Читать книгу Peter Gabriel - Die exklusive Biografie - Daryl Easlea - Страница 11
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– Richard Macphail, 2013
Der Wendepunkt für Genesis kam 1969 mit der Hinzunahme der zwölfsaitigen Gitarre, was die Band nicht nur vorwärts brachte, sondern die Ausrichtung der Band für immer verändern sollte. Obwohl auf From Genesis To Revelation eine Akustikgitarre zu hören gewesen war, begannen Anthony Phillips und Mike Rutherford erst Anfang 1969, ihre Gitarren gemeinsam zu spielen. Wie Phillips sagen sollte: „Durch reinen Zufall fanden wir heraus, dass wir zum ersten Mal in unserem Leben niemanden kopierten.“ Dieser Sound, auf den man so spontan gestoßen war, würde ein frühes Markenzeichen der Gruppe werden und sie von ihren Zeitgenossen unterscheiden. Sie bauten ihn umgehend in ihre Songs ein, besonders bei dem längeren Stück „The Movement“ – eine unmittelbare Reaktion auf ihre dreiminütigen Popsongs, die sie bis dahin geschrieben hatten.
Aber bevor Peter Gabriel und seine Freunde ihre Träume erreichen konnten, mussten sie sich zuerst noch mit einer weiteren Personalentscheidung herumschlagen. Nach der Veröffentlichung von From Genesis To Revelation gab John Silver dem Druck seiner Eltern nach und ging an die amerikanische Universität Cornell, um dort Freizeitmanagement zu studieren. Er würde schließlich ein erfolgreicher Produzent bei Granada TV werden. Unter Peter Gabriels kritischem Auge – nur wenige Drummer konnten seinen persönlichen Ansprüchen gerecht werden – begannen Genesis, sich nach einem neuen Schlagzeuger umzusehen.
John Mayhew, den Rutherford aufgetrieben hatte, nachdem er ihn mit seiner Band Milton’s Fingers gesehen hatte, spielte bereits seit einigen Jahren als Profimusiker im Osten Englands auf Stützpunkten der Air Force, in Pubs und Clubs. Er hatte seine Nummer überall in London angebracht, da er keiner Band mehr angehörte, nachdem er Milton’s Fingers verlassen hatte. Als er vorspielte, waren Gabriel und Co. von seinem eigenen Schlagzeug beeindruckt. Auch wie er sein Solo mit einem Beckenschlag beendete, sprach sie an – immerhin war das etwas, das Rob Townsend von Family, einer Band, die sie alle bewunderten, perfektioniert hatte.
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Die Gruppe hatte sich zuvor schon in einer Reihe von Häusern getroffen und dort auch gespielt. Darunter waren etwa die Häuser von Rutherfords Eltern und Großeltern, John Silvers und David Thomas’ Wohnung sowie das Elternhaus des Letzteren. Ihren Wurzeln in der Mittelklasse, deren sie sich nicht schämten, verdankten sie, dass sie stets ausreichend Platz zum Proben vorfanden. Jedoch war es Christmas Cottage – die „Weihnachtshütte“ –, im Besitz von Macphails Eltern, wo die Band, wie wir sie heute kennen, wirklich ihren Anfang hatte. „Hier beschlossen sie, wie sie es nannten, ein Übergangsjahr einzulegen“, sagt Macphail. „Pete würde anschließend auf die Filmschule gehen, Tony war bereits an der Uni, alle hatten sie Pläne. Sie entschieden, das alles beiseite zu schieben und es auf einen Versuch ankommen zu lassen.“ Es war ein Wagnis, das sich letzten Endes auszahlen sollte, obwohl der Erfolg noch in großer Ferne lag.
