Читать книгу MORDSJOB - The Hitman Diaries - Danny King - Страница 9
The Aviary
ОглавлениеDa war wieder dieses Geräusch, noch lauter als vorhin. Näher. Ich sah mich nach seinem Ursprung um, aber es schien aus jeder Richtung zu kommen. Es war definitiv vor den Bäumen, doch so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nichts sehen. Logan versuchte mir etwas zu sagen, auf das ich mich nicht konzentrieren konnte. Als ich von der kleinen Gruppe wegging, um herauszufinden, was das Geräusch verursachte, kamen alle hinter mir her. Irgendwie war es erschreckend, dass ich der Einzige zu sein schien, der es hören konnte. Schließlich hatte Prinz Charles die Schnauze voll und sagte: »Gehst du denn nie an dein beschissenes Telefon?«
Ich erwachte zu dem grässlichen, aufdringlichen Lärm des klingelnden Telefons und stieß mehrere Gegenstände auf dem Nachttisch um, bevor ich den Hörer abheben und dem Radau ein Ende machen konnte.
»Äh … ja, hallo, ich bin da«, keuchte ich ins Telefon und ließ mich zurück ins Kopfkissen fallen.
»Gehst du denn nie an dein beschissenes Telefon?«, wollte die Stimme am anderen Ende wissen und im ersten Moment hätte ich fast gefragt: »Prinz Charles, sind Sie das?«
»Was? Wer ist da?«
»Hier ist Eddie. Wo warst du denn? Ich versuche seit einer Stunde, dich zu erreichen.«
Als er den Namen nannte, hatte ich die Stimme schon erkannt. Eddie, Eddie Sinton oder »der schöne Eddie«, wie ihn manche der Jungs nannten. Er war Logans Handlanger und, abgesehen von Logan selbst, mein wichtigster Kontaktmann zur Organisation. Sein Anruf bedeutete, dass sie einen Job für mich hatten.
»Wie spät ist es?« Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. Schlaftabletten machten mich am nächsten Tag immer benommen und diese hatten meinen Körper noch nicht wieder verlassen.
»Gleich Zeit fürs Mittagessen«, erstaunte er mich mit seiner mühelosen Begabung für ebenso präzise wie akkurate Zeitangaben. »Logan will dich sehen.«
»Wann?«, fragte ich.
»Komm so gegen fünf.«
»Wie, zur Dinnerzeit?«
»Nein, das ist um sechs«, korrigierte er, ohne meinen Sarkasmus zu bemerken.
»Um die Zeit isst du also dein Dinner?«
»Ja, wieso? Wann isst du denn deins?«
»Ich weiß nicht, so gegen halb acht.«
»Das ist kein Dinner, das ist Abendbrot. Dinner ist um sechs, Abendbrot gegen halb acht oder acht Uhr.«
Ich hatte das Gefühl, dass ihm diese Zeiten eingebläut worden waren, als Eddie noch sehr jung und immer zu spät zum Essen gekommen war. Seitdem war ihm dieser Zeitplan unauslöschlich ins Gedächtnis und auf seinen Arsch gebrannt.
»In Ordnung, ich bin dann kurz nach dem Nachmittagstee da«, sagte ich und legte den Hörer auf.
Ich blieb noch ein wenig liegen, meinen Kopf in die warme Decke des Schlafes gewickelt, und dachte über die Ereignisse der vergangenen Nacht nach. Waren wirklich erst zwölf Stunden vergangen, seit ich Janet im Wasser versenkt hatte? Es erschien mir sehr viel länger. Mir fiel ein, dass Mr. Parnell inzwischen mit Sicherheit gefunden worden war und die Schlagzeilen wahrscheinlich voll von Mord und Metzelei, doch als ich die Nachrichten einschaltete, war nur die Rede von den persönlichen, ziemlich belanglosen Tragödien von Popstars, Fußballern und Politikern. Ist es nicht traurig, in was für einer oberflächlichen Gesellschaft wir leben? Traurig, aber auch ziemlich praktisch für mich.
