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In den Sümpfen von Sekhan

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Er erwachte, noch bevor die ersten Strahlen der Sonne durch das große Fenster im Nordosten brachen. Yala schien noch immer in einem der abgetrennten Räume zu schlafen - ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte.

Er warf einen Blick aus dem Fenster. Trotz der enormen Höhe des Turmes konnte er von hier aus nicht einmal bis zum Rand der Stadt sehen, nur die vagen Umrisse der Burg zeichneten sich gegen das Dämmerlicht ab.

Wenn er nach unten sah, konnte er die immer größer werdende Menschenmenge erkennen, die die Straßen und den großen Platz langsam füllte.

„Wir müssen los“, sagte eine Stimme hinter ihm. Yala stand bereits fertig zum Aufbruch vor der Tür. Sie hatte sich mit einem Dolch bewaffnet. Ein mattgelber Apfel, den sie ihm zuwarf, bildete das weniger reichhaltige Frühstück.

Sie folgten einer breiten Straße, die südlich des großen Platzes abzweigte und geradewegs auf das Haupttor zuführte.

„Gestern Abend hast du gesagt, dass die Krieger, denen wir uns anschließen sollen, nicht gesichert seien“, versuchte Tado ein Gespräch zu beginnen. „Was meintest du damit?“

„Es gibt in Akhoum ein furchtbar grausames Ritual, dem sich alle Leibwachen Heroduns unterziehen müssen“, antwortete Yala. „Man schneidet ihnen die Zunge heraus, sodass sie nicht versehentlich ein Geheimnis ausplaudern, was sie mitangehört haben. Auch dürfen sie nie eine Schule besuchen oder irgendwie anders das Schreiben erlernen. Herodun schleppt sie nämlich überall mit hin, und so erfahren sie viele Dinge, die eigentlich nicht für fremde Ohren gedacht sind.“

„Wie kann man sich so einer Prozedur freiwillig unterziehen?“, fragte Tado etwas angewidert.

„Leibwächter des Statthalters ist der bestbezahlte Beruf in Akhoum, abgesehen von den Posten der Minister. Meist haben die Wächter auch keine Familie mehr, sodass ihnen dieser Schritt nicht besonders schwer fällt.“

Trotz des scharfen Tempos, mit dem sie dahin schritten, kamen sie erst am Haupttor an, als die Sonne sich vollends über den Horizont geschoben hatte. Dort warteten drei dunkel gekleidete Männer auf sie, einer war mittleren Alters, die anderen etwas jünger. Einer der beiden Letzteren trat nun auf Yala und Tado zu. Er schien der Anführer der kleinen Gruppe zu sein.

„Damit wären wir vollzählig. Ich weiß zwar nicht genau, warum wir uns mit euch belasten und unseren Auftrag damit gefährden müssen, aber ihr tätet besser daran, uns nicht noch weiter aufzuhalten.“ Seine Stimme klang herablassend. „Weil alle Nebentore aufgrund der momentanen Situation gesperrt sind, müssen wir durch das östliche Haupttor gehen, die Stadt zu einem Viertel umrunden und dann weiter nach Norden vordringen.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und schritt auf den Ausgang der Stadt zu. Die anderen beiden Männer folgten ihm, Yala und Tado bildeten den Schluss. Das Tor war ungeheuer groß und besaß zwei mächtige Flügel, jeder schien aus einer einzigen, massiven Metallplatte von der Stärke eines Baumstamms zu bestehen. Ein Dutzend schwer bewaffneter Männer bewachten das tonnenschwere Konstrukt, und erst als die kleine Gruppe nur noch wenige Meter entfernt war, öffnete es sich langsam und relativ laut, jedoch nur einen kleinen Spalt, sodass sie hintereinander hindurchgehen konnten.

Der Marsch um die Stadt herum gestaltete sich weniger mühsam als erwartet. Es herrschten keine so unbarmherzigen Temperaturen wie gestern, aber das mochte durchaus nicht so bleiben.

Yala ließ sich unauffällig ein kleines Stück zurückfallen und bedeutete Tado, es ihr gleichzutun. Hoffentlich wagte sie jetzt noch keinen Fluchtversuch, dachte er bei sich. Anscheinend wollte sie aber nur außer Hörweite der anderen sein.

„Die Flucht wird sich anscheinend doch nicht so leicht gestalten, wie ich gedacht habe“, sagte sie leise, und ohne eine Reaktion abzuwarten, fuhr sie fort: „Herodun misst dieser ganzen Sache höchste Wichtigkeit bei. Er hat seine besten Krieger losgeschickt. Der Mann mittleren Alters heißt Soaktan, der andere Giful. Und der, der vorhin zu uns gesprochen hat, ist Lukdan. Soaktan ist Befehlshaber der Truppe, die Überfälle auf schwer bewachte Stützpunkte tief im Reich Syphoras ausübt. Giful befehligte schon nach einem Jahr Ausbildung das Heer der Bogenschützen und Lukdan... Man sagt, er allein könne es mit hundert Männern aufnehmen. Wenn sie also bemerken, dass wir zu fliehen versuchen, würden sie uns innerhalb kürzester Zeit eingeholt und getötet haben.“

Tado betrachtete die drei. Sie trugen alle eher leichte Rüstungen und schienen keine Probleme zu haben, sich darin zu bewegen. Soaktan hatte eine langstielige Axt bei sich, die er als einziger fortwährend schlagbereit in der rechten Hand trug. Giful war mit einem Bogen bewaffnet, die Pfeile besaßen eine dunkelgrüne Fiederung. Lukdans Gürtel zierten zwei Schwertscheiden, in denen jeweils ein ähnliches Krummschwert steckte, wie es die Wachen Heroduns zu benutzen pflegten, nur kennzeichneten seine Waffen eine einseitig gezackte Klinge.

Dabei wurde Tado bewusst, dass er sich vollkommen wehrlos auf diese Mission begeben hatte. Selbst Yala trug immerhin einen Dolch bei sich. Doch er wollte seine wahrscheinlich einzige bemerkenswerte Fähigkeit noch nicht benutzen, es würde nur zu viele Fragen aufwerfen. Auch hatte er das Gefühl, dass der richtige Moment womöglich noch nicht gekommen sei.

Obwohl die kleine Gruppe in einem, wie Tado fand, halsbrecherischen Tempo den unebenen, ausgetrockneten Boden nahe der Mauern Akhoums überquerten, benötigten sie einige Stunden, bis sie endlich auf der Nordseite ankamen und sich von der riesigen Stadt entfernten. Herodun hatte gesagt, sie würden in irgendwelche Sümpfe gehen, doch bisher sah er nichts als unfruchtbaren Boden, dem gelegentlich ein dorniger Busch ein wenig Eintönigkeit nahm, und ab und zu so etwas wie eine Sanddüne in der Ferne.

Schließlich gelangten sie in ein von Felsen übersätes Gebiet. Die mehr als mannshohen Gesteinsbrocken machten die Gegend unübersichtlich. Lukdan schien das nicht zu gefallen. Er wies Soaktan und Giful an, auszuschwärmen und bedeutete Yala und Tado, hinter einem der Steine Deckung zu suchen. Zwar hielt er Letzteren noch immer für einen Krieger, da dessen Kleidung seine Schwertscheide so überdeckte, dass er nicht sehen konnte, dass sich nichts in ihr befand, aber anscheinend für keinen besonders geschickten. Diese Tatsache machte Tado nicht wirklich etwas aus, denn sein letzter Kampf lag gefühlte drei Wochen zurück und er wusste nicht, ob er in einem Gefecht womöglich haushoch unterlegen wäre.