Ihr ehemaliger Schulfreund sowie einstiger Leadsänger von The Anon, Macphail, war im September 1969 wieder aufgetaucht und wurde rasch zu einer Art Road-Manager der Band, obwohl sie damals nicht viel zu bieten hatte, was eine solche Position gerechtfertigt hätte. Macphail war in einem israelischen Kibbuz gewesen, aber hatte seine Freunde nicht aus den Augen verloren. „Ich war einer der sehr wenigen Leute, die ‚The Silent Sun‘ am ersten Tag gekauft hatten“, erinnert er sich. „Ich hörte ‚The Winter’s Tale‘ in Israel im Truppen-Rundfunk, der von Zypern aus sendete. Es gab natürlich noch kein Internet oder Handys, weshalb alles sehr weit weg war.“ Nachdem er nach Großbritannien zurückgekehrt war, hatte er sich erfolglos an der Central School Of Speech and Drama in London beworben. „Wenn ich an der Schule aufgenommen worden wäre, wäre das mit dem Cottage nie passiert“, lacht er.
Jeder – vor allem Gabriel – mochte Macphail. „Ich war ein alter Schulkumpel, der eben aushalf. Und ich konnte organisieren. Außerdem war ich total hin und weg, dass sie ihre eigenen Songs schrieben“, sagt er. „Und sie wurden immer besser und besser. Es schien ihnen einfach so zuzufliegen.“
Während ihre Songs ständig besser wurden, hatte sich die Band vom späten Oktober 1969 bis zum April 1970 in das Christmas Cottage zurückgezogen. Es befand sich zwischen Dorking und Abinger Hammer in Surrey. Das Haus war ein Wochenenddomizil, das Macphails Eltern 1962 von der Schwester des Schauspielers Bill Travers gekauft hatten. Die Familie hatte das Gebäude während der Weihnachtsfeiertage bezogen, er hatte dort einen großen Teil seiner Zeit als Teenager verbracht. Jedoch hatte das Idyll stark unter einem Einbruch im Sommer 1969 gelitten, weshalb man die Immobilie abstoßen wollte. Macphails Eltern hatten kein Problem damit, die Gruppe dort proben zu lassen, da es einerseits ihrem Sohn und seinen Freunden etwas Freiraum verschaffte und andererseits sicherstellte, dass jemand auf das Haus aufpasste. Das Zusammenleben schweißte die Band zusammen. „Ich lernte sie dort erst richtig kennen. Ich kannte Ant und Mike, aber Peter und Tony nicht so richtig“, sagt Macphail. „Tony noch ein bisschen besser, weil er bei uns in London gewohnt hatte, als er einen Ferienjob bei Harrod’s hatte.“
Die Gruppe stellte ihre Ausrüstung auf und probte jeden Tag. „Wir hatten diese beiden Fraktionen, was das Songwriting betraf. Einerseits die Keyboard-Gruppe mit Tony und Peter, die ursprünglich das Sagen gehabt hatte. Mike und ich waren am Anfang eher Nachahmer“, weiß Anthony Phillips. „Für das, was später Trespass werden sollte, komponierte Tony an der Orgel und Mikes und mein Einfluss nahmen zu.“ Da Tony nun auf der Orgel schrieb, gab es für Peter weniger zu tun als früher, als sie gemeinsam am Klavier gesessen hatten. „Peter hatte nicht wirklich viel zu sagen. Er steuerte einen kleinen Flötenteil oder eine Gesangslinie bei. Es war schwierig für ihn, da wir seine Ideen oft nicht beachteten.“
„Manchmal war es frustrierend mit Peter, da er oft abschweifte, was die Stimmung total zerstörte“, sagt Banks. „Er schaltete auf stur. Er hat viele Ideen, die manchmal zu nichts führen, aber diejenigen, aus denen was wird, sind es wert, verfolgt zu werden. Er war ein extrem langsamer Arbeiter und ich hingegen sehr schnell – eine frustrierende Kombination. Es konnte sehr zäh mit ihm sein.“
