Читать книгу Peter Gabriel - Die exklusive Biografie - Daryl Easlea - Страница 14

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„Es ist mir egal, wie sie reagieren, solange sie überhaupt reagieren. Ich würde mir nur dann Sorgen machen, wenn sie gar keine Reaktion zeigen würden.“

– Peter Gabriel, 1972

Er war wohl kaum ein wilder, ausgestoßener Hard-Rocker, und doch hob sich Peter Gabriel, dieser beinahe abstinente, cleane, von Gandhi inspirierte und verheiratete Vegetarier, auf seine Weise vom Rest der Gruppe ab. Er entwickelte sich zu einem charmanten, intensiven und entrückten Mann, der in der Öffentlichkeit bereits als das Gesicht dieser introspektivsten aller Prog-Rock-Bands wahrgenommen wurde. „Ich erinnere mich, dass ich auf einer Tour mit ihm zusammen früh aufstand, um durch die Kanäle in Sheffield zu rudern“, sagt Paul Conroy. „In Italien fand er die Zeit, in Kunstausstellungen zu gehen. Das war ganz anders als bei anderen Bands, die jede Nacht bis vier Uhr aufblieben und dann den ganzen Tag verkatert waren.“

Es passierte vieles sehr schnell in der Zeit nach der Veröffentlichung von Nursery Cryme. Das Album war ein großer Hit in Italien, wo es bis auf Nummer 4 stieg. Daher machte sich die Band auf den Weg, um die erste Tour außerhalb Englands in Angriff zu nehmen und in Italien zu spielen, bevor man auf dem Heimweg noch in Deutschland und Belgien gastierte.

In vielerlei Hinsicht ging in Italien als erstes ihr Stern auf. Sie reisten dorthin als voll ausgereifte Band und spielten vor Publikum, das wenig bis gar nichts von den Personalproblemen, die die Band heimgesucht hatten, mitbekommen hatte. Hier spielten sie nicht vor gleichgültigen Mengen im Vorprogramm, sondern waren erfolgreiche Künstler. Sie mussten sich nicht sorgen, vor oder nach wem sie auftraten, denn hier hieß es schlicht: „Genesis In Concerto“. An manchen Abenden trat ein akustischer Act vor ihnen auf, aber es bestand keine Eile, ihr Equipment im Anschluss aufzubauen, und das Publikum lauschte aufmerksam und war bereits mit ihrem Material vertraut.

Paul Conroy begleitete die Band und übernahm die Rolle eines inoffiziellen Road-Managers. „Nach Italien zu fahren“, erinnert sich Conroy, „war eine Riesenmöglichkeit für sie. Es gab ein Grüppchen von drei oder vier italienischen Konzertveranstaltern, die ins Marquee kamen und nach Acts schnüffelten, die sie nach Italien bringen könnten. Einer von ihnen, Maurizio Salvatore, war derjenige, der Genesis mitnahm. Es war ein bisschen wie im Wilden Westen da unten. Uriah Heep tourten in Italien und weigerten sich, auf kleinen Bühnen aufzutreten. Der Konzertveranstalter zerschoss daraufhin die Reifen ihres Vans. Als ich das erste Mal mit Van Der Graaf Generator dorthin fuhr, brach auf der Straße ein Aufstand aus.“

Genesis und Conroy kamen sich auf der Tour näher: „Es freute sie, mich in Italien dabeizuhaben. Ich reiste mit ihnen und hielt meine Ohren offen. Wir halfen alle zusammen.“ Alles lief ein wenig anders ab, als man das von den Konzerten in England gewohnt war. „Wir spielten in der Regel zwei Shows. Zuerst eine um drei Uhr am Nachmittag, damit auch Mädchen kommen konnten. Und bevor wir dann die zweite Show spielten, aßen wir noch zu Abend“, sagt Conroy. Es war eine großartige Lernerfahrung: „Zwei, drei Wochen jeden Abend aufzutreten, war fantastisch für sie, weil sie in England dazu nie die Möglichkeit bekamen. Man spielte halt mal am Freitag und dann noch am Samstag, aber sonst ergaben sich nicht wirklich mehr Gigs für sie. Sie waren nur schwer an den Mann zu bringen, weil sie in vielen englischen Clubs nicht auftreten wollten, was an ihrer Ausrüstung lag. Sie spielten an ein paar der größeren Örtlichkeiten, aber es waren die David Stopps dieser Welt, die ihnen erlaubten, auf Kurs zu bleiben.“

