Читать книгу SIE TÖTEN DICH. - Dankmar H. Isleib - Страница 7
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Jutta malt Schwänze.
Jutta weinte. Weinte still in sich hinein. Die Augen halb offen, verklärt, voller Tränen und in eine Weite schauend, die man physisch hätte messen können. Eine kosmische Weite. Doch tatsächlich saß sie allein auf dem kargen, zu einem Bett verwandelten Teil ihres loftartigen Ein-Zimmer-Apartments im Sachsenwald, einem bevorzugten Wohnviertel der Bankenstadt Frankfurt am Main. Eine CD lief. Prince Cheb Mami. Arabischer Pop. Geheimnisvoll, melancholisch, kraftvoll, würdevoll. Nicht dieser Hitparadenmist, den die Sender vierundzwanzig Stunden landauf, landab dudeln und damit die Kids zu unsensiblen Ungeheuern machen. Richtig gut abgehende Musik. Ein Mix aus dem Underground der schwarzen Musik, vereint mit dem Groove der nordafrikanischen Wüste und der Elektronik westeuropäischer Musiker.
Der große, lang gestreckte Raum wirkte eher wie das Studio eines ziemlich ausgeklinkten Malers oder Bildhauers. Männlich, hart, doch zugleich sinnlich. Unaufgeräumt in chaotisch-genialer Weise. Überall Fotos, Bilder, Skulpturen. Staffeleien, auf denen angefangene Gemälde, Fragmente einer düsteren, erotischen Welt zu sehen waren. Riesenschwänze in Knallblau auf grellem Gelb. Leuchtfarbe. Schwänze mit Augen; mit trauriger Miene, halb schlaff, gerade explodierend. Gemalt in Öl, präzise und anatomisch perfekt. In einer im Sinne des Wortes malerischen Umgebung, die man nur als bizarr bezeichnen konnte. Mal saß so ein Superriesenschwanz auf einem Baum, schaute melancholisch, so schien es, auf eine verschneite Landschaft. Mal hatte ein Sechzig-Kilo-Fisch ihn – den Schwanz eines Mannes – quer in seinem Maul und schwamm auf einer Wiese gegen den stark anschwellenden Strom, breiter als der Amazonas, der wiederum die Fortsetzung eines Wasserfalles war, der aus einer überdimensionalen Vagina schoss. Ein anderes Bild, unfertig wie die meisten oder eben exakt so gewollt und fertig, da ein Teil der circa drei mal zwei Meter großen Leinwände immer weiß blieb, unberührt, jungfräulich, zeigte eine Geigerin. Bronzefarben, langbeinig, breitbeinig, nackt, die mit einem – überdimensionalen – dunkelgrünen Schwanz in der Rechten, der sich als Geigenbogen betätigte, das Instrument malträtierte und sich zugleich der Freude eines Orgasmus hingab und goldgelben Samen aus sich herauskatapultierte. Mitten ins staunende Publikum, das mit offenen Mäulern an der Bühnenkante des imaginären Konzertsaals der Geigerin zu lauschen schien. Oder zu warten. Auf den Orgasmus?
Keine Schränke, kein Tisch; Sessel, Sofas? Fehlanzeige in dem Loft. Nur Farben, Werkzeuge; ein paar Klamotten lagen – fast konnte man meinen, sie seien nach Beuysscher Art als Bestandteil der bizarren Kunst bewusst so hindrapiert – über Skulpturen, die ebenfalls männliche Erotik in einer Weise darstellten, wie es selbst die nicht gerade prüden Inder in ihrer langen Tradition erotischer Kunst verwundert hätte. Wie kann man hier leben, wohnen? Noch dazu als junge Frau!?, würde sich ein Besucher erstaunt, befremdet, neugierig fragen.
Aber es gab in dieser Nacht keinen Besucher.
Auch in den anderen Nächten des Jahres nicht. Nur Jutta, die weinte. Nackt saß sie auf dem schwarzen Laken des schwarzen Lackblocks, der als Bett diente. Eine Matratze konnte man nur vermuten; aber vielleicht war die weinende Schönheit ja eine Yogi.
Warum habe ich ihn verloren. Warum gab er mir nicht eine Nacht. Die eine Nacht; nur eine einzige Nacht!
Das fragte sich nun schon seit Stunden, vielen Stunden, Jutta, die langbeinige Schöne, in Gedanken versunken, ihr Bauchnabelpiercing mit einer dauerhaften Bewegung misshandelnd, als hätte sie einen der überdimensionalen, gemalten Schwänze zwischen ihren schlanken Fingern.
Die Augen. Nie werde ich diese Augen vergessen können. Ich muss Augen malen. Nur noch Augen.
Augen. Ja.
Morgen fange ich damit an.
Miami. Strand. Ocean Drive und diese Augen.
Nie mehr Schwänze.
Augen werden es sein. Seine wundervollen, intensiven, strahlenden, leuchtenden Augen. DIE sind es, die ich liebe. Und Schwänze. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin. Aber ab jetzt zählt nur noch seiner. Er fühlte sich großartig an. Er schmeckte gut. Wie Vanillepudding. Ich mag Vanillepudding. Und er war viel imposanter, als ich es bei dem kleinen, hässlichen, sommersprossigen Typen aus Italien hätte vermuten wollen.
Die Nacht fing sie und ihre wild-melancholischen Gedanken ein, umhüllte die nackte Schönheit im Loft; Prince Cheb Mami verstummte. Nur das Surren des Kühlschranks war zu hören.
Wohnen konnte man hier nicht.