Читать книгу Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen - Daniela Vogel - Страница 9

Kapitel 3

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Auf Andrass Straßen herrschte reges Treiben. Der Frühling hatte endlich Einzug gehalten. Die Bewohner der Stadt, die, die harten Wintermonate, meist in ihren Häusern verbrachten, rannten geschäftig durch die belebten Gassen, in deren Winkeln die Händler und Handwerker ihre Waren und Dienste feilboten. Es schien, als sei das Land endlich aus seinem Winterschlaf erwacht. Aranadias Hauptstadt, Andrass, war die einzige große Stadt des Landes mit einem Seehafen. Er stellte nicht nur eine wichtige Verbindung zur restlichen Welt dar, sondern war auch der bedeutendste Handelsstützpunkt des Landes. Da Andrass weit im Norden lag, verirrten sich während der langen Wintermonate nur selten Schiffe in diese abgelegene Gegend, zumal die stürmische See eine Überfahrt nahezu unmöglich machte. Allmählich schmolz die Frühlingssonne das Eis und die ersten Handelsschiffe fuhren in den Hafen ein. Es war jedes Jahr ein bewegendes Schauspiel. Die Fahnen und Segel der großen Handelsflotten blähten sich im Wind. Auf den Docks standen die Menschen und bejubelten, sehnsüchtig wartend auf die eintreffenden Waren, die Ankommenden. Aus dem ganzen Land versammelten sich die Kaufleute, um ihre eigenen Erzeugnisse gegen erlesene Stoffe und Gewürze zu tauschen. Es war ein ständiges Hin und Her.

Am frühen Morgen war die »Persepolis«, ein großes Handelsschiff aus dem Süden, in den Hafen eingelaufen. Sie war mit allem, was das Herz begehrte, beladen. Honig, Getreide, Seidenstoffen und allerlei orientalischer Gewürze, alles von erlesener Qualität heiß ersehnt. Schon ihre Ankunft war eine Sensation. Ihr großer, schwerer Rumpf mit der Gold geschmückten Galionsfigur tanzte auf den Wellen und ihre roten Segel strahlten in der aufgehenden Sonne. Man sah ihr von vornherein an, dass sie etwas Besonderes war, nicht nur weil sie ohne Landesflagge fuhr. Dennoch oder gerade deshalb strömten die Menschen in Scharen zu dem imposanten Segler.

Ruben stand an Deck und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Reling. Er war genauso imposant, wie sein Schiff. Er maß fast einen Meter neunzig und war von kräftiger Gestalt. Das Blau seiner Kleidung leuchtete schon von Weitem in der hellen Frühlingssonne. Aber, das Auffälligste an ihm war zweifellos, seine haselnussbraune Haut und die schulterlangen, glatten, schwarzen Haare, die durch die leichte, vom Meer kommende Brise, in sein Gesicht wehten. Er hatte einige seiner Männer, in der Morgendämmerung, direkt nach ihrer Ankunft, in das Hafenviertel geschickt, um Proviant für ihre Weiterreise an Bord zu nehmen. Marcus, sein erster Offizier war für diese Dinge geradezu prädestiniert. Er war in Verhandlungen äußerst geschickt und erzielte immer die besten Preise. Lukas, seinen Steuermann ließ er ebenfalls von Bord gehen. Allerdings mit einem speziellen Auftrag. Jetzt erwartete er die beiden Männer, die darüber hinaus zu seinen besten Freunden zählten, voller Ungeduld.

Durch die Menschenmenge, die sich auf den Docks tummelte, sah er, wie Marcus sich seinen Weg zurück zum Schiff bahnte.

