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KAPITEL I Heimatlos

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Die Ordensschwester sah mir in die Augen. Ich hatte sie um ein Gespräch gebeten. Ich musste einmal alles loswerden. Es war Sommer und der kleine Raum stickig. Sie sah mich an:

»Du hast deine Heimat verloren!«

Am liebsten wäre ich der guten Dame im Habit ins Gesicht gesprungen. Aber sie sprach weiter:

»Du hast dich selbst verloren! Du bist nicht in dir zu Hause!«

Damit hatte sie den Bogen überspannt und ich stand auf, um den kleinen Raum zu verlassen. Ich hatte sie um ein Gespräch gebeten. Nicht um eine groteske Unterstellung.

Ich dachte an Hengameh. Sie ist meine iranische Freundin. In ihrem Heimatland ist sie zum christlichen Glauben gekommen. Dann musste sie fliehen und alles hinter sich lassen. Sie hatte ihre Heimat verloren.

Und dann schoss mir Samuel aus Nigeria in den Kopf. An Weihnachten war er bei uns gesessen. Ich hatte ihn beiläufig gefragt, wie oft er Kontakt zu seiner Familie hätte. »Alle tot. Erschossen«, hatte er geantwortet. Er hatte seine Heimat verloren.

Oder Claudia. Völlig verdrehte Familienverhältnisse. Die Mutter hatte die Töchter und den Ehemann verlassen, als Claudia sieben war. Der Vater war drei Jahre später an Krebs gestorben und sie war bei dem Exmann der leiblichen Mutter als Stiefkind aufgewachsen. Sie hatte keine Heimat.

Aber ich? Sollte ich heimatlos sein?

Ich war in einer tollen Familie aufgewachsen. Hatte studiert. In verschiedenen Großstädten gewohnt und mich an vielen unterschiedlichen Stellen eingebracht. Wir hatten gerade ein blaues Haus mit weißen Fensterkreuzen und kleinem Garten gekauft. Dort wollten wir unseren drei Kindern Heimat geben. Das war zwar in Bayern. Weiter weg von meiner geografischen Heimat, als ich mir gewünscht hatte. Aber ich hatte eine tolle Arbeit, war als Referentin bei Konferenzen und Gottesdiensten unterwegs. Wir führten eine glückliche Ehe. Ich freute mich über meinen Mann. Zwischen all den Aufgaben hatten wir immer noch Zeit für ein paar Hobbys: Skitouren, Klettern, Surfen, Mountainbiken. Und Freunde hatten wir. Gute Freunde.

Ich sollte heimatlos sein?

Allerdings: So richtig sagen, was mit mir los war, konnte ich nicht. Ich setzte mich also wieder in den braunen, muffigen Sessel im Zimmer der Ordensschwester. Und atmete durch.

Ich ahnte, dass es vielleicht stimmte. Dass dieses Getriebensein, diese Unruhe, diese Fragen etwas mit dem Thema »Heimat« zu tun haben könnten.

Äußerlich war ich irgendwie zwischen meiner ursprünglichen geografischen Heimat, der Heimat in der Lebensgemeinschaft, die wir kurz zuvor verlassen hatten, den vielen Durchgangsstationen in meinem Leben, dem Wunsch, meinen Kindern Heimat zu geben, und der Idee, nun Wurzeln zu schlagen, innerlich aufgeschrammt worden. Da war nicht nur die Trauer, dass wir entschieden hatten, nun endgültig weit weg von Eltern und Geschwistern zu leben. Sondern auch das Bedauern, unsere Haus- und Lebensgemeinschaft verlassen zu haben. Und es ging nicht nur darum, dass wir uns nun in ein bisschen Vorstadt-Spießigkeit einleben sollten.

Innerlich trieben mich andauernde Fragen: Habe ich mich richtig entschieden? Ist es das, was ich eigentlich will? Bin ich auf dem richtigen Weg? Und wenn ja: Wohin führt dieser?

Die Heimat, die ich verloren hatte, war irgendwie anders. Tiefer. Innen drin. Es war dieses übermächtige Gefühl, auf dem falschen Weg zu sein. Das Gefühl, dauernd etwas zu verpassen. Das Gefühl von »Das ist nicht dein Platz!«. Wochenlang habe ich nachts nicht geschlafen. Tagsüber kamen die Tränenausbrüche. Oder eine ziellose Unruhe. Das Gefühl blieb: »Hier bist du nicht richtig!«

Dazu kam eine Art Erschöpfungszustand. Ich liebe es, aktiv zu sein, aber zwischen Dienst, Ehrenamt, Muttersein, Predigt- und Referentendiensten und meinen Hobbys kam ich einfach nicht mehr zur Ruhe. Ich steckte fest. In der bisher größten Krise meines Lebens.

Da bin ich ins Kloster gefahren. Dort habe ich geschrien. Im Wald. In der Kapelle. Und ich habe weitergeheult. Schließlich bin ich in diesem muffigen Sessel in einem viel zu warmen Zimmer gelandet. Und ich begann zu ahnen, dass die Ordensschwester vielleicht recht haben könnte: Ich hatte meine innere Heimat verloren.

Herzheimat

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