„Die beiden Fraktionen verschwammen und es muss für Peter oft sehr entmutigend gewesen sein“, fährt Phillips fort, „weil er sich aus seiner Wohlfühlzone trauen musste, da er keine Songs am Klavier schreiben konnte. Er stieg daher erst später in den kompositorischen Prozess ein und konnte nicht mehr selbst so oft den Stein ins Rollen bringen. Das Grundgerüst zu ‚Looking For Someone‘ stammte von ihm. ‚The Knife‘ war von ihm und Tony, aber die Weiterentwicklung lag bei den Instrumentalisten und nicht beim Sänger. Das muss eine schwierige, unbefriedigende Situation für ihn gewesen sein.“
„Peter war kein schlechter Keyboarder, aber das Problem bestand darin, dass ich eben nur dieses eine Instrument spielen konnte“, sagt Banks. „Wenn die anderen angefangen hätten, mein Instrument zu übernehmen, was hätte ich dann noch tun sollen? Deshalb musste ich auf ziemlich kindische Art mein Territorium schützen. Mir gefiel es nicht, wenn jemand außer mir spielte, da es alles war, was ich beisteuern konnte. Auch wenn jemand anders etwas auf meinem Instrument komponiert hätte, hätte ich es später auf der Platte gespielt. Es war schwierig.“
„Tony und Peter waren sehr wetteifernd, viel mehr als Anthony und ich. Tony verteidigte seinen Platz am Keyboard. Ich nehme an, dass Peter daher nicht wusste, was er tun sollte“, sagt Rutherford. „Es passierte viel innerhalb kurzer Zeit. Wir waren entschlossen, uns musikalisch unter Beweis zu stellen. Wir waren ehrgeizig. Denn nur so schaffst du Dinge in deinem Leben.“
Die Band lebte als Wohngemeinschaft. Macphail schloss sich ihnen als Koch an. Gabriel saß oft auf der Veranda, wo er Texte schrieb und Listen mit Agenten und Konzertveranstaltern zusammenstellte. Dann ging er zur nächsten Telefonzelle, um sie anzurufen und sie zu einem Besuch zu überreden. „Peter war sehr praktisch“, erinnert sich Anthony Phillips. „Einerseits war er ein Exzentriker und andererseits dieser unglaublich praktisch denkende Mann, der sich ganz bodenständig um all die Anrufe kümmerte. Er hatte einen außergewöhnlichen Hausverstand. Er hatte zwei unterschiedliche Seiten, die sich eigentlich widersprachen. Aber trotzdem gehörten sie zum selben Mann.“
Jedes zweite Wochenende fuhren die Bandmitglieder heim zu ihren Eltern. „Mikes und Ants Mütter schickten uns diese riesigen Fresspakete“, sagt Macphail. „Ich weiß noch, dass Ants Mutter ihm Kalbsbries mitgab. Ich weiß bis heute nicht wirklich, was das ist, aber ich musste es warmmachen. Ich machte Joghurt und bewahrte es im Wäschetrockenschrank auf und jeder liebte es.“ Gabriel und Banks wohnten in Macphails altem Zimmer und in der offenen Küche fanden die Proben statt. Der Esstisch befand sich im Wohnzimmer. „Wir waren alle sehr dicht beieinander, aber als Jungs von der Privatschule waren wir daran gewöhnt.“ Das neue Material, das die Band probte, war härter, länger und weniger an Songstrukturen orientiert als From Genesis To Revelation, was es mit sich brachte, dass sich die Wege der Band und von Jonathan King trennen mussten. „Wir begannen, etwas abenteuerlicher zu werden“, erklärt Gabriel. „Wir entfernten uns für Jonathans und Joe Roncoronis Geschmack zu weit vom Mainstream. Deshalb gingen wir auseinander.“
Die Band probte fünf Monate durchgehend. Sie nahmen sich kaum Auszeiten und fuhren nur mehr zu Weihnachten nachhause. Keine Ausflüge ins Pub, keine körperlichen Aktivitäten, keine Spaziergänge. Es wurde nur gegessen, geschlafen und Musik gemacht. Phillips meinte, dass es gewesen wäre, als ob die Band ein klösterliches Gelübde abgelegt hätte.