***
John Broads Klub, The Aviary, war dieser große, alte glitzernde Laden um die Ecke vom Leicester Square. Eddie meinte mal, JB hätte ihn The Aviary – die Voliere – genannt, um den Eindruck zu erwecken, dass man dort garantiert was zum Vögeln fände, weil es von Frauen nur so wimmelte. Nach allem, was ich so gehört hatte, wäre »Die Würstchenbude« allerdings ein passenderer Name gewesen, denn es hingen immer nur Typen dort herum. The Aviary war nur eins von Broads vielen Geschäften. Außerdem besaß er Bars, einige Restaurants, ein paar Büros und eine Menge Lagerhäuser unten am Wasser. Der Großteil seines Vermögens – jedenfalls seines rechtmäßigen Vermögens – steckte in Spielhallen, von denen er ein paar Dutzend über das gesamte Westend und darüber hinaus verteilt hatte. Damit scheffelte er so richtig Geld.
Trotz alledem war The Aviary das Zentrum von Broads Reich. Es war einer der ersten Läden, die er damals in den frühen Siebzigern erworben hatte, und deshalb hatte es den größten sentimentalen Wert für ihn, was ich ziemlich bizarr fand. Von hier, aus einem Büro im ersten Stock, verwaltete Logan Broads Imperium. Dies war auch der Ort, an dem ich meine Instruktionen erhielt.
Um fünf klopfte ich an die Hintertür und Felix öffnete mit seinem üblichen finsteren Gesichtsausdruck. Felix konnte mich nicht leiden. Ich hatte keine Ahnung, warum, denn ich hatte ihm nie etwas getan. Tatsächlich glaube ich nicht, dass wir jemals mehr als ein paar Worte gewechselt hatten. Trotzdem mochte er mich nicht. Nicht, dass mir das etwas ausgemacht hätte; ich mochte ihn nämlich auch nicht, und so kamen wir unterm Strich sehr gut miteinander aus. In dem Moment, als ich durch die Tür trat, kam auch schon Eddie angaloppiert und fing an, mich auf seine falsche, übertrieben vertrauliche Art vollzulabern, während er mich an die Theke begleitete.
»Und, wie geht’s? Was machst du so? Alles klar? Hast du gestern Dingsbums Irgendwas am Fernsehen gesehen?« Solche Sachen eben.
»Wie war deine Verabredung? Hattest du Spaß? Du siehst ganz schön fertig aus, Alter.« Er stieß mich in die Rippen. Ich hatte ganz vergessen, dass ich ihm letzte Woche von Janet erzählt hatte. Damals schien es nicht wichtig, kein Grund, es zu verschweigen. Ich hatte schließlich nicht ahnen können, dass ich sie am Ende umbringen musste, oder?
»Hast du’s ihr besorgt?« Eddie ließ nicht locker, als ich mich an die Theke setzte.
»Äh … nein, habe ich nicht.«
»Warum? Was ist los, bist du schwul oder so?« Lachend boxte er mich auf den Arm. Bevor ich ihn verprügeln konnte, marschierte er zu Logan, um ihn zu unterrichten, dass ich da war.
Der Klub war gerade geschlossen und zum größten Teil leer. Felix stand an der Tür, Logan war oben und Sam wahrscheinlich im hinteren Büro mit seiner Nase über einem Spiegel. Dann war da natürlich noch Eddie, wahrscheinlich Phil oben in der Kabine des Sicherheitsdienstes, ein paar Putzfrauen, die wischten und staubsaugten und …
»Na, mein Herr, wie viele Millionäre gibt es wohl heute Abend?«
Und last sowie auf jeden Fall least war da noch George, der Barkeeper.
»Hey, wer ist heute der Glückliche, was meinst du?«
»Ich weiß es nicht, George«, antwortete ich.
