Читать книгу Renovatio Europae. - David Engels - Страница 13

4. Der moralische Imperialismus des modernen Europa

Оглавление

Macron behauptet in seinem Aufruf: »Europa als Ganzes spielt eine Vorreiterrolle, denn es hat von jeher die Maßstäbe für Fortschritt gesetzt.« Für wen? Für die gesamte Welt? Und wann genau? Wie soll das mit der herkömmlichen Kritik am angeblich omnipräsenten Eurozentrismus einhergehen, welcher zudem ironischerweise gerade den Konservativen zur Last gelegt wird? Und welcher Fortschritt ist hier gemeint – scheinbar wohl auch der moralische und politische? Dies ist freilich eine sehr bedenkliche Haltung, welche ein wenig an das Interview erinnert, das Bruno Le Maire vor einigen Monaten dem Handelsblatt gab, und in dem es hieß, »daß Europa eine Art Empire werden muß, wie China es ist. Und wie die USA es sind2 Nun ist mit diesem »Empire« nicht etwa der Wunsch gemeint, Europa möge sich in seiner Verfassung an jenen mittelalterlichen Föderalstaaten orientieren, welche unter christlichen Vorzeichen eine größtmögliche innere Vielfalt mit einem effektiven Schutz der äußeren Grenzen verbanden, und wie sie auch heute noch von Denkern wie Jan Zielonka oder, in diesem Band, David Engels als Vorbild angesehen werden; vielmehr geht es wohl um ein moralisch expansives »Empire«, welches seine eigenen Wertvorstellungen unter dem Deckmantel »universaler Werte« überallhin verbreiten will.

Nun ist bekannt, daß jedes Imperium zwar immer schon eine moralische Mission verfolgt, aber gerade heute erleben wir eine nie dagewesene Moralisierung der Politik, nicht nur (wenn auch vor allem) in Deutschland, sondern auch in der EU. Typisch ist hierfür die traditionelle Donnerstagssitzung des EU-Parlaments in Straßburg: Einen halben Tag lang verbringen die Parlamentarier ihre Zeit damit, in langen Listen alle möglichen Verstöße gegen die Menschenrechte überall auf der Welt moralisch zu »verurteilen«, wobei zunehmend auch Mitteleuropa in den Fokus der Diskussionen gerät (die Situation in westeuropäischen Staaten wie Spanien oder Frankreich wird kurioserweise allerdings dezent ausgeblendet). Die Botschaft ist eindeutig: Das Parlament glaubt, durch seine »Erklärungen« und »Verurteilungen« die Welt zu einem besseren Ort zu machen (wenn sich auch nach einiger Zeit eine gewisse Ernüchterung einstellt, wenn man beobachtet, daß die Liste der Verstöße eigentlich von Sitzung zu Sitzung nur wenig Veränderungen aufweist), und die moralische Botschaft ist klar: Nur wenn die gesamte Welt von der EU, oder doch zumindest wie die EU, regiert wird, kann das »Böse« als ausgerottet gelten und das »Gute« triumphieren – ein wahrer Messianismus politisch korrekten Denkens, wie wir ihn ja auch in den Reden von Frans Timmermans wiederfinden, vor allem, wenn dieser über die Lage in Polen spricht.

Typisch in dieser Hinsicht ist ein kleines, aber bezeichnendes Detail: Auf meinen Reisen ins außereuropäische Ausland, vor allem in solche Staaten, die von der EU in der einen oder anderen Weise unterstützt werden, geschieht meistens, daß die Gastgeber unsere Delegationen mit einigen wohlgesetzten Worten begrüßen, in denen sie die EU für jene Werte loben, welche ihr, so nehmen sie an, am wichtigsten sind. Hierbei kommt ausnahmslos nicht nur der »Klimaschutz« zur Sprache, sondern auch immer die sogenannte »Homo-Ehe«. In diesem Zusammenhang kann man kaum anders, als eine gewisse Diskrepanz festzustellen: Denn der begrüßenswerte und eigentlich ungemein konservative Wunsch nach dem Schutz der Natur kontrastiert merklich mit jener Form des radikalen Konstruktivismus im gesellschaftlichen Bereich, wie ihn die EU vertritt, und welcher den doch scheinbar so schützenswerten Vorgaben der Natur offensichtlich stark widerspricht. Man fühlt sich unweigerlich an den berühmten Ausspruch von Massimo d‘Azeglio erinnert: »Abbiamo fatto l‘Italia ora dobbiamo fare gli Italiani« (»Italien haben wir geschaffen, nun müssen wir Italiener schaffen«), oder, anders gesagt: Wir haben Europa zu einem politisch korrekten Kontinent umgestaltet, nun müssen wir nur noch die dazugehörigen Bürger konstruieren.

Und in der Tat wird kaum ein offizielles Dokument der EU verabschiedet, welches nicht in der einen oder anderen Weise auf die Frage nach alternativen »Gender«- und Familienmodellen rekurriert und, wo die Entwicklung noch nicht »so weit ist«, auf die Umsetzung jener Ideologie abzielt, wie etwa an der Peripherie der modernen EU, wo einige rückständige Barbaren (wie die Bewohner meines Heimatlandes und ihre Regierung) an einem angeblich überwundenen gesellschaftlichen Modell festhalten und in der einen oder anderen Weise »zur raison gebracht werden« müssen – eine umso seltsamere Entwicklung, als es eigentlich die Christdemokraten sind, welche die stärkste politische Kraft des Europäischen Parlaments ausmachen.

Renovatio Europae.

Подняться наверх