Читать книгу Die Eisenfestung - Daniel Sigmanek - Страница 7

Lukdan

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Ein lautes Klopfen an der beschädigten Tür riss ihn aus dem Schlaf. Er wollte aufstehen, doch ungeheure Schmerzen im Bauch warfen ihn förmlich zurück. Es war auch gar nicht mehr nötig, denn Yala öffnete dem morgendlichen Besucher bereits. Sie schien schon etwas länger wach zu sein.

„Lukdan“, rief sie überrascht, fast schon erschrocken. „Was machst du hier?“

Der Krieger hatte kleinere Verletzungen am ganzen Körper und er sah sehr müde aus, vermutlich hatte er noch die ganze Nacht hindurch gekämpft.

„Herodun will uns sprechen. Dich, mich und...“ Er stockte kurz, als er Tado sah. „Und deinen Begleiter, der aus welchem Grund auch immer in deiner Wohnung übernachtet.“

„Sein Haus ist abgebrannt“, log Yala. In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass Lukdan noch immer nicht wusste, dass Tado eigentlich gar nicht aus Akhoum stammte.

Sie verließen das Gebäude nur wenige Minuten später. Erst jetzt wurde ihm das gesamte Ausmaß der gestrigen Schlacht bewusst. Noch immer stiegen vereinzelte Rauchschwaden aus zahlreichen zerstörten Gebäuden empor, etliche Leute waren mit der Beseitigung der gefallenen Krieger beschäftigt, die so ziemlich jede Straße säumten. Der große Platz erwies sich als ein einziges Schlachtfeld: Den Brunnen in der Mitte füllten tote Troks, ein Ogerkäfer steckte zur Hälfte in einer eingerissenen Häuserwand, der Boden hatte zahllose Löcher bekommen, Holzteile vom Belagerungsturm, die mehrere hundert Meter weit bis hier her geflogen waren, bedeckten die Leiche eines Kindes. Eine Übelkeit stieg in Tado empor, als sich ihm dieser Anblick offenbarte. Yala vermochte kaum noch irgendwo hinzusehen.

Lukdan registrierte dies und versuchte, sie ein wenig abzulenken: „Als ich vorhin zu euch gehen wollte, sagte mir einer der Soldaten, ich solle euch seinen Dank aussprechen, angeblich habe gestern ein aus dem obersten Stockwerk fallender Trok einen Tümpelschlinger unter sich begraben, der ihn gerade bedrohte.“

Die zwei bejahten dies zwar, wurden dadurch aber nicht wirklich auf andere Gedanken gebracht. Dies änderte sich auch nicht, als sie einen Blick auf die Hauptstraße warfen. Die hatte es nämlich am schlimmsten getroffen. Keines der angrenzenden Gebäude war unbeschädigt geblieben, überall lagen Trümmerteile. In der Ferne ragte der Sockel des Belagerungsturms nur noch wenige Meter empor. Hinter ihm erstreckte sich eine Schneise der Zerstörung. Die ordanen Rammböcke mussten alles dem Erdboden gleichgemacht haben, was auch nur ansatzweise in ihre Reichweite kam. Die Ogerkäfer, die das riesige Konstrukt schoben, lagen verstreut auf der neu geschaffenen Ebene hinter der Verwüstungsmaschine, denn Gebäude gab es auf dem etwa fünfzig Meter breiten und hundert Meter langen Gebiet zwischen Belagerungsturm und zerstörtem Tor nicht mehr. Der zweite Flügel hing noch immer halb herausgerissen in dem nur noch zur Hälfte vorhandenen Torbogen der Mauer.

Tado ging nun bereits zum dritten Mal zur Burg, und bisher hatte er jedes Mal einen anderen Weg nehmen müssen. So auch jetzt. Sie folgten den breiteren Straßen und Wegen, denn diese waren weitestgehend von den Schrecken der letzten Nacht befreit worden. Nur vereinzelt stießen sie auf die Überreste eines Ogerkäfers oder auf die fellüberzogenen, leblosen Körper der Troks.

Plötzlich zog ein Schatten über die Stadt, und als er in den Himmel blickte, sah Tado, dass dunkle Wolken die Sonne verdeckten. Einige Regentropfen befeuchteten den von getrocknetem Blut zum Teil fast schwarz verfärbten Boden. Dies überraschte ihn ein wenig, denn eigentlich hatte er gedacht, dass es hier niemals regnen würde. Dennoch reichte das herabfallende Wasser nicht aus, um Lukdan dazu zu bewegen, seine Schritte zu beschleunigen und so bogen sie wenig später recht durchnässt in eine enge Gasse ein. Nachdem sie sie durchquert hatten, befanden sie sich am Rand der Stadtmauer im Norden Akhoums. Hier schienen die Angreifer nicht allzu stark gewütet zu haben, denn die Häuser waren an dieser Stelle weitgehend unbeschädigt. Allerdings begegneten ihnen hier auch nicht so viele Bewohner wie im Zentrum.

Lukdan bestieg eine schmale Treppe, die hinauf auf die Mauerkrone führte. Von hier oben sah Akhoum sehr beängstigend aus. Der Osten glich eher einer Ruinenstadt als einem Wohngebiet, auch der Westen schien ziemlich verwüstet worden zu sein. Bis an den Südrand konnte er von hier aus nicht sehen, denn feine Rauchschwaden versperrten ihm die Sicht. Dafür erkannte er weit im Norden, etliche Kilometer entfernt, die grauen Gipfel eines niedrigen Gebirges.

„Warum will Herodun eigentlich nur uns sprechen und nicht auch Giful?“, fragte Yala, als sie in östlicher Richtung weitergingen.

„Natürlich will Herodun auch Giful sehen“, antwortete Lukdan. „Aber er hat noch einige Sachen zu tun und wird später kommen.“

„Weißt du wenigstens, was er von uns will?“, wollte nun auch Tado wissen.

„Ehrlich gesagt nicht. Ein Bote überbrachte mir die Nachricht. Wir sollen auf schnellstem Wege zum Statthalter kommen.“

Ein Soldat, der sich ihnen im Laufschritt näherte und dann an ihnen vorbei hechtete, ließ das Gespräch verstummen. Die drei folgten weiter dem Wehrgang, der sie nach einiger Zeit schließlich direkt an die Mauern der Burg führte. Hier mündete er in einem kleinen, ziemlich heftig beschädigten Nebentor, das ins Innere des gigantischen Gemäuers führte. Der vergiftete Speer eines Tümpelschlingers zeugte davon, dass die Feinde anscheinend mit allen Mitteln in die Festung einzudringen versucht hatten.

Plötzlich hörte es auf zu regnen. Die finsteren Wolken zogen weiter gen Osten und die Sonne ließ ihre Strahlen wieder unbarmherzig auf die verwüstete Stadt herab. In den Straßen sah er viele Menschen zusammenlaufen, und sie alle blickten nach Süden. Schrecken konnte Tado in ihren Gesichtern lesen, doch als er in die gleiche Richtung sah, konnte er nichts Beunruhigendes entdecken. Ein Regenbogen spannte sich etwas entfernt über den Himmel. Lukdan blieb stehen. Auch Yala wandte sich dem Naturschauspiel zu.

„Was ist so besonders an diesem Regenbogen?“, fragte er die beiden, die beunruhigt auf die farbenprächtige Erscheinung blickten.

„Es heißt, dass einst großes Unheil über Akhoum hereinbrechen wird“, antwortete sie. „Eine Katastrophe, mit der die Stadt untergeht, vom Erdboden verschluckt wird.“

„Und was genau hat das mit diesem Regenbogen zu tun?“, fragte er weiter.