»Aye, Marcus! Hast du alles erledigt!«

»Aye, aye, Kapitän! Ganz schön abgefeimte Hunde hier. Aber, es ist alles so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe. Für ein paar Ballen Stoff füllen sie unser Lager wieder.«

»Ich hätte es auch nicht anders von dir erwartet.« Ruben grinste den jungen Mann, der jetzt vor ihm stand breit an. Marcus war fast einen Kopf kleiner als Ruben. Er trug seine dunklen, lockigen Haare kurz geschnitten unter einer Art Kopftuch. Sein rechtes Ohr zierte ein riesiger Ohrring und in seinem Gesicht wuchs ein kleiner Ziegenbart.

»Ich hätte nicht erwartet, dass hier so viel los ist. In der Stadt wimmelt es nur so von Händlern.« Marcus strich sich über seinen Kinnbart. Eine Angewohnheit, über die sich Ruben sonst köstlich amüsieren konnte, doch heute erregten andere Dinge seine Aufmerksamkeit.

»Ich habe gehört, dass es jedes Jahr hier so zugeht. Die Winter sind hart und lang in Aranadia. Sobald der Frühling beginnt, kriechen sie alle aus ihren Hütten und strömen in die Stadt. Uns kann es doch nur recht sein. Zum Einen fallen wir dann nicht auf und zum Anderen erfahren wir vielleicht mehr.« Ruben zwinkerte Marcus zu, der sein Gesicht zu einem breiten Grinsen verzog. »Hast du Lukas irgendwo gesehen?«

»Nachdem wir heute Morgen gemeinsam von Bord gingen, hat er sich sofort in das Gewühl gestürzt, um auf direktem Wege in die Hafenschenke zu gehen. Seit dem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«

»Merkwürdig!« Ruben strich sich die Haare, die ihm immer wieder in das Gesicht wehten, aus den Augen, während sein Blick suchend über die Menschenmenge auf den Docks glitt. »Das kann doch nicht so lange dauern! Er sollte ihn doch nur in der Spelunke treffen und dann auf dem schnellsten Weg zum Schiff zurückkehren. Hoffentlich ist nichts schief gegangen!« Ruben machte ein nachdenkliches Gesicht und starrte weiterhin, wie gebannt, auf die tosende Menge auf den Docks.

»Was soll denn schon schief gegangen sein? Es wird doch wohl nicht allzu schwer sein, jemanden unbemerkt in einem Gasthaus zu treffen. Außerdem sind wir es doch gewohnt, deine Aufträge so unauffällig wie möglich auszuführen.« Marcus Worte sollten ihn zwar beruhigen, dennoch wurde Ruben langsam zunehmend nervöser. Lukas war bereits vor Stunden aufgebrochen. Das Treffen sollte kurz nach Sonnenaufgang stattfinden und jetzt war es bereits Mittag.

»Ahmed!«, forderte er einen seiner Matrosen auf. »Klettere in den Ausguck und sieh nach, ob du Lukas von oben irgendwo ausmachen kannst!« Ruben wusste zwar, dass es bei dieser Menschenmasse nahezu unmöglich war, einen Einzelnen zu erkennen, es beruhigte ihn aber ungemein, es wenigstens zu versuchen.

»Aye, aye, Kapitän!« Der angesprochene Matrose kletterte in die Wanten, stieg in den Ausguck und hielt Ausschau, während Ruben ihn mit seinen Blicken verfolgte.

»Nichts zu sehen, Kapitän!«

»Das habe ich mir gedacht!«, Ruben beugte sich daraufhin nervös über die Reling und starrte erneut in die Menge.

»Mit deiner Starrerei machst du es auch nicht besser«, bemerkte Marcus, während er ihn beobachtete. »Mach dir keine Sorgen. Er wird bestimmt gleich zurückkommen. Deinem Cousin geht es gut. Du wirst schon sehen. Die beiden haben bestimmt vor lauter Wiedersehensfreude die Zeit vergessen.«, Ruben trat von der Reling zurück und wand sich erneut Marcus zu, der sich nachdenklich über seinen Bart strich.

