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Vorwort zu Daniel Hess „Glücksschule“

Wozu brauchen wir eine Glücksschule? Tiere brauchen diese nicht. Sie folgen ihren angeborenen Trieben und Instinkten, das reicht meist für ihr Glück. Wir Menschen aber müssen selbst erst herausfinden, wie das Leben geht und was uns im Leben glücklich macht. Unsere Bedürfnisse und Sehnsüchte sind es, die uns auf unserer Suche danach leiten. Um sie zu stillen, entwickeln wir eigene Vorstellungen und setzen sie um – in der Hoffnung, dass unser Leben dann etwas weniger anstrengend, mühselig und beschwerlich wird. Aber was ist es, was uns glücklich macht? Reichtum, Macht und Einfluss? Erfolg und Anerkennung? Die Befreiung von Not und Elend, von Unterdrückung und Bevormundung? Oder doch vielleicht das Stillen unserer beiden Grundbedürfnisse nach Verbundenheit und Geborgenheit einerseits und nach Autonomie und Freiheit andererseits?

Suchende können sich auch verirren, müssen sich wohl sogar gelegentlich verirren, um zu lernen, wie und wo es besser weitergeht. Der Entfaltung und dem Einsatz unserer immensen kognitiven Fähigkeiten verdanken wir den Zustand der Welt, in den wir sie mit der immer effizienteren Umsetzung unserer Vorstellungen in atemberaubendem Tempo versetzt haben. So rasch wie in den letzten Jahrzehnten hat sich die Welt noch nie verändert. Allen ist klar, dass sich dieser mit der Globalisierung und Digitalisierung einhergehende Veränderungsprozess noch weiter beschleunigen wird. Deshalb sind sich auch alle einig, wie wichtig eine möglichst gute Bildung für die in diese Welt hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen ist.

Aber schon bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie diese optimale Bildung aussehen soll, scheiden sich die Geister. Immer länger wird die Liste an Vorschlägen und Forderungen, die alle entweder darauf abzielen, wie künftig besser unterrichtet und gelernt werden sollte oder was in den Bildungseinrichtungen alles unterrichtet und gelernt werden sollte. Wir können natürlich auch in Zukunft trefflich weiter darüber debattieren, worauf es bei dem, was wir Bildung nennen, wirklich ankommt, und was dabei ankommt.

Sollten wir deshalb nicht lieber bei denjenigen Rat suchen, denen weniger ihr Ansehen und ihre Karriere am Herzen liegt, sondern – so sehr es nur geht – die Zukunft der in unsere Welt hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen? Das können auch Pädagogen, Politiker oder Hochschullehrer sein, aber das sind immer und zuallererst diejenigen, die diesen Kindern ihr Leben geschenkt, die sie begleitet und, so gut sie das vermochten, großgezogen haben.

Und was antworten die meisten Eltern, wenn sie gefragt werden, was sie sich für ihre Kinder wünschen? „Glücklich sollen sie sein, jetzt schon, aber auch noch später, als Erwachsene.“ Und wenn man die Eltern dann weiter befragt, was ihrer Meinung nach jedes Kind, überall auf der Welt wirklich braucht, um sein Leben so gestalten zu können, dass es glücklich wird, kommen die Antworten hervorgesprudelt wie das Wasser aus einer Quelle: eine Tätigkeit, die Freude macht, verlässliche Freunde, die zu ihm halten, und natürlich auch Geborgenheit, Vertrauen, Zuversicht, viel Phantasie und gute Ideen, auch Herausforderungen und immer wieder ganz viel Freude am eigenen Entdecken und am gemeinsamen Gestalten.

Nicht ganz so schnell wird deutlich, was diejenigen Eltern meinen, die auf diese Frage antworten: „Mein Kind soll später im Leben erfolgreich sein, Karriere machen, Anerkennung finden und genug Geld verdienen. Es soll ihm besser gehen als uns.“ Auch das ist ein verständlicher Wunsch. Und es werden ja heutzutage in den Medien sehr gern und oft genug Personen vorgestellt, die besonders erfolgreich in Spitzenpositionen aufgestiegen sind, die viel Geld und wertvolle Besitztümer erworben haben, berühmt geworden sind und von anderen bewundert werden. „Aber“, so sollte man diese Eltern weiter fragen, „sind die auch wirklich glücklich?“ Solange der Erfolg anhält vielleicht, aber sonderbarer Weise wird die Mehrzahl dieser so überaus erfolgreichen Überflieger irgendwann vom wirklichen Leben eingeholt. Und dort finden sie sich dann gar nicht so gut zurecht, werden depressiv, alkohol- und drogensüchtig, leben in kaputten Familien und sind alles andere als glücklich. Ist es wirklich das, was diese Eltern ihren Kindern wünschen?