»Ich hätte ja nichts dagegen, wenn ich auch mal was abkriegen würde. Vier Richtige hatte ich letzte Woche. Wirklich. Leider in drei verschiedenen Reihen, das war das Problem. Tja, vier Richtige, dafür kann man schon ungefähr 180 Pfund kriegen. Mein Kumpel allerdings nicht. Er hatte vier Richtige und hat nur sechzehn Pfund rausbekommen. Verdammte Abzockerei, so was.«
Verdammte Abzockerei. Er sprach natürlich von der Lotterie. Tatsächlich sprach er seit ein paar Jahren von nichts anderem mehr. Es hatte den armen Kerl dermaßen erwischt, dass er geradezu besessen davon war und nicht mehr in der realen Welt lebte, sondern in Camelot. Der Fairness halber muss ich erwähnen, dass George schon vor der Lotterie nicht auf demselben Planeten gelebt hatte wie der Rest von uns, also war eigentlich nichts Schlimmes passiert. Er war einfach jemand, der sich immer nur auf eine einzige Sache konzentrieren konnte, man könnte auch sagen: Ein langweiliger Sack, der nur eine Farbe des Regenbogens oder einen Stern am Nachthimmel wahrnahm. Und wie alle langweiligen Säcke meinte er natürlich, dass alle anderen von derselben Sache fasziniert sein müssten wie er. Vor der Lotterie waren es Pferderennen gewesen. Davor Fußballwetten, oder wenigstens hatte ich das so gehört.
»Vor gut zwei Wochen war ein Typ hier, der hatte etwas mehr als zwei Millionen gewonnen. Er hat seinen Job gekündigt, seiner Alten den Laufpass gegeben, eine Riesenwohnung in Chelsea gekauft und sich jede Nacht eine andere Nutte mit nach Hause genommen. Tausende hat er durchgebracht. Tausende. Was für eine Verschwendung.«
»Was würdest du denn mit dem Geld machen, George?«
»Tausende. Der Kerl muss doch komplett verrückt sein«, grübelte George, ohne mich zu hören.
»George! Was würdest du denn damit machen?«
»Ja, er hatte an dem Abend auch eine Menge Bräute im Arm, der Kerl. Eine hatte so ein winziges Kleidchen an, hat kaum ihre Glocken bedeckt.« Er machte die universelle Geste für dicke Titten. »Der Typ muss total bescheuert sein.«
»Du würdest das also nicht machen, George?«
»Ich? Haha, nein. Ich würde alles auf die Bank bringen, ganz klar. Keinen Penny würde ich anrühren«, sagte er und polierte die Zapfhähne.
»Weißt du«, fing er dann wieder an, »ich habe diesen Kumpel unten in Mitcham …«
»George!« Sam stand in der Tür des hinteren Büros. »Sieh zu, dass der Spiegel hinter der Bar poliert ist, bevor wir heute Abend öffnen. Gestern sah er aus wie eine beschissen dreckige Milchflasche.«
»Ja, Sir, sofort«, salutierte George und griff zum Glasreiniger.
Sam blieb noch einen Moment stehen, seine Knopfaugen nahmen mich ins Visier.
»Willst du zu Logan?«, fragte er.
»Was?«, gab ich zurück, bloß um ihn zu ärgern.
»Logan. Willst du zu ihm?«, wiederholte Sam.
»Was?«
Sam biss die Zähne zusammen und verengte seine Augen zu Schlitzen. Unsicher, was er tun sollte, verlegte er sich auf ein bisschen sinnloses Herumkommandieren. Er zeigte auf den Platz, wo ich saß, und befahl mir, dortzubleiben, bis Logan nach mir schickte. Kaum hatte er zu Ende gesprochen, stand ich auf und ging ans andere Ende der Bar, um weiter mit George zu reden. Ich sah mich erst um, als ich hörte, wie sich die Tür hinter mir schloss.
Sam Broad war der zurückgebliebene Sohn von John Broad und er hatte ungefähr so viel Talent fürs Geschäft wie George für Konversation. Um ihn vor Schwierigkeiten zu bewahren und Mutti glücklich zu machen, hatte Daddy Broad ihm einen Job gegeben, bei dem er ein paar Jungs schikanieren konnte, und ihn zum Barmanager fürs Erdgeschoss gemacht. Logan hielt das für einen Witz, weil, wie er sagte, Sam es bis zu seinem zwölften Lebensjahr nicht einmal fertiggebracht hatte, sich richtig die Schuhe zuzubinden. Angeblich hatte er immer nur Doppelknoten gemacht, sodass er die Schuhe abends nicht wieder ausbekam.