Lukdan erklomm derweil den Felsen, hinter dem sie Deckung suchten, mit einer beeindruckenden Geschwindigkeit und versuchte, sich einen besseren Überblick zu verschaffen. In diesem Moment flog aus einer nicht genau zu bestimmenden Richtung ein Pfeil auf ihn zu und hätte ihn auch durchbohrt, doch Lukdan zog eines seiner Schwerter mit einer solchen Geschwindigkeit, dass der Ton, mit dem es aus der Scheide glitt und der helle Aufprall des Geschosses auf die Klinge zu einem einzigen Geräusch zu verschmelzen schienen. Er begab sich daraufhin wieder in Deckung. Wenige Sekunden später trafen auch Soaktan und Giful wieder ein.

„Es ist ein Spähtrupp aus Syphora“, sagte Ersterer.

„Wie viele sind es?“, wollte Lukdan wissen.

„Etwa zehn. Drei von ihnen sind Bogenschützen“, antwortete Giful.

Tado konnte hören, wie in näherer Umgebung einige Schwerter gezogen wurden.

„Giful, du bleibst bei unseren beiden nichtsnutzigen Begleitern und schaltest von hier aus die Bogenschützen aus. Soaktan und ich übernehmen den Rest“, legte Lukdan fest und verließ sogleich die Deckung. Umgehend zischten von drei Seiten Pfeile heran, denen er jedoch auswich. Danach begab er sich wieder hinter den Schutz eines Felsens. Giful hatte jedoch das winzige Zeitintervall, das die feindlichen Bogenschützen ihm boten, als sie auf Lukdan zielten, genutzt, um zwei von ihnen auszuschalten. Jetzt schwärmte auch Soaktan aus, und Tado konnte sehen, wie er von zwei Männern in schwarzen Gewändern und verhüllten Gesichtern gleichzeitig angegriffen wurde. Sie trugen ähnliche Säbel wie auch die Leibwächter Heroduns.

Soaktan schlug einem der beiden mit seiner Axt die Waffe aus der Hand, noch ehe dieser überhaupt zum Schlag ausholen konnte, und trat nach einer schnellen und geradezu akrobatischen Drehbewegung dem anderen gegen den Hals, wodurch der Getroffene auf den staubigen Boden fiel.

Tado sah, wie der letzte der Bogenschützen hinter einem nahen Felsen auftauchte. Doch bevor er überhaupt zielen konnte, hatte Giful bereits einen Pfeil gezogen, ihn aufgelegt, den Bogen gespannt und ihn abgefeuert. Das Geschoss fand sein Ziel und durchbohrte den Brustkorb des Gegners.

Soaktan, der sich beider Angreifer scheinbar mühelos hatte entledigen können, wurde nun von einem dritten Krieger attackiert. Dieser trug einen etwa zwei Meter langen Metallstab, an deren beiden Enden jeweils eine Klinge befestigt war. Die Axt des Mannes aus Akhoum parierte einen heftigen Schlag, danach ließ sie Soaktan fallen, griff gleichzeitig nach der Waffe seines Gegners, lief einen in unmittelbarer Nähe befindlichen mannshohen Gesteinsbrocken einige Schritte hinauf und trat ihm dann von dort aus mit solcher Wucht ins Gesicht, dass Tado bis zu seiner Deckung herüber das Zerbrechen eines Schädelknochens hören konnte.

Lukdan hatte inzwischen die Aufmerksamkeit von drei Feinden auf sich gezogen, die ihn nun umzingelten. Der Angegriffene wehrte etliche Schläge ab, es blieb Tado ein Rätsel, wie er sich mit nur zwei Schwertern an scheinbar allen Seiten gleichzeitig verteidigen konnte. Schließlich landete er sogar einige Treffer. Die gezackten Klingen seiner Säbel fügten den Spähern aus Syphora tiefe Wunden zu, sodass sie schon nach kurzer Zeit zusammenbrachen und Lukdan sich ihrer entledigen konnte.

Der letzte feindliche Krieger hatte sich von hinten an Tado, Giful und Yala herangeschlichen. Diesmal war es Ersterer, der die nahende Gefahr bemerkte und einem gut geführten Schlag nur durch eine reflexartige Ausweichbewegung entgehen konnte, mit der er sich auf die Seite des Angreifers brachte und ihm gegen das Knie trat. Der Mann wankte einige Schritte zurück, sodass auch Giful auf ihn aufmerksam wurde und ihn durch einen gezielten Schuss ausschaltete.

Nach diesem Zwischenfall marschierte die kleine Gruppe noch schneller als zuvor. Tado nahm einen der Säbel der gefallenen Krieger aus Syphora an sich.

Unterwegs kamen sie an einem kleinen Wasserloch vorbei, an dem sie ihren Durst stillen konnten. Es schmeckte nicht besonders gut. Erst jetzt fiel ihm auf, dass keiner von ihnen Proviant oder dergleichen bei sich hatte.

Je weiter sie nach Norden vordrangen, desto üppiger wurde die Vegetation. Gelegentlich bedeckten nun kleine Ansammlungen von Büschen und niedriges, trockenes Gras den Boden. Einmal kreuzte ein löwenähnliches Tier ihren Weg, das Soaktan als Reigul identifizierte. Nachdem sie sich bei Yala erkundigt hatten, ob dieses Tier genießbar sei, erlegten sie es und hoben es für das Abendessen auf. Gegen Abend erreichten sie tatsächlich eine Stelle, an der ein einsamer Baum wuchs, dessen Krone relativ weit über den ausgetrockneten Boden ragte. Sie schürten ein Feuer und brieten den Reigul. Letzteres überließen die Krieger aus Akhoum Yala, die sich offensichtlich damit auskannte. Tado sah ihr dabei zu, immerhin hatte er im Moment nichts Besseres zu tun. Soaktan und Lukdan schärften ihre Waffen, während Giful die Gegend auskundschaftete.

Als sie alle wieder zusammen waren, gab Yala jedem ein recht großes Stück Reigul.

„Ohne Gewürze mag es vielleicht etwas trocken schmecken“, sagte sie entschuldigend. Sie behielt Recht, doch keiner der anderen machte eine entsprechend Bemerkung.

Bei der Einteilung der Nachtwache wurden sie und Tado außen vor gelassen, wohl weniger, weil die Krieger eine Flucht befürchteten, sondern eher, weil sie ihnen eine solche Aufgabe nicht zutrauten.

* * *

Sie wurden am nächsten Morgen unsanft geweckt. Offensichtlich hatte es einen Zwischenfall gegeben.

„Was ist los?“, erkundigte sich Tado.

„Eine Hundertschaft Syphoras nähert sich von Südosten her. Möglicherweise ist sie ein Teil des Heeres, das sich auf dem Marsch nach Akhoum befindet. Ich weiß nicht, wie sie uns gefunden haben, oder ob wir überhaupt ihr Ziel sind. Möglicherweise ist gestern einer der Späher entkommen. Wir müssen die Sumpfgebiete vor ihnen erreichen, sie dürfen den Auftrag auf keinen Fall gefährden“, sagte Giful.

Tado hätte gern gewusst, woher dieser all die Informationen hatte. Es blieb ihm jedoch keine weitere Zeit, um Fragen zu stellen, denn Soaktan drängte ihn und Yala zum Aufbruch, während Lukdan bereits einige Meter weit gegangen war. Sie bewegten sich nun im Laufschritt vorwärts, und nach einiger Zeit tat sich ein Wald vor ihnen auf. Alte, niedrige und sehr breite Stämme mit größtenteils sehr unebenem Stamm wuchsen zwischen gräulich schimmernden, unförmigen Tümpeln, und ihr Blätterdach bildete eine undurchdringliche Decke, durch die kaum ein Lichtstrahl den Boden erreichte. Übel riechender Schlamm bahnte sich seinen Weg durch das Gehölz, Wasserlinsen und Schlingpflanzen mischten ein mattes Grün unter die trübe Landschaft. Moosartige Gewächse hingen von den Zweigen herab und verliehen dem Bild etwas Mystisches.