„Das furchtbare Unglück soll sich ereignen, wenn ein Regenbogen sich über Akhoum spannt und seine Stadtmauern zur Gänze vom Halbrund eingeschlossen werden.“

Er konnte es nicht so recht glauben, was ihm da erzählt wurde, denn eine solche Naturkatastrophe musste eine gewaltige Ursache haben, und soweit er wusste, besaß ein Regenbogen keine solche Macht. Schließlich erstarb das farbenprächtige Spektakel und sie durchschritten den Einlass. Sie fanden sich in einem kleinen, an jeder Seite von hohen Mauern umgebenen Hof wieder. Eine Birke, bei der sich Tado ernsthaft fragte, wie sie diesem Klima standhielt, wuchs ziemlich genau in der Mitte des gepflasterten Platzes in einem eigens dafür angelegten Rund aus Erde. Die kleine Gruppe umkreiste das Gewächs. Einige hölzerne Kisten lagen verstreut in den Ecken des Hofes, vermutlich hatte sie der Zauber Uris’ getroffen.

Durch eine weitere Tür gelangten sie in einen großen Turm, den sie bis in das oberste Stockwerk hinaufstiegen. Dort zweigten zwei Gänge ab. Lukdan nahm den in nordöstlicher Richtung befindlichen, und so überquerten sie einen überdachten Weg, von dem aus man hinab in den Burghof blicken konnte. Es schien niemand dort unten zu sein.

Bald darauf standen sie vor einem kleinen Tor eines in die Mauer eingelassenen, sehr groß anmutenden Gebäudes, das sich weit hinein ins Innere der Burg erstreckte. Dies musste das Haus sein, in dem Herodun lebte. Ein Wächter versperrte ihnen den Weg.

„Ihr habt hier keinen Zutritt. Der Statthalter ergeht sich in wichtigen Angelegenheiten und wünscht keine Störung“, sagte er.

„Wir kamen auf seinen Befehl“, entgegnete Lukdan. Dies brachte den Krieger zum Nachdenken.

„Mir ist zwar nichts dergleichen bekannt, aber ich möchte nicht den Zorn Heroduns auf mich ziehen. Dennoch, wenn ihr passieren wollt, so müsst ihr euch zunächst eurer Waffen entledigen. Die Leibgarde des Statthalters ist in der vergangenen Nacht nämlich sehr geschwächt worden.“

Widerwillig überreichten ihm Lukdan und Tado ihre Waffen, Yala hingegen wusste ihren Dolch zu verbergen. Dann öffnete der Wächter das niedrige Tor und die drei gelangten in eine kleine Halle, in der sich jedoch niemand aufhielt. Erst als sie eine weitere Tür durchschritten, standen sie plötzlich in einem hohen, weitläufigen Raum, von dem weitere Durchgänge zur Rechten abzweigten. Links von ihnen gaben einige Fenster den Blick nach Westen frei, sie besaßen keine Scheiben und einige reichten bis zum Boden, sodass man durch sie hinaus auf einen balkonartigen Vorbau treten konnte. Goldene Leuchter hingen von der kunstvoll bemalten Decke herab. An der Nordseite des Zimmers, auf dessen von Teppichen bedeckten Boden sich keinerlei Möbelstücke fanden, war ein erhöhter Sitz in die Wand eingelassen, wobei es sich nur um des Statthalters Thron handeln konnte. Darauf saß Herodun, aufrecht, und ein Speer hatte seine Brust durchbohrt und ihn an die hölzerne Rückenlehne genagelt. Die gezackte Klinge eines Säbels steckte in seinem Hals, eine weitere ragte ihm aus dem Rücken. Ein Blutrinnsal ergoss sich noch immer aus den schweren Wunden und färbte den Boden rot. Zu seinen Füßen lagen zwei Leibwächter, jeder von ihnen von etlichen Pfeilen durchbohrt.

Die drei, die soeben den Raum betreten hatten, hielten augenblicklich inne und erstarrten vor dem schrecklichen Anblick, der sich ihnen bot.

„Was ist hier nur passiert?“, stammelte Lukdan.

Wer auch immer hierfür verantwortlich zu machen war, musste über gewaltige Kräfte verfügen, denn Tado konnte sich noch gut an die vergangene Nacht erinnern, und dort vermochte es kaum jemand, den Leibwächtern oder Herodun selbst auch nur einen Kratzer zuzufügen.

Sie gingen auf die Ermordeten zu. Leise und unmerklich, wie durch einen schwachen Zauber, schloss sich die Tür hinter ihnen. Es brauchte nicht viel, um sich von dem Tod der Krieger und des Statthalters zu überzeugen. Die ihnen zugefügten Wunden hätten jeden Ogerkäfer umgebracht. Ein leichter Wind blies durch die offenen Fenster.

„Was sollen wir tun?“, fragte Yala, und in ihrer Stimmen schwang großes Entsetzen mit.

„Ihr solltet euch stellen und für eure Tat die Verantwortung übernehmen“, erklang eine Stimme hinter ihnen.

Tado erkannte sie. Sie gehörte Uris, und als sie sich umdrehten, sahen sie, wie die Hohepriesterin durch einen der Durchgänge zur Rechten den Raum betrat.

„Wir haben dies hier nicht zu verantworten“, erwiderte Lukdan. „Der Statthalter war bereits tot, als wir den Raum betraten.“

„Das weiß ich“, antwortete Uris. „Nur leider wird euch das niemand sonst glauben.“

„Ihr könntet für uns bürgen“, sagte der Krieger aus Akhoum.

„Damit würde ich mich selbst in Gefahr bringen“, entgegnete sie.

„Aber man wird uns hinrichten. Ihr seid jedoch die Hohepriesterin und es wird niemand...“

„Warte einen Moment“, unterbrach ihn Tado plötzlich. „Woher wusstet ihr, dass Herodun bereits tot war, als wir hier her kamen?“, fuhr er dann an Uris gewandt fort. Sie wirkte für einen Moment überrascht.

„Da ich es euch offenbar nicht verheimlichen kann, will es euch erzählen“, meinte die Hohepriesterin. Der Unterton ihrer Stimme ließ ihn erschaudern. „Bereits vor sieben Jahren hätte er sterben sollen, doch ein Mädchen, das wir nur kurz zuvor in der Wüste fanden, warnte ihn vor den giftigen Dornpflaumen, und so überlebte Herodun. Von da an ließ er sein Essen immer vorkosten und es ergab sich keine Gelegenheit mehr, sich seiner ohne großes Aufsehen zu entledigen. Ich kam nicht an seinen Leibwächtern vorbei, sie waren zu gut ausgebildet. Mit der gestrigen Schlacht ergab sich endlich eine Möglichkeit, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Leider erwies er sich widerstandsfähiger als erwartet, und da ihr schneller und lebendiger als gedacht von eurem Auftrag zurückkamt, musste ich den Schutzzauber zu früh entfesseln, sodass er den Angriff tatsächlich überlebte. Allerdings verlor er einige seiner Leibwächter, und so entschied ich mich, zu einer brutaleren Maßnahme zu greifen.“

Sie pausierte, als sie das Entsetzen der drei gewahrte. Ihre Worte hatten sie zutiefst geschockt. Keiner von ihnen hätte es für möglich gehalten, dass sie, nachdem sie sie gestern rettete, solch eine Gräueltat vollbringen würde.

„Warum hast du das getan?“, fragte Yala verzweifelt.