»Ich gehe hinunter in meine Kajüte. Sagt Lukas, ich will, dass er sich unverzüglich bei mir meldet, wenn er an Bord kommt!« Wenn Marcus recht hat, und die beiden ein Saufgelage veranstaltet haben, dann reiße ich jedem Einzelnen von ihnen den Kopf ab und werfe sie anschließend über Bord, dachte er. Als er in etwa auf halbem Weg zu seiner Kabine war, riss ihn ein Tumult auf den Docks aus den Gedanken. Instinktiv machte er auf dem Absatz kehrt und ging zurück. Die Menschen bildeten jetzt eine Traube um einen Mann und schrien aufgeregt durcheinander. Neugierig geworden sprang er über das Geländer auf die Gangway und lief hinüber zu der tosenden Meute.

»Was ist hier los?«, Ruben sah mit grimmigem Blick auf die tobende Menschenmasse herunter. Aufgrund seiner Körpergröße, wirkte er geradezu furcht einflößend. Die Menge verstummte.

»Es geht nicht gegen Euch, Herr. Wir streiten uns auch nicht. Es ist nur, es gibt Neuigkeiten in der Stadt. Die Herolde verkünden es überall. Nachdem er versucht hat, die Königin zu ermorden, hat jemand unsere Prinzessin entführt. Gott Lob, unsere allergnädigste Majestät blieb jedoch unverletzt. Sie befindet sich bereits auf dem Weg hierher, nach Andrass. Die Garden und die Armee haben den Auftrag, die Entführung zu vereiteln und den Entführer tot oder lebendig in unsere Stadt zu bringen. Möge Gott sie schützen und unsere Prinzessin heil aus den Händen dieses Bastards befreien. Lang lebe unsere Königin!«

»Lang lebe unsere Königin und Gott schütze die Prinzessin!« Die Menge schrie und tobte, während Ruben fassungslos auf den vor ihm stehenden Mann starrte. Das konnte und durfte doch alles nicht wahr sein. Diese Geschichte erschwerte einfach alles. All seine Pläne wurden mit den Worten dieses Mannes über den Haufen geworfen. Aber, es half alles nichts. Er musste jetzt abwarten bis Lukas zurückkam, um mit ihm zu reden.

Ruben saß in seiner Kajüte. Da es bereits dämmerte, war der Schein der Kerze, die unaufhörlich auf die Tischplatte tropfte, das einzige Licht, das den Raum noch erhellte. Ihre Flamme warf tanzende Schatten an die Wand. Er beugte sich über ein Blatt Papier, das direkt vor ihm auf den Tisch lag, und war so darin vertieft, dass er das Tropfen der Kerze gar nicht bemerkte. Wieder und wieder überflog er die Zeilen.

Treff mich in der Hafenschenke, kurz vor Sonnenaufgang, am 18. März. Es ist dringend. Ich muss unbedingt etwas mit dir besprechen. Alles hat sich geändert, du wirst sehen. Ich habe Dinge erfahren, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Ich hoffe nur, wir können trotzdem an unserem Plan festhalten. Damit wir nicht auffallen, schick’ am besten Lukas. Er kann mich unauffällig zu dir führen. Alles Weitere erzähle ich dir dann bei unserem Treffen.

R

Darunter prangte sein Siegel. Diese Nachricht war eindeutig von seinem Vetter. So viel war sicher. Aber, wo steckte dieser Kerl? Lukas hatte sich bis jetzt noch immer nicht bei ihm gemeldet, was äußerst ungewöhnlich war, denn normalerweise führte er Aufträge unverzüglich aus. Ruben wusste mittlerweile nicht mehr, was er von all dem halten sollte. Sollte sich sein Cousin einen Scherz mit ihm erlaubt haben, dann war es einer von der übelsten Sorte. Es ist doch sonst nicht seine Art, dachte er, erst die Pferde scheu machen und dann nicht erscheinen. Etwas stimmt da nicht, sonst wäre er zu dem Treffen erschienen und Lukas mit Sicherheit wieder an Bord. Aber vielleicht war er ja auch erschienen und Marcus hatte mit seiner Vermutung recht. Lukas und sein Cousin waren fast gleich alt. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit und so ein Wiedersehen konnte durchaus feucht, fröhlich verlaufen.