Nur zögerlich betraten die Fünf die verbotenen Sümpfe von Sekhan, wie sie auch genannt wurden. Die stickige Luft, der modrig-faulige Geruch und die hohe Luftfeuchtigkeit erschwerten das Atmen. Mücken und andere Insekten umschwirrten die kleine Gruppe. Ein unheilvoller Dunst beschränkte die Sicht auf etwa zehn Meter.

Die Gruppe folgte einem schmalen Trampelpfad durch den sumpfigen Morast, von Zeit zu Zeit sahen sie sich jedoch gezwungen, zu Fuß durch knietiefen Schlamm zu waten, der ab und zu links und rechts von ihnen ein wenig hin und her schwappte. Blutegel und Schlammwürmer lebten im undurchsichtigen, dickflüssigen, wässrigen Boden. In den Bäumen hingen riesige Nester dunkelbrauner, fast faustgroßer Spinnen, einige Netze spannten sich quer über den Weg, über den sie hintereinander schritten, sodass an ihnen schon bald Teile der klebrigen, weißen Fäden hingen.

Yala hielt sich dicht bei Tado, offensichtlich hatte sie recht große Angst vor den zugegebenermaßen nicht gerade kleinen Spinnen. Eines der Exemplare fand den Weg auf Soaktans Oberarm, dieser stieß es umgehend mit seiner Axt von sich, sodass es Yala vor die Füße flog, was diese mit einem leisen Aufschrei quittierte.

„Lasst euch nicht von den Sumpfspinnen beißen. Sie sind zwar nicht sehr giftig, beißen aber sehr gerne und die Wunde kann gigantische Ausmaße annehmen“, gab Lukdan daraufhin zu verstehen. Er ging voran, weshalb Tado sich wunderte, wie er überhaupt etwas von dem kleinen Zwischenfall hatte mitbekommen können, auch fragte er sich, wie ihr Führer sich in diesem unübersichtlichen Morast zurechtfand, denn offensichtlich folgte er keinem bestimmten Pfad durch dieses Gebiet.

Jedenfalls trugen seine Worte nicht unbedingt zur Beruhigung Yalas bei, eher das Gegenteil war der Fall.

Ihr Weg führte sie schließlich an den Rand eines sich zu beiden Seiten weit erstreckenden Sumpfes, und kein Pfad führte sicher hindurch, nur einige Bäume mit sonderbaren, aus dem Schlamm hervorragenden Wurzeln, durchbrachen die Oberfläche des Morasts. Fliegen umspielten den Kopf eines mittelgroßen Sumpfkrokodils, das ziemlich genau in der Mitte des fauligen Teichs zur Hälfte auf einem abgebrochenen Ast daniederlag, zur anderen Hälfte im schlammigen Wasser versank. Ein abscheulich aussehender Vogel mit praktisch nicht vorhandenem Gefieder stocherte mit seinem grauen Schnabel in dem halb verwesten Skelett eines vermutlich verirrten Reiguls herum.

Giful legte einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens und zielte auf das Sumpfkrokodil. Dieses öffnete in diesem Moment sein Maul, sodass das abgefeuerte Geschoss tatsächlich zwischen den beiden Kiefern des Reptils hindurchzischte und sein Ziel verfehlte.

„Lasst uns dieses Krokodil ignorieren“, meinte Lukdan schließlich. „Es scheint sich nicht für uns zu interessieren, sonst hätte es uns schon längst angegriffen.“

„Das ist ein Trugschluss“, erwiderte Tado, der diese Geschöpfe aus dem Tümpelwald im Tal des Frostes kannte. „Sie verlassen nie ihr angestammtes Gewässer, erst wenn wir es betreten, werden sie uns angreifen.“

„Woher kennst du diese Tiere?“, fragte Giful misstrauisch. „Ich habe sie noch nie zuvor gesehen.“

Tado fing sich einen tadelnden Blick von Yala ein, schließlich hätte er um ein Haar verraten, dass er ein Fremder war, und dann würden ihn die drei Krieger vermutlich auf der Stelle töten und in den Sumpf werfen, wo auch er dann von dem grausigen Vogel bearbeitet werden würde.

„Ich habe mal von ihnen gelesen“, sagte er ausweichend und etwas frustriert darüber, dass er die doch recht eindringliche Begegnung mit dem Sumpfkrokodilen im Tal des Frostes verschweigen musste.

„Du kannst lesen?“, fragte Soaktan, doch es klang keineswegs missbilligend, sondern eher bemitleidend. „So wirst du niemals zum Leibwächter des Statthalters aufsteigen.“

Nach allem, was Tado bisher über diese Leibwächter und die Prozedur, der sie sich unterziehen mussten, gehört hatte, wollte er das auch gar nicht, aber das sagte er natürlich nicht. Stattdessen beobachtete er mit Entsetzen, wie die drei Krieger Akhoums einen Schritt in den Sumpf hinein machten. Offenbar schienen sie seine Warnung nicht ernst zu nehmen.

„Ihr verlangt doch nicht, dass wir da rein gehen?“, fragte Yala plötzlich, als wäre es ein Meer aus glühenden Kohlen.

„Es gibt nur drei Möglichkeiten“, meinte Lukdan ein wenig genervt, aber auch ein Stück weit amüsiert. „Wir könnten zurück gehen und dem feindlichen Heer in die Arme laufen; in dem Spinnenwald hinter uns nach einem anderen Weg suchen, oder diesen kleinen Sumpf hier überqueren.“

„Dessen Ende wir noch nicht einmal sehen können“, fügte Yala hinzu, machte aber gleichzeitig einen Schritt auf den Morast zu.

„Halt uns nicht noch länger auf“, drängte Soaktan. „Das Moor ist nicht tiefer als einen Meter.“

Dies hatte er vermutlich daran gemerkt, dass Teile des Skeletts des Reiguls aus dem Sumpf herausragten, dachte Tado bei sich. Auch er betrat nun erstmals den schlammigen Tümpel. Dieser stellte sich als nicht so zähflüssig wie angenommen heraus, sodass sich das Fortbewegen nicht allzu schwer gestaltete. Aus dem Augenwinkel sah er, dass das Sumpfkrokodil nicht mehr an seinem ursprünglichen Platz verweilte, sondern soeben in den Tiefen des Morasts verschwunden war. Er warnte die anderen und hielt seinerseits den Säbel des gefallenen Syphora-Spähers kampfbereit. Glücklicherweise erwies sich der Sumpf als so verdreckt, dass selbst das Sumpfkrokodil gelegentlich auftauchen musste, um überhaupt etwas sehen zu können. Es schnappte nach Lukdan, was sich als folgenschwerer Fehler erwies: Der Angegriffene warf dem etwa fünf Meter langen Tier einen Ast ins geöffnete Maul und durchstach anschließend den geschuppten Kopf mit einem seiner Säbel. An der gezackten Klinge klebte Blut, als er sie wieder herauszog. Tado registrierte erst jetzt, dass Lukdan offensichtlich Linkshänder war. Oder er hielt es einfach nicht für nötig, seine rechte Hand für einen Gegner wie das Sumpfkrokodil zu verwenden.