Möglicherweise kommt es gar nicht darauf an, erfolgreich zu sein. Möglicherweise ist es, um wirklich glücklich zu sein, viel wichtiger, dass einem möglichst vieles im Leben gelingt. Möglicherweise geht es gar nicht um den Erfolg, sondern um das Gelingen. Wie schön, dass wir in unserer Sprache diesen kleinen, aber entscheidenden Unterschied zum Ausdruck bringen und uns deshalb auch bewusstmachen können. Wenn wir sagen, etwas sei gelungen, dann meinen wir damit, dass nicht wir es so gemacht haben, wie es geworden ist, sondern dass wir es nur ermöglicht haben, dass es so werden konnte. Einfache Aufgaben wie ein Forschungsprojekt oder ein Fahrradrennen kann man erfolgreich abschließen. Aber alles, was im tagtäglichen Zusammenleben stattfindet und deshalb sehr komplex ist und sich in vielfältigen Wechselwirkungen entfaltet, kann nur gelingen, eine Partnerschaft beispielsweise oder eine Hochzeitsfeier oder das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft. All das, ja alles, was das Leben an schwierigen Herausforderungen für uns bereithält und was wir irgendwie meistern müssen, kann nur gelingen, aber nicht erfolgreich zu Ende geführt werden.

Auch ihr eigenes Leben, ein glückliches Leben, kann unseren Kindern nur gelingen. Wir können es nicht für sie machen, auch wenn wir uns noch so sehr darum bemühen. Aber wir können ihnen ermöglichen, sich all das anzueignen, was sie brauchen, damit sie ihr Leben so gestalten können, dass es gelingt. Dann werden sie auch glücklich sein. Und das, was sie dazu brauchen und was wir ihnen dafür mit auf den Weg geben können, ist Bildung, Bildung für ein gelingendes Leben.

Alles andere ist Ausbildung. Und die dient dazu, später im Leben bestimmte Aufgaben übernehmen und bestimmte Leistungen erbringen zu können. Das dabei erworbene Wissen oder Können brauchen die in unsere Lebenswelt hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen auch. Wer sich hinreichend viel spezifisches Wissen und Können angeeignet hat, kann das dann möglicherweise auch sehr gut umsetzen und besonders erfolgreich werden. Aber das, was Heranwachsende in den von uns geschaffenen „Bildungseinrichtungen“ lernen können, reicht dazu nicht aus. Eine Ausbildung, also der Erwerb von Wissen und Können, auch von Kompetenzen, ist zu wenig, um sein Leben so gestalten zu können, dass es auch wirklich gelingt. Allein damit kann aus einem Heranwachsenden kein glücklicher Mensch werden, bestenfalls ein gut ausgebildeter und vorübergehend erfolgreicher.

Deshalb bin ich so froh, dass Daniel Hess in seinem Buch mit dem wunderbaren Titel „Glücksschule“ so sorgfältig herausarbeitet hat, worauf es für ein gelingendes, sinnerfülltes und damit glückliches Leben ankommt. Kennengelernt habe ich Daniel anlässlich eines Kongresses in Zürich. Und damals habe ich auch verstanden, dass es ihm nicht nur darum geht, die öffentlichen Schulen in Glücksschulen zu verwandeln. Ihm geht es vor allem um das Glück der in unsere Welt hineinwachsenden Kinder. Dringender denn je brauchen diese Kinder Erwachsene, die ihnen nicht in irgendwelchen Einrichtungen, sondern draußen im tagtäglichen Zusammenleben helfen, sich selbst als lustvolle Gestalter ihres Lebens und ihres Zusammenlebens mit anderen erfahren zu können. Und sie brauchen – wie die Fische das Wasser – möglichst viele und vielfältige Gelegenheiten, um dort draußen, im tagtäglichen Leben, auszuprobieren und dabei zu lernen, wie das Zusammenleben mit anderen, auch das mit anderen Lebewesen auf diesem wunderbaren Planeten gelingen kann.

Göttingen, im Herbst 2019

Gerald Hüther

Glücksschule

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