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Im Airport Charles de Gaulles in Paris

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Die Temperatur war an diesem Oktobertag mit 8° nicht besonders warm, aber für die Jahreszeit noch relativ mild. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich in wenigen Stunden in einem Land sein würde, wo die Temperatur vielleicht die 30° Marke übersteigen würde.

Alle Passagiere verließen das Flugzeug und mussten noch ca. 15 Minuten zu Fuß gehen, um das richtige Gate für die Flüge nach Afrika zu erreichen. Dort angekommen war ich total überrascht, so viele schwarze Menschen zu sehen. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie eine so große Ansammlung von Afrikanern an einem Ort gesehen. Zwar hatte ich ab und zu schon mal mit schwarzen Menschen zu tun gehabt, aber alles war sehr flüchtig und oberflächlich gewesen, so dass ich mir nie richtig Gedanken über diese Rasse gemacht hatte. Nicht, dass sie mir egal gewesen wären oder ich uninteressiert war. Es hatte einfach keine Gelegenheit gegeben, dass ich mich mit ihnen direkt und privat auseinandersetzen hätte müssen oder können. Es waren auch nicht so viele, als dass man sie an allen Ecken Darmstadts sah, wie es zum Beispiel bei den Türken der Fall war.

Und nun auf einmal befand ich mich unter hunderten von schwarzen Menschen und irgendwie fühlte ich mich eingeschüchtert.

Was mir sofort auffiel war etwas, das ich wirklich bis dahin in meinem Leben in dieser Form und in dieser Dimension noch nie bewusst wahrgenommen hatte: wie extrem laut sie waren.

Auf den ersten Eindruck waren diese Szenen für mich als Europäerin irritierend. Ein normaler Europäer würde das, was ich sah, einen „heftigen Streit“ nennen, und man würde sofort die Polizei rufen. Es wurde auf eine Art geredet, die mir vollkommen neu war. Erst durch das ständige Lachen der Beteiligten wurde mir klar, dass sie sich nicht stritten, sondern sich ganz normal unterhielten. Die kulturellen Unterschiede fingen schon in diesem Moment an.

Ich verbrachte meine Zeit nur noch damit, aufmerksam zu sein und beobachte alles mit Neugier. Irgendwie war ich fasziniert von dieser lockeren Art des Miteinanderumgehens, so voller Emotionen. Diese Afrikaner lachten ständig miteinander, schlugen sich dabei in die Hände oder auf den Körper der anderen. Auf einmal merkte ich, dass wir Europäer viel zu kopflastig sind und unsere Gefühle zu sehr kontrollieren. Ich kenne keinen Europäer, der so lachen und mir dabei einen kleinen Klapps geben würde oder meine Händen nehmen und schütteln würde, einfach weil er fröhlich und glücklich über das ist, worüber wir gerade reden.

Ich war nun sehr aufmerksam, beobachtete und registrierte alles ganz genau, was um mich ablief. Ich war immer noch in Europa, aber ich befand mich schon in einer anderen Welt.

Dann war es Zeit für mich, die Zollkontrolle zu passieren, um zum richtigen Wartesaal zu gelangen. Vor diesem Kontrollpunkt war ein schwarzer Mitarbeiter von Air France, der die Größe der Handgepäckstücke noch einmal prüfte, bevor man sich in einen Labyrinth-ähnlichen Korridor begab, der zur Passkontrolle führte. Es war nicht ganz so wie in Frankfurt, dort hatte niemand vor der Zollkontrolle gestanden, der kontrollierte, ob das Handgepäck in Ordnung war oder nicht.

Der Korridor war noch geschlossen, weil es ein Problem gab. Es dauerte ein bisschen, bis ich verstand, worum es ging. Der schwarze Mitarbeiter der Air France hatte die Gepäckstücke fast aller Passagiere abgelehnt, weil sie seiner Meinung entweder zu groß oder zu schwer waren. Es schien mir ein bisschen willkürlich und eher Machtdemonstration, Schikane und Abzocke zu sein, als wirklich die Überprüfung der Taschen aus Sicherheitsgründen und wegen möglicher Überladung des Flugzeuges. Wenn eine Tasche abgelehnt wurde, musste sie in den Frachtraum des Flugzeugs, aber dafür waren 200 € Zuzahlung fällig, egal ab die Tasche 1 oder 10 Kg schwer war, oder man musste die Tasche einfach zurücklassen und einem Begleiter geben. Für Menschen, die auf Transit waren und keinen Begleiter dabei hatten, war das eine sehr harte Strafe, denn es bedeutete, dass sie die Tasche in den Müll werfen mussten, wenn sie die 200 € nicht hatten.