Es klopfte an der Tür. Von dem Geräusch aufgeschreckt, wandte Ruben seinen Blick von der Nachricht ab und hob seinen Kopf.

»Herein!« In der Tür erschien der blonde Lockenschopf seines Steuermanns.

»Aye, Kapitän!« Lukas betrat den Raum. Er machte keinen angetrunkenen Eindruck, demnach hatte auch keine Wiedersehensfeier stattgefunden.

»Du bist spät dran!«, bemerkte Ruben nebenbei. »Und?« Er betrachtete neugierig den jungen Mann, der nun vollständig in dem Raum stand.

»Nichts und!«

»Wo zum Teufel bist du gewesen?«

»Ich habe Stunden in dieser stinkenden Hafenkaschemme auf ihn gewartet. Aber, da war nicht die geringste Spur von ihm. Ich habe die Leute dort gefragt, doch keiner kannte ihn. Du weißt genau so gut wie ich, dass er nicht gerade unauffällig ist. Mit seinen langen, dunklen Haaren und dem braunen Teint müsste er hier unter diesen hellhäutigen Rotschöpfen eigentlich auffallen wie ein bunter Hund. Aber es ist merkwürdig: Niemand hat ihn gesehen oder konnte sich an ihn erinnern. Er scheint, wie vom Erdboden verschluckt.« Lukas zog eine ernste Miene. Seine blauen Augen funkelten. »Ruben!«

»Ja?«

»Da ist noch etwas, was mir Sorgen macht! Hast du schon die Neuigkeiten gehört?«

»Du meist das mit der Entführung und dem Mordversuch an der Königin? Ja, habe ich!«

»Ist es nicht komisch, dass das gerade jetzt passiert? Was hattet ihr eigentlich genau geplant?«, Lukas fixierte Ruben, der verlegen auf die vor ihm liegende Nachricht starrte.

»Eigentlich wollte er nur die Lage auskundschaften. Nachdem Abdullahs Kopf mit einer Nachricht zurückgesandt wurde, wollte er Gewissheit. Immerhin geht es um seine Zukunft. Er ist mit Charles auf dem Landweg hierher geritten. Es gingen Gerüchte um, nach denen Roxane etwas plane. Wir wollten uns hier in Andrass treffen, um alles Weitere zu besprechen. Aber anscheinend ist etwas schief gegangen.«

»Eigentlich? Du meinst doch nicht etwa ...?«

»Ich glaube nicht, dass er dumm genug wäre, einen Alleingang zu wagen, noch dazu einen Mordversuch. Er ist zwar temperamentvoll, aber kein Idiot. Wenn er wirklich etwas mit der Entführung zu tun haben sollte, dann kann das nur bedeuten, dass er etwas erfahren hat, was ihn zu dieser Tat zwang. Gott gebe, dass es nicht so war!« Ruben erhob sich und lief nervös auf und ab, dabei fuhr er sich wiederholt durch seine langen Haare. Lukas schwieg. »Das Einzige, was ihn zu solch einer Dummheit hätte verleiten können, wäre die Tatsache, dass das Leben der Prinzessin auf dem Spiel stünde. Ich kann und will aber nicht glauben, dass Roxane fähig wäre, ihrer eigenen Tochter etwas anzutun. Ihrem Mann damals, vermutlich. Unbequemen Adeligen, höchst wahrscheinlich. Aber, ihrer eigenen Tochter?« Ruben sah Lukas fragend in die Augen, als erwarte er in ihnen eine Antwort.

»Ich war noch in der Stadt!«, lenkte der junge Mann vom Thema ab.

