Читать книгу Die Eisenfestung - Daniel Sigmanek - Страница 4

Ankunft in Akhoum

Оглавление

Das erste, was Tado spürte, als der schwarze Schleier seiner Ohnmacht sich lichtete, war die unbarmherzige Wärme der Sonnenstrahlen, die den hellblauen, nahezu wolkenlosen Himmel über ihm zum Gleißen brachten und den feinkörnigen Sand um ihn herum auf eine ungeheure Temperatur erhitzten. Er befand sich am Spülsaum eines Gewässers, und, den Salzrückständen an seinem zur Hälfte im Wasser liegenden Arms nach zu urteilen, war es vermutlich ein Meer, dennoch wehte kein spürbarer Wind.

Es dauerte einige Zeit, bis er die Kontrolle über seinen Körper wiedererlangte. Der Versuch, sich in eine aufrechte Position zu bringen, wurde mit einem stechenden Kopfschmerz bestraft, der sich durch eine ruckartige Reflexbewegung noch verstärkte, die ein unvorsichtiger Griff in den ihn umgebenden heißen Sand auslöste.

Er versuchte zunächst, sich zu orientieren. Auf der einen Seite lag in der Tat nichts als ein endloses, tiefblaues Meer. Dem gegenüber erstreckte sich eine sandige, unwirtliche Landschaft; einige Dornenbüsche wuchsen an kleinen Felsgruppierungen, eine verdorrt aussehende Palme stand in der Nähe. Weiter entfernt, nur undeutlich am Horizont erkennbar, erhoben sich die weitläufigen, schwarzen Umrisse einer Stadt. Links und rechts zog sich der weiße Strand kilometerweit dahin, ehe er sich in der vor Hitze flimmernden Luft auflöste und unscharf in den blauen Himmel überging. Mit leichtem Entsetzen stellte Tado fest, dass er sich nicht mehr in Gordonien befand. Denn dort gab es keine Sandstrände.

Langsam ging er nun auf die nahegelegene Palme zu, denn sie sollte ihm Schatten spenden. Er trug noch immer die grauen, sehr leichten Sachen, die er von Mégotark erhalten hatte, sowie seinen Waffengürtel, an dem sich eine leere Schwertscheide und eine kleine Schatulle befanden. Letztere war der eigentliche Grund für seine momentane Lage, dennoch konnte er eine gewisse Erleichterung nicht leugnen, als er registrierte, dass er sie nach wie vor bei sich trug.

Das Vorwärtskommen bereitete ihm weitaus weniger Schwierigkeiten als die noch immer anhaltenden Kopfschmerzen. Er setzte sich schließlich auf einen Stein unterhalb des Baumes, sodass er aufs Meer blicken konnte, und versuchte, sich an die zurückliegenden Ereignisse zu erinnern.

Nur langsam kamen vage Eindrücke des Kampfes gegen den Lord des Feuers zurück und auch an ihren letztendlichen Sieg über ihn. Danach wurden die Erinnerungen undeutlicher. Er wusste, dass ihr Feind einen finalen Zauber gewirkt hatte, wie sich ein Spalt auftat und... wie er und Spiffi hineingezogen wurden. Danach war er in Ohnmacht gefallen.

Spiffi! Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Gefährte fehlte. Diese Erkenntnis ließ ihn für einen Moment verzweifelt den Kopf senken. Das Gefühl wurde noch weiter verstärkt, als er soeben seinen durch die Hitze völlig ausgetrockneten Hals mit Wasser benetzen wollte, denn da er keinen Rucksack mehr trug, war er auch nicht imstande, seiner Kehle eine trinkbare Flüssigkeit zuzuführen.

Gedankenverloren ließ er seinen Blick über das ruhige, fast schon unheimlich still anmutende Meer schweifen.

„Es ist gefährlich, zu dieser Zeit alleine in der Sonne zu sitzen.“

Tado fuhr zutiefst erschrocken hoch und drehte sich noch in der gleichen Bewegung um, sodass die Kopfschmerzen seinen kraftlosen Körper mit einem erneuten Ohnmachtsanfall traktierten, den er nur unter erbarmungslosem Zusammenpressen seiner Zähne zurückzudrängen vermochte.

Vor ihm stand ein Mädchen. Es schien in seinem Alter zu sein und war vollkommen in schwarz gekleidet. Das blonde Haar reichte ihm bis zur Taille herab. Tado stand völlig fassungslos da und starrte die Person an. Er hatte sie weder kommen hören, noch konnte er sich erinnern, sie bei seinem Orientierungsversuch vor wenigen Minuten gesehen zu haben.

„Ich habe dich noch nie zuvor hier gesehen. Wer bist du?“, fragte sie, nachdem sie keine deutbare Reaktion auf ihre anfängliche Bemerkung erhielt. Ihre Stimme klang angenehm und ein wenig neugierig.

„Tado“, brachte Tado hervor. Das Sprechen fiel ihm leichter als gedacht. Das Mädchen gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden: „Und wo kommst du her?“

Er erlangte seine Kontrolle über sich selbst langsam zurück, und sah sich nun in der Lage, seine Antworten um einige Silben zu erweitern: „Ich weiß es nicht. Nicht von hier. Ich kam unfreiwillig hierher und... es ist eine etwas längere Geschichte.“

Sie sah ihn prüfend an. Ihr Blick fiel auf die Schwertscheide.

„Bist du ein Krieger?“, fragte sie, und der angenehme Unterton in ihrer Stimme erlosch für einen Moment.

„Nein“, antwortete Tado. Er vermochte es, dieses eine Wort glaubhaft zu vermitteln, sodass das Misstrauen des Mädchens wieder verschwand. Eine kleine Wolke schob sich für wenige Sekunden vor die Sonne. Sein Körper nahm dieses unscheinbare Ereignis euphorisiert auf und jagte ihm freudig einen kalten Schauer über den Rücken.