Für Gabriel war die Tour der Beginn einer Liebesbeziehung zu Italien, die schließlich drei Jahrzehnte später darin gipfeln würde, dass er sich ein Hotel auf Sardinien kaufte. „Die starken Melodien und sakralen Einflüsse schienen in der Mittelmeer-Region gut anzukommen“, sollte er später sagen. „Je weiter südlich wir auftraten, desto wärmer war der Empfang.“ Und das wirkte sich wiederum sehr förderlich auf das kreative Klima aus: Während eines Soundchecks am 12. April im Palasport in Reggio entstand der Song „Watcher Of The Skies“, der zu einem Eckpfeiler der nächsten Phase von Genesis werden sollte. Mit seinen seltsamen Arrangements, den Auftritten am Nachmittag, den Mahlzeiten zwischen den Konzerten und einer Show vor 20.000 Menschen in Rom war Italien ein großer Schritt für Genesis hin zu jener Liveband, die wir heute kennen. Detailverliebt analysierten sie jeden Tag auf dem Weg in die nächste Stadt die Performance des Vorabends. „Jedes Mal, wenn ich mit ihnen mitfuhr, mussten wir uns im Van die Aufnahme des Konzerts vom Vorabend anhören“, lacht Conroy. „Sie waren eben Perfektionisten. Und wenn wir uns durch die vier Stunden lange Aufnahme gekämpft hatten, spielten sie die Shadows.“

„Es bestand stets die Absicht, noch besser zu werden“, ergänzt Steve Hackett, „was sich anhört, als würde man es in einer Grabesrede verwenden können!“

„Wir steckten irgendwie fest – und dann sahen wir in Italien diesen Silberstreifen am Horizont“, sagt Mike Rutherford. „Es war sehr harte Arbeit, wir mussten uns einen steilen Anstieg hinauf kämpfen. Plötzlich ein Land zu finden, in dem du gemocht wirst … Es braucht gar nicht so viel, damit sich alles auszahlt.“

***

Zurück in Großbritannien war der Terminplan der Band erbarmungslos, aber Conroy versichert, dass zwischen der Agentur und Genesis Einverständnis herrschte: „Peter rief mich aus einer Telefonzelle aus Whitely Bay an. Ich hatte sie zu einem Freitagskonzert geschickt, das aber abgesagt wurde, und vergessen, ihnen zu sagen, dass sie am nächsten Abend in Sunderland spielen würden. Die Agentur musste ihnen nun Geld für ein Hotel zuschießen, aber ich denke, das war das einzige Mal, dass wir Mist bauten.“ Am 29. Mai spielte die Gruppe auf dem Great Western Festival in Bardney. Das Festivalgelände hatte sich durch heftigen Regen in einen Sumpf verwandelt und Genesis spielten auf der Hauptbühne zwischen den Sutherland Brothers und Status Quo.

Bei diesem Gig vertraute Gabriel erstmals auf einen neuen Look, der an einen stark geschminkten ägyptischen Prinz mit teilweise rasiertem Schädel (entweder der Ausdruck eines unterbewussten Bedürfnisses, sich der Hare-Krishna-Bewegung anzuschließen, oder ein fataler Rasierunfall, wie er selbst scherzte) erinnerte. In einer Ära, als Marc Bolan und David Bowie Make-up trugen, war das nicht so außergewöhnlich, aber trotzdem vollbrachte es Gabriel – was bemerkenswert ist –, für einen Rockstar ungewöhnlich und im Großen und Ganzen sehr, sehr seltsam auszusehen. Erwähnenswert war auch, dass die Nummer „Watcher Of The Skies“ – nebst dem mittlerweile feinst ausgefeilten und auch auf dem Festland erprobten Material – zu seinem Live-Debüt kam. Das feuchte Wetter wirkte sich sehr nachteilig auf das Mellotron aus und die ganze Band musste sich mannhaft durch den nachmittäglichen Auftritt kämpfen, doch war auch klar erkennbar, dass sie immer makelloser wurden. Obwohl Gabriels Look ziemlich abgefahren war, behauptete Tony Banks 2004, dass das Publikum ihren Aufwand und ihre Mühe nicht zu würdigen wusste. „Sie mochten uns nicht. Wir traten am Nachmittag auf und da war keine Stimmung, nichts. Es regnete. Echt beschissen. Wir waren leider nie eine gute Festival-Band, dafür war die Musik zu komplex.“