»Das hätte ich mir auch denken können! Wäre auch unwahrscheinlich, dass du fast einen ganzen Tag in einer Hafenschenke verbringst und noch dazu allein!«, entgegnete Ruben ihm wütend. Er war sich bewusst, dass sein jetziger Ausbruch eigentlich nicht seinem Steuermann galt, sondern vielmehr demjenigen, dessen Nachricht ihn hierher getrieben hatte, aber dennoch tat es gut, seinen Gefühlen endlich Luft zu machen.

»Warte! Bevor du mir den Kopf abreißt, hör mich erst einmal an!« Ruben murmelte etwas in sich hinein, ließ den jungen Mann aber weiter sprechen. »Als ich von der Entführung erfuhr, wurde ich neugierig. Ich wollte mich noch etwas umhören. Du weist genau so gut, wie ich, dass sich Gerüchte unter der Bevölkerung schneller verbreiten, als ein Lauffeuer. Für einen Golddukaten erfährt man viel.« Er grinste Ruben vielsagend an und zeigte dabei seine schneeweißen Zähne.

»Spann mich nicht länger auf die Folter, oder ich werfe dich in das Fischfass. Was hast du erfahren?«

»Es gibt mittlerweile zwei Versionen der Geschichte. Eine Offizielle und eine, nah, du weißt schon!« Ruben nickte. »Zuerst die Offizielle: Die Königin hielt sich, wie jedes Jahr zu dieser Zeit, mit ihrer Tochter in ihrem Winterquartier in Barwall auf. Vorgestern Nacht soll ein vermummter, gedungener Mörder in den Palast eingedrungen sein. Er soll zunächst die Räumlichkeiten der Königin aufgesucht haben. Laut Angaben, hat er, auf Roxane eingestochen, die aber, wie durch ein Wunder, unversehrt blieb. Danach soll er sich in die Gemächer der Prinzessin geschlichen haben. Nachdem er ein paar Wachen niedergestreckt hatte, wurde die Gute von ihm besinnungslos geschlagen. Anschließend floh er mit ihr. Einige andere Wachen fanden ihre toten Kameraden und die verstörte Königin. Seither jagen sie den Halunken durch das ganze Land. Archibald von Arosa hat von der Königin persönlich den Auftrag erhalten, ihn auf jeden Fall lebend hier nach Andrass zu bringen. Roxane selbst ist noch in der Nacht aufgebrochen. Sie will vor dem Volk und vor den Reisenden ein Exempel statuieren. Zuvor soll der Entführer aber noch seine Auftraggeber preisgeben, denn, laut Herold, soll es sich bei der Entführung um eine Verschwörung von höchster Stelle handeln. Man nimmt an, dass einige Adelsfamilien die Königin aufgrund ihrer rücksichtsvollen Regierung aus dem Weg schaffen wollten, um so an die Macht zu gelangen. Rilana soll so lange versteckt werden, bis sichergestellt ist, dass Roxane auch wirklich tot ist. Man sagt sie wollen die Prinzessin als Marionette auf den Thron setzen, um den zweifelhaften Bedürfnissen dieser Königsgegner zu Willen zu sein. So viel zur offiziellen Fassung.«

»Das verkünden die Herolde? Im Ernst?«, Ruben war überrascht und wütend zugleich. »Dass ich nicht lache! Roxane und rücksichtsvoll? Sind die Leute hier blind und von allen guten Geistern verlassen, oder wollen sie ihre Augen und Ohren nur vor der Wahrheit verschließen? Es würde mich nicht wundern, wenn Roxane diese Geschichte nur erfunden hat, um mit ihrer Hilfe einige lästige Untertanen los zu werden. Das würde haargenau zu Ihr passen.« Lukas nickte.

»Dennoch eins steht auf jeden Fall fest; darin sind sich nämlich alle einig. Die Prinzessin ist entführt worden.«

»Wer ist eigentlich dieser Archibald von Arosa?«, bohrte Ruben nach.