Tado spürte es kaum, denn etwas völlig anderes zog in diesem Moment seine Aufmerksamkeit auf sich: Rechts von der Palme, irgendwo in weiter Ferne, tauchte ein finsterer Streifen am Horizont auf, der sich schnell vergrößerte.

„Wir sollten von hier verschwinden“, sagte sie plötzlich. „Ein Sandsturm kommt auf uns zu. Er ist zwar nicht unbedingt tödlich, aber ich würde mich ihm nur ungern ohne Deckung entgegenstellen.“

Als er genauer hinsah, bemerkte Tado, dass es sich bei dem dunklen Streifen eher um eine wabernde Wand handelte, etliche Kilometer breit und unfassbar hoch. Er glaubte nicht, dass sie es überleben würden, wenn dieses Ding auf sie träfe.

„Warum hilfst du mir?“, fragte er das Mädchen ein wenig verwirrt.

„Ich kann dich doch nicht einfach so hier draußen sterben lassen. Und da du offensichtlich unbewaffnet bist, führst du wohl nichts Böses im Schilde.“

Tado blieb zunächst keine Zeit, weitere Fragen zu stellen; er beeilte sich, dem Mädchen zu folgen, das sich nun schnellen Schrittes in die Richtung bewegte, in der er vorhin die Umrisse einer Stadt hatte ausmachen können.

„Ich heiße übrigens Yala.“

Tado holte auf, wenngleich sein Kopf noch immer mit mäßigem Schmerz gegen die plötzliche Anstrengung protestierte.

„Wo gehen wir hin?“, fragte er, wobei sein Hals zusehends trockener wurde.

„Nach Akhoum.“ Sie deutete auf den Schemen am Horizont. „Es ist die größte Stadt hier in der Gegend. Eigentlich gleicht sie mehr einer Festung, aber das wirst du schon sehen, wenn wir ankommen.“

Tado bezweifelte, dass sie ihr Ziel erreichen würden, bevor der Sandsturm sie einholte. Er sollte sich täuschen.

Yala ging in einen Laufschritt über. Der unebene, ausgetrocknete Boden erleichterte ihr Vorwärtskommen nicht wirklich. Doch die Stadt schien nicht so weit entfernt zu sein, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Schon wenige Minuten später konnte Tado Einzelheiten erkennen. Eine große, mindestens zwanzig Meter hohe sandfarbene Mauer, in die in regelmäßigen Abständen runde Türme eingelassen waren, erstreckte sich kilometerweit um eine Anzahl noch viel höherer Gebäude. Tado sah bewaffnete Männer auf den Wehrgängen, die sich aufgrund der näher kommenden Staubwand in naheliegende Häuser begaben.

Yala steuerte eine Stelle des Walls an, wo dieser besonders schäbig aussah, und lehnte sich an die Außenwand eines der Türme, sodass dieser ihr Schutz vor dem Sandsturm bot. Tado tat es ihr gleich.

„Halte dir ein Tuch vor die Nase und schließ die Augen“, sagte Yala. So einfach diese Anweisung klang, erwies es sich doch als recht schwierig, in der Eile ein Tuch zu finden, sodass er schließlich einfach seinen Arm vors Gesicht hielt.

Er vermied es, dem Sandsturm entgegenzublicken, zu bedrohlich sah die weit über hundert Meter hohe Wolke aus, die sich ihnen unbarmherzig näherte und die Sonne schon bald verdunkelte. Als die Staubwand über sie hereinbrach, spürte er, wie feinkörniger Sand in Mund und Nase drangen, als er zu atmen versuchte, und so beschloss er, die Luft einfach anzuhalten. Natürlich hielt er dieses Vorhaben nicht sehr lange durch, und weil das Naturschauspiel, wenn man es denn als solches bezeichnen mochte, weit über eine halbe Stunde dauerte, war das Vorbeiziehen des Sturmes von einem Hustenanfall seinerseits begleitet.

„Warum sind wir nicht in die Stadt hineingegangen?“, fragte er etwas ärgerlich, nachdem er den größten Teil des Sandes irgendwie aus seinem Mund entfernt hatte.

„Nun ja, vielleicht hätte ich dir das etwas früher sagen sollen“, begann Yala. „Alle Bewohner Akhoums haben die Anweisung, Fremde sofort zu töten.“

Warum überraschte Tado diese Tatsache nicht?

„Wieso bin ich dann noch am Leben?“, fragte er stattdessen.

„Ich habe keine Waffe bei mir“, meinte Yala.

„Also bringst du mich nach Akhoum, damit mich die Bewohner hier töten?“

Tado war nun sichtlich verwirrt.

„Das eben hatte ich nicht ernst gemeint“, erwiderte sie ein wenig beleidigt, als enttäuschte es sie, dass er ihr solch eine Tat überhaupt zutrauen würde. „Ich halte nicht viel von diesem Gesetz, es hängt alles mit dem Krieg gegen Syphora zusammen. Aber das erzähl ich dir lieber, wenn wir innerhalb der Mauern sind.“

„Und wie sollen wir hineingelangen?“

Yala sah ihn eine Weile an.

„Kannst du klettern?“

Tado zog es vor, die Frage vorerst nicht zu beantworten, da er nicht wusste, was genau sie unter klettern verstand. Stattdessen vollführte er eine undeutbare Handbewegung, die Yala als Antwort zu reichen schien, denn sie wies ihn an, ihr zu folgen.

Sie folgten der Mauer einige hundert Schritte, bis sie an eine Stelle kamen, an der merkwürdige Schlingpflanzen von der Mauerkrone bis wenige Meter über dem Boden herabhingen.

