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Das unangenehme Ende von Alan Carpenter
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Das Erste, was man bei dieser Art von Job macht, ist beobachten. Man beobachtet ihn bei der Arbeit, man beobachtet ihn zu Hause, man beobachtet ihn beim Einkaufen oder im Pub oder beim Squash oder wie er mit einer Bande Verlierer im Pfadfinderheim rumhängt und mit Modelleisenbahnen spielt. Man lernt seine Gewohnheiten kennen, findet heraus, wann er am angreifbarsten ist und schlägt genau in dem Moment zu. Je besser man jemanden kennt, desto weniger bleibt dem Zufall überlassen. Einmal bin ich einem Typen drei Wochen lang auf Schritt und Tritt gefolgt, bevor ich ihn erledigte. Ich lernte ihn so gut kennen, dass es sich fast anfühlte, als würde ich einen Freund umlegen. Diesen Luxus hatte ich bei Alan Carpenter allerdings nicht. Ich konnte ihn nur ein paar Tage lang observieren, bevor ich handeln musste. Es war also extrem wichtig, dass wir unsere gemeinsame Zeit sinnvoll verbrachten. Dass er eines natürlichen Todes sterben sollte, machte die Sache nicht einfacher, weil ich dafür ein bestimmtes Zeitfenster brauchte. Andererseits gab es im Fall Alan Carpenter auch eine Reihe von Umständen, die sich zu meinen Gunsten auswirkten: Erstens war er Mitglied des Stadtrates, zweitens war er schwul und drittens hatte er eine Katze. Vielleicht versteht ihr nicht auf Anhieb, wie diese drei Dinge ihn zu einem leichteren Ziel machten, also lasst es mich erklären.
Erstens war er als Ratsherr höchstwahrscheinlich ein Arschloch. So ein typischer paragraphenreitender, gestärkte Unterhosen tragender, Präzedenzfälle zitierender Vollidiot, der streng nach Vorschrift lebte und seine Nachbarn anzeigte, sobald sie auch nur ein Vogelhäuschen ohne Baugenehmigung aufstellten. Dieser Verdacht bestätigte sich schon, als ich ihm zwei Tage lang gefolgt war und Carpenter bei seinem Nachbarn anschellte, um ihn zu fragen, warum er am dritten Tag nach der Leerung noch immer nicht seine Mülltonne hereingeholt hatte.
»Ich wollte nur mal gucken, ob alles in Ordnung ist«, sagte er mit vorgetäuschter Besorgnis.
»Warum lassen Sie mich nicht einfach in Ruhe?«, kam die Antwort.
Zweitens war er als Schwuler wahrscheinlich niemand mit einem Haus voller Familie. Vielleicht hatte er einen Liebhaber, der bei ihm wohnte, oder eine Reihe männlicher Besucher, die jeden Abend erst an seine Vorder- und dann an seine Hintertür klopften, aber bestimmt keine Kinder. Er hatte mehr Freiheiten, würde mehr Zeit mit sich selbst verbringen und es schallte nicht das fröhliche Lachen kleiner Augenzeugen durchs Haus. Wie sich herausstellte, hatte Alan Carpenter keine feste Beziehung, was einerseits praktisch war, andererseits die Gefahr spontaner Unternehmungen mit sich brachte. Das Letzte, was man braucht, wenn man jemanden umbringen will, ist, dass er sich eine Horde Typen aus dem Park für eine Pyjamaparty mit nach Hause bringt. Für den Fall der Fälle hatte ich mir von Logan einen Lieferwagen geliehen.
Als Letztes war da noch die Katze. Dieses hübsche kleine Wesen, das mir schnurrend um die Füße strich und durchs Haus hinterherlief, während ich alles für Alan vorbereitete, wollte jeden Abend gefüttert werden. Stadtrat Carpenter musste nach Hause kommen.
Ich liebe Katzen. Sie sind großartig: intelligent, anschmiegsam, liebenswert, und diese war ganz besonders niedlich, weshalb es mir schwerfiel, sie hochzunehmen und ihr ein paar Klapse zu geben. Leider war es notwendig. Seht ihr, wenn man sich bei jemandem im Gästezimmer versteckt hat und darauf wartet, dass er nach Hause kommt, kann man keine Katze brauchen, die miauend vor der Tür steht und unbedingt zu einem hereinwill, weil man sie den ganzen Tag gestreichelt hat. Ein bisschen Schütteln und Anknurren reicht normalerweise aus, damit sie um das Gästezimmer und den furchtbaren Kerl darin für den Rest des Abends einen weiten Bogen macht.