»Er ist der Waffenmeister der Königin. Wie ich hörte, ein äußerst verschlagener, alter Haudegen. Steht schon seit vielen Jahren in Roxanes Diensten. Er soll nicht gerade zimperlich mit Gefangenen umgehen.« Ruben setzte sich nachdenklich zurück an den Eichentisch, dabei flackerte die Kerze, durch seine Bewegungen, bedrohlich auf.

»Kann ich jetzt auch noch die inoffizielle Version hören?« Lukas blaue Augen leuchteten, wie die einer Katze, im Kerzenschein.

»Also gut. Nun die Inoffizielle: Du weist ja, dass ich gut darin bin, Informationen, die eigentlich nicht für die Ohren der Allgemeinheit bestimmt sind, zu beschaffen und es ist mir eine Freude ...«, Ruben verdrehte die Augen.

»Lukas! Lass das! Raus mit der Sprache oder du landest doch noch in der Fischtonne. Du machst mich wahnsinnig!« Lukas grinste breit.

»Ist ja schon gut. Ich erzähle ja schon, was ich herausgefunden habe. Aber darf ich mich vorher noch setzen und, ach ja, willst du mir nichts zu trinken anbieten, mein Mund ist schon vollkommen trocken und ich glaube nicht, dass ich in diesem Zustand weiter erzählen kann!« Lukas wartete nicht einmal Rubens Antwort ab. Er setzte sich einfach auf den Stuhl, der Ruben gegenüber vor dem Eichentisch stand. Mit einer schnellen Bewegung griff er sich einen Silberbecher und füllte ihn mit Wein aus einer Karaffe. Nachdem er ihn vollständig geleert hatte, nahm er ihn mit einem Ruck von seinem Lippen und ließ ihn auf die Tischplatte knallen. Schließlich wischte er sich mit der einen Hand über die Mundwinkel und streckte seine andere aus, um erneut nach der Karaffe zu greifen.

»So hast du nun alles, oder soll ich dir noch eine Hure kommen lassen, die dir vorher gefällig ist?« Lukas hielt in seiner Bewegung inne. Scheinbar schockiert sah er Ruben in die Augen.

»Wie kommst du darauf, dass ich nur Zeit schinden will?« Gespielt beleidigt, ergriff er nun die Karaffe und goss seinen Becher wiederum voll Wein. »Aber, in Ordnung. Ich werde jetzt erzählen, was ich weiß.« Der junge Mann schlug lässig die Beine übereinander und lehnte sich anschließend zurück. »Schütte dir auch lieber etwas Wein ein. Du wirst ihn brauchen!« Ruben sah seinen Gegenüber verständnislos an, ergriff dann aber ebenfalls einen Becher, füllte ihn und lehnte sich ebenfalls zurück.

»Wie ich aus zuverlässigen Quellen weiß,« begann Lukas nun zu erzählen, »traf vor einigen Tagen ein Bote aus Baranagua bei der Königin in Barwall ein. Er bat um eine Audienz, die ihm nach langem Hin und Her dann auch letztendlich gewährt wurde. Der Bote überbrachte Geschenke für die Königin und Prinzessin Rilana von König Samuel. Anschließend übergab er noch einen Brief an Roxane. Sie öffnete die Nachricht, las sie und wurde daraufhin kreidebleich. Kurzerhand befahl sie ihren Wachen, den Boten unverzüglich gefangen zu nehmen und ihn auf der Stelle in den Kerker zu werfen. Der arme Mann wusste nicht, wie ihm geschah und landete im tiefsten Kellerverlies des Schlosses. Von dort verschwand er dann, wie von Geisterhand, in der darauf folgenden Nacht. Man erzählt sich, Roxane und de Beriot haben ihn schnell und diskret aus dem Weg geräumt.«