George polierte noch eine Minute oder so vor sich hin, bevor er sich wieder mit Lotteriegelaber ablenkte.
»Vier Millionäre gab es Samstagabend. Ich frage mich, ob sie gesehen haben, wie ihre Zahlen gezogen wurden. Stell dir das mal vor, du sitzt vor dem Fernseher und dann kommen deine Zahlen. Ich könnte das ja nicht, oh nein. Ich gucke immer am nächsten Tag in der Zeitung nach. Auf keinen Fall könnte ich so dasitzen und zusehen, wie sie gezogen werden, ich würde einen Herzinfarkt kriegen.«
»George, wer ist das?« Ich deutete unauffällig auf eine der Putzkräfte.
»Einen Herzinfarkt, ich sag’s dir.«
»George! Wer ist das? Ist das ein neues Mädchen?«
»Wer?« George kam endlich wieder zu sich.
»Die mit dem Fuß. Ist sie neu?«
»Wer? Die? Ja, ich habe sie noch nie gesehen.« Er spuckte auf sein Putztuch.
»Wie heißt sie?«
»Was? Wer, die Neue? Ich weiß nicht. Moment, ich frage sie.«
»Nein, warte!«
Bevor ich es verhindern konnte, hatte George schon so laut er konnte hinübergerufen: »Hey, du, Neue! Wie heißt du? Der Herr hier möchte es gerne wissen.«
»Gottverdammt, George«, sagte ich. »Ich wollte nicht, dass du fragst.«
»Ist schon gut«, rief er noch einmal ebenso laut. »Mach dir nichts draus. Er hat es sich anders überlegt.«
Aber anscheinend machte sie sich doch etwas draus, denn sie kam herübergehumpelt und stand vor mir wie ein geprügelter Hund.
»Ich heiße Angela«, sagte sie. »Ich arbeite erst seit heute hier. Tut mir leid, ich bin nicht so schnell wie die anderen, aber ich kann in Zukunft eher anfangen, dann schaffe ich genauso viel, ganz sicher. Ich brauche nur …«
»Halt, halt, langsam, ich wollte Sie nicht zusammenstauchen oder so. Ich wollte bloß wissen, wie Sie heißen, weil ich Sie noch nie hier gesehen habe.«
»Oh, Entschuldigung«, murmelte sie mit gesenktem Blick.
»Und ich weiß gar nicht, was Sie mit nicht schnell genug meinen. Ich finde, Sie machen das ganz großartig«, versicherte ich ihr.
»Danke«, sagte sie und stand noch einen Moment schweigend da. »Ja, ich mache dann besser mal weiter. Es tut mir leid …«, begann sie wieder, bis ich meine Hand hob und ihr sagte, sie solle sich keine Sorgen machen.
Das war das erste Mal, dass ich Angela sah, und bei Gott, ich war hingerissen von ihr. Ich war sogar so hingerissen, dass mir ihr Klumpfuß danach nie wieder auffiel. Oder wenigstens störte er mich nicht. Nein, nicht nur, dass er mich nicht störte, ich mochte ihn sogar. Er stand ihr. Er war süß. Er war bezaubernd. Er war ein Teil von ihr, und deshalb betete ich ihn ebenso an wie den Rest von ihr, wenn nicht noch mehr. Ich war so Feuer und Flamme für sie, dass ich monatelang keinerlei Interesse für Frauen aufbrachte, die ohne Probleme zum Bus rennen konnten.
»Sie ist entzückend, findest du nicht, George?«
»Wer?« Er verfehlte das Poliertuch und spuckte stattdessen auf ein Tablett mit sauberen Gläsern.
»Ach, egal«, sagte ich mit einer wegwischenden Handbewegung. In dem Moment kam Eddie zurück und richtete mir aus, dass Logan mich jetzt empfangen würde.
»Okay. Na dann, bleib sauber, George.«
»Sauber? Wenn meine Zahlen gezogen werden, dann zeige ich dir was Sauberes.«
Wir gingen die Treppe hoch und um das Zwischengeschoss herum zu Logans Privatbüro, das sich direkt neben der DJ-Kabine befand.