Da war ich also an einem Freitagnachmittag. Weniger als eine Woche, nachdem ich von Alan Carpenters Existenz auf dem Planeten erfahren hatte, wartete ich in seinem Gästezimmer darauf, dass er von der Arbeit nach Hause kam und ich dieser Existenz ein Ende bereitete. Alle Vorbereitungen waren getroffen. Da es eine natürliche Todesursache werden sollte, war ich sicherheitshalber ein oder zwei Stunden vor Stadtrat Carpenters Dienstschluss eingebrochen, um die Lage zu sondieren und alle Vorkehrungen zu treffen, damit ich ihn ohne viel Stress und Theater ausschalten konnte. Nur ein Kratzer auf seinem pausbäckigen Gesicht oder ein Schrei in der Nacht, und die Theorien um das Dahinscheiden unseres Lieblingsverwaltungsbeamten würden sich nicht mehr nur um sein schwaches Herz drehen.
Wie geht man also vor? Nun, es gibt diverse Möglichkeiten, jemanden ruhigzustellen, aber ich finde die einfachste am besten: Schlaftabletten im Wasserkocher.
Wie ich schon sagte, hatte ich Alan seit Tagen beobachtet, und mit das Erste, was er am Feierabend tat, war, sich eine schöne Tasse Tee aufzubrühen, die er vor dem Fernsehen zu den Nachrichten schlürfte. Vier oder fünf extra starke Schlaftabletten ins »Teekesselchen«, wie Logan es zu nennen pflegte, sollten also dafür sorgen, dass er selig in seinem Lieblingssessel einschlummerte, reif für die Ernte.
Und genauso geschah es. Alan Carpenters letzter Eindruck von unserer reichhaltigen bunten Welt war eine Reportage über die Anzahl der Beschäftigten im staatlichen Gesundheitswesen sowie den Einfluss expandierender privater Unternehmen auf Neueinstellungen, also vermute ich, dass er als glücklicher Mann starb. Ungefähr eine Stunde nachdem er aufgehört hatte, sich zu bewegen, schlich ich nach unten und fand ihn schlafend wie einen Toten – entschuldigt das Wortspiel. Zuerst spülte ich seine Tasse und den Wasserkocher gründlich aus. Schließlich sollte Alans Arzt nicht nach dem Unterschreiben der Sterbeurkunde in die Küche schlendern und den Nachbarn zusammen mit ein paar Bullen bewusstlos um den Tisch versammelt finden. Da würden bestimmt die Alarmglocken losgehen.
Nachdem das erledigt war, machte ich mich daran, Stadtrat Carpenter die Treppe hochzuwuchten. Er war ein schwerer Kerl und ich musste all meine Körperbeherrschung aufwenden, damit ich ihm nicht am Geländer den Kopf einschlug. Das ging nur, indem ich seine Arme nahm, ihn nach vorne auf mich rollte und ihn auf meinem Rücken hinaufschleppte wie einen Sack Kohlen. Als ich endlich oben war und ihn aufs Bett fallen ließ, war ich völlig erschöpft. Zum Glück hatte ich noch reichlich Zeit und konnte mich für einen Moment hinsetzen und zu Atem kommen, bevor ich weitermachte.
Die Katze steckte ihren Kopf zur Tür herein, um mal nachzusehen, was ich so trieb. Ich streichelte sie versöhnlich, kraulte sie unterm Kinn und schon waren wir wieder Freunde. »Sorry noch mal«, murmelte ich und nahm mir vor, eine Dose Whiskas für sie zu öffnen, bevor ich das Haus verließ.
Jetzt, wo er auf dem Rücken lag, schnarchte Alan wie eine Kreissäge. Ich zog ihm die Kleidung aus, faltete alles ordentlich zusammen und legte es auf den Stuhl am Fußende des Bettes. Die Katze spielte mit, indem sie mit den Krallen nach seiner grauen Flanellhose schlug, als die an ihrem Kopf vorbeikam.
Alan lag bald im Adamskostüm vor mir und sah darin so richtig scheiße aus.