»Das entspricht schon eher ihrem Charakter! Er hat vermutlich jemanden als Boten mit einer Nachricht losgeschickt, um zu erreichen, dass Roxane sich an Williams Versprechen erinnert. Das hat der Königin nicht gepasst. Sie nahm wahrscheinlich an, dass er der letzte Versuch Samuels sei, sie an die Vereinbarung zu erinnern. Und so hat sie ihn einfach verschwinden lassen. Ich habe auch, so eine vage Ahnung, wen er geschickt haben könnte. Verdammter Mist!«

»Charles?«

»Ja, Charles, Gott sei seiner Seele gnädig. Ich hoffe nur, dass er vor seinem Tod nicht allzu viel erzählt hat.« Ruben sah Lukas nachdenklich an. Der andere erwiderte seinen Blick.

»Wenn Charles tot ist, dann ist er jetzt alleine unterwegs, und wenn Charles geredet hat, könnte dein Vetter schon lange das Los seines Dieners teilen. Ich sagte ja schon, er sieht nicht gerade unauffällig aus.«

»Genau das, macht auch mir Sorgen. Er hat möglicherweise Charles in seinem jugendlichen Leichtsinn losgeschickt, ohne sich vorher Gedanken über die Konsequenzen zu machen. Wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass Roxane sofort handelt.«

»Aber weiter, meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Aufregen kannst du dich noch später und ich denke du hast allen Grund dazu. Roxane entließ im Anschluss daran, ihren gesamten Hofstaat und ließ de Beriot rufen. Es gab einen gewaltigen Streit zwischen den beiden. Sie beschuldigte de Beriot, nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen zu haben. Sie hätte ihm doch bereits vor Jahren befohlen, alle Boten Baranaguas schon an der Grenze abzufangen. Es wäre zu gefährlich, sie bis ins Schloss vordringen zu lassen. Rilana sei kein Kind mehr, das sollte er stets Bedenken. Außerdem sollte er doch dafür sorgen, dass Samuel endlich die Hoffnung auf eine Einlösung des Versprechens aufgebe. Er wüsste doch nur zu gut, dass sie andere Pläne mit Rilana hätte. De Beriot beteuerte unterdessen, alles Erdenkliche getan zu haben, um zu verhindern, dass das Ehrenwort des toten Königs eingelöst werden müsste.« Lukas beäugte Ruben, dessen Miene immer düsterer wurde und dessen Mundwinkel gefährlich zu zucken begangen.

»Und wir wissen beide, was er damit gemeint hat!« Ruben schlug mit der Faust auf den Tisch. Er erinnerte sich nur zu gut daran, dass die Boten seines Onkels, König Samuels, seit Jahren schon nicht mehr lebend nach Baranagua zurückgekehrt waren. Entweder verschwanden sie einfach, oder man schickte sie stückweise, mit den besten Grüßen an den König in ihre Heimat zurück. Andere Könige hätten wahrscheinlich schon längst unmissverständliche Schritte eingeleitet, aber, sein Onkel wollte, um der alten Freundschaft mit König William Roxanes verstorbenen Ehemann willen, zwischen den beiden Ländern kein Blut vergießen. Deshalb hatten Ruben und sein Vetter, der Sohn König Samuels, auch beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, zumal Rilana Mitte des Jahres bereits achtzehn Jahre alt würde und somit der Vereinbarung nichts mehr im Wege stünde. Sein Onkel hatte widerwillig ihrem Plan zugestimmt. Er vertraute darauf, dass Ruben und die anderen bereit wären, das Leben seines einzigen Sohnes und Erben, mit aller Macht zu schützen. Aber Ruben hatte mittlerweile den Eindruck, dass ihm die Sache mehr und mehr aus den Händen glitt. »Ich frage mich nur, was diese Hexe mit der Prinzessin vorhat? Etwas Gutes doch bestimmt nicht!«

Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen

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