„Wir liebten diese Vorstellung“, sagt er. „Wir entwickelten uns während dieser Phase von der sonderbaren Songwriter-Formation, die From Genesis To Revelation veröffentlicht hatte, zu dieser Konzert-Combo. Nun kann man sich selbst ein Urteil darüber machen, ob es notwendig war, so zurückgezogen und abstinent zu leben, aber wenn man sich nicht vor den Leuten abschirmt, wird man abgelenkt. Das ist einfach ein Gesetz des Lebens, außer man ist vielleicht ein Heiliger. Wir waren stets zusammen. Wir legten nie Pausen ein und nahmen alles sehr ernst. Peter und Mike wurden von ihren Mädchen unter Druck gesetzt, also war die Stimmung manchmal ziemlich angespannt. Ich denke, wenn wir ins Pub gegangen wären, um ein paar Pints zu kippen, wäre es anders gewesen. Wir gingen nicht einmal spazieren oder spielten Fußball, wir taten nichts, um uns abzulenken. Es gab keinen Ausgleich zur Musik.“
Obwohl die Gruppe in dem Cottage kaum Musik hörte, gab es doch Favoriten, von denen sie sich inspirieren ließen. „Es gab in den einzelnen Lagern unterschiedliche Einflüsse“, sagt Phillips. „Mike und ich mochten das Zeug, das auf Gitarren basierte. ‚The Weaver’s Answer‘ und Music From A Dolls’ House von Family und Fairport Convention. Das Wechselspiel zwischen den Gitarren von Richard Thompson und Simon Nicol. Tony war von Keith Emerson beeinflusst. Es ist schwer festzulegen, worin Peters Inspiration bestand. Er fuhr echt auf Tamla ab. In vielerlei Hinsicht war er sicher der Originellste von uns. Richard Macphail kaufte diesen ganzen Kram und wir hörten seine Platten. Wir hörten Simon & Garfunkel und Astral Weeks, was keiner von uns kapierte.“
Aber in dieser Zeit entstand ein unablässiger Strom frischen Materials, das neue Ansprüche an Form und Konzepte stellte – langgezogene Songs, die die Band als fünfköpfige Gruppe schrieb. Hier erblickten auch die Nummern, die später auf Platte gepresst werden sollten, das Licht der Welt. „The Knife“, „Stagnation“ und „Dusk“ wurden im Christmas Cottage geschrieben und die täglichen Proben brachten es mit sich, dass die Band nun mehr zu einer Live-Band wuchs. „Peter schrieb den Text zu ‚The Knife‘ im Cottage“, sagt Macphail. „Ich war in der Küche, kochte und war überrascht, wie er diese Zeilen über eine gewaltsame Revolution schrieb. Das wurde dann Routine. Immer wieder mal kam dieses tiefe Zeug hervor, aber meistens war er nur ein unglaublich freundlicher Typ, der hilfsbereit war und Tee kochte. Heute ist das nicht anders. Die Leute wollen ihn als britischen Mittelklasse-Jungen von der Privatschule abtun, aber er ist so viel mehr als das.“
Während dieser Zeit offenbarten sich Gabriel gleich zwei Dinge. Zum einen hörte er das Album In The Court Of The Crimson King von King Crimson. Es war im Oktober 1969 herausgekommen, also ungefähr zur selben Zeit, als die Gruppe ins Christmas Cottage gezogen war. Das Album veränderte alles. Wie der Texter von King Crimson, Pete Sinfield, sagt: „Bei Crimson King weigerten wir uns, alles zu spielen, was nach gewöhnlichem Pop klang. Wenn es sich nur irgendwie breitentauglich anhörte, flog es raus. Alles musste kompliziert sein, umständliche Akkorde beinhalten und sonderbare Einflüsse haben. Wenn es zu simpel war, machten wir es komplexer. Wir spielten dann in 7/8 oder 5/8, nur um anzugeben.“ Dieses Album sollte den Progressive Rock mehr als jedes andere Album beeinflussen.
In The Court Of The Crimson King bestand aus fünf längeren Songs, bot strukturierte Improvisation und schuf etwas komplett Jenseitiges. Angefangen beim Cover, das Barry Godber gestaltet hatte, war das Album sehr, sehr eigen und hatte überhaupt nichts mit der Getragenheit von From Genesis To Revelation gemeinsam.