Nach diesem Vorfall legten sie den weiteren Weg besonnener zurück, Yala ging seitdem in der Mitte, denn sie besaß, bis auf den Dolch – den sie übrigens irgendwo bei sich versteckt haben musste, denn Tado vermochte ihn nicht zu sehen – keine Waffe. Sie versanken nun fast bis zur Hüfte im Morast, und er hoffte, dass die kleine Schatulle, die er noch immer in der Tasche seines Schwertgürtels aufbewahrte, keinen Schaden davontragen würde. Aus irgendeinem Grund dachte er auch jetzt noch an die Erfüllung seines Auftrags, auch wenn er bisher keine Möglichkeit sah, zurück zu seinem Heimatkontinent zu reisen, denn er wusste nicht einmal, wo genau er sich befand.

Ein weiteres Mal attackierte sie noch ein Sumpfkrokodil, das diesmal Soaktans Axt unterlag, ehe der Boden leicht anstieg und sie schließlich auf einen kleinen Pfad vollends aus dem Tümpel heraustreten konnten. Es war eine trügerische Sicherheit, denn zu beiden Seiten ihres Weges lagen weitere solcher Sümpfe, und nur ein Fehltritt würde ausreichen, um womöglich in einem noch tieferen Morastgebiet zu landen, in dem sie jämmerlich ersticken würden.

Im Moment jedoch befreiten sie sich von einer Vielzahl an Blutegeln und Wasserschnecken, die nach dem Marsch durch den schlammigen Pfuhl an ihrer Kleidung hefteten. Der vor ihnen liegende Teil des Waldes unterschied sich nicht groß von dem hinter ihnen liegenden.

„Hast du nicht gesagt, der Spinnenwald läge hinter uns?“, herrschte Yala Lukdan an.

„Ich habe gesagt, dass hinter uns ein Spinnenwald liegt, aber nicht, dass vor uns keiner mehr zu finden ist“, erwiderte dieser nur amüsiert.

Die Netze der achtbeinigen Geschöpfe waren hier noch umfangreicher, ihre Nester noch größer und die Tiere selbst noch haariger und dicker als zuvor. Und Yala ging dementsprechend noch dichter bei Tado.

Der Pfad führte sie einige Zeit zwischen bambusartigen Gewächsen hindurch, die sich bei näherem Hinsehen jedoch als Schlingpflanzen herausstellten, welche vom Grund der Tümpel emporwuchsen, sich an der zersplitterten Rinde der alten, niedrigen Bäume hinauf wanden und schließlich mit dem Blätterdach verschmolzen.

Irgendwann lag wieder ein breiter Sumpf vor ihnen, den zu durchwaten ihnen jedoch zunächst erspart blieb, denn abgestorbene, algenüberwucherte Stämme und moosbewachsene, nasse und schlammige Steine, auf denen so manche Wasserschnecke lebte, ragten aus dem schlammigen Wasser und bildeten eine Art Übergang. Tado fragte sich bei diesem Anblick, ob sie bei ihrem Rückweg wieder auf die gleiche Weise aus dem Wald gelangen würden. Denn das wollte er auf keinen Fall.

Zögerlich betrat er nun als letzter den ersten Baumstamm. Er war nass und glatt und sank unter seinem Gewicht merklich ein. Die Algen gaben ihm keinen Halt, und er hielt unentwegt Ausschau nach möglichen Gefahren, die sich vom Sumpf her nähern mochten. Einige der grausigen Vögel, von denen sie einen bereits zuvor in der Leiche des verirrten Reiguls gesehen hatten, saßen entfernt auf einer winzigen Insel im Tümpel und starrten gierig zu ihm herüber. Lukdan nannte sie Leichenpicker.

Tados Inspektion des ihn umgebenden Tümpels stellte sich als folgenschwerer Fehler heraus, denn es trug sich zu, dass er auf dem algenbedeckten Baumstamm mit dem rechten Fuß ausglitt und in den Sumpf zu fallen drohte. Er bekam in letzter Sekunde den zerfurchten Ast eines nahen, im schlammigen Wasser stehenden Baumes mit der linken Hand zu fassen, spürte etwas Weiches, Klebriges, dann mehrere haarige Objekte, die sich an seiner Hand auf und ab bewegten und schließlich registrierte er, dass er mitten in ein Spinnennest gefasst hatte. Diese Erkenntnis wurde von einem leichten Schmerz begleitet, als ihn ein großes Exemplar der Tiere in den Handrücken biss. Ehe er jedoch vor Schreck losließ, gelang es ihm, seinen rechten Fuß auf einen halb aus dem Tümpel ragenden Stein abzustützen, sodass er vor einem Sturz in den stinkenden Morast bewahrt wurde. Hastig rettete er sich zurück auf den Baumstamm, der ihnen noch immer als Pfad diente und schüttelte die restlichen kleineren Spinnen auf seiner Hand ab, die daraufhin im Moor versanken. Anschließend besah er sich die Wunde, die er sich durch den Biss eines der Tiere zugezogen hatte. Sie war kaum zu erkennen.

„Wenn dich eine der Spinnen gebissen hat“, sagte Giful, während er, als er das Ende des Baumstammes erreichte, auf einen nahen Felsen trat, „dann wirst du in ein paar Tagen eine enorme Verletzung sehen können. Sei froh, dass das Gift nicht sofort wirkt.“

Tado blieb nicht der einzige, dem ein solches Missgeschick passierte. Auch die Krieger Akhoums glitten einige Male auf dem nassen Untergrund aus und vermochten sich nur durch das Festklammern an einem der von Spinnen bewohnten Bäume auf den Beinen zu halten, wobei es fast unmöglich schien, eine Stelle zu erwischen, an der die achtbeinigen Tiere nicht hausten. Nur Lukdan entging einem Biss, da er sich vorsichtshalber ein Stück Stoff um beide Hände gewickelt hatte. Yala hingegen war die einzige, die auf dem rutschigen Untergrund überhaupt nicht ins Wanken geriet.

Irgendwann kamen sie schließlich ans andere Ufer des Sumpfes, wenn man es denn so bezeichnen mochte, denn um einen begehbaren Pfad aus festem Boden zu erreichen, mussten sie zunächst auf den aus dem Morast hervorstechenden Steinen und Baumstümpfen ein Stück weit nach rechts gehen. Bald schon fanden sie jedoch auch dort keine Erde mehr vor sich, sondern nur noch ein knöcheltiefes, schlammiges Sumpfbad, aus dem ein übler Geruch hervorging. Wenigstens mussten sie nun nicht mehr hintereinander gehen. Einige Wasserschnecken mit einem sehr scharfkantig aussehenden Gehäuse lebten darin. Mücken umschwirrten sie. Ein Schlammwurm spie geringe Mengen eines gelblichen Sekrets in Tados Richtung, und es streifte seine rechte Hand. Er spürte nichts außer einem unangenehmen Juckreiz. Wenigstens gab es hier keine Spinnen, dachte er bei sich.

Die Krieger aus Akhoum blieben urplötzlich stehen, sodass Tado, der mit Yala trotz des nun breiteren Weges noch immer das Schlusslicht bildete, fast gegen Soaktan geprallt wäre.

„Was ist los?“, fragte Yala. Ihre Stimme klang unsicher.

„Wir müssen das Gebiet der Tümpelschlinger betreten haben“, sagte Lukdan.

„Woran siehst du das?“, wollte nun auch Tado wissen.