„Dieser Weg ist der ungefährlichste, um hinein zu gelangen“, sagte Yala schließlich. „Die Ranken der Sukapflanze halten großer Belastung stand.“

Sie ging einen Schritt auf die Mauer zu, hielt jedoch kurz inne.

„Pass auf, dass du ihre Blüten nicht berührst. Sie würden deine Haut vom Körper ablösen.“

Mit diesen ungemein bildhaften Worten kletterte sie einige Meter des Walls in beachtlichem Tempo hinauf, indem sie ein paar beschädigte Stellen als Trittstufen benutzte, bis sie eine Ranke der Sukapflanze zu fassen bekam.

Tado stand noch einige Sekunden regungslos da und sah ihr zu, ehe auch er sich überwand und die Mauer hinaufzuklettern begann. Es bereitete ihm weitaus mehr Probleme, sich am recht glatten Stein hochzuarbeiten. Auch als er bei den Schlingpflanzen ankam, konnte er nur knapp einer Berührung mit einer der zahlreichen Blüten entgehen. Möglicherweise hätte er sich vorher überlegen sollen, ob es so gut war, in seinem Zustand eine solche Strapaze bewältigen zu wollen, denn er spürte, wie ihn auf halber Strecke die Kräfte zu verlassen begannen. Ein Blick nach unten und die Tatsache, dass Yala bereits die Mauerkrone erreichte, gaben ihm jedoch neue Kraft, und er überwand schließlich auch die letzten Meter, zu seiner Überraschung sogar ohne eine Verletzung von den Sukapflanzen davongetragen zu haben.

Ein leichter Wind vertrieb die sengende Hitze. Sie befanden sich auf einer Art Wehrgang, von dem in regelmäßigen Abständen Treppen und gelegentlich auch Leitern hinunterführten. Yala bestand jedoch darauf, keinen dieser Wege zu benutzen, sondern steuerte stattdessen einen geradezu gigantischen Stapel Kisten an, der sich bis zwei Meter unter die jenseitige Kante der Mauer erhob.

„Warum machen wir all die Umwege?“, fragte Tado, denn er konnte weit und breit keine Menschenseele sehen.

„Die Treppen führen alle zu dicht an den Wachtürmen vorbei. Die Wächter könnten uns von dort aus bemerken. Im Innern der Stadt sind wir zwar eigentlich sicher, aber das hier ist der Westrand von Akhoum und für Zivilisten ist dieser Ort verboten. Daher müssen wir unerkannt ins Zentrum gelangen.“

Yala sprang auf die oberste der Kisten hinunter. Tado tat es ihr gleich. Es dauerte nur eine Minute, bis sie endgültig unten angekommen waren. Die Gebäude hier wirkten bedrohlich. Sie hatten hauptsächlich eine graue Farbe und Gitter versperrten die Fenster.

„Was ist das für ein Ort?“, fragte er, als sie sich einige Schritte von der Mauer entfernt hatten.

„Es ist das Waffenlager Akhoums“, antwortete Yala. „Wenn wir hier erwischt werden, töten sie uns beide auf der Stelle.“

„Wenn dieser Ort verboten ist, warum kennst du dich dann so gut hier aus?“

„Das sage ich dir, wenn wir in Sicherheit sind.“

Tado hatte sehr viele Fragen im Kopf und wäre sie gerne auf der Stelle alle losgeworden, aber auch er hielt es für besser, noch eine Zeit lang abzuwarten, denn dieses Waffenlager war ihm nicht geheuer. Immerhin hatte er seine Orientierung wiedergewonnen. Wenn sie sich zurzeit am Westrand der Stadt befanden, dann musste der Ozean im Süden sein. Leider half ihm dieses Wissen in der augenblicklichen Situation wenig. Yala führte ihn durch zahllose Gassen immer tiefer in Richtung Stadtkern. Als sie die Grenze des Waffenlagers erreichten, gingen sie in das oberste Stockwerk eines nicht allzu hohen und offenbar leer stehenden Hauses und kletterten vom höchsten Fenster aus aufs Dach hinauf. Tado fragte sich immer stärker, woher sie den Weg so genau kannte, den sie zu gehen hatten, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich hier täglich aufhielt.

Er bemerkte nun etwa fünfzehn Meter unter sich mehrere schwer bewaffnete Männer, die einen der Eingänge zum Waffenlager bewachten. Dies begründete zumindest, warum sie zuvor in dieses Gebäude eingedrungen waren. Von hier aus trennten sie nur etwa anderthalb Meter bis zum Dach des nächsten Hauses, und dahinter schien der belebte Teil der Stadt seinen Anfang zu nehmen, immerhin sah Tado einige Dutzend Menschen durch die dort breiter werdenden Straßen laufen.

Er nahm sich jedoch vorerst keine Zeit, um weitere Eindrücke von Akhoum zu gewinnen, auch wenn er zuvor noch nie in einer solch großen Stadt gewesen war, sondern konzentrierte sich auf das vor ihm liegende Hindernis. Yala sagte ihm, dass sie den Spalt zwischen dem Dach des Gebäudes, auf dem sie sich befanden, und dem Dach des Hauses, das vor ihnen lag, würden überspringen müssen. Was Tado daran Angst machte, war nicht etwa die Entfernung, sondern die Höhe, in der sie dies tun mussten.

Sie sprangen nahezu gleichzeitig los und kamen auch fast zeitgleich auf der anderen Seite an, allerdings endete sein Sprung in einer unfreiwilligen Vorwärtsrolle, da er beim Aufkommen auf dem Dach mit dem rechten Fuß umknickte. Die Schmerzen hielten sich glücklicherweise in Grenzen.

„Bist du verletzt?“, fragte Yala, allerdings weniger besorgt, vielmehr belustigt.