»Diese Schwulen haben wirklich kein Niveau, stimmt’s?«, flüsterte ich der Katze zu. »Ich meine, sieh dir ihn an und dann sieh dir mich an, aber ich wette, er steckt öfter einen weg als ich.«
Die Katze hatte nicht wirklich eine Meinung zu dem Thema, obwohl sie mich ansah, als ob sie sagen wollte: »Na gut, hier ist deine Chance, nur zu!«
Ich holte die Spritze aus meinem Köfferchen und zog die Plastikschutzhülle ab. Insulin. Das war der Inhalt der Spritze. Wir alle haben es von Natur aus im Körper und wir brauchen es zum Überleben, aber wenn man zu viel davon hat, kommt man in ziemliche Schwierigkeiten. Diabetiker können selbst kein Insulin produzieren, deswegen müssen sie sich das Zeug täglich spritzen, um ihren Blutzucker im Griff zu behalten. Für einen Diabetiker bedeutet eine Insulinspritze Leben, für einen Nichtdiabetiker bedeutet sie den Tod. Schon seltsam, oder? Mutter Natur hat einen echt ironischen Sinn für Humor.
Wenn ihr jetzt daran denkt, das zu Hause auszuprobieren, solltet ihr wissen, dass überhöhte Insulinwerte bei einer Obduktion auf jeden Fall ans Licht kommen. Die Zeiten von mysteriösen fernöstlichen Toxinen, vergifteten Pfeilen und Agatha Christie sind lange vorbei, falls es sie überhaupt je gegeben hat. Beim heutigen Stand der Wissenschaft ist es so gut wie unmöglich, jemanden auf eine Weise zu töten, die nicht nachgewiesen werden kann, und das ist der Grund, warum der Tod so inszeniert werden muss, dass erst gar kein Verdacht aufkommt.
Daher gibt es keine Kratzer, blauen Flecken oder Abschürfungen. Die Kleidung ist ordentlich gefaltet. Er liegt in seinem Schlafanzug im Bett – was, ob ihr es glaubt oder nicht, der Ort ist, an dem die meisten von uns auschecken werden. Die Katze ist gefüttert. Er ist ein großer, träger Fettsack. Man muss kein Genie sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass er im Schlaf einen Herzinfarkt hatte. Üble Sache, wirklich traurig, bitte hier unterschreiben, Herr Doktor, und dann können Sie zurück zum Golfspielen. Außerdem war Freitag. Da Alan Single war und keine Familie im Haus hatte, konnte man davon ausgehen, dass ihn vor Montag niemand ernstlich vermisste, und bis dahin war er schon auf Raumtemperatur abgekühlt, was den genauen Todeszeitpunkt mit einem dicken Fragezeichen versehen würde.
Ich rollte Alan auf den Bauch und bereitete mich darauf vor, ihm die Injektion zu verabreichen.
Falls ihr euch fragt, warum ich natürliche Todesursachen so unangenehm finde, hier ist der Grund: Es gibt nur eine einzige Stelle am menschlichen Körper, wo der Einstich einer Nadel nicht zu sehen ist. Könnt ihr euch vorstellen, wo sich diese Stelle befindet? Richtig, im Arschloch. Auf jedem anderen Quadratzentimeter Haut könnte die Einstichstelle gefunden werden, und sobald bei einem unerwarteten Todesfall ein Einstich auftaucht, ist die Polizei nicht mehr weit. Logan hatte mir mal von seiner Idee erzählt, dass man den Augapfel aus der Höhle herausnehmen, ein Gerinnungsmittel direkt ins Hirn injizieren und auf diese Art einen Schlaganfall auslösen könnte, aber ehrlich gesagt klang das für mich noch widerlicher als jemandem eine Nadel in den Arsch zu schieben, also blieb ich lieber bei der altvertrauten Methode.
Mit den Fingern zog ich Alans verschwitzte Pobacken auseinander und hielt sie mit einer Hand fest, während ich die Spritze vorsichtig tief einführte. Eine wirklich undankbare Aufgabe, dachte ich bei mir, als ich die Haut durchstieß und langsam den Kolben hinunterdrückte. Es wäre so viel einfacher gewesen, ihn unter Drogen zu setzen und ein paar Mal die Treppe runterzuwerfen, aber Logan hatte es eben so verfügt, und was Logan wollte, das bekam er. Besonders unangenehm war mir irgendwie die Tatsache, dass Alan homosexuell war. Ich weiß, das klingt komisch, als ob mein Tun eine Art schwuler Sexpraktik wäre und mich dadurch ebenso zu einem Schwulen machte wie ihn. Ich weiß auch nicht. Es war einfach so ein Reflex. Wahrscheinlich bin ich bloß ziemlich engstirnig. Wie auch immer, ich glaube kaum, dass seine Ermordung Alan irgendeine Art von sexuellem Kick verschafft hätte, wenn er wach gewesen wäre. Zumindest hoffe ich das.