„Ich bin leider nicht befugt, dich darüber in Kenntnis zu setzen“, antwortete Uris mit einem Lächeln auf den Lippen. Lukdan ballte seine Hände zu Fäusten und ging einige Schritte auf die Hohepriesterin zu. Sie rief nach den Wachen und im nächsten Moment betrat ein gutes Dutzend schwer bewaffneter Krieger den Raum, unter ihnen war auch Giful. In ihren Augen zeichnete sich ein gewaltiges Entsetzen ab, als sie die Leiche Heroduns erblickten.

Lukdan wich nun wieder zurück. Ohne Waffen hatte er keine Chance gegen all die Soldaten. Zudem würde er vermutlich bereits mit einem Pfeil im Kopf sterben, noch ehe er sie überhaupt erreichte.

„Seht, was diese Mörder getan haben“, begann Uris.

„Das ist nicht wahr!“, rief Tado ärgerlich.

Ein Gefühl der Machtlosigkeit erfüllte ihn. Die Augen der Soldaten durchbohrten sie regelrecht hasserfüllt.

„Sie sind unbewaffnet“, bemerkte Giful.

„Betrachtet den Leichnam des ehrwürdigen Statthalters“, entgegnete Uris.

Die Klingen, die aus Heroduns Rücken ragten, ähnelten denen Lukdans auf eine verblüffende Weise. Dennoch schien es der Bogenschütze nicht vollends glauben zu können.

„Sie haben Herodun ermordet und dieses Land führerlos zurückgelassen. Sie haben Akhoum und diese Burg entweiht. Und sie haben die Tatsache, dass seine Leibgarde durch die gestrige Nacht geschwächt worden war, skrupellos ausgenutzt. Tötet sie!“, rief die Hohepriesterin.

Keiner der Soldaten wagte es, ihnen zu nahe zu kommen, denn sie kannten die Kampfkraft Lukdans. So blieb es an Giful hängen, denn er trug als einziger einen Bogen. Langsam legte er einen Pfeil auf die Sehne. Tados Gedanken rasten. Er überlegte kurz, eine der Waffen, die in den Leichen steckten, zu ergreifen, doch dies hätte den Bogenschützen und all die anderen Soldaten wohl noch mehr darin bekräftigt, dass sie den Statthalter tatsächlich ermordet hatten. Gleiches geschähe, wenn sie zu fliehen versuchten.

Ihr Leben würde hier enden für etwas, an dem sie keinerlei Schuld traf. Giful zielt nun auf Lukdan.

„Warte“, unterbrach ihn Uris. „Töte sie zuerst. Sie trägt einen Dolch bei sich.“

Die Hohepriesterin deutete auf Yala. Tado fragte sich, wie sie das herausgefunden haben konnte, denn sie trug die Waffe so gut versteckt, dass sie niemand sehen konnte. Der Bogenschütze tat jedoch, wie ihm geheißen und richtete seinen Bogen auf das neue Ziel.

„Tu es nicht“, flüsterte Yala, doch er konnte sie nicht hören.

Giful schloss die Augen, denn er glaubte noch immer nicht daran, dass sie eine Schuld an dem Tod Heroduns traf, und als Uris ihn ein weiteres Mal aufforderte, ließ er das Geschoss blind fliegen. Dieser Moment schien Tado nun dazu auserwählt, seinen letzten Trumpf auszuspielen. Im Bruchteil einer Sekunde rief er die Drachenklinge herbei und schlug sie mit einer solchen Geschwindigkeit, von der er vorher nicht einmal gedacht hätte, dass ein Mensch sie überhaupt erreichen könnte, in die Flugbahn des Pfeils. Er durchtrennte das dünne Holz exakt in der Mitte, nur noch einige Handbreit von Yala entfernt. Das Geschoss fand sein Ziel nicht mehr und prallte irgendwo auf den Boden. Für einen Moment herrschte eine geradezu unheimliche Stille. Das Gesicht jedes Anwesenden war von grenzenloser Überraschung gefüllt, nur die Ursache für jenes Gefühl unterschied sich zum Teil deutlich. Während Yala sich einfach nur darüber erstaunt zeigte, dem Tod in letzter Sekunde entkommen zu sein, so tat es Tado, weil ihn sein eigenes Handeln verwirrte. Die Soldaten waren über das plötzliche Auftauchen des Schwerts verwundert, Giful darüber, dass sein Pfeil tatsächlich hatte abgewehrt werden können, während Lukdan es einfach nur überraschte, wie Tado das Geschoss so präzise in der Luft zerteilen konnte. Uris hingegen schien es kaum fassen zu können, dass außer ihr noch jemand Magie benutzte.

Lukdan offenbarte sich die Gelegenheit, die sich den Dreien nun bot, als erster.

„Zum Fenster!“, rief er einfach nur und Yala und Tado taten, was er sagte. Sie liefen auf eine der bis zum Boden reichenden Öffnungen in der westlichen Wand zu.

Uris forderte die sie umgebenden Soldaten umgehend zur Verfolgung auf. Diese zögerten nur einen kleinen Moment, ehe sie hinter den Flüchtenden her stürmten. Giful verschoss noch einen Pfeil, aber Tado glaubte, dass es Absicht war, dass das Geschoss keinen von ihnen traf. So erreichten sie den Balkon. Er führte nur jeweils wenige Schritte nach Norden beziehungsweise nach Süden, doch etwa zehn Meter darunter begann ein schmaler Wehrgang, der irgendwann in die Krone der Stadtmauer mündete. Es war ihr einziger Ausweg und ihnen blieben nur wenige Sekunden zum Handeln, denn die Soldaten Akhoums würden sie bald einholen. Lukdan sprang als erster. Ein Haufen aufgestapelter Trokkörper fing seinen Sturz ab. Tado empfand es als höchst makaber, dass ihm die Leichen seiner Feinde nun einen Fluchtweg ebneten, doch in Anbetracht der Tatsache, dass er ansonsten ganz sicher sterben würde, konnte er diesen Gedanken leicht verscheuchen. Er und Yala erreichten den Wehrgang, bevor die Krieger den Balkon stürmten. Tado war mit seinem Bauch auf der Schulter eines Troks gelandet, sodass ihn ein ungeheurer Schmerz durchfuhr, als sich ein fellüberzogener Knochen in seine Wunde bohrte. Ihre Verfolger verspürten anscheinend wenig Lust, ihnen auf dem gleichen Weg zu folgen, denn sie liefen zurück in die Burg. Lukdan schlug derweil den Weg nach Westen in Richtung Stadtmauer ein. Gerade als sie die Stelle erreichten, in der ihr derzeitiger Pfad in den breiten Wehrgang des Walls überging, stürmten auch die sie verfolgenden Soldaten aus dem Haupttor der Festung, das man von hier aus sehen konnte. Sie brüllten den Wachen auf der Mauerkrone zu, die Flüchtenden zu fassen, und tatsächlich sahen diese sich nur wenige Sekunden später mit zwei Kriegern konfrontiert, die lange Speere auf sie richteten. Lukdan konnte sie überwältigen, obwohl er keine Waffe trug, und zwar indem er sich unter den Lanzen hindurchrollte und die auf kurze Distanz nun relativ wehrlosen Wachen bewusstlos schlug. Als er zu einem tödlichen Schlag ausholte, hielt Yala ihn auf.

„Du darfst sie nicht töten. Sie wurden von Uris manipuliert, du würdest ebenso handeln, wärst du in ihrer Position. Die einzige Person, die den Tod verdient, ist die Hohepriesterin selbst.“

Lukdan hielt inne. Er konnte ihre Worte nachvollziehen und so liefen sie bald darauf weiter in Richtung Süden. Die Soldaten, die sie verfolgten und durch den kleinen Zwischenfall aufholen konnten, fielen nun wieder etwas zurück, denn mit ihrer schweren Bewaffnung vermochten sie sich nicht so schnell zu bewegen. Giful war nicht unter ihnen.