Der Tour-Van rollte über die Schnellstraßen Großbritanniens – und doch gab es wenige Gelegenheiten, über die Stränge zu schlagen. Gabriel und Jill reisten oft getrennt von der Band, was auch auf Banks und seine Bald-schon-Ehefrau Margaret zutraf. Macphail, Collins und Rutherford waren noch eher für traditionelle Albernheiten zu haben. „Peter, Jill, Margaret und ich bildeten eine soziale Einheit“, sagt Tony Banks. „Wir unternahmen viel miteinander. Margaret und Jill sind heute noch befreundet. So viel hat sich seitdem verändert, da ist es nicht ganz leicht, sich an all das zurückzuerinnern. Wir waren jung, extrem naiv und grün hinter den Ohren. 19-Jährige können heutzutage ziemlich pfiffig und abgeklärt sein, aber wir waren noch nicht ganz ausgereift. Mit 17 waren wir wie heute 13-Jährige gewesen. Wir stammten aus dem System der Privatschule, also fühlten wir uns unglaublich unbehaglich und waren sehr schüchtern.“

„Mike, Phil und ich waren diejenigen, die gerne kifften“, sagt Macphail. „Allerdings nur auf dem Rückweg von einem Gig. Da gab es ein bestimmtes Straßenschild auf der M1, das unser Startsignal war. Phil reiste gerne mit der Crew im Van. Da waren Hillman Imp, Gerard Selby und ich. Phil fuhr mit uns, weil er gerne etwas früher vor Ort war. Ich hatte einen Kassettenrekorder und er bastelte diese unglaublichen Mixtapes mit Yes und John McLaughlin drauf.“

„Richard spielte eine sehr zentrale Rolle“, sagt Hackett. „Er war rund um die Uhr für die Band da. Er machte alles großartig und stets mit einem Lächeln im Gesicht.“ Am 16. Juni 1972, bei einem der vielen Auftritte im Friars, erreichte die Band einen Meilenstein in ihrer Karriere. „Ich war der erste, der ihnen 100 Pfund bezahlte“, sagt Stopps. Er hatte, nachdem er ihnen bei ihrem ersten Auftritt in Aylesbury 10 Pfund gezahlt hatte, ihre Gage kontinuierlich angehoben. „Peter schüttelte mir auf der Bühne deswegendie Hand.“ Diese 100 Pfund wären heute ein bisschen mehr 1.000 Pfund wert. Das wäre gutes Geld gewesen, wenn die Band jeden Abend in der Woche gespielt hätte, aber so war es noch immer nicht genug, um die anwachsenden Schulden der Band einzudämmen. Die Geldsorgen, zu wenig Ausrüstung und die Tatsache, dass ihr Schaffen zwar respektiert wurde, aber nicht unbedingt eine Begeisterungswelle auslöste, führte zu einem gewissen Grad an Unsicherheit. Vielleicht hätte Gabriel doch auf die Londoner Filmschule gehen sollen.

Gerade einmal zwölf Tage später, am 28. Juni, verschaffte Stopps der Band einen weiteren Schub, indem er für sie eine besondere Show on der Watford Town Hall organisierte. Da er begriff, dass die Band schon bald zu populär für seine Auftrittsmöglichkeiten sein würde, veranstaltete er das Konzert als eine Art Dankeschön für die fruchtbare Zusammenarbeit. Aber es war auch eine Art Auffrischung ihres Selbstvertrauens. „Sie hatten diese schräge Phase, in der ihr Equipment ständig kaputtging und sie ein bisschen finanzielle Unterstützung nötig hatten, damit sie sich eine anständige Ausrüstung oder einen weiteren fähigen Roadie leisten konnten, der sich so um die Ausrüstung kümmerte, dass sie nicht dauernd kaputtging. Ich hatte Angst, dass sie sich auflösen würden, da sie eine so wichtige Rolle für unsere Unternehmungen spielten. Wir dachten, wir würden ihnen einen besonderen Auftritt organisieren und es eine Genesis-Convention nennen. Das war dann das Konzert in der Watford Town Hall.“