„King Crimson setzten neue Maßstäbe in puncto Live-Konzerte“, sagt Anthony Phillips. „Diese unglaubliche Exaktheit, das jazzige Zeug bei ‚Schizoid Man‘, das Drama der größeren Nummern und die angedeutete Theatralik. Es war eine Blaupause für echt aufregende und dramatische Bühnenperformance, wohingegen wir sanfte, idyllische Akustik-Songs gespielt hatten. Und plötzlich war da dieser Arschtritt in Bezug auf echt aufregende, starke und dynamische Musik.“
„Am Anfang dachten wir, dass wir die Dinge überstürzen würden, obwohl wir uns schwer taten, nach unseren Vorstellungen zu spielen. Dann tauchten King Crimson auf. Wir hielten sie für phänomenal. Sie taten, was wir tun wollten, nur so viel besser“, sagte Gabriel 1971. Die hohe Kunst von Crimsons erstem Album und das entspannte, aber produktive Tempo im Cottage bestärkten auch Gabriels Wunsch, beim Schreiben und Aufnehmen nichts zu überstürzen. „Wir dachten uns, dass sie sich sicherlich nicht hetzen ließen. Warum also sollten wir das tun? Für uns nahmen King Crimson eine mythische Dimension an, weil sie unsere Ideale in die Praxis umsetzten – nicht nur musikalisch, sondern auch in Bezug darauf, wie man mit ihnen umging.“ Obwohl sich alle ihre Einflüsse stark auswirkten – von Banks’ Präferenz für klassische Klänge bis hin zu Gabriels R&B und die gemeinsame Liebe zu Bands wie Traffic und Family, war die Band vor allem von King Crimsons Platte besessen. Es war wahrscheinlich das letzte Album, das sie gemeinsam anhörten, während sie sich immer mehr in ihre eigene Musik und ihre baldigen Live-Auftritte stürzten.
Fünf Tage vor der Veröffentlichung der Crimson-LP lief zum ersten Mal Monty Python’s Flying Circus im britischen Fernsehen, was auf seine eigene Weise einen ähnlich tiefschürfenden Effekt auf Genesis haben sollte, so wie das bei den meisten britischen Jugendlichen dieser Zeit war. Inspirierst durch die unterschiedlichen Ausprägungen ihrer Oxbridge-Erziehung, lenkten die Pythons – so wie auch die Band – mehr Aufmerksamkeit auf die gehobene Mittelschicht. Python persiflierten das kleinstädtische, kleingeistige Großbritannien auf beinahe besessene und äußerst surreale Weise.
„Python beeinflussten unsere Alltagssprache und ermöglichten uns, über alles zu lachen“, sagt Phillips. „Ich erinnere mich an die dritte oder vierte Folge, in der Graham Chapman herumstolzierte und rief ‚Aufhören, das wird langsam echt blöd‘. Ich hielt ihn für Monty Python.“ Das Echo von Python bahnte sich vor allem in Form der zunehmenden Darstellung von Charakteren bei den drei Genesis-Alben, die zwischen 1971 und 1973 entstanden, ihren Weg in das Schaffen der Band. Figuren aus diesen einzigartig britischen Werken wie etwa „Harold The Barrel“ oder all die Charaktere aus „The Battle Of Epping Forest“ haben vermutlich ihren Ursprung in den surrealen Karikaturen aus Monty Python’s Flying Circus.
„Python waren fantastisch für uns“, sagt Banks. „Es kam nicht in Frage, die Show zu verpassen. Wir hatten denselben Sinn für Humor. Bis auf John Mayhew drückten wir uns gleich aus und dachten uns diese Phrasen aus, die wir alle verwendeten. Ant war der geborene Komiker. Wir lachten viel gemeinsam, obwohl wir auch viel stritten. Das lässt sich nicht leugnen. Von Anfang an wollten wir uns unsere Leichtigkeit bewahren.“
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Diejenigen Konzertveranstalter, die Gabriels Einladung folgten, waren einigermaßen unbeeindruckt. David Bowies Manager, Ken Pitt, schaute vorbei und ging wieder. „All diese Leute sollten von London kommen. Es ist außergewöhnlich, von wie vielen Unfällen sie aufgehalten wurden“, berichtete Gabriel. „Es gab damals mehr Gangster, aber auch viele farbenfrohe, wunderbare, schelmische Charaktere.“ Einer dieser Charaktere war Marcus Bicknall, der seine ersten Schritte in der Unterhaltungsindustrie unternahm und der Band ein paar ihrer ersten Auftritte verschaffte.