„Wohin gehen wir eigentlich?“, fragte Tado im Laufen.

„Ich weiß es nicht genau“, gestand Lukdan. „Ich hatte gehofft, sie irgendwann abhängen zu können, doch dazu müssten wir in die Stadt hinunter. Bald wird Uris aber die Glocke des Todes läuten und dann sind wir dort nicht mehr sicher.“

„Was ist die Glocke des Todes?“, fragte Yala. In diesem Moment fing die Erde unter einem gewaltigen Ton zu zittern an. Er hörte sich nicht dumpf oder gar bedrohlich an, sondern schlichtweg unangenehm. Ein heller, schiefer Klang erfüllte die Stadt, und Tado lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Eine plötzliche Übelkeit ließ ihn sich über die Brüstung der Mauerkrone beugen und sich übergeben. Dies lag allerdings an einem jäh aufkeimenden Schmerz in seinem Bauch. Er ging jedoch schnell wieder in den Laufschritt der anderen über, um nicht den Anschluss zu verlieren, als die Erde ein weiteres Mal zu beben begann.

„Das ist die Glocke des Todes“, antwortete Lukdan einfach. „Sie wird geläutet, wenn ein Statthalter Akhoums gestorben ist. Ich habe sie bisher erst einmal vernommen, als nämlich vor etwas mehr als sieben Jahren der Vorgänger Heroduns einer schweren Krankheit erlag. Wenn der Klang jedoch ein zweites Mal erschallt, so ist ein Statthalter ermordet worden, und das Volk wird sich bereit dazu machen, die Verräter aufzuspüren. Niemand kommt dann mehr in die Stadt herein oder kann hinaus... Nun ja, das ist seit dem Krieg sowieso kaum noch möglich, dennoch werden nun alle Ausgänge endgültig verriegelt. Da man unsere Namen kennt, können wir niemandem in der Stadt mehr vertrauen, mein Gesicht zumindest ist zu bekannt, jeder würde uns sofort verraten.

Daher bin ich schon seit einiger Zeit am Überlegen...“

Er unterbrach kurz, als er das surrende Geräusch eines nahenden, eisenbeschlagenen Pfeils hörte und forderte die anderen auf, in Deckung zu gehen. Es handelte sich um einen Armbrustbolzen, doch er war schlecht gezielt und flog über ihren Köpfen hinweg.

„Wie gesagt bin ich am Überlegen, wie wir aus dieser Stadt herauskommen. Ich kenne keinen geheimen Pfad oder so etwas, denn als Befehlshaber der Wachen auf den Wehrgängen war es mir immer möglich, Akhoum durch das Haupttor zu verlassen“, fuhr er fort, nachdem sie wieder ihren Weg aufgenommen hatten.

„Aber ich kenne einen Weg“, gestand Yala. „Er führt durch das Waffenlager...“

„Das ist vollkommen unmöglich, niemand kommt durch das Waffenlager, ohne sofort gefangen genommen zu werden“, unterbrach sie Lukdan.

„Wenn du einen Beweis willst, dann sieh dir Tado an. Vor ein paar Tagen habe ich ihn auf einem bisher unentdeckten Weg hierher gebracht, er stammt nämlich eigentlich gar nicht aus Akhoum“, entgegnete sie.

„Was?!“

Lukdans Stimme überschlug sich fast und sie klang mit einem Mal sehr schrill. Ein zartes Lächeln zeichnete sich auf Yalas Lippen ab.

„Hast du nicht gesagt, als du erfahren hast, dass du gesehen wurdest, dass der Weg bald entdeckt werden wird?“, fragte Tado, eigentlich nur, um Lukdan nicht auf den Gedanken zu bringen, ihn zu töten und als Austausch für sein eigenes Leben auszuliefern. Er glaubte nämlich, dass der Krieger, obwohl dieser im Gegensatz zu ihm keine Waffe trug, ihm dennoch überlegen war.

„Ich denke nicht, dass sie damit ihre Zeit verschwendet haben, immerhin wussten sie, dass das Heer Syphoras sich auf dem Weg hierher befand“, antwortete Yala.

Wie dem auch sein mochte, so blieb dieser hoffentlich noch geheime Weg in jedem Fall ihre einzige Möglichkeit zur Flucht. Zwar war das Haupttor stark beschädigt und es klaffte nun eine große Lücke in der Mauer, aber diese wurde sicher ebenso gut bewacht, und da sie den Weg durch die Stadt hindurch nicht nehmen konnten, müssten sie Akhoum auf dem Wehrgang der Stadtmauer umrunden, was sie mehrere Stunden kosten würde.

Tado hatte die Drachenklinge derweil in seiner Schwertscheide verstaut, sodass diese nun nicht mehr nutzlos an seinem linken Bein hinunterbaumelte.

Sie rannten nun bereits eine Viertelstunde, und die immer noch hinter ihnen her stürmenden Krieger hatten bereits die halbe Stadt auf sich aufmerksam gemacht. Während also zu ihren Verfolgern immer mehr Leute mit frischen Kräften hinzustießen, gingen ihre langsam zur Neige. Und plötzlich sahen sie sich mit einer ganz anderen Gefahr konfrontiert. Denn vor ihnen auf dem Wehrgang tauchte in diesem Moment niemand Geringeres als die Hohepriesterin selbst auf. Ihr folgten in ein paar hundert Schritten Entfernung einige bewaffnete Soldaten, unter ihnen befand sich auch Giful. Selbstverständlich konnte der Bogenschütze schneller rennen als die drei Flüchtenden, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass er sie überholt hatte. Wie es jedoch Uris schaffte, derart schnell von der Burg hierher zu kommen, das blieb Tado ein Rätsel, zumal das Gewand, das sie trug, jedes schnellere Laufen unmöglich machen musste. So sah er sich nun gezwungen, genau wie Lukdan und Yala, in seinem Schritt inne zu halten, denn es gab keine Möglichkeit, von ihrer derzeitigen Position aus zu fliehen. Hinter ihnen, zwar noch gute zweihundert Meter entfernt, aber dennoch näher kommend, stürmten noch immer einige Dutzend Soldaten durch die Stadt und über den Wehrgang, eine ähnliche Anzahl aus annähernd gleicher Entfernung kam nun auch von vorne auf sie zu. Die nächstgelegene Treppe, die von dem Wehrgang herunter führte, wurde von der Hohepriesterin blockiert, die nun ihre Hand in Richtung der drei ausstreckte und sie kurz darauf zur Faust ballte. Eine kleine Welle hellen Lichts strömte auf sie zu. Wenn es sich dabei um die gleiche Macht handelte wie am Abend zuvor, dann würde sie dieser Angriff wahrscheinlich von der Mauerkrone schleudern und sie viele Meter in die Tiefe stürzen lassen. Reflexartig hielt Tado dem Zauber die Drachenklinge entgegen. Als beide Magien aufeinandertrafen, teilte sich die leuchtende Woge aus Uris’ Hand, und beide Hälften wurden um die Flüchtenden herum gelenkt, trafen hinter ihnen wieder zusammen und steuerten dann auf ihre Verfolger zu. Das Licht schleuderte die Krieger mehrere Meter weit zurück.