„Nein“, antwortete Tado, während er langsam aufstand. Das Dach wieder zu verlassen, gestaltete sich leichter, als er es vermutet hatte, denn eine alte Leiter, der so manche Sprosse fehlte, stand gegen die Nordseite des Hauses gelehnt.

Als sie den belebten Teil der Stadt betraten, fühlte sich Tado wesentlich wohler. Sie fielen jetzt nicht mehr auf zwischen all den dunkel gekleideten Menschen und Yala führte ihn nun in einem etwas gemächlicheren Tempo durch einige Straßen in Richtung Stadtmitte. Zumindest glaubte er, dass es die Stadtmitte war, denn er wusste nicht, ob Akhoum einen symmetrischen Aufbau besaß oder sich willkürlich weit in alle Richtungen erstreckte.

Irgendwann erreichten sie einen weitläufigen, rechteckigen Platz, der an den vier Eckpunkten jeweils eine Art Turm mit nahezu quadratischem Grundriss besaß. Im Grunde genommen waren es nur mehrstöckige Häuser, die alle umliegenden Gebäude jedoch um ein gutes Stück überragten.

Yala steuerte den südöstlichen Turm an, den, der ihnen am nächsten lag. Eine Treppe mit einem nicht unbedingt vertrauenerweckenden Geländer wand sich an der Außenwand des Bauwerks entlang, gelegentlich verbreiterte sie sich zu einer kleinen Plattform, auf der häufig einige palmenartige Pflanzen standen und von der aus eine Tür ins Hausinnere führte.

Sie gingen bis zum siebten, dem höchsten Stockwerk hinauf, und betraten es schließlich. Tado schlug eine angenehme Kühle entgegen. Die Wohnung, oder was immer es sein mochte, erwies sich als überraschend groß. Es gab mehrere Räume, alle jeweils durch Türen abgegrenzt. Zurzeit standen sie im größten Zimmer, das durch ein großes Eckfenster nach Nordosten hin hell erleuchtet wurde und den Blick auf die Stadt freigab.

„Wohnst du hier allein?“, fragte Tado geradeheraus.

„Täte ich es nicht, wärst du wohl kaum noch am Leben, oder?“, antwortete sie mit einem leicht ironischen Unterton. Ihre Worte leuchteten ihm ein. Sie bedeutete ihm, auf einem der beiden Stühle, die einen niedrigen Tisch umgaben, Platz zu nehmen.

„Aber bevor ich dir mehr über mich erzähle, möchte ich endlich wissen, wer du eigentlich bist und woher du kommst.“

Nachdem Tado seinen Durst schließlich mit lauwarmem Wasser, das ihm Yala anbot, stillen konnte, begann er, seine ganze Geschichte zu erzählen. Immerhin hatte er nichts zu verlieren. Alles, was er noch besaß, war die Schatulle, das Ziel seines Auftrags, in der sich seines Kenntnisstands nach weder etwas von Wert befand, noch sah er sich dazu in der Lage, sie zu öffnen, ohne sie dabei zu zerstören. Da er sich auch ganz offensichtlich nicht mehr in Gordonien befand, hatte er auch keinerlei Möglichkeit, sie zu Haktir zu bringen.

Insofern ließ er bei seinen Schilderungen kein einziges Detail aus, nur von dem Ritual, dass Regan ihm beibrachte, erzählte er nichts, und es dauerte bis zur Dämmerung, ehe er endlich beim Kampf gegen den Lord ankam und schließlich endete.

Yala sah ihn noch einige Sekunden lang an, als zweifle sie an dem, was er ihr gerade stundenlang vorgetragen hatte, und ehrlich gesagt fand Tado diese Zweifel berechtigt, denn während seiner Erzählungen war er selbst das ein oder andere Mal ins Grübeln darüber geraten, ob all das tatsächlich der Wahrheit entsprach oder er einfach nur phantasierte.

Yala schien es ihm letztendlich zu glauben.

„Eines verstehe ich nicht“, sagte sie nach einer kurzen Zeit des Schweigens. „Wenn der Lord dich mit seinem letzten Zauber töten wollte, warum bist du dann noch am Leben?“

„Ich weiß es nicht“, gestand Tado. „Vielleicht wurde er durch irgendetwas blockiert. Aus irgendeinem Grund landete ich jedenfalls am Strand des Ozeans. Wie hast du mich dort eigentlich gefunden? Ich dachte, es ist zu gefährlich, zur Mittagszeit allein in der Hitze zu sein.“

„Das ist es auch. Aber ich war auf der Suche nach einigen Krabben fürs Abendessen. Außerdem musste ich überprüfen, ob mein Plan, an dem ich seit langer Zeit schon arbeite, auch wirklich funktionieren würde.“

Tado sah sie nur fragend an und Yala fuhr fort: „Ich denke, es ist an der Zeit, dir etwas über mich zu erzählen. In Wirklichkeit stamme ich nicht von hier. Alles geschah vor etwa sieben Jahren. Ähnlich wie du fand ich mich eines Tages plötzlich mitten in dem Ödland, das die Stadt umgibt, wieder. Ich konnte mich an nichts erinnern, ich wusste nicht, wo ich war oder woher ich kam, nur mein Name befand sich noch in meinem Gedächtnis. Es herrschten damals ähnliche Temperaturen wie heute und ich wäre vermutlich gestorben, doch zufällig kam an diesem Tag eine kleine Gruppe von Kriegern aus Akhoum an dieser Stelle vorbei. Sie brachten irgendein magisches Objekt in die Stadt zurück. Die Hohepriesterin Uris, die ebenfalls unter der Gefolgschaft war, bemerkte meinen fast leblosen Körper und nahm mich mit. Damals gab es noch kein Gesetz, das den Tod aller Fremden im Hoheitsgebiet Akhoums vorschrieb.