Richard Macphails Vater arbeitete für den Lebensmittelproduzenten Rank Hovis McDougall und organisierte ihnen einen alten Brotlieferwagen, den sie zu ihrem improvisierten Tourbus umfunktionierten. „John Mayhew baute eine wunderbare Bank ein, damit wir auch sitzen konnten. Er war ein viel besserer Zimmermann als Schlagzeuger. Aber wir konnten keine Gigs auftreiben.“ Zu diesem bizarren Vehikel gesellte sich bald ein ausrangiertes Taxi, das Gabriel für sich und seine Freundin gekauft hatte.
Gabriels Hartnäckigkeit zahlte sich endlich aus. Nach einem desaströsen Auftritt bei einer Party von Freunden von Gabriels Eltern, wo sie schließlich die wenigen Stones-Nummern, die sie spielen konnten, zum Besten gaben, spielten sie am 1. November 1969 an der Brunel University ihr erstes Konzert.
Das Set umfasste „In The Wilderness“ und „In Limbo“ vom ersten Album. Ansonsten standen nur neue Nummern auf dem Programm. Sie wussten nicht, wie sie sich auf der Bühne aufstellen sollten, die Instrumente verstimmten sich und es kam wiederholt zu Problemen mit der Lautstärke – und trotzdem gelang es ihnen, weitere Auftritte angeboten zu bekommen. Sie begannen die Show akustisch und bauten mit „The Knife“, das langsam zu ihrer Erkennungsmelodie wurde, Schwung auf. Bereits während dieser allerersten Shows kristallisierte sich eines der Markenzeichen von Genesis heraus: „Peters berühmte Ansagen ergaben sich aus den Pannen“, sagte Macphail. „Die wiederum ergaben sich, weil ich nie gelernt hatte, wie man richtig lötet. Ich war ein Autodidakt. Die Ausrüstung war ziemlicher Müll. Ein Alptraum. Deswegen fing Peter an, diese ausgeflippten Sachen auf der Bühne zu erzählen.“ Auch dass Gabriel stand, während die anderen saßen, er dabei eine Basstrommel mit dem Fuß spielte und einen langen schwarzen Umhang trug, wies die Truppe als andersartig aus.
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Mit ihrem Brotwagen, Gabriels außer Dienst gestelltem Taxi, dem professionellen Drummer und neuem Material in Hülle und Fülle waren Genesis mehr als bereit für das nächste Jahrzehnt und wild entschlossen, ein Label zu finden, das sie bei ihren Bestrebungen unterstützen würde. Von den zusammengestückelten Einkünften, die ihre Auftritte einbrachten, zu leben, war ja eine feine Sache, aber ein Label, das sie finanzieren sollte, wäre eine ganz andere. Außerdem mussten sie raus aus dem Cottage, bevor sie bleibende Schäden davontragen würden: „Als die Zeit voranschritt, wurde die Stimmung gereizter, und Pete litt am meisten darunter“, erzählt Anthony Phillips. „Er hatte diese Ideen, die wahrscheinlich zu gut für uns waren. Da er so langsam war und nicht sehr gut erklären konnte, war er nicht in der Lage, uns diese Ideen näherzubringen. Wir verhielten uns ziemlich abschätzig, was mir im Nachhinein leidtut. Er war uns vermutlich weit voraus.“
Nachdem sie Anfang 1970 vor Mott The Hoople (auch sie waren durch ihre Herkunft aus Herefordshire von der Londoner Szene isoliert und verstanden sich prächtig mit Genesis) im Farx im Städtchen Potters Bar aufgetreten waren, empfahl Ian Hunter die Band Guy Stevens, dem launischen Haus- und Hofproduzenten von Island Records.