Hätte Tado vorher gewusst, dass seine Waffe zu so etwas in der Lage war, dann wäre der Kampf gegen den Lord des Feuers um einiges leichter gewesen. Und wie er sich auf diesen Kampf zurückbesann, kamen ihm in Gedanken die Bewegungen der Hohepriesterin in den Sinn. Wenn sie einen Zauber entfesselte, ballte sie ihre Hand zur Faust. Dies hatte auch der Lord so getan. Möglicherweise konnte es eine Eigenart aller Magier sein, doch Mégotark beispielsweise benutzte keine solche Geste. Gehörte Uris etwa zu den Herren von Telkor? Dieser Gedanke erschien ihm lächerlich, doch er hatte zugleich auch etwas sehr Beunruhigendes.

Mittlerweile erreichten Giful und einige andere Soldaten die Hohepriesterin, und sie befahl ihnen erneut, die Flüchtenden zu töten. Diesmal setzten sich auch die übrigen Krieger in Bewegung, denn sie sahen, dass Lukdan keine Waffe bei sich trug. Doch der Bogenschütze hielt sie zurück.

„Wartet! Das Gesetz Akhoums gebietet es, Verräter zur Abschreckung öffentlich hinzurichten“, sagte er, und in der Tat hielten die Soldaten in ihrer Bewegung inne und sahen Uris unsicher an.

„Dies war ein Erlass Heroduns, und er ist an ihn gebunden. Sein Tod schmerzt mich sehr, doch da der Statthalter nicht mehr lebt, erlischt das Gesetz“, antwortete diese.

„Wenn euch sein Tod wirklich so sehr betroffen macht, wie ihr sagt, dann befolgt sein Gesetz ein letztes Mal und erweist dem Toten Ehre“, entgegnete Giful.

Die Krieger blickten nunmehr erwartungsvoll zur Hohepriesterin. Offensichtlich gefiel ihnen der Vorschlag und Uris sah sich gezwungen, ihn zu befolgen, auch wenn dies den Flüchtenden erneut eine Gelegenheit gab, einen Plan zum Entkommen auszuarbeiten.

„Also gut“, sagte sie schließlich. „Bringt sie auf den großen Platz und tötet sie dort.“

Ein Soldat trat hinter ihrem Rücken hervor.

„Ehrwürdige Hohepriesterin“, begann er, „durch die gestrige Schlacht ist der große Platz sehr verwüstet worden, und außerdem wird es einige Zeit dauern, die Bevölkerung über die bevorstehende Hinrichtung in Kenntnis zu setzen.“

Uris musste innerlich kochen vor Zorn. Sie wollte die drei, die als einzige wussten, wer wirklich für den Tod Heroduns verantwortlich zu machen ist, so schnell wie möglich loswerden, und nun würde vermutlich ein weiterer Tag vergehen, ehe es soweit wäre.

„Werft sie in den Kerker“, befahl sie schließlich, doch diesmal rief einer der Krieger, die die Flüchtenden seit der Burg verfolgten und, nachdem sie von dem Zauber der Hohepriesterin durcheinandergewirbelt worden waren, nun auch zu ihnen aufgeschlossen hatten, dazwischen: „Lasst sie nicht wieder die Burg Heroduns betreten! Sie haben diesen Ort schon einmal geschändet, und sie würden es wieder tun!“

Diese Ansage erntete viel Zustimmung, und so entschloss man sich, sie stattdessen in eines der unterirdischen Verliese Akhoums zu werfen.

„Entwaffnet sie. Und bringt mir das Schwert“, war Uris’ letzter Befehl, bevor einige Männer auf die drei zuströmten. Tado gab seine Drachenklinge freiwillig her, er konnte sie sich schließlich jederzeit zurückholen, und auch Yala übergab den Dolch aus freien Stücken, bevor noch einer der Krieger auf die Idee kam, sie gründlich zu durchsuchen...

Als man sie schließlich gefesselt wegbrachte, sah Lukdan nicht unglücklich aus. Tado erkundigte sich nach dem Grund.

„Giful hat uns Zeit verschafft. Wir haben somit noch eine letzte Gelegenheit, unsere Leben zu retten“, antwortete er leise.

„Hast du schon einen Plan, wie wir das anstellen sollen?“, fragte Tado hoffnungsvoll.

„Leider nicht“, gestand der Krieger. „Die Verliese Akhoums gelten als überaus sicher. Bisher ist es noch keinem gelungen, lebendig dort herauszukommen.“

„Und warum hast du dann so gute Laune?“, fragte Yala ärgerlich.

„Du sagtest doch, du kennst einen Weg durch das Waffenlager. Vermutlich werden sie uns in eines der Verliese ganz in der Nähe schaffen, da alle anderen gestern Nacht mehr oder weniger zerstört wurden. Wenn es uns gelingen sollte, dort auszubrechen, können wir uns unbemerkt aus der Stadt schleichen.“

Einer der etwa hundert Krieger, die sie zum Gefängnis eskortierten, bemerkte, dass Lukdan mit den anderen beiden Gefangenen sprach und hieb ihm den Schaft einer Axt in den Rücken, verbunden mit der Aufforderung zu schweigen. Dies erwies sich als ein folgenschwerer Fehler. Der Getroffene drehte sich blitzschnell um und trat dem Soldaten gegen das Handgelenk der Hand, die die Waffe umfasste. Er ließ sie daraufhin unter einem Schmerzensschrei erschrocken fallen, und Lukdan ließ einen weiteren Tritt in den Magen folgen. Als der Krieger sich daraufhin nach vorne krümmte, versetzte er ihm einen solchen Schlag mit dem Knie ins Gesicht, dass der Getroffene bewusstlos zu Boden fiel. All das geschah innerhalb von ungefähr drei Sekunden, zudem waren Lukdans Hände auf dem Rücken gefesselt. Wenigstens offenbarte sich Tado nun der Grund, warum sie von gut hundert Männern bewacht wurden, eine Handvoll hätte der Krieger aus Akhoum vermutlich selbst in diesem Zustand ausgeschaltet. Die anderen Soldaten fanden nicht einmal mehr Zeit, einzugreifen, denn als der Mann, der ihm die Axt in den Rücken getrieben hatte, zu Boden sank, wandte sich Lukdan bereits wieder zum Gehen.

So verbrachten sie die Zeit bis zum Gefängnis schweigend. Das Verlies befand sich unter einem kleineren Turm, von dessen Erdgeschoss aus eine solch enge Wendeltreppe in einen dunklen Keller hinunterführte, dass einer der Soldaten, die ihnen vorausgingen, sogar für kurze Zeit stecken blieb. In dieser Situation konnte sich sogar Tado ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. So dauerte es eine Weile, bis sie unten ankamen. Am Fuß der Treppe befand sich ein kleiner Raum, der von vier Zellen nahezu vollständig ausgefüllt wurde. Die vorangehenden Krieger machten den Gefangenen Platz und sperrten sie schließlich (allerdings nach dem Zwischenfall mit Lukdan keinerlei Gewalt anwendend) in separate Gefängnisse, allesamt an drei Seiten von steinernen Wänden, an der anderen von massiven Eisenstangen begrenzt, die sich jedoch nicht wie solche anfühlten. Man tauschte ihre Fesseln gegen Ketten aus dem gleichen Material aus.

„Das ist Drachenfels“, meinte einer der Soldaten hämisch, als er alle Türen zu den Zellen sorgfältig verschlossen hatte. „Genau wie die Gitterstäbe. Versucht also gar nicht erst, sie zu zerbrechen, ihr werdet es ohnehin nicht schaffen.“

Damit verließen die Krieger diesen Ort und die Gefangenen blieben allein zurück. Tado blickte zur leeren Zelle. Darin lag das Skelett eines Tieres. Eine Fackel erleuchtete den kleinen Raum und ließ auch die etwa zwei Meter langen und anderthalb Meter breiten Kerker in einem schwachen Licht erstrahlen. Durch die Gitterstäbe konnten die drei sich gegenseitig sehen.