Das ist im Wesentlichen der Grund, warum ich dich rettete, denn deine Situation glich meiner in so vielen Hinsichten, dass ich nicht anders konnte, als gegen nahezu jede Vorschrift dieser Stadt zu verstoßen und dich hierher zu bringen.“

Yala machte eine kurze Pause, und Tado sah sie dankend an. Sie hatte sich in große Gefahr begeben, nur um ihm, den sie noch nicht einmal kannte, das Leben zu retten.

„Nachdem ich also in der Stadt angekommen war, erhielt ich diese Wohnung und außerdem jede Woche einen kleinen Nahrungsvorrat. Leider ist dieses neue Zuhause auch gleichzeitig mein Gefängnis, denn hier in Akhoum besitzen Frauen im Prinzip keine Rechte, nur sehr wenige haben es durch fragwürdige Taten zu Ansehen gebracht. Als schließlich der Krieg zwischen Akhoum und Syphora, einer gigantischen Festung im Osten dieses Landes, ausbrach, wurde es jedem Zivilisten untersagt, die Stadt zu verlassen. Nur einigen Bauern, die im Nordosten Felder bewirtschaften, und Händlern ist es gestattet, die Tore ungestört zu durchqueren. Von nun an wurde jeder Fremde, der in das Hoheitsgebiet Akhoums eindrang, getötet. Patrouillen durchstreifen seitdem diese Lande, um feindliche Späher abzufangen.

Der Krieg dauert nun schon drei Jahre. Es gab mehrere Schlachten in den weiten Ebenen nahe Skuliens, die meisten endeten in einem sinnlosen Gemetzel ohne Sieger. Doch es keimen Gerüchte in den Straßen auf, dass Syphora sämtliche Streitmächte sammelt, um in einem endgültigen Kampf diesen Krieg für sich zu entscheiden. In den letzten Wochen wurden vermehrt feindliche Späher gesichtet, und nicht immer konnten sie abgefangen werden. Wenn Akhoum aber angegriffen werden sollte, und alles deutet darauf hin, dann wird es vermutlich nicht standhalten. Die Stadt ist einfach zu groß, um sie wirksam zu verteidigen, da die vorangegangenen Schlachten unsere Armee stark dezimiert haben. Umzingeln uns die Feinde, sind wir verloren. Doch auch in einem offenen Kampf können wir ihnen nicht fiel entgegensetzen. Syphora verfügt, wie man sagt, über eine geheime Streitmacht, bestehend aus finsteren Kreaturen, die imstande sind, ein ganzes Heer zu zerschlagen.

Dies ist einer der Gründe für meinen eingangs erwähnten Plan, an dem ich seit nunmehr zwei Jahren arbeite: Meine Flucht aus Akhoum.“

Tado sah sie entgeistert an. „Du willst fliehen? Ich dachte, es ist unmöglich, unbemerkt durch das Hoheitsgebiet Akhoums zu kommen.“

„Was macht es für einen Unterschied, ob ich hier sterbe oder da draußen? In der Wüste hätte ich zumindest eine geringe Chance, den Patrouillen zu entkommen, denn durch ihre schwere Bewaffnung sind sie langsamer. Bliebe ich aber hier, so würde ich mit absoluter Sicherheit bei dem Angriff Syphoras sterben.“

„Und wohin willst du gehen, wenn deine Flucht erfolgreich verläuft?“, versuchte er, ihren waghalsigen Plänen einen Dämpfer zu versetzen, denn er glaubte nicht, dass sie jemals erfolgreich verlaufen würden.

„Vor einiger Zeit traf ich unten auf dem Platz einen reisenden Händler, dem ich meine Geschichte anvertraute. Er sagte mir, dass es in Syphora einen Mann geben soll, der verborgene Erinnerungen wieder hervorzuholen vermag. Ich wollte also durch das Waffenlager am Westrand der Stadt flüchten und mich dann nach Syphora begeben. Es hat ewig gedauert, bis ich einen sicheren Weg aus Akhoum heraus entdeckt hatte, und heute wollte ich zum letzten Mal testen, ob mein Plan funktioniert. Ich wartete, bis sich in der Ferne ein Sandsturm ankündigte, verließ durch das Waffenlager die Stadt und ging bis zum Strand, um zu sehen, in welcher Weite mich die Krieger Akhoums noch entdecken könnten. Im Schutz des Sturmes, wenn die Wächter sich in ihre Wachhäuser zurückgezogen haben, wollte ich dann erneut die Mauer erklimmen, um ein letztes Mal hierher zurückzukehren. Dabei traf ich dich.“

Tado hatte den Umfang des Fluchtweges und die Gefahren, die er barg, selbst miterlebt, und so bewunderte er Yala umso mehr, dass sie allein diese Möglichkeit, aus der Stadt zu entkommen, entdeckt oder vielmehr entwickelt hatte, was jedoch das Entsetzen, das bei ihren Worten in seinem Innern entflammte, nicht zu löschen vermochte.

„Du willst mitten in die Hände des Feindes laufen?“, fragte er mit einem Ton, als zweifle er an ihrem Verstand. Yala schien dies nicht zu gefallen.

„Ich gehöre nicht nach Akhoum“, antwortete sie. „Ebenso wenig gehöre ich nach Syphora. Aber genau aus diesem Grund ist keine der beiden Städte mein Feind, oder vielmehr sind beide mein Feind. Welchen Unterschied macht es, ob ich hier rechtlos gefangen gehalten werde oder dort? Denn die Leute aus Syphora würden mich nicht töten, stattdessen versklaven sie Fremde, um Arbeitskräfte zu gewinnen, sodass sie mehr Bewohner für den Krieg zur Verfügung haben. Sag mir also, welche der beiden Städte mein Feind ist.“

Tado konnte es nicht. Auch vermochte er nicht, Yalas Ausführungen zu widersprechen.