Connolly kam gerade heraus und rauschte an uns vorbei, als sei er auf einer göttlichen Mission. Ich weiß nicht mehr, wer von den Jungs mir das erzählt hat, aber ich weiß, dass einige ihn Delia nannten. Er würdigte uns keines Blickes und eilte die Treppe hinunter, zweifellos mit Prozentzahlen und Nummernkonten auf Dauerschleife in seinem Kopf.
Nachdem Eddie ein paar Mal sachte an Logans Tür geklopft und mich hindurchgeschoben hatte, schloss er sie wieder hinter mir. Logan schaute auf, nickte mir kurz zu, räumte ein paar Papiere aus dem Weg und knallte einen Aktenordner auf den Schreibtisch.
»Wie geht’s, Ian? Alles klar?« Er bedeutete mir mit einer Geste, mich auf den Stuhl ihm gegenüber zu setzen.
»Gut, Danny. Alles okay.«
»Wie war denn deine Verabredung gestern Abend?« Scheiße, Eddie, du verdammte Labertasche!
»Ähm … ja. Okay. Hätte besser laufen können. Wo wir gerade davon sprechen, Danny … ich brauche ein neues Auto.«
»Ein neues Auto? Hast du deins nicht erst seit ein paar Monaten? Wofür brauchst du schon wieder ein neues?«
»Na ja, ich musste das alte gestern Nacht ausbrennen. Es gab da ein kleines Problem«, erklärte ich.
»Ausbrennen? Ich dachte, du wärst bloß zu einem Date gefahren.«
»Ja, bin ich. War ich. Aber am Ende musste ich trotzdem das Auto ausbrennen, weißt du?«
Logan starrte mich einen Moment lang verwirrt an, kratzte sich am Kopf und klackte mit den Zähnen, dann ließ er den Kopf in seine Hände sinken.
»Bitte sag mir, dass du sie nicht schon wieder kaltgemacht hast«, sagte er kopfschüttelnd und unfähig, mir in die Augen zu sehen.
»Es war nicht meine Schuld. Ich konnte nichts dagegen machen.«
»Du konntest nichts dagegen machen? Du lädst irgendeine Tussi zum Essen ein und dann kannst du nichts dagegen machen, dass du sie umbringst? Was ist los mit dir? Bist du irgend so ein Spinner oder was?«
»Sieh mal, ich war … ich wurde kompromittiert, ich hatte keine Wahl. Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung. Es gab keine Schwierigkeiten.«
»Wird irgendjemand sie vermissen?«
»Niemand von Bedeutung. Sie hat keine Familie, keine richtigen Freunde. Sie wird ein paar Jahre lang ein Fall in irgendeiner Akte sein und wahrscheinlich gelöscht werden, wenn die Bullen das nächste Mal ein Computer-Upgrade bekommen oder einen neuen Sachbearbeiter anlernen. Niemand wird sich um sie kümmern.«
So ausgedrückt klang das tatsächlich ein wenig traurig.
»Was hattest du für eine Verbindung zu ihr?«
»Keine, abgesehen davon, dass ich ein paar Zeitungen und gelegentlich einen Schokoriegel bei ihr gekauft habe.« Ich erzählte Logan, wie ich sie zum Essen eingeladen hatte. Wie ich ihr nach Hause gefolgt war und sie weit weg vom Geschäft, den Sicherheitskameras und allen, die sie kannten, angesprochen hatte, und dabei kam ich nicht umhin, mich zu fragen, ob ich das zufällig oder absichtlich getan hatte. Wahrscheinlich absichtlich. Nicht, weil ich vorhatte, sie umzubringen, natürlich. Ich wollte wohl nur nicht, dass irgendjemand sieht, wie ich ein fettes Mädchen einlade. Oder, noch wahrscheinlicher: Ich wollte nicht, dass irgendjemand sieht, wie ich von einem fetten Mädchen einen Korb bekomme.
Nicht, dass ihr Fettsein der Grund gewesen wäre, warum ich sie … ach, egal.