Die Katze miaute leise, als ich die Spritze herauszog, und Alan mischte sich in die Debatte ein, indem er mir langgezogen direkt ins Gesicht furzte. Jetzt musste ich ihm nur noch seinen Pyjama anziehen und ihn zudecken. Als ich ihn auf den Rücken drehte und die Knöpfe zumachte, begann Alan zu schwitzen und um Luft zu ringen. Ich zog die Bettdecke höher, fühlte seine Stirn und verbrachte die nächsten Stunden an seinem Bett, während er ins Koma fiel und starb. Es war ein langsamer aber schmerzloser Tod für Alan, und obwohl er am Ende die Augen öffnete und ein wenig um sich schlug, glaube ich nicht, dass er in der ganzen Zeit wirklich zu Bewusstsein kam.
Nicht die schlechteste Art zu sterben, finde ich.
Alan lag still und stumm da, also gingen die Katze und ich nach unten und aßen etwas. Eine Stunde später, als die Sonne untergegangen war, kam ich zurück und schloss die Schlafzimmervorhänge. Ich platzierte ein Glas Wasser auf dem Nachttisch, stellte sicher, dass er auch keine falschen Zähne mehr im Mund oder Kontaktlinsen in den Augen hatte, dann verabschiedete ich mich. Unten überprüfte ich, ob die Straße frei war, legte die Visitenkarte eines Arztes auf einen Tisch im Flur, wo man sie schnell finden würde, und verließ das Haus so leise, wie ich gekommen war.
Es hört sich vielleicht ein bisschen gruselig an, aber manchmal bringt es mein Beruf mit sich, dass ich mich fühle wie Gevatter Tod persönlich.
***
Am Montag verpasste Alan sein Meeting, wahrscheinlich sehr zur Freude von John Broad, und nach ein paar unbeantworteten Telefonanrufen schickte man ein Auto. Ich beobachtete das Drama von der anderen Straßenseite aus dem hinteren Teil meines Lieferwagens heraus. Der Typ kam gegen elf Uhr am Vormittag an und betätigte mehrmals die Türklingel. Er wirkte etwas verloren, spähte durch die vorderen Fenster, rief etwas in den Briefschlitz und schaute schließlich aus unerfindlichen Gründen auf der Suche nach Inspiration die Straße rauf und runter. Nach ungefähr einer Minute klingelte er noch mal, guckte durch den Briefschlitz, dann stieg er ins Auto und fuhr weg.
Eine halbe Stunde später kam derselbe Typ zurück um wieder anzuschellen, auch wenn er dieses Mal nicht besonders zuversichtlich wirkte, dass jemand öffnen würde, denn er trank die ganze Zeit aus seinem McDonald’s-Kaffeebecher. Er war noch ein junger Bursche und ich konnte von meinem Beobachtungsplatz aus sehen, dass Alans Verschwinden eine willkommene Abwechslung für ihn darstellte. Nachdem er zehn Minuten im Auto gesessen und auf die Straße gestarrt hatte, machte er einen kurzen Anruf, schaute auf seine Armbanduhr und schlenderte zum Pub an der Ecke.
***
Nach einer halben Stunde erschien die Polente auf der Bildfläche, holte den Jungen aus der Kneipe und brach die Tür auf. Als der Bulle wieder rauskam, sprach er in sein Funkgerät und las die Karte, die ich auf dem Tisch im Flur liegengelassen hatte. Mein junger Freund unterbrach ihn, um zu fragen, ob er auch mal gucken dürfte, wurde aber abgewiesen.
»Ich denke, Sie sollten wieder ins Büro fahren«, riet der Bulle. »Er sieht nicht danach aus, als würde er heute noch irgendwo hingehen wollen.«
»Noch nicht. Ich habe jetzt Mittagspause«, antwortete der Typ mit einem Blick auf seine Uhr und verdrückte sich wieder in den Pub.