„Tümpelschlinger lieben Sumpfspinnen. Sie haben die Grenzen ihres Reichs mit ihnen umgeben, um Eindringlinge aufzuspüren.“

„Wo siehst du hier Sumpfspinnen?“, fragte Yala, und ein zitternder Unterton begleitete ihre Stimme. Lukdan erwiderte nichts. Er deutete nur mit einer seiner Waffen nach oben. Tado folgte der Bewegung und blickte in das etwa sieben Meter hohe Blätterdach hinauf. Ein leichtes Gefühl von Panik überkam ihn. Übelkeit stieg in ihm empor, er empfand Angst und Ekel zugleich. Yala drohte in Ohnmacht zu fallen, sie hielt sich an einer nahen Schlingpflanze fest. Doch keiner von ihnen konnte den Blick abwenden. Über ihnen erstreckte sich ein wahrhaft gigantisches Gespinst, ein Geflecht hunderttausender Spinnennester, so weit das Auge reichte. Nichts war von einem Blätterdach zu sehen, Abermillionen seidener, gräulich-weißer Fäden durchzogen die Bäume. Unzählige Sumpfspinnen unterschiedlichster Größe bewegten sich mit ungeheurer Geschwindigkeit durch den gewaltigen Bau. Ein waberndes, seidig glänzendes, asymmetrisches Netz unfassbarer Größe erstreckte sich ununterbrochen durch den Wald. Die kleine Gruppe stand buchstäblich unter einem Himmel aus Spinnennestern, deren Bewohner sich entweder unermüdlich elegant durch das Gewobene hindurcharbeiteten oder unheilvoll darin lauerten. Ein Leichenpicker verfing sich in dem Gespinst, und sein eben noch zappelnder Körper erschlaffte schon bald unter einer Flut braun behaarter, vielbeiniger Wirbelloser, seine Organe verflüssigten sich in dem Gift der Spinnen und nach wenigen Momenten schon klebten nur noch die fedrigen Überreste und das kalte Skelett des abscheulich aussehenden Tieres in dem weißen Fadengewirr.

„Der arme Vogel“, brachte Yala hervor. Ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet. Selbst die Krieger aus Akhoum, die den bisherigen Sumpf eher gelassen hingenommen hatten, schienen nun einen mehr oder weniger großen Schock nicht leugnen zu können. Es bedurfte diesmal keiner Worte, um die Gruppe zum Weitergehen zu drängen. Die Augen unentwegt nach oben gerichtet, bahnten sie sich einen Weg durch den stinkenden Morast. Tados letzte Hoffnung, die millionenstarke Spinnenarmee über ihm würde sich bei dem Nahrungsfang nur auf fliegendes Getier beschränken, wurde zerstört, als er die Überreste eines sicher sechs Meter langen Sumpfkrokodils in dem Gespinst entdeckte. Er fragte sich, wie es dorthin gelangen konnte. Als er seinen Blick für einen Moment abwandte, um sich ein Bild von dem vor ihnen liegenden Weg zu machen, hatte er das Gefühl, als fielen Abertausende Sumpfspinnen auf ihn herunter, er spürte die haarigen Beine, wie sie in ungeheurer Eile über seinen Körper hechteten, sich unter seine Kleidung zwängten und... Er wandte seinen Blick schleunigst wieder zu dem gigantischen Gespinst, von dem sich in diesem Moment tatsächlich einige Dutzend der Tiere abseilten und zwischen den Fünf landeten, sie jedoch nicht angriffen, sondern über den knöcheltiefen Schlamm, durch den sie noch immer wateten, ins Dickicht huschten. eines stand für Tado fest. Er würde hier mit Sicherheit keine Nacht verbringen, lieber ließe er sich persönlich von Herodun die Zunge herausschneiden oder liefe der nahenden Hundertschaft aus Syphora direkt in die Arme. Gedankenversunken fragte er sich, wie all diese Krieger wohl durch diese wahrscheinlich furchtbarste aller Landschaften kommen sollten, aber er fand zunächst keine Antwort, denn vor ihnen tat sich nun eine Lichtung auf (wenn man es denn so bezeichnen mochte, denn in der Tat befanden sich hier nur wenig Bäume, es drang dennoch kaum Licht bis hier her, da sich das grässliche Spinnennest weiterhin über ihren Köpfen erstreckte), sodass seine ganze Aufmerksamkeit für einen Moment auf die dort befindlichen Häuser gelenkt wurde. Mit einem Gefühl von Entsetzen bemerkte Tado, dass auch zwischen den niedrigen, zum Teil von Schlingpflanzen überwucherten Hauswänden seidene Netze gespannt waren. Nur schmale Pfade führten an den Gebäuden entlang, dazwischen erstreckten sich kleinere verschlammte Teiche und seichte Sümpfe.

„Das hier muss ein Dorf sein, das zum Reich der Tümpelschlinger gehört“, stellte Lukdan fest. Auch hier herrschte ein unheilvoller Dunst, der die Sicht einschränkte, jedoch war er nur halb so stark wie im übrigen Wald. Zwei Wesen traten aus einem naheliegenden Gebäude. Sie besaßen eine grüne Hautfarbe, ähnlich wie Goblins, auch mussten sie ungefähr genauso groß wie diese sein. Doch es gab einen gravierenden Unterschied: Die beiden Tümpelschlinger hatten einen übergroßen froschähnlichen Kopf. Graue Umhänge umhüllten sie. Ein etwa zwei Meter langer Speer, der jeweils bedrohlich auf die Fünf gerichtet war und von dem eine dunkelgrüne Flüssigkeit tropfte, diente jedem von ihnen als Waffe. Vorsichtig musterten sie die Ankömmlinge.

„Wer seid ihr? Was verschlägt euch in unser Reich?“, fragte einer der Tümpelschlinger. Er war etwas größer als der andere und seine Stimme schien von einem leisen Blubbern begleitet zu werden.

„Wir kommen aus Akhoum“, erwiderte Lukdan. „Unsere Identitäten sind nicht von Bedeutung. Herodun schickt uns, um euch ein Objekt abzukaufen.“

„Akhoum“, sagte der andere Tümpelschlinger. Er klang röchelnd, so, als befände sich ein halber Fisch in seinem Hals. „Es ist lange her, dass sich Leute aus Akhoum hierher gewagt haben. Lasst uns wissen, was ihr haben wollt. Wir gewähren in diesen Zeiten niemandem einen längeren Aufenthalt.“

„Wir benötigen einen möglichst großen Schild aus dem Metall Ordan“, sagte Giful.

„Sollt ihr haben. Aber es wird euch einiges kosten. Die Erzvorkommen sind selten geworden und das Abbauen wird immer mühseliger. Folgt mir.“

Es hatte wieder der Größere von beiden gesprochen, der sich nun kurz mit seinem Begleiter in einer Tado völlig fremden Sprache unterhielt, er war sich nicht einmal sicher, ob überhaupt Worte aus ihren Mündern kamen oder ob es sich einfach nur um eine Atemübung handelte. Nur eines hörte er ziemlich deutlich: Ekson. Es schien der Name des Kleineren zu sein, während der andere Umdeu hieß. Beide führten die Fünf nun auf einem schmalen Weg zwischen den Hütten hindurch. Diese besaßen eine eigentümliche Form: Wie ein rechteckiger Trichter ragten sie in die Höhe, sich oben immer mehr verbreiternd, und kein Dach schloss sich über den Gebäuden.

Tado stellte es sich furchtbar vor, in einem Bett unter einer Decke aus Spinnen und ihren Nestern zu nächtigen. An einer Stelle konnte er in eines der Häuser hineinsehen. Der Boden war mit einer Morastschicht überzogen, in der sich die unterschiedlichsten Tiere tummelten. Andere Tümpelschlinger sah er hingegen nur selten. Und die wenigen, die er zu Gesicht bekam, blickten meist nur verstohlen aus dem Dickicht zu ihnen herüber oder versteckten sich hinter einem großen Spinnennetz.