„Aber es gibt doch sicher noch andere Städte in diesem Land.“

„Ich habe dir doch bereits gesagt, warum ich nach Syphora gehen muss. Glaube mir, ich kann mir wahrlich Angenehmeres vorstellen, als hunderte Kilometer weit durch nahezu menschenleeres Gebiet zu laufen, aber...“

Plötzlich klopfte es ungeduldig und heftig an der Tür. Yala wies Tado an, sich irgendwo zu verstecken, und öffnete dann hastig. Er konnte nicht sehen, wer die Person war, die im Gegenlicht des Sonnenuntergangs im Eingang stand, aber er verstand die Worte, die er mit ihr wechselte.

„Was ist?“, fragte Yala. Ihre Stimme klang so sicher, als wäre tatsächlich alles wie immer.

„Ich bin nur hier, um eine Botschaft zu übermitteln.“ Die fremde Stimme besaß einen kühlen Klang, und sie war eindeutig männlich. „Herodun verlangt dich zu sehen.“

„Herodun? Was will er von mir?“ Sie wirkte nun sichtlich nervös.

„Ich bin nicht befugt, diese Frage zu beantworten. Er will dich sehen. Sofort.“

Mit diesen Worten verschwand der Fremde und die Tür schloss sich mit einem Knall. Yala lehnte sich mit dem Rücken gegen das Holz.

„Wer ist Herodun?“, fragte Tado, nach einigen Sekunden des Schweigens.

„Herodun ist so etwas wie der Statthalter Akhoums. Er hat die Macht über alles, was zum Hoheitsgebiet gehört.“

„Warum sollte er dich sprechen wollen, ich dachte, Frauen besitzen hier kaum Rechte?“

„Ich habe dir vorhin nicht alles erzählt“, entgegnete Yala. „Bei der Gruppe von Kriegern, die mich damals fand, war auch Herodun mit dabei. Als sie eine Rast einlegten, reichte man ihm die Frucht der Dornpflaume. Ich hatte zuvor, denn ich war bereits eine Zeitlang bei Bewusstsein gewesen, eine Eidechse dabei beobachtet, wie sie davon fraß und anschließend verendete. Also warnte ich Herodun, sie zu essen. Er gab sie daraufhin einem Sklaven, und dieser starb wenig später. Da Herodun mir also sein Leben verdankte, genoss ich eine Art Sonderstellung in Akhoum.

Warum er mich jetzt allerdings sehen will, weiß ich nicht. Normalerweise spricht er nur mit wichtigen Leuten.“

Tado registrierte ein wenig entsetzt, wie beiläufig Yala erwähnte, dass auch Herodun Sklaven besaß.

„Bist du bereit? Wir müssen los“, sagte sie plötzlich.

„Warum muss ich mitkommen?“, fragte er verwundert.

„Ich kenne dich erst seit wenigen Stunden, da werde ich dich wohl kaum allein in meiner Wohnung lassen“, erwiderte sie ungerührt.

„Ich dachte, ich werde getötet, sobald ich gesehen werde.“

„Wie ich bereits sagte, in der Stadt sind wir relativ sicher. Hier leben so viele Menschen, dass unmöglich jemand alle kennen kann und daher fällt ein Fremder nicht auf.“

„Was ist mit Herodun? Er wird sicher misstrauisch, wenn du nicht allein kommst.“

„Vertrau mir einfach“, sagte Yala nur.

„Das fällt mir sehr leicht, wo mir doch auch uneingeschränkter Verlass zuteilwird.“

Sie überging die sarkastische Bemerkung mit einem undeutbaren Blick und drängte ihn zur Eile, angeblich sei der Statthalter nicht sehr geduldig, und es waren bereits einige Minuten vergangen, seit sie die Nachricht erhalten hatten.

Im Licht der untergehenden Sonne wirkte die Stadt viel größer als am Tag. Die Gebäude warfen zum Teil beängstigende Schatten. Einige große Vögel flogen über die Dächer hinweg. Nur wenige Menschen bewegten sich durch die Straßen, die Luft war angenehm kühl. Es roch jedoch an manchen Stellen geradezu unerträglich nach Abfall. Tado war es ein Rätsel, wie man sich an einem Ort wie diesem zurechtfinden konnte; die Wege besaßen meist eine unterschiedliche Breite, es ließ sich kein Muster erkennen, nach dem die Häuser angeordnet waren, scheinbar wahllos ragten sie aus dem festgetrampelten, trockenen Boden, aus dem nur gelegentlich einige, meist verdorrte Pflanzen ihre Triebe stießen.

Yala führte ihn jedoch zielsicher auf den nordöstlichen Rand Akhoums zu. Dort erhob sich im fahlen Schein des langsam aufgehenden Mondes eine Burg gegen den Himmel. Ihre Außenwände verschmolzen mit der Stadtmauer, eine recht steile Treppe bot einen Zugang zu dem niedrigen Hügel, auf dem sie erbaut war und auf dessen Hängen mehrere schmale Wälle die Sicht behinderten.

Ein offenes Tor gab den Blick in einen gut sieben Meter langen Torgang frei, was Tado auf die ungefähre Dicke der Burgmauer schließen ließ. Auch konnte er, als sie den Eingangsbereich betraten, die metallenen Spitzen eines in der Decke verborgenen Fallgatters sehen, und er verspürte eine gewisse Erleichterung, als sie es unbeschadet passierten und es nicht auf seinen Kopf herunterfiel und ihn in zwei Hälften teilte.