Stopps lud Chris Welch vom Melody Maker sowie weitere namhafte Journalisten zur Convention ein und Gabriel bastelte Ansteckrosetten, auf denen „GENESIS 72“ stand, die er ins Publikum streuen wollte. Im Melody Maker wurden Werbeanzeigen mit Aufmachern wie „Genesis-Freaks vereinigt euch!“ aufgegeben. Als der große Abend gekommen war, brach erneut ihre Ausrüstung zusammen. „Aber irgendwie schrieb Chris Welch trotzdem diese tolle Kritik im Melody Maker“, sagt Stopps. „Das steigerte ihren Bekanntheitsgrad.“

Stopps wusste, dass Genesis kein starkes Management im Rücken hatten, das ihnen helfen würde, die nächsten Stufen auf dem Weg zum Erfolg zu nehmen, da Stratton-Smith vornehmlich mit seinem Label beschäftigt war. „Man kann sagen, dass ich eigentlich mit der Convention in Watford die Arbeit eines Managers getan hatte“, sagt er. „Ich war ein Konzertveranstalter, aber hier erfüllte ich die Aufgabe eines Managers.“

Paul Conroy war dabei behilflich, den ersten Genesis-Fanclub namens Hogweed Appreciation Society aufzubauen. Er hatte sein Hauptquartier in der Marktgemeinde Winslow, in der Nähe von Aylesbury, und wurde von Amanda Gardner geleitet. „Ich weiß noch, dass ich mit zwei Mädchen Paul Conroy in seinem Büro bei Charisma in Soho besuchte“, erinnert sich der alte Friars-Veteran Kris Needs. „Sie wollten ihren eigenen Fanclub, obwohl es ihnen mehr darum zu gehen schien, Peter etwas näherzukommen. Damals half ich gerade bei Bowies Fanclub, bevor ich dann den Mott-The-Hoople-Fanclub leitete, also konnte ich mich nicht selbst darum kümmern.“

Genesis fuhren im August erneut nach Italien und spielten wieder vor größeren Menschenmengen. „Italien war sehr wichtig“, sagte Hackett 2013. „Es schuf bei uns das Bewusstsein, dass wir auch in großem Maßstab erfolgreich sein konnten.“ Begleitet wurde die Band von Tony Tyler vom NME. „Wir hatten mittlerweile einen drei Tonnen schweren Truck“, erinnert sich Conroy. „Es war alles sehr professionell, aber die Akustik der italienischen Sportstätten war abscheulich. Die Italiener liebten sie trotzdem. Sie haben einen ganz natürlichen Zugang zur Musik und brachen etwa in spontanen Applaus in der Mitte eines Songs aus. Zur letzten Show auf dieser zweiten Italien-Tour kamen mindestens 10.000 Menschen ins Palazetto dello Sport. Den Sonntag darauf spielten Genesis dann wieder in einem Keller-Club in Peterborough vor 20 Leuten. Wenn sie zuvor nicht in Italien gewesen wären, hätten wir vielleicht das Handtuch geworfen. Dort unten waren sie von Anfang an Stars.“

Am 2. September 1972 trat die Band ein letztes Mal im Friars aus. „Jeder Auftritt unterschied sich etwas vom letzten Mal, aber ihre Einstiegsnummer war immer sehr dramatisch“, erinnert sich Kris Needs. „Besonders wenn es sich dabei um ‚Watcher Of The Skies‘ handelte. Der ganze Club war sofort in heller Aufruhr.“ Abseits der Bühne jedoch waren Genesis absolute Gentlemen. „Sie waren sehr angenehme, höfliche Zeitgenossen“, fügt Needs hinzu. „Sie waren nur ein paar Jahre älter als wir, aber wenn du so jung bist, macht das einen großen Unterschied aus. Ich muss daher wie ein plapperndes Kind auf sie gewirkt haben. Peter wirkte sehr schüchtern, aber war immer nett und zuvorkommend gegenüber seinen Fans. Er fing an, die Leute in Aylesbury wiederzuerkennen und nahm sich Zeit, sich mit ihnen zu unterhalten. Rückblickend waren wir ihre ersten enthusiastischen Fans.“