„Genesis traten auch in Sunderland vor Mott auf“, erinnert sich Richard Macphail. „Ian Hunter verfolgte unser Set. Er stand neben mir am Mischpult. All diese Leute kamen auf ihn zu und fragten, was er da täte. Er meinte nur, dass er sich Genesis reinziehen würde. Er erzählte Guy Stevens und dem Konzertveranstalter David Stopps von der Band. Ich rief David an, um ihn nach einer Auftrittsmöglichkeit zu fragen. Er war einverstanden und sagte, dass ihm Ian Hunter von Genesis erzählt hätte.“
Nach ein paar einleitenden Unterhaltungen zwischen Genesis und Stevens, verlief die Sache im Sand. „Wir gingen zu Island in den Basing Street Studios“, sagt Macphail. „Island stand noch am Anfang. Sie hatten kaum Möbel dort. So saßen wir auf dem Boden und unterhielten uns. Es wurde nichts daraus. Er war ziemlich energiegeladen und hatte wilde Locken. Alles wäre ganz anders gewesen, wenn wir uns auf sie eingelassen hätten.“
Ein Tape mit dem Material, das im Christmas Cottage entstanden war, fand seinen Weg in die Hände des ehemaligen Yardbird Paul Samwell-Smith, der infolge dessen im Januar 1970 eine Aufnahmesession der Gruppe, deren Resultate für ein BBC-Porträt des britischen Malers Michael Jackson verwendet werden sollten, betreute. Die vier Songs, die aufgenommen wurden, „Provocation“, „Frustration“, „Manipulation“ und „Resignation“, boten einen Vorgeschmack auf die neue Ausrichtung der Band. Drei dieser Tracks sollten später im Rahmen ihrer bekanntesten Werke erneut auftauchen. Chris Wright, ein Querdenker bei Chrysalis Records, zeigte Interesse an Genesis. Jedoch war er strikt der Ansicht, dass keine Frauen die Band auf Tour begleiten dürften, was dem familiären Vibe widersprach, auf den Genesis bereits vertrauten, wenn sie unterwegs waren.
Am 11. März 1970 spielten Genesis auf dem Atomic Sunrise Festival im Londoner Roundhouse, das früher als Lokschuppen gedient hatte. Auch David Bowie, dessen Hit von 1969 – „Space Oddity“ – bereits als einmaliger Hit abgetan wurde, trat dort auf. Banks und Gabriel hatten ihn bereits seit seiner Zeit bei den Manish Boys auf dem Radar. Mittlerweile war er der Frontmann von The Hype, einer vierköpfigen Band, bei der Mick Ronson Gitarre und Tony Visconti Bass spielten. Es war einer ihrer ersten Auftritte überhaupt.
„Wir hatten nichts mit Bowie zu tun“, erinnert sich Phillips. „Die Bühne war sehr klein. Es war auch nicht sehr atmosphärisch. Ich weiß noch, dass David Bowie und Tony Visconti Raumanzüge trugen, aber alles war sehr gestresst, es war nicht viel Zeit.“
Gabriel und Bowie würden die nächsten beiden Jahre um Gigs in Großbritannien konkurrieren, wobei beide ihre Grenzen in puncto Bühnenpräsenz und Präsentation stets weiter pushen würden.
Mike Pinder von The Moody Blues zeigte auch Interesse an der Gruppe, nachdem er sie Anfang 1970 für seine neue Firma Threshold Records beobachtet hatte. Laut Banks habe er sie sogar aufgenommen. Banks spielte eine falsche Note am Ende von „Looking For Someone“. Pinder sah kein Problem darin. Banks aber schon. Und schon war Pinder aus dem Rennen. „Sie nahmen einen ganzen Abend mit Pinder auf und er bezahlte auch“, erinnert sich Macphail. „Tony konnte sich nicht wirklich für ihn erwärmen. Das ist deshalb witzig, weil ohne Mike Pinder nie das Mellotron dazugekommen wäre. Und Tony vollbrachte später tolle Dinge darauf.“
Nach einem Support-Gig mit Rare Bird kamen die Dinge für Genesis wirklich ins Rollen. Von allen Gruppen, mit denen sie bereits gespielt hatten, schaffte es nur Rare Bird, Rutherford und Banks zu deprimieren, weil sie so gut waren. Die Band aus London um Steve Gould und David Kaffinetti spielte einen bahnbrechenden, idyllischen, bluesigen Progressive Rock. Durch ihren Keyboarder Graham Field und ihren Produzenten John Anthony kamen Genesis in Kontakt mit dem Besitzer von Charisma Records, Tony Stratton-Smith, der sich mit ihnen in London treffen wollte.