„Das ist zwar nicht das Gefängnis, das ich erwartet habe, aber es ist dafür sogar noch näher am Waffenlager“, meinte Lukdan schließlich.

Irgendwie hatten er und Yala es geschafft, ihre gefesselten Arme vor den Körper zu bringen. Tado vermochte dies nicht, dafür war er zu ungelenkig.

„Was ist das hier für ein Verlies?“, fragte er schließlich. „Es sieht nicht aus, als ob es für Menschen gemacht wäre.

„Ich weiß auch nicht, wofür es ursprünglich gedacht war“, meinte Lukdan. „Aber in letzter Zeit brachten wir Tiere, die an unbekannten Krankheiten litten, hierher, damit sie niemanden ansteckten. Da drüben liegt noch eines davon.“

Er deutete auf die leere Zelle und Yala wurde bei dem Anblick übel.

Tado dachte über die Situation nach. Wenn die Gitterstäbe und ihre Fesseln wirklich aus Drachenfels bestünden, dann kämen sie hier ohne Weiteres heraus. Gleichzeitig bedeutete es allerdings, dass irgendjemand hier in Akhoum die Kräfte eines Magiers aus Telkor besitzen musste, denn niemand sonst vermochte das Gestein derart zu verformen. Dies bekräftigte ihn in seiner Annahme, dass Uris und der Lord des Feuers dem gleichen Volk angehörten.

„Was wird jetzt mit Akhoum passieren?“, fragte Yala plötzlich.

„Ich denke, dass Uris die Macht an sich reißen wird. Sie hat die höchste Stellung aller Minister“, antwortete Lukdan.

„Aber der Statthalter dieser Stadt wird doch gewählt“, entgegnete sie. „Das hat man mir jedenfalls einmal erzählt.“

„Das wird sie nicht daran hindern. Bei der letzten Wahl lagen sie und Herodun sehr weit vorne und er gewann schließlich knapp vor ihr. Diesmal wird sie die Wahl für sich entscheiden, erst recht, da sie die angeblichen Mörder des Statthalters, also uns, gefangen genommen hat.“

„Wenn das geschieht, ist dieses Land verloren“, sagte Tado plötzlich. Die anderen sahen ihn entgeistert an. „Uris gehört zum Volk von Telkor. Syphora ist mit Telkor verbündet. Wenn Telkor die Macht beider Reiche erhält, dann werden sie das Land unterwerfen.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte Lukdan überrascht. „Und woher weißt du von Telkor?“

„Yala sagte dir doch, dass ich nicht aus Akhoum stamme. Ehrlich gesagt stamme ich gar nicht aus diesem Land, ja nicht einmal von diesem Kontinent. In meiner Heimat habe ich gegen einen der Magier aus Telkor gekämpft. Vielleicht erzähle ich dir irgendwann die ganze Geschichte, doch im Moment ist nicht die Zeit dazu. Uris benutzt und entfesselt ihre Zauber auf die gleiche Weise wie der Magier, gegen den ich vor kurzem kämpfte. Das identifiziert sie als Bewohner Telkors.

Beim gestrigen Angriff aus Syphora wurde ein Großteil der Streitmacht mit diesen sonderbaren Vögeln in die Stadt gebracht, die, wie du selbst sagtest, das Zeichen Telkors trugen. Außerdem gehörten Troks zu ihrem Heer, Wesen, die es nur auf Telkor gibt.“

Lukdan geriet ins Grübeln.

„Was du sagst, könnte stimmen“, meinte er schließlich. „Uris tauchte eines Tages plötzlich auf, und unter dem Vorgänger Heroduns, einem leicht zu beeinflussenden Mann, wuchs ihre Macht immer weiter, und sie selbst rief den Posten der Hohepriesterin ins Leben, die den Vorsitz über alle Minister haben sollte und setzte sich selbst als solche ein. Niemand weiß, woher sie stammt.

Aber warum sollte Telkor daran interessiert sein, dieses Land zu unterwerfen? Hier gibt es fast nichts als eine staubige Wüste, die wie ein Binnensee inmitten von sonderbaren Landschaften liegt, und wir haben kaum Bodenschätze, einzig das Ordanvorkommen bei den Tümpelschlingern könnte für sie von Interesse sein.“

Yala versuchte derweil, die Fesseln über ihre Handgelenke zu streifen, doch der Drachenfels fügte ihr nur einige blutende Schrammen zu, und so ließ sie es bleiben.

„Die Herren von Telkor sind auch nicht an diesem Land interessiert. Ihr Ziel ist die Unterwerfung der gesamten Welt“, erwiderte Tado. „Das sagte mir der Magier, gegen den ich habe kämpfen müssen.“

Lukdan schwieg einen Moment.

„Aber warum erst jetzt?“, fragte Yala schließlich. „Sie hätten doch schon vor etlichen Jahren damit anfangen können, warum gerade jetzt?“

„Ich muss vergessen haben, es dir zu erzählen“, begann Tado. „Die Herren von Telkor arbeiten bereits seit über zweitausend Jahren an diesem Plan. Ich weiß nicht, wie viele Länder sie schon unterworfen haben, aber bereits vor dieser langen Zeit begann der Lord des Feuers, wie er sich selbst nannte, von Telkor aus eine Verbindung mit meinem Heimatkontinent aufzubauen. Es dauerte zweitausend Jahre, bis er seinen Körper hinübertransferiert hatte, und in der Zwischenzeit werden die anderen Magier Telkors mit Sicherheit bereits andere Kontinente unterworfen haben, sodass sie jetzt schließlich hier angekommen sind.“

Über ihnen, in etwa sechs Metern Höhe, hörten sie Schritte, und sie riefen sich ihre gegenwärtige Situation ins Gedächtnis.

„Lukdan, wie lange dauert es, bis Uris hierher käme, wenn sie erfahren würde, dass wir ausgebrochen sind?“, fragte Tado.

„Wenn sie ihre magischen Tempel, die sie überall hat erbauen lassen, benutzt, um sich von einem in den anderen zu transferieren, nur etwa drei Minuten. Bis sie jedoch Nachricht davon erhält, wird mehr Zeit vergehen. Aber wie willst du entkommen? Dieser Drachenfels scheint unzerstörbar zu sein, ich bekomme ihn keinen Zehntelfingerbreit bewegt.“

„Das ist unser geringstes Problem.“

„Wie meinst du das?“, fragte Yala.

„Ich werde es euch gleich erzählen. Wie viele Wachen sind oben?“, wollte Tado wissen.

„Standardmäßig postieren wir nur zwei an jedem Gefängnis. Angesichts unseres angeblichen Vergehens werden es wohl doppelt so viele sein“, meinte Lukdan.

„Dann macht euch bereit zur Flucht.“

„Was hast du vor?“, fragte Yala.

Tado antwortete zunächst nicht, sondern konzentrierte sich darauf, die Drachenklinge in seinen gefesselten Händen materialisieren zu lassen. Es kostete ihn eine ungewohnte Anstrengung, etwas schien den Zauber zu blockieren, für einen Moment war es ihm, als versuchte das Schwert mit aller Macht zu verhindern, zurück in seinen Besitz zu gelangen. Vielleicht wandte Uris irgendeine Magie an, die ihn nun behinderte. So dauerte es fast eine halbe Minute, bis sich seine Finger endlich um die Drachenklinge schlossen und er die Fesseln durchtrennte. Sogleich schnitt er einige der Gitterstäbe seiner Zelle heraus, dabei jedoch bedenkend, so wenig Lärm wie möglich zu verursachen, um nicht die Wachen über ihm darauf aufmerksam zu machen. Die Klinge glitt mühelos durch den Drachenfels, wie schon damals vor dem Finsteren Wald, und Tado legte die gelösten Streben vorsichtig auf den Boden. Anschließend befreite er Yala, und letztendlich Lukdan.