Es dauerte weitere dreißig Minuten, bis der Doktor kam, um Alans Totenschein abzustempeln. Dann, als alle so weit zufrieden waren, wurde irgendeine ältliche Frau, wahrscheinlich Alans Mum, herangekarrt, bekam ein paar Taschentücher in die Hand gedrückt und wurde sich selbst überlassen. Das war alles, was ich brauchte: Die Unterschrift auf dem Totenschein und die Polente, die sich zum Aufbruch bereitmachte. Meine Beziehung zu Alan Carpenter war beendet.
Der Doktor trat aus dem Haus, sprach der alten Lady sein Beileid aus, stieg in sein Auto und fuhr los. Ich wartete noch ein paar Minuten, bis die Bullen das Gleiche taten, dann stieg ich in den Fahrersitz und überließ Mrs. Carpenter ihrem Schmerz.
***
An diesem Montagnachmittag war der Parkplatz des Supermarktes nicht einmal halb voll. Ich kurvte herum, bis ich die Stelle fand, wo der Doktor geparkt hatte, fuhr in die Lücke neben ihm und wartete. Nach etwa zehn Minuten kam er zu seinem Auto zurück, im Arm eine Tüte mit Lebensmitteln, die er abstellte, um seinen Autoschlüssel zu suchen.
»Hey, Doc!« Ich öffnete die Autotür und stieg aus. »Was gibt’s zum Abendessen?«
»Fisch«, antwortete er mit einem nervösen Blick auf mich und über den Parkplatz.
»Mmm, lecker. Wissen Sie, ich mag Fisch und er ist auch nicht schwer zuzubereiten, aber ich weiß einfach nie, was ich dazu essen soll. Reis, Salzkartoffeln … das ist alles so fade, finden Sie nicht? Was essen Sie denn als Beilage?«
»Pommes«, sagte er.
Er war Alans Hausarzt. Jemand von der Organisation hatte ihn bereits kontaktiert und jetzt übergab ich das restliche Geld. Man würde Dr. Ranjani an die Seite genommen und ihm unmissverständlich Folgendes klargemacht haben: »Einer Ihrer Patienten wird kommende Woche im Schlaf sterben. Die Polizei wird Sie anrufen. Sie werden den Totenschein ausstellen und den Bullen sagen, dass eine Obduktion nicht nötig ist. Tun Sie das und Sie erhalten zehntausend in bar und sehen uns nie wieder. Versuchen Sie aber irgendwelchen Scheiß oder gehen Sie zur Polizei, wird es persönlich.« An dieser Stelle waren Fotos von seiner Frau, seinen Kindern und allen Verwandten, die man sonst noch hatte knipsen können, gezeigt worden, um den Ernst der Lage zu unterstreichen.
»Wenn Sie damit Probleme haben, bedenken Sie bitte«, war das Gespräch dann weitergegangen, »dass der Mann, der sterben wird, ein Pädophiler ist. Die Presse könnte bald Wind davon bekommen und unser Auftraggeber, der es selbst gerade erst erfahren hat, ist besorgt, man könnte glauben, er sei vom gleichen Schlag. Also unternimmt er etwas, damit der Gerechtigkeit genüge getan und sein eigener Ruf geschützt wird. Sind Sie etwa ein Mann, der das Leben seiner Frau und seiner Kinder für einen Pädophilen aufs Spiel setzt?«
Natürlich nicht. Zwar war nichts von alledem wahr, aber das konnte Dr. Ranjani schließlich nicht wissen. Also spielte er mit. Er fuhr zu Carpenter, als er den Anruf bekam, schüttelte den Kopf, sagte etwas wie: »Ich habe ihn immer gewarnt, dass so etwas passieren würde, aber er wollte ja nicht hören«, stellte den Totenschein aus und teilte der Polizei mit, dass keine Obduktion nötig sei.
Wie ich schon sagte: Ebenso wie die allermeisten Drogen würde Insulin bei einer Autopsie mit Sicherheit auffallen. Hat man allerdings einen echten Arzt in der Tasche, der sich dagegen ausspricht, hat man gewonnen. Welcher Bulle will sich schon mit dem Hausarzt anlegen? Ich brauche bloß dafür zu sorgen, dass die Visitenkarte gefunden wird, dann kann ich den Rest der Polizei überlassen. Und sie rufen immer an. Das ist das Schöne. Im Fall eines plötzlichen, unauffälligen Todes sind die Polizisten angewiesen, den Hausarzt des Verstorbenen zu rufen, weil dieser den Patienten kennt und möglicherweise erklären kann, warum er alle Biere von sich gestreckt hat. Diese Standardprozedur funktioniert immer.