Yala steuerte nun eines der Gebäude im Innenhof der Burg an. Es war das einzige, in dem noch Licht brannte, denn mittlerweile, nach über einer Stunde Fußmarsch durch die Stadt, die hunderttausende Menschen beherbergen musste, stand der Mond hoch am Himmel, und die Sterne verblassten in seinem Licht zu unbedeutenden Schemen. Sie durchschritten eine kleine, zweiflügelige Tür, die in eine relativ niedrige Halle führte, deren Decke durch steinerne Säulen an vier Stellen abgestützt wurde. In der Länge maß sie vielleicht dreißig Meter, in der Breite gerade einmal halb so viel. Rechteckige Fenster durchbrachen die Wände zu beiden Seiten. Fackeln tauchten den Raum in ein dumpfes Licht, der stumpfe Boden verschluckte ihre Schritte. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich zwei Türen links und rechts eines gewaltigen Kamins, von dessen einstigem Feuer nur noch eine spärliche Glut brannte. In dieser vagen Helligkeit zeichnete sich der Umriss einer Person ab, die ihren Blick unentwegt auf den Boden geheftet hatte, und erst hochsah, als sie bis auf wenige Schritte herangekommen waren. Vier schwer bewaffnete Wachen standen in unmittelbarer Nähe und betrachteten das folgende Geschehen mit wachsamen Augen.

„Ihr wolltet mich sprechen?“, begann Yala. Ihre Worte verloren sich beinahe in der fast leeren Halle.

„Ja. Und du kommst spät“, antwortete Herodun. Seine Stimme hallte durch den Raum, obwohl er nicht sehr laut gesprochen hatte. „Und du kommst auch nicht allein“, stellte er nach einer weiteren Sekunde fest.

„Es ist gefährlich, des nachts allein durch die Straßen zu gehen“, ließ Yala vernehmen. Auf dem Weg zur Burg hatte sie Tado zu verstehen gegeben, auf keinen Fall unaufgefordert zu sprechen, und so hielt er sich zurück und versuchte, den Gesichtsausdruck der Wachen nachzuahmen, um zumindest den Anschein eines Kriegers zu erwecken.

Herodun schien sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben zu wollen, wechselte dennoch das Thema, offensichtlich wollte er nicht noch mehr Zeit verlieren: „Ich habe eine schlechte Nachricht für dich. Man hat dich heute Morgen im Waffenlager gesehen.“

Yala war für einen Moment sprachlos, doch bevor sie zu einer Erklärung ansetzen konnte, fuhr Herodun fort: „Du weißt, was das bedeutet. Was hast du dort zu suchen gehabt?“

Tado versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu erkennen. Sie wirkte nicht sehr angespannt. Vielleicht lag dies aber auch an dem dunklen Zwielicht, das nach wie vor den Raum erfüllte.

„Ich habe nach einer Waffe gesucht. Immerhin gibt es Gerüchte, dass ein Angriff Syphoras bevorsteht, und ich möchte nicht wehrlos einer Belagerung ausgesetzt sein.“

Auch diese fast schon alberne Antwort gefiel Herodun nicht besonders, doch sein ernster Gesichtsausdruck entspannte sich zusehends, sehr zur Überraschung Tados.

„Dennoch ist Unbefugten der Zutritt verboten. Was soll ich nur mit dir machen? Die Gesetze sehen es vor, dass ich dich töten lasse, aber ich weiß, ich schulde dir mein Leben und kann das nicht tun. Wenn ich dich aber ungestraft davonkommen lasse, und die Bevölkerung davon erfährt, wird es Unruhen geben.“

Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Herodun ging einen Schritt auf sie zu. Er war ziemlich groß, fand Tado.

„Was habt ihr mit mir vor?“, fragte Yala, nun doch sichtlich nervöser als zuvor.

„Wie du bereits sagtest, gibt es Gerüchte, dass Syphora einen Angriff plant. Die Wahrheit ist: Das Heer hat sich bereits in Bewegung gesetzt. Vor drei Tagen passierten sie den Fluss vor den Schlachtfeldern Skuliens. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Die umliegenden Städte sind zwar bereit, uns mit Soldaten zu versorgen, doch sie werden noch lange brauchen, bis sie eine Armee aufstellen können und uns erreichen. Akhoum allein wird diesem Angriff nicht standhalten, wir sind zu wenige, um eine solche Streitmacht abzuwehren.

Es gibt jedoch eine Möglichkeit, diese Schlacht doch noch für uns zu entscheiden… oder zumindest eine Niederlage abzuwenden. Uris, unsere Hohepriesterin, sagt, dass es in den nördlichen Sümpfen einige Erzvorkommen des Metalls Ordan geben soll. Die Tümpelschlinger, die dort beheimatet sind, bauen es ab und stellen Waffen und Schilde daraus her. Mit einem großen Schild könnte es Uris gelingen, einen Verteidigungszauber um die Stadt herum zu errichten und ihn so lange aufrechtzuerhalten, bis Verstärkung eintrifft. Daher habe ich eine kleine Gruppe Krieger zusammengestellt, die morgen bei Sonnenaufgang aufbrechen und den Tümpelschlingern einen ihrer Schilde abkaufen und hierherbringen sollen. Und du wirst dich ihnen anschließen.“

Yala war überrascht, doch aus irgendeinem Grund schien sie sich auch zu freuen.

„Warum?“, fragte sie, aber wohl nur, um Herodun nicht misstrauisch zu machen.

„Weil es der einzige Weg ist, dich vor dem Tod oder dem Kerker zu bewahren. Ich werde verkünden, dich unter Arrest gestellt zu haben, obwohl du in Wirklichkeit auf dem Weg nach Norden bist.“

Yala stimmte diesem Plan schließlich zu und wollte sich zum Gehen abwenden, als ihr noch etwas einfiel.

„Darf er mich begleiten?“, fragte sie, auf Tado deutend.