***

Um ihren zunehmenden Erfolg noch zu unterstreichen, wurde die Band von John Peel eingeladen, mit ihm am 25. September eine Session für seine Sendung Sounds Of The 70s aufzunehmen. Obwohl ihre Performance irgendwie verhalten klang, zeigte sie doch, wie kompetent die Gruppe mittlerweile war. Die Songs „Twilight Alehouse“, „Watcher Of The Skies“ und „Get ’Em Out By Friday“ wurden in der Sendung als Vorgeschmack auf das nächste Album vorgestellt. Gabriel hatte selbst in einem Interview offenherzig erzählt, dass die Band mit circa 14.000 Pfund in den Miesen war. Conroy denkt zurück: „Als Foxtrot herauskam, war eine der Fragen, die sich stellte, ob es überhaupt weitergehen sollte. Es war ihr drittes Album und langsam waren sie sich nicht mehr sicher, ob sie sich diesen Luxus noch leisten konnten. Das große Dilemma bestand darin, dass sie die Medien immer noch relativ stiefmütterlich behandelten, obwohl sie sich langsam eine ansehnliche Anhängerschaft erspielt hatten. Um Genesis an diesem Punkt auf eine vernünftige Tour schicken zu können, benötigten sie mehr Equipment und größere Soundanlagen.“ Es musste etwas geschehen, um die Aufmerksamkeit auf die Band zu lenken.

Die Situation änderte sich schließlich am 28. September 1972. An diesem Abend trug Gabriel das rote Kleid seiner Frau Jill und einen Fuchskopf auf der Bühne des Dublin Stadium. Innerhalb einer Woche erschienen sie auf dem Titelblatt des Melody Maker und konnten ihre Gagenansprüche verdoppeln.

„Ich hatte mich mit Paul Conroy unterhalten, der unsere Gigs buchte“, erzählte Gabriel 2005. „Er hatte vorgeschlagen, dass wir jemanden anstellen sollten, der auf der Bühne in einem Kostüm der Figur, die Paul Whitehead für das Albumcover zeichnete – ein Fuchs in einem roten Kleid –, herumlaufen sollte. Aber dann dachte ich mir, dass ich das versuchen würde, und sah mich nach jemandem um, der mir so einen Fuchskopf machen konnte.“ Es sollte ein faszinierendes Spektakel für den Schlussteil von „The Musical Box“ auf die Bühne gestellt werden.

„Glenn Colson hatte ihnen gesagt, dass sie einfach zu langweilig für Leute wie Roy Hollingsworth vom Melody Maker wären“, entsinnt sich Conroy. „Genesis war kein rauer Rock’n’Roll, die Band passte nicht zu den Uriah Heeps dieser Welt. Peter war absolut für die Idee mit dem Kleid. Wir waren nur ein wenig besorgt, da Lou Reed etwas Ähnliches probiert hatte. Und dann kam die Idee mit dem Fuchskopf. Peter hatte sich bereits über der Stirn zu rasieren begonnen, womit ebenfalls ein wenig Aufmerksamkeit erregt werden sollte.“ Gabriel weihte den Rest der Band nicht in sein Vorhaben ein. Es war einfacher so. „Wir hätten wohl gefragt: ‚Echt jetzt?‘“, lacht Mike Rutherford. „Ich glaube nicht, dass wir zugestimmt hätten – oder zumindest hätten wir es ihm nicht leicht gemacht.“

„Er wusste, dass Tony sich quergelegt hätte“, sagt Macphail. „Also verschwand er kurz in der Mitte von ‚The Musical Box‘ und kam in dem roten Kleid und dem Fuchskopf zurück. Was hätte Tony da tun sollen? Aufhören zu spielen? Daran hatte er sicher kurz gedacht. Die Menge tobte jedenfalls. Mission erfüllt. So ist Peter eben, ein fantastischer Visionär. Sie hätten am liebsten hinter einem schwarzen Vorhang gespielt, um die Musik für sich selbst sprechen zu lassen, aber schrittweise begriff Peter, dass alles ins Nichts führen würde, wenn nicht jemand – nämlich er – für ein bisschen Show sorgen würde.“