Sie verließen das kleine Dorf und gingen ein Stück in den Wald hinein. Dort mussten sie wieder einen niedrigen Sumpf durchwaten und gelangten schließlich an ein einsam stehendes, aber recht großes Haus.

Die Tümpelschlinger führten sie jedoch vorbei an der Hütte hin zu einem umzäunten Bereich, in dem einer ihrer Artgenossen damit beschäftigt war, faustgroße, silberne Steine in einen auf Rädern befestigten, hölzernen Kasten zu werfen. Als er das Herannahen der kleinen Gruppe bemerkte, ergriff er eine bereitliegende Armbrust und hielt sie schussbereit vor sich. Zu Tados Überraschung blieben die Krieger aus Akhoum sehr ruhig und zeigten keine Bereitschaft, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. Ekson und Umdeu wechselten mit ihrem Artgenossen einige Worte in dieser sonderbaren Sprache, die Tado nicht verstand. Den Tümpelschlinger schien das Gesagte nicht glücklich zu stimmen, aber er ließ daraufhin sein Schusswerkzeug sinken, legte es sich auf die Schulter und schritt dann auf das alte Haus zu, in deren Holzwänden zum Teil tiefe Spalten klafften, wo sich kleine Nester der Sumpfspinnen gebildet hatten. Dieser Anblick veranlasste Tado unweigerlich dazu, hinauf in das ungeheure Seidengeflecht der Tiere zu blicken, das nach wie vor eine wabernde Decke über ihnen bildete. Ein Blutegel hing schlaff in dem tödlichen Gespinst, oder besser gesagt, seine leere Hülle klebte leblos an den weißen Fäden. Und kam es ihm nur so vor, oder war das Geflecht plötzlich in einer geringeren Höhe als zuvor? Diesen Gedanken verscheuchte er hastig; bevor er so etwas miterlebte, würde er doch lieber eine Nacht unter der Spinnendecke verbringen.

Da die anderen das Haus inzwischen fast erreicht hatten, wollte auch er sich auf den Weg machen, sah dann aber, dass Yala einige Schritte vor ihm stehengeblieben war.

„Planst du unsere Flucht?“, fragte er scherzhaft.

Er wusste, dass sie diesen Ort niemals allein oder mit ihm zu zweit durchqueren würde. Sie warf ihm daher einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Nein“, erwiderte sie, während sie fast schon krampfhaft versuchte, ihren Blick nicht gen Himmel zu richten. „Ich habe nur so ein komisches Gefühl.“

„Ist es wegen der Spinnen?“

„Nicht hauptsächlich“, sagte sie, während sie sich langsam wieder in Bewegung setzte, um nicht auffällig weit hinter den anderen zurückzufallen. „Sie beunruhigen mich zwar, aber es sind diese Tümpelschlinger, die mir im Moment die größten Sorgen bereiten.“

Beunruhigen war die wohl beschönigendste Umschreibung ihrer panischen Angst vor den pelzigen Tieren, die sie verwenden konnte, ohne zu lügen. Doch sie hatte sich verhältnismäßig gut im Griff, wenn er bedachte, was dort über ihren Köpfen zu etlichen Tausenden krabbelte, und so ließ er es dabei bewenden, denn sie erreichten soeben das einsame Haus. Zudem wollte er nicht den Unmut Yalas auf sich ziehen, immerhin war sie mit einem Dolch bewaffnet.

Das Gebäude stellte sich als eine Art Lagerhalle heraus, an den Wänden befanden sich etliche silbern glänzende Gegenstände, hauptsächlich Waffen. Der Tümpelschlinger mit der Armbrust, Chisch hieß er, stellte gerade einen großen, runden und kunstvoll verzierten Schild vor sich auf den Boden, eine Hand behielt er auf dessen Rand.

„Es wird euch einiges kosten“, wiederholte er die Worte Umdeus. Lukdan holte einen Beutel voller Münzen hervor und warf ihn seinem Gegenüber zu.

„Das wird nicht reichen“, meinte dieser nach einer Weile.

„Was? Es ist mehr als das Zehnfache des früheren Preises“, empörte sich Soaktan,

„Der Preis ist eben gestiegen“, antwortete Chisch gelassen. „In diesen Zeiten ist die Nachfrage nach Waffen aus dem Metall Ordan groß.“

„Das überfüllte Lager hier lässt mich deinen Worten nicht gerade viel Glauben schenken“, erwiderte Lukdan ebenso kalt.

Tado fragte sich, was wohl passieren würde, wenn das Geld wirklich nicht reichte, worauf in diesem Moment alles hindeutete. Sie konnten schlecht ohne Schild zurückkehren, denn dann wäre Akhoum vermutlich dem Untergang geweiht, aber ebenso wenig würden sie einen Kampf gegen das gesamte Volk der Tümpelschlinger wagen können, ohne deren Stärke zu kennen: Bisher hatten sie nämlich nur ein kleines Dorf durchquert, und er glaubte nicht, dass die drei Krieger schon so oft hier gewesen waren, dass sie diese sonderbaren Gestalten in befriedigendem Maße einschätzen konnten. Aber allein der Gedanke daran, dass er vorhin bei Eksons und Umdeus Speer eine dunkelgrüne Flüssigkeit tropfen sah, reichte ihm, um jeden Gedanken an ein Gefecht sofort zu verwerfen, denn vermutlich handelte es sich dabei um Gift. Also wandte er sich wieder den Verhandlungen zu.

„Ob ihr es glauben wollt oder nicht, der Preis ist in den letzten Monaten um das Zwölffache gestiegen“, sagte Umdeu gerade und handelte sich dafür tadelnde Blicke seiner zwei Artgenossen ein. Im nächsten Moment wusste Tado auch, warum: Er hatte eine konkrete Zahl genannt.

„Das trifft sich gut“, meinte Lukdan zufrieden und warf Chisch einen weiteren Beutel mit Münzen zu. „Und damit ihr unser Angebot auf keinen Fall ausschlagt, zahlen wir euch hiermit sogar den zwanzigfachen Normalpreis.“

Der Tümpelschlinger prüfte die Aussage die Kriegers und rollte dann einige Momente später mit einer unfreundlichen Geste den begehrten, etwa einen Meter zwanzig im Durchmesser betragenden Schild zu Soaktan, der ihn sogleich an sich nahm. Ohne weitere Worte verließen die Fünf das Lagerhaus.

„Wir sollten schnell von hier verschwinden“, sagte Yala draußen leise zu Lukdan. „Die Tümpelschlinger scheinen irgendetwas im Schilde zu führen.“

Tado erwartete eine verwunderte Antwort oder wenigstens einen fragenden Blick des Kriegers ob dieser unbegründeten Annahme. Doch stattdessen sah er sie achtungsvoll an.

„Ich weiß“, sagte Lukdan. „Sie sind bereits verdächtig, seit wir hier angekommen sind und unseren Wunsch nach einem Schild geäußert haben, denn sie fragten nicht, aus welchem Grund eine Stadt wie Akhoum eine solch große Gruppe an diesen Ort schicken sollte, nur um einen Schild zu kaufen. Vermutlich wollten sie nicht unseren Missmut schüren, da sie irgendetwas planten. Außerdem gelten sie als geldgierig, das sagte zumindest Herodun, und trotzdem schlugen sie unser anfängliches Angebot aus und erfanden die Lüge mit dem Preisanstieg. Das alles kann nur zwei Gründe haben: Entweder sind sie noch geldgieriger geworden...“

„Oder sie wollten Zeit schinden“, ergänzte Soaktan. „Giful hat in der Nähe einige Späher der Hundertschaft Syphoras entdeckt. Sie durchstreifen die Ränder der Stadt.“

Tado war gar nicht bewusst gewesen, dass der Bogenschütze sich entfernt hatte, nachdem sie das Haus verließen. Unruhig über die plötzlich sich anbahnende Gefahr warf er einen Blick nach oben. Seine grausige Vermutung bestätigte sich: Das gigantische Spinnennest über ihnen strebte immer weiter nach unten. Nur noch fünf Meter trennten es vom Boden. Mittlerweile war es sogar im Sichtfeld, ohne dass man nach oben blicken musste. Tado machte die anderen darauf aufmerksam, nachdem sie in einer Ansammlung von Schlingpflanzen Deckung fanden. Yala erschrak als einzige, denn sie hatte es stets vermieden, den Blick gen Himmel zu richten, den Kriegern schien es jedoch auch bereits aufgefallen zu sein.