Das war auch der Fall bei zwei Afrikanern, die aus Deutschland kamen. Der eine war der Schwarze, den ich am Frankfurter Flughafen bereits gesehen hatte. Wir hatten den gleichen Flug nach Paris genommen. Der andere kam, wie ich erfuhr, aus Hamburg, und sie wollten, genauso wie ich, weiter nach Kamerun fliegen. Obwohl ihr Handgepäck das Ok-Zeichen der Air France in Frankfurt und Hamburg bekommen hatte, und sie damit auch nach Paris hatten fliegen dürfen, sagte die gleiche Air France in Paris, dass diese Taschen für die Kabine des Flugzeuges nach Kamerun nicht geeignet seien, weil zu groß wären. Und das, obwohl dieser Airbus viel größer war als die kleinere Maschine von Frankfurt und Hamburg. Diese ganze Logik konnte niemand verstehen. Wenn Air France in Hamburg und Frankfurt sagte, dass das Handgepäcke ok sei und man es mit in die Kabine nehmen dürfe, wie konnte dann die gleiche Air France in Paris etwas anderes behaupten?

Hätte man ihnen das vor dem Abflug in Deutschland gesagt, hätten sie noch die Möglichkeit gehabt, diese Taschen ihren Begleitern zu überlassen oder eine andere Lösung zu finden.

Nun mussten sie für 3 bzw. 9 Kg mehr Gepäck jeweils 200 € zahlen, wenn sie ihre Taschen verfrachten wollten.

Ich selbst fand die willkürliche Entscheidung unmenschlich und ungerecht, als ein Chef von Air France kam und trocken und abwertend sagte, entweder sie zahlten oder sie ließen ihre Taschen eben hier oder sie gaben sie ihren Bekannten.

Was konnten sie dafür, dass Air France in Deutschland ja gesagt hatte? Warum sollten sie 200 € zahlen, wenn sie in Deutschland für volles und schweres Gepäck von 23 Kg nur 150 € gezahlt hätten? Welchen Bekannten sollten sie denn die Taschen überlassen? Sie kamen schließlich aus Deutschland und befanden sich in Transit und hatten deswegen keine Bekannten vor Ort. Das alles war aber den Franzosen egal, und deswegen wurden auch andere Afrikaner böse und sauer.

Der schwarze Mann, der das Handgepäck kontrollierte, wurde mit Beschimpfungen aller Art regelrecht niedergemacht. Ich bekam mit, dass er von den französischen Antillen, einer Inselgruppe in der Karibik, kam, sehr wahrscheinlich von Guadeloupe oder Martinique.

Aus den Kommentaren erfuhr ich, dass diese „Antillais“, wie man Menschen dieser Region auf Französisch nennt, manchmal viel diskriminierender gegenüber Afrikanern sind, als die Franzosen selbst, sogar mehr noch als die weißen Franzosen, obwohl sie ja selbst auch schwarz und afrikanischer Herkunft sind. Sie werden zwar in Frankreich als Franzosen zweiter Klasse angesehen, aber halten sich immer noch für gut genug, bzw. „zivilisiert“ genug, um sich über die anderen Schwarzen aus Afrika zu stellen. Die Afrikaner beschimpfen sie im Gegenzug als Sklaven der Weißen, die benutzt werden, um andere Schwarze zu schikanieren und absichtlich zu verletzen. Ich hörte Worte wie Onkel Tom, aber der Mann blieb dennoch erstaunlich ruhig.

Was mir auffiel war, dass sein Kollege, der weiße Franzose, der ihm zu Hilfe gekommen war, ihm gar nicht half, sondern die Situation nur amüsiert betrachtete. Ich glaube, er freute sich sehr zu sehen, wie sich die Schwarzen gegenseitig erniedrigten. Er lachte die ganze Zeit und sagte zu den Afrikanern, die zu ihm gingen, dass er leider nichts tun könne, solange der „Antil­lais“ bei seinem Nein bliebe. Und einmal sagte er wort­wörtlich: „Das ist etwas unter euch.“ Er meinte damit, dass sein Kollege schwarz sei, wie die Afrikaner auch. Deswegen wäre es ein Problem unter Schwarzen. Daraufhin reagierten die Afrikaner umso heftiger gegen den armen Mann von den Antillen. Sie nannten ihn einen Verräter mit Minderwertigkeitskomplex.

So ging es minutenlang, und einer der Afrikaner musste tatsächlich sein Handgepäck in Paris lassen. Bei ihm lehnte der schwarze Kontrolleur das Handgepäck auch deshalb total ab, weil er angeblich zwei Handgepäckstücke hatte, aber nur eines mit in die Kabine nehmen durfte. Das zweite Handgepäck war allerdings eigentlich gar keins, es war seine Laptoptasche mit dem Laptop. Da er keine 200 € für das Mehrgepäck hatte, musste er sein Handgepäck dalassen. Er nahm paar Sachen heraus und tat sie in eine Einkaufstasche, den Rest warf er dem Kontrolleur vor die Füße. Ich war wirklich entsetzt über solche Unbarmherzigkeit und Härte der Franzosen gegenüber den Afrikanern. In der Diskussion hörte ich auch immer wieder die Klage, dass die Franzosen den Schwarzen generell ohne Respekt begegneten und jede Gelegenheiten nutzten, um diese zu erniedrigen.

