle, aber es hatte auch schon 100 Jahre zuvor Dürren gegeben, die nicht dieselben Auswirkungen hatten, und die Puebloindianer haben seitdem viele Dürren überlebt. Vielmehr waren es menschengemachte Veränderungen der Umwelt, die sie verletzlich gegenüber der Dürre machten.
Bei schweren Regenfällen spülten Springfluten die Dämme weg und verwandelten die von den Bauern gegrabenen Kanäle in Arroyos oder Gießbäche unter dem Bodenniveau der Felder, wodurch ihnen das Wasser genommen wurde. Durch die Entwaldung des Hochlands über dem Canyon wusch der Regen die Nährstoffe aus der Erde und hinterließ unfruchtbaren Boden. Solange die Bevölkerungszahl niedrig war, konnten Bauern sich neues Land suchen, aber sobald alles fruchtbare Land verteilt war, konnten diejenigen mit ausgelaugtem Boden nirgendwohin. Schon vor der Dürre hatten die Menschen des Chaco-Canyons und der Umgebung die Belastungsgrenze ihres Landes erreicht. Als dann die Dürre kam, brach ihre Gesellschaft zusammen, und die Menschen flohen.35
Abb. 3: Chetro Ketl: ein Großhaus, in dem die Vorfahren der Puebloindianer religiöse Zeremonien abhielten (Chaco Canyon National Historical Park, New Mexico).