„Wie es aussieht, stecken die Tümpelschlinger und Syphora unter einer Decke“, sagte Giful. „Vielleicht hatten sie die Hundertschaft hierher geschickt, um Waffen zu kaufen. Da wir jetzt aber aufgetaucht sind, wollen sie uns vermutlich töten. Anhand des hohen Preises, den wir den Tümpelschlingern gezahlt haben, können sie sich wohl denken, dass unser Auftrag für Akhoum von großer Wichtigkeit ist und daher werden sie versuchen, uns mit allen Mitteln aufzuhalten. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, die Hundertschaft wird bald hier eintreffen und das Gebiet umstellen. Wir müssen vorher entkommen.“

Von ihrem jetzigen Standort aus konnte Tado beobachten, wie einige Krieger aus Syphora das nahe Dickicht durchstreiften. Auch Ekson und Umdeu verließen in diesem Moment die einsame Hütte. Ein paar Sumpfspinnen seilten sich von der wabernden Decke ab und liefen auf die zwei zu. Die Tümpelschlinger beugten sich zu ihnen hinunter und verharrten so einige Zeit. Ab und zu blickten sie auf und sahen direkt in Richtung des derzeitigen Verstecks der kleinen Gruppe.

„Wie es aussieht, können die Tümpelschlinger mit Sumpfspinnen sprechen“, stellte Soaktan überrascht fest. „Wir haben sie wohl unterschätzt. Unsere Lage ist aussichtsloser, als ich angenommen hatte.“

„Trefflich formuliert“, bestätigte Lukdan. „Auf diese Weise erfahren sie alles, was sich in ihrem Reich abspielt. Wir können nirgendwo hingehen, ohne dass sie es bemerken. Gleichzeitig nähert sich der Spinnenteppich über uns immer weiter dem Boden an. In kurzer Zeit werden unsere Innereien zu Brei zersetzt werden. Außerdem hat uns Syphora bald umzingelt. Ich sehe ehrlich gesagt keine Möglichkeit, hier noch lebend herauszukommen.“

„Können wir das Nest nicht einfach niederbrennen?“, fragte Yala.

Lukdan antwortete nicht, doch er entzündete mit einiger Mühe einen halbwegs trockenen Zweig und warf ihn hinauf in das weiße Gespinst. Er verfing sich dort und die Tiere darin wichen angstvoll zurück, doch die Flammen vermochten die Fäden nicht in Brand zu stecken.

Tado sah sich um. Sumpfspinnen schienen Schlingpflanzen zu meiden, denn im Gegensatz zu den übrigen Bäumen war ihr derzeitiges Versteck nicht von Spinnenestern umgeben. Dieses Wissen half ihm im Moment nur leider nicht weiter. Ekson und Umdeu hatten inzwischen die Späher Syphoras zu sich gerufen. Ein Dutzend der Krieger stand nun in unmittelbarer Nähe zu den Fünf. Als sie schließlich auf das Versteck aus Schlingpflanzen zusteuerten, verließ die kleine Gruppe es in entgegengesetzter Richtung und rannte zurück zum Dorf der Tümpelschlinger. Ihre Feinde bemerkten sie jedoch und nahmen sogleich die Verfolgung auf. Das riesige Gespinst der Sumpfspinnen war mittlerweile nur noch etwa dreieinhalb Meter vom morastigen Boden entfernt. Nicht mehr lange, und sie würden gebückt weitergehen müssen.

„Wir können sie bestechen“, sagte Yala plötzlich, als sie an einem der sonderbaren, trichterförmigen Häuser ankamen und die Späher ihre Spur für einen Moment verloren zu haben schienen.

„Syphoras Soldaten sind unbestechlich“, entgegnete Lukdan, als hätte sie etwas furchtbar Dummes gesagt.

„Ich rede nicht von Syphora. Aber du hast gesagt, dass Tümpelschlinger sehr geldgierig sind. Wir könnten einen von ihnen überzeugen, uns einen Weg aus ihrem Dorf zu zeigen, sodass wir der Hundertschaft entgehen.“

Da dieser Vorschlag zumindest eine theoretische Möglichkeit darstellte, aus dieser misslichen Lage zu entkommen, beschlossen sie, es zumindest zu versuchen. Die Krieger Syphoras gelangten soeben an den Rand des Dorfes und entdeckten sie sofort. Ihre Zahl schien gewachsen zu sein.

„Solange wir sie aufhalten, musst du einen Tümpelschlinger finden, der bereit ist, uns zu helfen“, sagte Lukdan zu Yala, während er einem Pfeil auswich. Er warf ihr einen weiteren Beutel voller Münzen zu. Tado fragte sich, woher er all das Geld hatte.

„Lass dich nicht hinters Licht führen. Die Tümpelschlinger sind verräterische Geschöpfe.“

Sie entfernte sich hastig, während die anderen den Kampf mit der Hundertschaft aufnahmen. Tado gelang es, sich etwas abseits zu postieren, sodass er sich höchstens zwei Gegnern gleichzeitig erwehren musste. Der Säbel, den er noch immer als Waffe benutzte, leistete recht gute Dienste. Zwar gelang es ihm zunächst nicht, auch nur einen der Krieger zu verletzen, doch ließen sich die Schläge, mit denen er eingedeckt wurde, recht einfach parieren. Ein Pfeil Gifuls bewahrte ihn davor, von einem Speer eines Tümpelschlingers durchbohrt zu werden. Als er endlich einen der Krieger Syphoras entwaffnen konnte, stürzte er von einem Tritt in den Rücken zu Boden, rollte sich reflexartig zur Seite und entging einem mit Sicherheit tödlichen Stich eines anderen Soldaten der Hundertschaft, dessen Waffe daraufhin für kurze Zeit im zähflüssigen Schlamm feststeckte, sodass Tado ihm seinen eigenen Säbel in den Oberschenkel rammen konnte, was den Angreifer ebenfalls zu Boden sinken ließ. Der entwaffnete Krieger hatte hingegen sein gekrümmtes Schwert wiedererlangt und führte einen kraftvollen Hieb aus, den der noch immer am Boden Liegende nur schwer parieren konnte. Beide Klingen prallten mit immenser Wucht aufeinander und verblieben in dieser Stellung, denn der Soldat aus Syphora schien Tado nicht verletzen zu wollen, stattdessen hielt er ihn in Schach, während sich sein am Bein verwundeter Kamerad langsam wieder aufrichtete, um seinerseits den Gnadenstoß auszuführen. In diesem Moment nahten einige Sumpfspinnen heran, offensichtlich in freudiger Erwartung auf den baldigen Tod Tados. Ein Exemplar setzte sich auf seinen Schuh, und er bewegte diesen daraufhin mit enormer Geschwindigkeit in Richtung des Kriegers, der noch immer den Säbel mit seiner eigenen Waffe in Schach hielt, und die Spinne flog mitten in dessen Gesicht, sodass er nicht nur gebissen wurde und einen großen Schreck erlitt, sondern auch für einen Moment den Druck auf sein Schwert lockerte, sodass Tado sich endlich befreien konnte und mit einer schnellen Bewegung wieder aufstand. Er entging auf diese Weise nun zum dritten Mal einer tödlichen Attacke, denn der am Bein verletzte Krieger stach auch dieses Mal ins Leere; und er nutzte die Gelegenheit, um sich diesem Gegner zu entledigen, indem er ihm den Bauch durchbohrte. Der Spinnenbiss, den der verbliebene Krieger hatte erleiden müssen, schien ihn zu großem Zorn angestachelt zu haben, und seine Schläge waren erfüllt von immenser Kraft und wären vermutlich in der Lage, Tado zu zerteilen. Doch es fehlte ihnen an Genauigkeit, und so konnte er auch den zweiten Krieger niederringen, und als dieser nach seinem Tod in den Morast fiel, begrub er einige Sumpfspinnen unter sich.