Gabriel ruft sich die Reaktion vor Augen: „Man konnte den Horror fühlen und ich dachte mir, dass das ziemlich aufregend war.“ Gail Colson erinnert sich an die Rolle ihres Bruders Glen als Pressesprecher des Labels: „Eines Tages jammerten sie Glen an, dass er ihnen keine Presse verschaffe. Er sagte darauf: ‚Weil ihr langweilige alte Scheißer seid und nichts los ist bei euch!‘ Und dann setzte sich Peter den Fuchskopf auf und schlüpfte in eines von Jills Kleidern – und umgehend waren sie auf dem Cover von Melody Maker.“

Am 7. Oktober schrieb Chris Charlesworth im Melody Maker: „Gabriel trägt eine – bemerkenswert naturgetreue – Fuchsmaske und ein langes, rotes Kleid. Der Effekt ist beängstigend, aber damit werden unaufmerksame Gemüter zurückgewonnen, während auf beiden Seiten der Bühne brennendes Magnesium explodiert. ‚Musical Box‘ und ‚Giant Hogweed‘ werden vom Publikum wie alte Freunde begrüßt und Genesis verlassen unter stehenden Ovationen die Bühne.“ 2013 fügte Charlesworth noch hinzu: „Ich kam nie dahinter, ob sie es aus künstlerischer Überzeugung taten – oder um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Egal, es hat funktioniert.“

Natürlich war Gabriel nicht der einzige Musiker, der 1972 mit Make-up und Performance experimentierte. Glam Rock war gerade in vollem Schwung und nicht nur der geschminkte Marc Bolan bewies, dass Gitarrenriffs à la Eddie Cochran und Federboas nicht unbedingt ein Widerspruch sein mussten – sehr zur Freude von Horden von begeisterten Mädchen. David Bowie, der mit Genesis gemeinsam bereits 1970 in Roundhouse aufgetreten war, war ebenfalls ein gerngesehener Act im Friars, wo er im Juni 1972 seine neue Kreation und sein Alter-Ego Ziggy Stardust der Welt präsentierte. Manche Beobachter sahen eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Grenzgänger aus Bromley und Gabriel. „Mir ist das nie aufgefallen“, sagt Kris Needs. „Bowie kam erst 1972 mit Ziggy an und Peter war da schon auf seinem eigenen Trip. Er schien im September 1972 mehr Eyeliner auf den Konzerten zu tragen, aber das war es auch schon. Wenn überhaupt, dann war es Bowie, der sich ein paar Ideen bei Peter abschaute.“ Die Ähnlichkeiten zwischen Peter Gabriel und David Bowie lagen auf der Hand. David Buckley schrieb sogar in seiner Bowie-Biografie: „Wenn Bryan Ferry als Agent provocateur mit Bowie auf einer Stufe stand, dann war es Peter Gabriel, der ihm, in den Augen vieler, in puncto Selbstdarstellung das Wasser reichen konnte.“

Die Gruppe – vor allem Banks – war bereits zu Charterhouse-Zeiten auf Bowie aufmerksam geworden. „Ich mochte ‚I Can’t Help Thinking About Me‘, weil es abenteuerliche Akkorde verwendete und eine gute Melodie hatte“, sagt Banks. „Ich verfolgte sogar seine Phase bei Decca, als er eine Art Anthony Newley war. Ich liebte alles von ihm bis Hunky Dory. Alles, was danach kam, gefiel mir auch, aber nicht im selben Ausmaß. Er ging in eine andere Richtung und widmete sich dem Minimalismus.“