Genesis hatten durch den Veranstalter Bicknell die Möglichkeit bekommen, ab dem 3. März 1970 jeden Dienstag sechs Wochen lang über Ronnie Scotts sagenumwobenen Londoner Jazz-Club in Soho auftreten zu dürfen. Es hörte sich besser an, als es war, da nicht oft mehr als eine Handvoll Leute im Publikum waren. Allerdings sollte sich ihr Gastspiel als Wendepunkt in ihrer Karriere erweisen.
Anthony erzählte Armando Gallo im Jahr 1977: „Es war, als würde man fünf sehr jungen Männern zuschauen, die auf gewisse Wiese zeitlos wirkten. Wenn man sie einzeln betrachtete, schienen sie so ziemlich jeden Fimmel auf der Welt zu haben. Als ob sie sehr zu kämpfen hätten. Aber als Einheit waren sie größer als die Summe ihrer Einzelteile. Ich war ziemlich erstaunt.“
Anthony drängte Stratton-Smith, ein Konzert der Band zu besuchen – und im März 1970 traf die Band schließlich den Mann, der ihr Leben verändern sollte. Stratton-Smith war hin und weg.
„Sie waren so unglaublich gut“, sagte er 1977. „Sie waren anders. Sie hatten ihre eigene Sprache und ein eigenes Feeling. Man merkte, dass sie die Fähigkeit besaßen, dreidimensional zu sein.“ Die Leiterin des Büros von Charisma erinnert sich noch gut: „Graham, der Keyboarder von Rare Bird, gab uns eine Kassette von Genesis, die irgendwo vor ihnen aufgetreten waren, und sagte, dass wir sie uns mal anhören sollten. Sie standen zu fünft auf der Bühne. Davor standen ebenfalls fünf Leute: ich, mein Bruder Glen, Stratton-Smith, John Anthony und wahrscheinlich mein erster Mann Fred Munt. Sie waren total originell. Peter stand nicht nur vorne auf der Bühne, sondern trat auch eine Bass-Drum und spielte Flöte. Die Texte waren unglaublich, die Melodien sehr schön. Wir waren alle beeindruckt.“ Innerhalb von zwei Wochen unterzeichneten Genesis bei Tony Stratton-Smiths aufkeimendem Label Charisma Records.
Die Nähe von Ronnie Scotts Club zu Stratton-Smiths Büro in Soho bietet Platz für allerlei Spekulationen, die sich nahtlos in eine Reihe mit zahlreichen anderen theoretischen Fragen einfügen: Was wäre, wenn Richard Macphail 1966 Charterhouse nicht verlassen hätte? Was wäre, wenn Jonathan King nicht auf Besuch gekommen wäre? Was wäre, wenn Christmas Cottage nicht zur Verfügung gestanden hätte? „Wenn der Club sich nicht ganz in der Nähe des Büros befunden hätte, wäre es wahrscheinlich nie passiert“, lacht Macphail. „John Anthony sah die Band und schleppte anschließend Strat auf ein Konzert. John sagte ihm, dass er diese Band sehen müsse. Er ließ sich überreden und so kam alles zustande.“
„Strat mochte die Band und dachte, sie würde gut zu sein Label passen“, sagt Banks. „Wir erhielten ein Honorar von 10 Pfund pro Woche, das uns zwar von unseren zukünftigen Einnahmen abgezogen wurde, aber wir konnten mit ihnen machen, was wir wollten. Das war fantastisch.“