„Wie hast du das gemacht?“, wollte Erstere wissen. „Die Soldaten hatten dir das Schwert abgenommen und Uris hat es verwahrt. Ich hab es genau gesehen.“

Er überging die Bemerkung, stattdessen wandte er sich zum Gehen.

„Wir haben nur drei Minuten, um zu entkommen“, sagte er noch, bevor er den ersten Schritt auf die Wendeltreppe setzte.“

„Aber noch weiß niemand, dass wir entkommen sind“, warf Lukdan ein. „Sie werden es erst morgen erfahren.“

„Nein“, entgegnete Tado. „Uris wird das Verschwinden meines beschlagnahmten Schwerts sofort bemerken, immerhin hielt sie es selbst unter Verwahrung. Uns bleibt keine Zeit.“

So verzichteten sie auf weitere Wortwechsel und überwanden den Rest der Treppe. Oben sahen sie, dass sich Lukdans Worte bestätigten: Vier Soldaten bewachten den Zugang zum Gefängnis: Zwei saßen an einem Tisch, zwei weitere standen vor der halb geöffneten Zugangstür zum Turm. Die drei konnten die letzten Sätze einer Unterhaltung mitanhören.

„Sie können nicht entkommen“, sagte einer der am Tisch Sitzenden zu seinem Gegenüber. „Uris sagt, die Gitterstäbe seien unzerstörbar.“

„Ja, aber sie haben immerhin Herodun und zwei seiner Leibwächter getötet, ihnen ist alles zuzutrauen“, antwortete der andere.

Mehr sprachen sie nicht miteinander, denn Tado und Lukdan schlugen sie bewusstlos. Dies machte die beiden Krieger an der Tür auf die Ausbrechenden aufmerksam. Sie ließen sich jedoch auf keinen Kampf ein, stattdessen liefen sie auf die Straße hinaus und alarmierten weitere Soldaten. Die Flüchtenden nutzten das sich ihnen bietende Intervall zum Entkommen und nahmen unter Yalas Führung einen Weg durch schmale Gassen in Richtung des Waffenlagers. Bald schon gelangten sie an die bewachten Eingänge des südwestlichen Randes der Stadt. Hinter sich hörten sie Tumult. Offenbar war Uris soeben eingetroffen, denn sie befahl mit lauter Stimme, nach den Dreien zu suchen.

„Wir haben Glück“, sagte Yala plötzlich. „Sie haben den geheimen Weg tatsächlich noch nicht entdeckt. Offensichtlich waren sie mit den Vorbereitungen für die Schlacht so sehr beschäftigt, dass sie vergaßen, sich darum zu kümmern.“

Tado wollte wissen, woher sie das wusste, denn seines Erachtens hatten sie ihren Pfad durch das Waffenlager noch nicht einmal betreten, doch er wurde kurz darauf eines Besseren belehrt. Sie erreichten nämlich soeben jene alte Leiter, über die sie, als sie in die Stadt gelangten, vom Dach herabgestiegen waren. Sie lehnte an der dreckigen Wand eines leerstehenden Hauses. Als sie sie überwunden hatten, zog Lukdan sie hoch, sodass man sie von unten aus nicht sehen konnte. Wieder trennte sie nun ein anderthalb Meter breiter Spalt von dem Dach eines alten Gebäudes im Gebiet des Waffenlagers. Diesmal überquerte ihn Tado auf eine weniger schmerzhafte Weise als beim ersten Mal, auch wenn seine Wunde im Bauch noch immer höllisch wehtat.

„Ich muss schon sagen“, begann Lukdan. „Dass jemand den verbotenen Bereich der Stadt auf so eine Weise betreten würde, wäre mir niemals in den Sinn gekommen. Nur sag mir, wie du jetzt wieder von diesem Haus herunter kommst, denn die Dächer der übrigen Gebäude sind für einen Sprung zu weit entfernt.“

Yala ging nicht weiter auf seine Worte ein, sie steuerte den Südrand des Daches an und schwang sich schließlich über den Rand in das oberste Fenster hinein. Es blieb Tado ein Rätsel, wie man solch ein waghalsiges Manöver in dieser Höhe durchführen konnte.

„Sie sind im Waffenlager!“, hörte er Uris Stimme nicht weit entfernt unter ihm. Einer der Wache setzte dazu an, ihr zu widersprechen: „Das ist unmöglich, es hat niemand die Eingänge passiert.“

„Schweig!“, befahl die Hohepriesterin. „Ich spüre das Schwert des Einen. Sie sind ganz in der Nähe.“

Diese Aussage machte Tado bewusst, dass Uris als Magierin selbstverständlich die Drachenklinge als magisches Objekt spüren musste, wenn sie sich in der Nähe befand. Als er jedoch sah, wie Lukdan derweil Yala mit einem ähnlichen Sprung folgte, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Er musste, so schnell es ging, von diesem Haus herunter. Also rammte er sein Schwert von der Kante des Daches aus in die Wand des Gebäudes, direkt oberhalb des obersten Fensters, prüfte kurz, ob es in einem ausreichenden Maße feststeckte und schwang sich dann, das Heft fest umschlossen, über den Rand hinaus. Um ein Haar hätte er losgelassen, als nämlich die eiternde, fünf Finger breite, gelblich-schwarze Blase an seinem linken Handgelenk, die noch immer von dem Spinnenbiss zeugte, einen kleinen Riss bekam und eine warme Flüssigkeit über seinen Arm lief. Er sah versehentlich nach unten und bekam wegen der nicht unerheblichen Höhe von ungefähr fünfzehn Metern, in der er an dem Griff eines in der Wand steckenden Schwerts über dem Boden hing, schweißnasse Finger. Als er seinen rechten Fuß ausstreckte, erreichte er damit den unteren Rand des offenen Fensters. So rettete er sich schließlich ins Innere des Gebäudes, wo er nur fragende Blicke von Yala und Lukdan aufgrund des umständlichen Weges, den er gewählt hatte, um in das Haus zu gelangen, erntete. Der Versuch, die Drachenklinge wieder aus der Häuserwand herauszuziehen, scheiterte kläglich, und so ließ er sie einfach verschwinden. Dies würde Uris eine Weile verwirren.

Sie verließen das Gebäude und konnten geradeso hinter einigen Kisten Deckung suchen, denn nicht wenige Krieger Akhoums durchstreiften die Gassen des Waffenlagers. So gestaltete sich ihr weiteres Vorankommen schwierig. Immer wieder nahmen sie Umwege in Kauf, um nicht von den Soldaten entdeckt zu werden, denn keiner von ihnen trug eine Waffe und Tado konnte die Drachenklinge nicht herbeirufen lassen, ohne Uris ihren Aufenthaltsort zu verraten. Zwar befanden sie sich ironischerweise in einem Waffenlager, dennoch waren die Türen der meisten Häuser verschlossen und außerdem unbeschädigt, denn Feinde hatte es wohl nicht in diesen Teil der Stadt verschlagen.