„Ich war ein großer Bowie-Fan“, erzählte Gabriel Buckley. „Es ist komisch, dass es Tony war, der auf Bowie stieß, als eine seiner frühen Singles herauskam. Ich war dann ab Bowies zweiter Inkarnation dabei. Bowies Fähigkeit, sich in Atmosphäre, Charaktere und Arrangements zu vertiefen, und was er mit dem Gesang machte, gefielen mir sehr. Ich glaube, wir bewegten uns auf ähnlichen Wegen. Dann lagen wir eine Nasenlänge vor Bowie und es kam Ziggy Stardust, gestellte Blowjobs und der ganze Rest – und schon zog er an uns vorbei. Wir waren immer noch stark und wurden geliebt, aber er war definitiv ein Phänomen.“

„Peters Entscheidung, sich den Scheitel zu rasieren, Masken zu tragen und eine theatralischere, Bowie-mäßige Richtung zu verfolgen, machte einen riesigen Unterschied aus“, sagt Ant Phillips. „Es wurde zu einem vitalen Teil seines Acts.“

„Peter hat immer gerne mit solchen Dingen experimentiert“, sagt David Stopps. „Ich denke, Bowie beeinflusste ihn dabei zu einem gewissen Grad. Wir hatten sehr viel mit Bowie zu tun, immerhin hat er bei uns Ziggy Stardust vorgestellt. Ich denke, Peter war beeinflusst von den Figuren, mit denen Bowie herumspielte, etwa Ziggy oder Aladdin Sane. Er kopierte ihn sicherlich nicht, aber er ließ sich inspirieren. Er fand, dass das eine interessante Sache sei – verschiedene Masken und Looks gehörten zu dieser Art von Identitätsentwicklung dazu. Ich musste immer lächeln und mich daran erinnern, dass das alles zum Entertainment gehörte. Während Bowie aber zu der Person, die er darstellte, wurde, verstand es Peter einfach als Maske.“ Bowie trat erst im Juli 1972 mit „Starman“ bei Top Of The Pops auf, also nachdem Gabriel geschminkt beim Great Wester Festival auf der Bühne gestanden war.

Die Broschüre zur Genesis-Tour Anfang 1973 beschrieb Peter Gabriels Bühnenauftritt als „erschreckender als Alice Cooper und abgedrehter als David Bowie, aber noch einmal: es sind natürliche und keine gestellten Darstellungen, die die Charaktere, die er besingt, auszeichnen und die Herzen des Publikums bezaubern.“ Die Charaktere, in die Gabriel schlüpfte, gehörten zum jeweiligen Song. Bowie wurde hingegen zu einer zentralen Figur.

Gabriel verehrte Bowie, aber seine öffentlichen Liebeserklärungen wurden von Bowie nie erwidert. Gabriel bemühte sich in Folge, stets auf der Hut zu sein, wenn er mit Interviewern über ihn sprach. So auch 1974 im US-Magazin Circus:

„Circus: Lässt du dich von Bowies Kostümen beeinflussen?

Gabriel: Ich denke, wir gingen schon vor ihm in diese Richtung. Sicher bin ich mir aber nicht.

Circus: Denkst du, dass du ihn beeinflusst hast?

Gabriel: Nein, das würde ich auch nicht behaupten.

Circus: Was, denkst du, sind die grundlegenden Unterschiede zwischen Bowies und deinen Kostümen?

Gabriel: Soweit ich das überblicke, will er mit ihnen einen gewünschten Effekt erzielen. Sie sind nicht so wichtig für die Songs an sich. Wohingegen wir versuchen, ein paar der Charaktere aus den Texten zum Leben zu erwecken.“

***

Gabriel fühlte sich rasch wohl in der Haut seiner neuen Bühnenpersönlichkeit. Als er im Melody Maker darauf angesprochen wurde, antwortete er: „Es ist mir egal, wie sie reagieren, solange sie überhaupt reagieren. Ich würde mir nur dann Sorgen machen, wenn sie gar keine Reaktion zeigen würden. Ich hoffe, dass es die Leute entweder wunderlich oder amüsant finden.“ Wunderlich und amüsant war es tatsächlich. Gabriel schlüpfte nun auf der Bühne in eine Reihe von Charakteren. Gegenüber einem Journalisten in Los Angeles merkte er an: „Es ist leichter, über die Masken als über Akkord-Abfolgen zu schreiben, und die Leute wollen so etwas auch gar nicht lesen, weil sie es nicht verstehen oder es sich einfach nicht gut liest.“