Fast immer. Hin und wieder klappt es auch nicht. Die Polizisten sehen die Karte nicht oder sie haben eine heiße Pathologin in Bereitschaft oder etwas in der Art, und schon ist der Rest Glückssache. Solange das Opfer aussieht, als sei es friedlich dahingeschieden, und es auch sonst keine Verdachtsmomente gibt, wird die heiße Pathologin auch bloß ein Häkchen unter die Sache machen. Nicht jeder kann eine detaillierte Autopsie bekommen. In Großbritannien sind wir 60 Millionen, sodass es jeden Tag tausende Todesfälle gibt. Ich weiß die exakte Anzahl nicht, aber ich kann mich erinnern, dass ich sie mal irgendwo gelesen und gedacht habe, es wäre eine ganz schöne Menge. Selbst wenn alle Pathologen des Landes Doppelschichten schieben würden, könnten sie unmöglich mit der Nachfrage mithalten. Warum soll man also irgendeinen Fettsack aufschneiden, wenn man sowieso weiß, dass er an einem Herzinfarkt gestorben ist? Und auf genau diese Art kann man mit Mord davonkommen. Man arrangiert den Tod auf eine Weise, die niemanden an ein Verbrechen denken lässt.
Den Doktor anzuwerben ist dabei nur noch das Sahnehäubchen, aber man kann nie – und damit meine ich: nie – zu viele Sicherheitsvorkehrungen treffen, wenn man jemanden umbringt. Das Risiko ist einfach zu groß. Also, wie ich schon sagte: Man kommt mit Mord davon, indem man alles bis aufs i-Tüpfelchen penibel genau nimmt. Was glaubt ihr, wie viele Leichen in ihren Gräbern liegen, die Mordopfer sind, ohne dass es jemand weiß?
Natürlich gibt es niemals eine Garantie, weshalb es keine schlechte Idee ist, ein Boot, mehrere Pässe und einen Batzen Bargeld parat zu haben, falls doch mal alles den Bach runtergeht.
Aber ich schweife ab.
»Wie geht es jetzt weiter?«, wollte Ranjani wissen und wischte sich über die Stirn.
»Öffnen Sie einfach die Beifahrertür und gehen Sie an die Seite, ich werfe es rein. Wir stehen hier ziemlich blickgeschützt, ich glaube, wir können uns den geheimen Spezial-Handschlag sparen.«
Er tat, was ich ihm gesagt hatte, und ich warf die 5000 Pfund, die wir ihm noch schuldeten, aufs Lederpolster, während er sein Bestes gab, so verdächtig wie möglich auszusehen.
»Irgendwelche Probleme?«, fragte ich.
»Nein, nichts. Er sah sowieso aus, als wäre der Herzinfarkt nur noch eine Frage der Zeit, und nachdem ich seine Krankengeschichte erzählt hatte, haben sie sich nur noch gewundert, warum es nicht schon eher passiert ist.«
»Okay, bringen Sie nicht alles zur Bank oder kaufen sich irgendwas Riesiges davon, sonst ziehen Sie womöglich noch ungewollte Aufmerksamkeit auf sich.«
»In Ordnung«, nickte Ranjani steif.
»Und machen Sie sich keine Sorgen, Sie haben heute eine gute Tat getan.«
»Das hoffe ich.« Er schaute zu der Tasche auf seinem Sitz. »Was jetzt?«
»Jetzt vergessen Sie Carpenter und Sie vergessen mich. Ach, und eine Sache noch, ziehen Sie ein paar Jahre nicht um.«
»Was? Warum nicht?«
»Warum? Dr. Ranjani, wir vertrauen Ihnen, aber so sehr dann auch wieder nicht. Wir wollen wissen, wo wir Sie finden, für den Fall, dass Sie anfangen zu plappern. Also bleiben Sie noch fünf Jahre in Ihrem jetzigen Haus. Und es ist mir egal, ob Sie im Lotto gewinnen oder noch 68 Kinder bekommen: Sie bleiben, wo Sie sind, bis Carpenter Schnee von gestern ist.«
Ich drohte ihm noch einmal mit dem Finger, dann fuhr ich weg und ließ JB’s neuesten Angestellten seinen Fisch vollschwitzen.