Glücklicherweise erwiesen sich jedoch die Straßen hier als so eng, dass Tado sich zeitweise wie in einem Labyrinth vorkam und sie sich so gewöhnlich erfolgreich vor den Feinden verstecken konnten. Nur einmal erlitten sie einen großen Schock, als direkt vor ihnen ein Trok aus einer der Türen trat. Er trug eine Unmenge an Kriegswerkzeug in seinen vier Armen, sodass sie ihn zuerst kaum identifizieren konnten. Als er sie jedoch über den Waffenberg hinweg erblickte, ließ er alles fallen und rannte davon. Yala nahm dies zum Anlass, sich wieder in den Besitz eines Dolches zu bringen, während Lukdan in dem glänzenden Haufen tatsächlich mehrere Säbel fand, einige von ihnen besaßen sehr zu seiner Freude eine gezackte Klinge.

„Das fühlt sich gleich viel besser an“, ließ er vernehmen.

Mit der neuen Bewaffnung setzten sie ihren Weg nun etwas schneller und weniger vorsichtig fort, und so kamen sie der westlichen Stadtmauer immer näher, als plötzlich (sie bogen gerade in eine solch schmale Gasse ab, dass sie nur hintereinander gehen konnten) ein Krieger Akhoums sich von der anderen Seite der Straße näherte. Als er jedoch sah, dass Lukdan wieder im Besitz zweier Säbel war, kehrte er erschrocken um.

„Es ist erschütternd zu sehen, dass sich zwischen den Wachen der Stadt auch derart feige Mitglieder aufhalten“, befand Lukdan ein wenig unglücklich, was Tado angesichts ihrer derzeitigen Situation überhaupt nicht nachvollziehen konnte.

Bald darauf erreichten sie die Stadtmauer. Sie mieden die Treppen, die auf den Wehrgang hinauf führten und suchten stattdessen wieder nach einer Ansammlung aufeinander gestapelter Kisten, um auf die gleiche Weise Akhoum zu verlassen, wie sie hinein gekommen waren.

„Wohin bringst du uns?“, fragte Lukdan schließlich.

„Eigentlich standen hier immer große Berge von Kisten am Rand der Mauer“, erwiderte Yala ein wenig nervös.

„Vielleicht hast du vergessen, dass hier gestern eine Schlacht tobte“, meinte Lukdan.

„Warum sollten wegen einer Schlacht die Kisten verschwinden?“, fragte Tado.

„In den Kisten befinden sich jene Waffen, die in einem Kriegsfall zuerst an die Bevölkerung verteilt werden. Daher gibt es hier im Moment keine mehr. Wenn wir also auf die Mauer wollen, dann müssen wir eine der Treppen nehmen“, sagte Lukdan und verließ daraufhin seine Deckung, um einen der Zugänge zum Wehrgang anzusteuern. Die anderen folgten ihm widerwillig. Uris’ Wachen schienen immer noch im Waffenlager nach ihnen zu suchen und so sahen sie sich nur mit zwei Soldaten konfrontiert, die sie jedoch ungehindert passieren ließen, als Lukdan ihnen androhte, sie über die Mauerkronen zu werfen, sollten sie einen Laut von sich geben. So führte Yala sie letztendlich zu der Stelle, an der einige Sukapflanzen in den Löchern des teilweise beschädigten Walls wurzelten und ihre Ranken bis wenige Meter über dem Boden herabhängen ließen.

„Dass wir so eine Schwachstelle in der Mauer haben, war mir gar nicht bewusst“, meinte Lukdan überrascht. „Aber du willst doch nicht ernsthaft dort hinunterklettern, oder? Du weißt doch, was das für Pflanzen sind.“

„Ja“, entgegnete Yala. „Wenn man vorsichtig ist, passiert nichts. Selbst Tado hat es geschafft, unverletzt hier hoch zu klettern.“

Es gefiel Tado nicht, wie sie über seine Kletterfähigkeiten redete, entgegnete jedoch nichts. Lukdan hingegen schien das tatsächlich etwas zu beruhigen, doch die schlussendliche Entscheidung, an den Sukapflanzen hinunterzuklettern, wurde ihm von einigen Dutzend Kriegern abgenommen, die offensichtlich jeden Winkel des Waffenlagers durchkämmt hatten und nun zeitgleich mit Uris auf den schmalen Streifen, der zwischen den grauen Gebäuden und der Mauer war, hinaustraten. Als sie die Flüchtenden erblickten, bedurfte es keiner Worte der Hohepriesterin; sie stürmten ihrerseits auf die drei zu, einige verschossen hastig ein paar Pfeile, die jedoch ihr Ziel nicht fanden. Dem plötzlichen Tatendrang der Krieger nach zu urteilen hatte Uris wohl demjenigen, der sie tötete, eine Belohnung versprochen.

Yala und Lukdan kletterten derweil an den Schlingpflanzen herab, während Tado nun auch dazu ansetzte, nachdem ein Armbrustbolzen seinen Kopf nur um Haaresbreite verfehlte. Er wusste nicht, worauf er mehr achtgeben sollte: Dass seine Haut nicht von den Blüten der Sukapflanze zersetzt wurde oder dass er nicht mit einem Pfeil im Kopf herabstürzte, seine Begleiter mit sich riss und diese dann ihrerseits sich die Haut verätzten.

Während er sich darüber Gedanken machte, berührte er versehentlich das Kronblatt einer Blüte. Leider war es sein linker Handrücken, der damit in Kontakt kam und der feine Staub, der sich darauf absetzte, begann sofort, seine Haut aufzulösen. Die gelblich-schwarze Blase platzte schließlich und widerlicher Eiter tropfte auf die Ranken. Vor Schmerzen ließ er die Sukapflanze los und stürzte die letzten vier Meter in die Tiefe. Bei dem Versuch, sich an der Mauer festzukrallen, riss er sich einen Nagel ein und landete wenigstens relativ weich in einem feinen Sandhaufen, den wohl der Staubsturm vor einigen Tagen hier angehäuft hatte. Er schaffte es jedoch, seine faustgroße, nun aufgeplatzte Blase nicht in Kontakt mit dem Dreck zu bringen. Schnell rollte er sich zur Seite, als ein Pfeil von oben die Pflanzen durchschoss und sich neben ihm in den Boden bohrte. Immerhin war er vor den anderen beiden unten angekommen, denn sie erreichten den Fuß der Mauer erst, als er sich bereits wieder aufrichtete.

Sie entfernten sich rückwärts von der Stadt, wobei Lukdan etwaige herannahende Pfeile mit seinen Säbeln abwehrte. Sie flohen nach Westen und erreichten nach wenigen Minuten, als die Konturen Akhoums allmählich in der Hitze zu verschwimmen begannen, eine kleine Ansammlung weniger Dornbüsche und eine vertrocknete Palme. Dort legten sie zunächst eine kurze Rast ein, denn die Flucht hatte sie alle sehr erschöpft.

Tado besah sich die Wunde des Spinnenbisses. Ein schwarz verfärbter, etwa halbfingerbreit tiefer, faustgroßer Krater bedeckte seinen gesamten Handrücken. Offensichtlich hatte er Glück im Unglück gehabt. Der Eiter schien die ätzende Wirkung des Blütenstaubs zu neutralisieren. Dies bewahrte ihn jedoch nicht vor den nahezu unerträglichen Schmerzen, die die Verletzung in ihm hervorrief. Auch der Spalt, den das Horn des Ogerkäfers in seinem Bauch hinterlassen hatte, bereitete ihm noch immer Qualen.

Yala verband seinen Handrücken derweil mit einem Stofffetzen, den sie aus irgendeinem Grund bei sich trug. Er konnte nicht sagen, ob sie es aus Mitleid tat oder weil ihr der Anblick der abscheulichen Wunde Übelkeit bereitete, vermutete aber Letzteres.

Die Eisenfestung

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