„Das Problem war“, lacht Mike Rutherford, „dass man eben nicht viel über Musik schreiben kann. ‚Wummernder Bass‘, ‚donnernde Drums‘ – aber was kommt dann? Alles Visuelle war viel leichter zu beschreiben. Peters Kostümierungen und später die Leinwände, die Dias und Lightshow garantierten, dass es etwas gab, worüber man schreiben konnte. Das störte mich nie sonderlich.“ Gail Colson sah gerne dabei zu: „Nichts schockierte mich wirklich und Peter hatte eine sehr lebhafte und ergiebige Fantasie.“ Steve Hackett wartete stets ungeduldig, was für spannende neue Innovationen Gabriel als nächstes aus dem Hut ziehen würde: „Ich fand das alles mehr lustig als überraschend! Ich stand hinter ihm. Mir gefiel diese Art der Präsentation.“

Gabriel war bereit und offen dafür, die Band zu promoten. Er und Jill lebten in der Campden Hill Road in Notting Hill. „Peter war ein attraktiver Junge und sehr schlau“, erinnert sich Conroy. „Er kümmerte sich um die Öffentlichkeitsarbeit. Ein absoluter Frontmann. Peter war auch viel mehr in London als die anderen, die irgendwo außerhalb wohnten.“

Es waren definitiv die Masken und die visuellen Elemente, die Genesis auf die nächste Ebene beförderten. „Es war alles sehr fotogen, was dazu führte, dass sie wahrscheinlich – im Verhältnis zu ihrer Popularität – mehr Berichterstattung bekamen, als ihnen zugestanden wäre“, erklärt Chris Charlesworth, der mittlerweile der Nachrichtenredakteur bei Melody Maker war und teilweise mitverantwortlich dafür war, wer auf das Cover kam. „Es war toll, ihn etwa als alten Mann oder als Fuchs oder als Sonnenblume verkleidet auf dem Titelblatt zu haben – sehr auffällig, sehr dramatisch. Ich bezweifle nicht, dass unsere wohlmeinende Berichterstattung ihnen enorm weiterhalf.“

Chris Welch, einer der frühesten Bewunderer der Band, schrieb in seinem Buch The Secret Life Of Peter Gabriel über ihr erstes Treffen: „Ich fand ihn nicht nur charmant, sondern auch sehr verletzlich, sonderbar mysteriös und manchmal wie von einer unheimlichen Präsenz besessen. Ich spürte, dass er eine geistige Macht über Menschen hatte, wenn er sie mit seinem durchdringenden Blick fixierte und dabei lächelte, als würde er auf ein intuitives, dunkles Wissen zurückgreifen können. Dann löste er den Bann mit einem knarrigen Lachen und die Stimmung, die er beliebig heraufbeschwören konnte, löste sich und verflüchtigte sich rasch in eine andere Sphäre.“

Gabriels Präsenz und Persönlichkeit haben zweifellos eine verführerische Wirkung, wie auch Phil Collins meinte: „Pete gab sich immer sehr vage. Auf einen Beobachter kann das so wirken, als wäre er total high, obwohl er in Wahrheit immer komplett nüchtern war.“ Paul Conroy fügt noch hinzu: „Ich weiß noch, als er dieses Haus in der Campden Hill Road hatte und sich nie auf irgendetwas derartiges einließ, obwohl er sich ein paar ziemlich interessante Charaktere ausdachte.“ Charlesworth fasst die Gefühle vieler in Bezug auf Gabriel während dieser Ära zusammen: „Peter war ein sehr ernster Kerl, der ernsthafteste aus seiner Truppe. Er sah aus, als würde er sich ständig Gedanken machen – als wäre er niemals frei von Sorgen.“ Gabriel handelte mit Bedacht und großer Ernsthaftigkeit. So sorgte er sich über seine relative Armut und die Belastung, die es mit sich brachte, ein jungverheirateter Mann in einer tourenden Rockband zu sein. Auch darüber, rechtzeitig Songtexte beisteuern zu können, machte er sich seine Gedanken. Und da gab es nun so einen Song, den er versuchte zu vollenden – er beruhte auf einer wahren Begebenheit und erwies sich als besonders schwierig umzusetzen.

Peter Gabriel - Die exklusive Biografie

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