Bei mir war alles okay. Es gab keine Beanstandung, und ich musste mich in die lange Schlange von Menschen stellen. Bis ich bei der Sicherheitskontrolle an der Reihe war, dauerte es ewig, und die Sicherheitskontrolle selbst war sehr mühsam. Es wurde alles durchsucht, und ich musste sogar meine Schuhe ausziehen. Irgendwann war ich dann durch und ging direkt und schnell zum Abfluggate. Alles musste nun schnell geschehen, so viel Zeit hatte ich bei dieser Kontrolle verloren.

Als ich zur Wartehalle des Abfluggates kam, waren schon sehr viele Passgiere anwesend. Wir mussten bis zum Aufruf noch ca. 20 Minuten warten. Aber ich war erstaunt, dass manche Menschen, anstatt sich zu setzen, schon die ganze Zeit vor der Absperrung standen und warteten, damit sie als erste in das Flugzeug durften. Ich verstand das nicht, weil jeder doch einen festen Platz hatte, egal ob man als Erster oder als Letzter das Flugzeug bestieg. Niemand musste Angst haben, dass sein Platz weggenommen würde. Es war doch nicht so, dass man sich einen Platz aussuchen konnte. Aber dieses Verhalten kannte ich auch schon von früheren Flügen.

Das Einsteigen in den Airbus nach Douala geschah dann schließlich ohne Probleme, und ich war eine der Letzten, die durch die Ticketkontrolle ging. Die Air France Mitarbeiter dort waren sehr nett, und alles geschah ruhig und freundlich, aber im Flugzeug selbst hörte ich dann, wie Menschen heftig diskutierten. Es gab eine große Spannung im Flugzeug, und viele Menschen standen immer noch herum. Man konnte nicht weitergehen, da sich die Passagiere davor nicht mehr bewegten. Es war wie eine Meuterei. Zuerst verstand ich nicht, worum es ging.

Es wurde immer lauter und ich hörte jemanden rufen: „Non, non, ce n´est pas un voleur.“ (Nein, nein, er ist kein Dieb). Ein anderer sagte: „Detachez les menottes, sinon cet avion ne vas pas decoller.“ (Lösen Sie die Handschellen, sonst wird das Flugzeug nicht abheben). Langsam verstand ich, worum es ging: ein Afrikaner in Handschellen, der wie ein Terrorist behandelt wurde, saß zwischen zwei weißen Menschen. Sie mussten durch einen anderen Eingang ins Flugzeug gekommen sein, denn wir hatten sie vorher in der Wartehalle nicht gesehen. Der festgenommene Mann war angeblich eine erwischte „illegal“ eingereiste Person ohne Bleibepapiere, die wieder zurück in ihre Heimat geschickt werden musste. Die zwei Weißen waren Polizisten. Diese unmenschliche Behandlung war der Grund des Aufstands der Afrikaner im Flugzeug, die gegen die Weißen und ihre Ungerechtigkeit protestierten.

In dieser kurzen Zeit bekam ich einen Eindruck der ganzen grausamen Geschichte der Weißen in Kamerun. Ich als Weiße schämte mich zu sehen, dass andere Menschen meiner Hautfarbe so gefühllos handelten.

Der Kapitän versuchte die Menge zu beruhigen, aber ohne Erfolg. Die Situation wurde immer prekärer. Die Masse protestierte nicht mehr nur gegen das unmenschliche Verhalten der französischen Polizisten, sondern sie forderten nun, dass die zwei Polizisten und die abzuschiebende Person nicht mitfliegen dürften. Es wurde immer hitziger, so dass das Bordpersonal nach Verstärkung rief.

Viele andere Polizisten kamen, aber auch sie konnten nichts tun. Alle Menschen im Flugzeug standen und klatschen in die Hände. Es war wie im Stadion.

Der Kapitän erkannte, wie gefährlicher die Situation wurde und entschied dann, dass die Polizisten mit ihrem „Illegalen“ nicht mitfliegen durften und das Flugzeug sofort verlassen mussten.

Unter stürmischem Applaus und lauten Buhrufen verließen die Polizisten schamvoll das Flugzeug, und vielleicht war dies die Chance des Kameruners, doch noch in Frankreich zu bleiben.

Nun konnten wir uns endlich hinsetzen, aber ich fing erst langsam an zu entspannen als das Flugzeug schon fast eine Stunde in der Luft war. Hoffentlich ging es in Douala nicht so turbulent weiter, wünschte ich mir. Aber nach diesen beiden Erlebnissen an nur einem Tag spürte ich, dass ich mein gemütliches, ruhiges und emotionsloses Leben in Deutschland verlassen hatte. Ja, ich war nun endgültig angekommen in einem Kontinent voller Unbekanntem, noch bevor ich den Boden Afrikas überhaupt berührt hatte.


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