„Ich sehe dafür keinen guten Grund. Solltet ihr nicht rechtzeitig zurück sein, können wir jeden fähigen Krieger zur Verteidigung der Stadt gebrauchen“, entgegnete Herodun.

„Aber er ist kein Krieger. Sondern ein Fremder.“

Tado erschrak innerlich, als Yala diese Worte aussprach. Warum tat sie das? Noch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, ergriff der Statthalter erneut das Wort.

„Tötet ihn!“, brüllte er, und die vier Wachen stürmten regelrecht auf ihn zu, und hatten ihn umzingelt, noch bevor er überhaupt einen Schritt in Richtung Ausgangstür hätte machen können.

„Wartet!“, rief Yala. „Er ist ein Fremder, und er hat es bis in den Kern von Akhoum hineingeschafft, ohne bemerkt zu werden. Sollte das publik werden, werdet ihr noch größere Unruhen hervorrufen als durch die Verschonung meines Lebens.“

Herodun geriet ins Zweifeln. Tado hoffte nur, dass er ein wenig schneller zweifeln würde, als man es normalerweise tat, denn die vier Wachen zeigten sich von Yalas Worten völlig unbeeindruckt und zogen bereits ihre Schwerter; riesige, gebogene Klingen – wie er sie einmal bei einem Überfall von Piraten auf ein Handelsschiff in der Nähe seines Heimatdorfes gesehen hatte – warteten nur darauf, sich in sein Fleisch zu bohren, und es gelang ihm nur dadurch, dass er eine Hand auf seiner leeren Schwertscheide behielt, sie auf Distanz zu halten. Er erinnerte sich, dass ihm Regan einst einen Zauber beibrachte, mit dem er sein Schwert jederzeit zu sich befördern konnte, doch er wollte diese Fähigkeit nicht benutzen, denn zum einen würde er damit das Vertrauen Yalas verlieren, denn er sagte ihr, er sei kein Krieger, und zum anderen mochte ihn Herodun anschließend erst recht für einen Spion aus Syphora halten.

„Haltet ein!“, rief er schließlich und die Wachen zogen sich augenblicklich zurück. „Woher soll ich wissen, dass er kein Verräter ist?“

„Ich verbürge mich dafür, dass er nichts Böses im Schilde führt“, sagte Yala. „Sichergehen könnt ihr natürlich nur, wenn ihr ihn aus der Stadt bringt. Lasst ihn also mit mir gehen.“

Wieder überlegte Herodun eine Weile.

„Also gut. Ich gebe den Kriegern, die du begleiten wirst, die Anweisung, ihn im Auge zu behalten und bei dem kleinsten Anzeichen von auffälligem Verhalten werden sie ihn töten.“

„Das ist keine gute Idee. Die Krieger sind im Gegensatz zu den Wachen nicht gesichert. Ihr könntet ihn dann ebenso gut hier umbringen.“

Tado verstand nun nicht mehr viel von dem, was gesprochen wurde, denn er wusste nicht, was gesichert bedeutete.

„Du stellst mein Vertrauen in dich auf eine sehr harte Probe.“ Herodun klang nicht sehr glücklich bei diesen Worten. „Solltest du mich enttäuschen, so werde auch ich nichts mehr für dich tun können.“

Yala verzichtete auf weitere Worte, sie drehte sich einfach um und ging. Tado folgte ihr. Die wenigen Schritte bis zur Tür kamen ihm wie eine Ewigkeit vor, und als sie endlich wieder im Freien standen, sprudelten die lang aufgestauten Fragen regelrecht aus ihm heraus.

„Warum hast du ihm verraten, dass ich nicht aus Akhoum stamme?“

„Es war der einzige Weg, Herodun davon zu überzeugen, dass du mitkommen darfst.“

„Es hätte mich fast umgebracht“, erwiderte Tado vorwurfsvoll.

„Ich hatte alles unter Kontrolle“, antwortete Yala.

„Warum willst du überhaupt, dass ich mitkomme?“

„Die Unternehmung bietet uns eine sehr gute Möglichkeit zur Flucht. Da sie mich im Waffenlager gesehen haben, werden sie jetzt versuchen, herauszufinden, wie ich dort hineingelangt bin und früher oder später den Weg finden. Es gibt also kaum Alternativen, um aus der Stadt zu fliehen.“

„Wie kommst du darauf, dass ich überhaupt fliehen möchte?“

Yala blieb stehen.

„Du hast mir doch erzählt, dass du nach dem Kampf gegen den Lord durch einen Zauber hergebracht wurdest. Und du sagtest außerdem, dass neben dir noch einer deiner Gefährten betroffen war. Wenn dir also irgendetwas an ihm liegt, und du sein Schicksal erfahren möchtest, so wirst du das in Akhoum kaum tun können. Denn wenn er tatsächlich hier irgendwo in diesem Land gestrandet ist, so ist er entweder tot, weil er sich im Hoheitsgebiet von Akhoum befand oder inmitten der Ebenen Skuliens, oder er ist ein Sklave, weil er bei Syphora zu sich kam. Viele andere Möglichkeiten gibt es nicht.“

Für einen Moment glomm Hoffnung in Tado auf, denn eigentlich hatte er schon nicht mehr geglaubt, Spiffi je wieder zu sehen. Sie setzten ihren Weg weiter fort. Im blassen Schimmer des Mondes konnte man nur schlecht die Umrisse der Gebäude erkennen, aber Yala gelang es, sie zielsicher durch einen Großteil der Stadt wieder zurück zu dem großen Platz zu führen, bei dem sie wohnte.

Im Turm angekommen, musste Tado auf dem Boden schlafen, da sie, wie sie sagte, noch nie Besuch bekommen hatte und daher auch kein zweites Bett zur Verfügung stand.

Die Eisenfestung

Подняться наверх