»Na gut, lassen wir es dabei«, beschloss Logan. Ich erzählte ihm nicht von den fünf anderen Morden, die ich in der letzten Nacht begangen hatte. Das war die Sorte Geschichten, die einen Mann in ein frühes, nasses Grab bringen konnte. Die Organisation war viel zu wichtig, als dass sie jemanden, der so viel wusste wie ich, einer möglichen lebenslänglichen Haftstrafe aussetzen konnte. Ein Mord war eine Sache – nicht allzu schwierig abzuschütteln – aber sechs? Das Gefahrenpotenzial in Form von Aufdeckungs- und Festnahmerisiko war enorm. Ich war bereit, dieses Risiko einzugehen, denn ich kannte die Alternative, aber ich bezweifle stark, dass Logan meinen Enthusiasmus geteilt hätte, hätte er die Wahrheit erfahren.
Stattdessen reichte er mir eine Akte und ich schaute auf das Foto eines Schnurrbartträgers mittleren Alters, der sein Bestes gab, um für den Fotografen seriös auszusehen.
»Alan Carpenter«, erläuterte Logan. »Er sitzt im Stadtrat von Sutton, das ist unten im Süden. Seine Adresse und Daten sind in der Mappe. Kannst du ihn bis Ende der Woche erledigen?«
»Wann ist die absolute Deadline?«
»Sonntag. Wenn es sein muss, auch noch Montagmorgen. Wichtig ist, dass er nächsten Montag nicht auf seinem Stuhl sitzt. Was sagst du?«
»Hmm, sieht machbar aus. Single, lebt alleine«, sagte ich, während ich das Dossier las. »Hat eine Katze, das ist ausgezeichnet. Kommt drauf an, wie du es haben willst?«
»Natürliche Todesursache.« Logan zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Oh nein, nicht natürlich. Ich hasse natürliche Todesursachen. Kann er nicht einen Unfall haben?«
»Sorry, Ian, es muss sein.«
»Warum?«, fragte ich blöderweise.
»Komm schon, du kennst die Regel.«
Ja, ja, die Regel. Niemals nach dem Warum fragen. Das brauchte ich schließlich nicht zu wissen. Genauer gesagt, war es sogar besser, wenn ich es nicht wusste. Mein Job war bloß das Töten. John Broad und Daniel Logan kümmerten sich um das Wieso und Warum; mich ging das nichts an. Ich hätte gar nicht erst fragen sollen. Der Tag, an dem ich wissen musste, aus welchem Grund ich tötete, war der Tag, an dem ich nicht mehr von Nutzen war. Gründe machen es nie leichter, jemanden zu töten, sie machen es höchstens schwerer. Gründe sind sehr persönliche Dinge. Seht ihr, wenn John Broad meinte, dass jemand es verdiente zu sterben, hieß das noch lange nicht, dass ich derselben Meinung sein musste. Und das war vielleicht der entscheidende Faktor, der mich meinen Vorteil kostete. Sagen wir zum Beispiel, John Broad hätte Spaß daran gehabt, Frauen zu vergewaltigen oder Kinder zu ermorden oder etwas in der Art, und irgendjemand hätte das herausgefunden und drohte ihn zu verraten. Logischerweise würde Broad wollen, dass diese Person beseitigt würde, und es wäre mein Job, das Beseitigen zu übernehmen. Aber wenn John Broad Frauen vergewaltigte oder Kinder umbrachte, fand ich vielleicht, dass er es verdiente, erwischt zu werden, und aus dem Grund würde ich eventuell den Auftrag nicht gewissenhaft ausführen können. Natürlich war das nur ein Beispiel. Meines Wissens hatte JB, wie er beim Fußvolk genannt wurde, schon lange niemanden mehr vergewaltigt oder umgebracht. Jedenfalls gab es deshalb die Regel. Das ist der Grund, warum man nicht nach dem Grund fragt.
Ich entschuldigte mich bei Logan und prägte mir alle nötigen Details aus der Akte ein, bevor ich sie zurückgab. Nach allem, was ich gelesen hatte, konnte ich nicht erkennen, womit sich Mr. Carpenter sein Todesurteil verdient hatte, aber offenbar war JB nicht gut auf ihn zu sprechen.
Deshalb hatte er jetzt mich auf dem Hals.