Yala war derweil in eines der Häuser eingedrungen, und sie wusste nun, warum sie keine Decke besaßen. Das Spinnennest, nun bereits so tief über dem Boden, dass sie gebückt gehen musste, hatte sich tatsächlich ins Innere des einstöckigen Gebäudes vorgearbeitet. Sie entdeckte einen Tümpelschlinger hinter etwas, das wie ein sechsbeiniger Stuhl aussah. Er war mit einem Speer bewaffnet, jedoch von sehr schmächtiger Statur, sodass sie ihn verhältnismäßig leicht entwaffnen konnte und nun ihrerseits den Dolch auf ihn richtete. Als sie ihm den Beutel voller Münzen zeigte, bedurfte es in der Tat nur weniger Worte, um ihn davon zu überzeugen, sie aus dem Sumpf herauszuführen. Und wäre Tado bei ihr gewesen, so hätte sie diesen Zeitpunkt wohl für ihre Flucht genutzt, doch da sie nicht allein gehen wollte, sah sie sich gezwungen, zu dem Schlachtfeld zurückzukehren, auf dem die Hundertschaft mittlerweile gebückt gegen die Krieger aus Akhoum kämpfte. Giful bemerkte sie zuerst, und mit einem lauten Befehl zogen sich die anderen zu ihm zurück, während er mit einigen Pfeilen die Krieger Syphoras auf Distanz hielt. Tado entging wachsamen Auges einem silbernen Bolzen, der offensichtlich von Chischs Armbrust stammte und daraufhin Lukdans Oberarm streifte. Giful rächte diese Wunde ihres Anführers mit dem Tod des Tümpelschlingers.

Die kleine Gruppe folgte derweil ihrem neuen Führer, der sie eilig durch die sumpfigen Gassen des Dorfes führte, auf einem Pfad, auf dem sie die Krieger Syphoras schon bald aus den Augen verloren. Tado hatte, als er sich nach seinem Sieg über die beiden Soldaten einen Überblick über das Schlachtfeld verschaffte, erschrocken festgestellt, dass es höchstens zwei Drittel der Hundertschaft gewesen sein konnten, gegen die sie diesen Kampf führten und um fast die Hälfte dezimiert hatten, was hauptsächlich den Kriegern aus Akhoum zu verdanken war. Der Rest musste also noch irgendwo lauern.

Milgun, so hieß laut Yala ihr froschköpfiger Führer, blieb plötzlich stehen und lauschte, als orientierte er sich. Die unheimliche Spinnendecke hing mittlerweile so tief, dass selbst der Tümpelschlinger nicht mehr aufrecht stehen konnte.

„Was ist los?“, fragte Lukdan; Hektik kennzeichnete seine Stimme.

„Hier entlang“, antwortete er nur, seine Worte klangen kleinlaut.

Er wandte sich nach rechts, denn aus der anderen Richtung näherten sich Krieger aus Syphora. Sie ließen das Dorf hinter sich und durchquerten dichtes Unterholz, umgingen tiefe Sümpfe, aus denen ein erbärmlicher Geruch aufstieg. Einige Sumpfspinnen vermochten es nicht mehr, zu warten, bis ihr Netz den Boden erreichte, sie baumelten an einem Faden herab und fielen zu Hunderten über die Fünf her, Milgun verschonten sie. Doch vermochten sie die Kleidung der Gruppe nicht zu durchdringen; trotzdem fühlte Tado sich von seinen schlimmsten Alpträumen geplagt, haarige Gliedmaßen strömten über seinen Körper hinweg, suchten eine Stelle, an der ihre Kieferklauen die Haut zu durchdringen und ihr Gift zu injizieren vermochten. Jedes Exemplar, das in die Nähe seines Kopfes gelangte, fegte er hinunter in den Morast, und bei jeder Berührung durchfuhr ein eisiger Schauer seinen Körper, er begann zu zittern, er wünschte sich das Ende des Tümpelschlingerreichs herbei, während das gigantische Spinnennest unausweichlich näher kam. Ein Blick hinter sich machte ihm klar, dass er nun keineswegs mehr eine Gefahr erwarten musste, die von Syphora ausging, denn eine breite Welle brauner, faustgroßer Sumpfspinnen strömte hinter ihnen her, alles tötend, was sie unter ihre Millionen Beine bekam.

Und plötzlich standen sie draußen. Mit einem Mal erstreckte sich keine Wand aus seidenen Spinnweben mehr über ihren Köpfen, und sie konnten sich vollends aufrichten, und die Erleichterung wäre groß gewesen, wenn keine tausend Spinnen noch immer an ihrem Körper hängen und kein endloses Meer der gleichen Tiere hinter ihnen den Sumpf fluten würde. Tado wäre längst verzweifelt zusammengebrochen, doch der Anblick der Krieger aus Akhoum, die trotz allem den Weg aus Sekhan heraus ansteuerten, gab ihm neue Kraft, und willenlos schleppte er sich hinterher. Sie hatten das Dorf an der Westseite verlassen, und liefen nun nach Südwesten, um zu ihrem ursprünglichen Weg zurückzukehren. Als sie vor sich einen Tümpel sahen, sprangen sie einfach hinein, da sich ihnen kein anderer Weg bot. Das stinkende, schlammige und von Wasserlinsen nahezu vollständig bedeckte Wasser reichte ihnen bis zur Hüfte. Die Sumpfspinnen, die sich an ihren Beinen befanden, ertranken. Die Welle der behaarten Geschöpfe hinter ihnen kam am Rande des Gewässers zum Stehen, und da sich jener Tümpel sehr weit in jede Richtung erstreckte, setzten sie nicht dazu an, sie zu verfolgen, sondern kehrten enttäuscht um.

Einige Sumpfkrokodile kreuzten den Weg der kleinen Gruppe, doch durch die vielen Sumpfspinnen auf den Körpern der Fünf konnten sie ungehindert passieren und erreichten wenige Minuten später das jenseitige Ufer. Tado erblickte einige Schlingpflanzen in der Nähe und bedeutete den anderen, sich dorthin zu begeben. Nachdem sie die Gewächse erreichten, ließen die noch immer auf ihnen befindlichen Sumpfspinnen plötzlich von ihnen ab und verschwanden im Dickicht. Und so konnten sie schließlich eine Rast einlegen. Milgun war bereits, als sie das Reich der Tümpelschlinger verließen, zurück ins Dorf gegangen. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Tado nicht mehr das Gefühl hatte, etliche Spinnen auf seinem Körper herumkrabbeln zu spüren und noch viel länger, ehe er nicht mehr ganz so erbärmlich zitterte.

Die Eisenfestung

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