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DIE GESCHICHTE DES HEIMATLOSEN GOTTES

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Wir waren mehr als zwanzig Leute, vor allem Jugendliche. Und haben Sofas durch die Innenstadt geschleppt. Schwarze T-Shirts haben wir getragen mit der Aufschrift »Wo bist du zu Hause?«. Wir wollten zum Nachdenken anregen und hatten eine Gitarre dabei. Wir fragten die Leute: »Was ist dein wahres Zuhause? Wo kommst du an? Und wo trägst du ungeniert Jogginghosen? Wo ist dein Wohlfühlort, an dem Äußerlichkeiten nicht zählen? Wo erlebst du Geborgenheit?«

Einer, ein Hüne, ein Riesentyp mit schwarz gefärbten Haaren und einem dicken Kajalstrich unter den Augen, stellte irgendwann die entscheidende Frage: »Mal ganz abgesehen davon, wo wir zu Hause sind: Wo ist eigentlich Gott zu Hause? Trägt der Jogginghosen?«

Eine gute Frage. Wo wohnt eigentlich Gott? Die Antwort kommt möglicherweise schnell. Im Himmel. In der Kirche. Oder fromm: »Dort, wohin man ihn einlädt.« Schon. Aber wenn ich mir die biblischen Geschichten anschaue, dann erscheint es mir manchmal so, als ob Gott selbst heimatlos wäre. Ist Gott ein Flüchtling? Das vielleicht nicht gerade. Aber er ist auf der Suche nach einem Zuhause. Ist er angekommen? Wo hat er Heimat gefunden? Treibt ihn nicht auch diese gewaltige Sehnsucht, die ihn unruhig macht und ihn bewegt? Deshalb kann man die Geschichte von eben noch aus einer anderen Perspektive erzählen.

Am Anfang bewegt sich der Geist Gottes auf dem Wasser. Es ist finster und leer und wüst. Einsam (1. Mose 1, 1-2). Gott schafft sich auf der Welt Heimat. Für sich. Und für Menschen. Die Ursprungsidee ist, dass Menschen und Gott zusammenleben. Das endet aber in der Flucht des Menschen. Sackgasse. Damit ist auch das Vaterland des Schöpfers zerstört. Und trotzdem oder gerade deswegen: Gottes Heimatsuche ist untrennbar mit der Suche des Menschen verbunden.

Deshalb begegnet Jakob in jener unbequemen Nacht dem heimatlosen Gott. Es ist ein Gott, der in Bewegung ist. Er ist ein Nomadengott. Ein Wandergott. Ein Gott, der zwischen Himmel und Erde auf eine Leiter klettert. Während seiner Zeit auf der Erde hat er weder ein Kopfkissen noch einen festen Platz zum Schlafen (Lukas 9, 58). Jakob lernt den Gott kennen, der in seine eigene Heimat kommt und dort weder erkannt noch aufgenommen wird (Johannes 1, 11). Der stirbt für die Sehnsucht, ein Zuhause bei den Menschen zu haben. Es ist der heimatlose Gott. Der an unbequeme Orte kommt (1. Mose 28, 10-22). Er ist besonders bei Flüchtlingen und Flüchtigen. Gott verspricht Jakob eine zukünftige Heimat. Er verspricht, bei ihm zu sein. Als Jakob aufwacht, wird ihm klar: »Hier wohnt Gott! Dieser Ort ist heilig« (siehe 1. Mose 28, 16-17). Dort an diesem unbequemen Ort und mitten auf der Flucht wohnt Gott.

Gott schreibt Geschichte mit einem Wandervolk. Er erinnert Abraham an das Große: »Ich bin es, der bei dir ist! Bei mir ist Heimat! Bei aller Einsamkeit: Ich bin dein Zuhause.«2 Deshalb wandert er mit. Mit dem Flüchtling Abraham. Seinen Enkeln. Und seinen Ururururenkeln und deren Kindern.

Irgendwann auf der großen Flucht heraus aus Ägypten beginnt das Volk der zwölf Stämme eine Wohnung für Gott zu bauen (2. Mose 40). Er soll ein sichtbares Zuhause bei ihnen haben. Und Gott selbst gibt die Bauanleitung. In einem tragbaren, auf- und abbaubaren Zelt will er wohnen! Die Völker um die Nomaden herum haben Tempel, Standbilder und große Heiligtümer. Der heimatlose Gott JHWH wohnt hingegen im Zelt! Seine Heimat ist beweglich. »Die Herrlichkeit des HERRN erfüllte die Wohnung« (2. Mose 40, 34). Auch später im Neuen Testament steht der Begriff »Herrlichkeit« für das göttliche Wohnen.

König David schämt sich eines Tages dafür, dass Gott im Zelt wohnt und er in einem Palast. Er möchte ihm einen Tempel, eine feste Heimat, geben (2. Samuel 7, 3). Gott entgegnet ihm: »Ich bin mit dir, wo auch immer du hingehst. Ich werde dir und deinen Kindern und Enkeln eine wahre Heimat schenken« (nach 2. Samuel 7, 10). Und er dreht den Spieß noch einmal herum: »Nicht du sollst mir ein Haus bauen, sondern ich werde dir ein Haus bauen« (2. Samuel 7, 11; HFA). Und dann kommt die Verheißung auf den, der kommen wird, der Hinweis auf den, der ewige Ruhe schenken wird. Auf den König, der bereit ist, den wahren Tempel, die Wohnung Gottes, die wahre Heimat, zu bringen.

Davids Sohn weiht einen prächtigen Tempel für Gott ein. Zum ersten Mal scheint er einen festen äußerlichen Wohnsitz zu haben. Und trotzdem stellt der weise König Salomo fest: »Der Herr hat gesagt, dass er im Dunkeln wohnen will« (1. Könige 8, 12; ELB).

Doch das Volk wird verschleppt. Gott zieht aus seinem Tempel aus und ein in ein Heiligtum, das Rollen hat. Eine der eindrücklichsten Visionen im Alten Testament ist die »Thronwagenvision« in Hesekiel 1. Die Worte dieser Schriftstelle gelten den Juden als heilig. Gottes Thron hat bewegliche Räder. Er kann einfach überall hinfahren. Selbst ins Exil. Wieder einmal ist das Volk Abrahams heimatlos. Und trotzdem gilt: Gott wohnt nicht in einem Gebäude. Gott geht und rollt seinen Kindern sogar nach.

Wie kommen wir nur auf die Idee, dass Gott an einem bestimmten äußerlichen Ort wohnen würde? Warum gelten Kirchen immer als Heiligtümer? Gott wehrt und wehrt sich und weist auf die große, die andere Heimat hin. Er wohnt bei uns und besonders bei den Heimatlosen. Die Sehnsucht hat ihn dorthin gebracht.

Deshalb bricht der heimatlose Gott noch einmal zu einer Reise auf. Er sehnt sich nach Heimat bei den Menschen.

Herzheimat

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