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ZUM GELEIT
ОглавлениеEs scheint Zeitwendestimmung in der Europäischen Union zu herrschen. Die intellektuelle Aufregung um die EU ist nicht nur der Tatsache geschuldet, daß die Briten die Union verlassen wollen und daß Ende Mai die Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden, die bekanntlich immer eine Debatte anregen. Vielmehr scheint das Bedürfnis nach EU-Reformen auch einem neuen »Zeitgeist« zu entsprechen, welcher angesichts der inneren wie äußeren Bedrohungen des Kontinents vermehrt nach einigenden Ideen ringt. Das Instytut Zachodni (West-Institut) in Poznań verfolgt schon aufgrund seines Tätigkeitsprofils diesen Ideenwettbewerb mit großer Spannung. Als Institution, die seit 75 Jahren den Gedanken der Westbindung Polens mitträgt, will sich das Institut getreu seiner Tradition auch an dieser Debatte aktiv beteiligen.
Solch eine Möglichkeit bietet sich für eine Institution aus Polen in dieser Form zum erstenmal an. Wie für alle Mitgliedsstaaten, die der Europäischen Union nach 2004 beitraten, galt damals auch für Polen die Verpflichtung, die bereits in der EU existierenden Regeln und Konzepte zu übernehmen und sich zu eigen zu machen. Diesmal ist es anders. Als mittlerweile erfahrenes Mitglied der Europäischen Union, dessen Bürger inbrünstig an der Erhaltung der EU interessiert sind, ist es für uns selbstverständlich, einen intellektuellen Beitrag zur Debatte um die Zukunft der EU zu leisten. Es gilt die Frage zu beantworten, was sich ändern muß, damit der Auftrag der EU, Wohlstand und Frieden für alle Mitglieder zu sichern, unverändert realisiert werden kann.
Die vorliegende Publikation, die auch in polnischer, englischer und französischer Sprache erscheinen wird, ist daher die erste in einer Reihe von Schriften, welche die zahlreichen Herausforderungen einer Reform der EU zum Inhalt haben sollen, und beschäftigt sich vor allem mit der Frage nach der Identität Europas; geplant sind darüber hinaus bereits weitere Bände zum Verfassungs- wie zum Wirtschaftsrecht.
In diesem Prozeß des Ideenaustausches erscheinen uns zwei Aspekte von besonderer Bedeutung. Zum einen ist es unser langfristiges Ziel, ein tragendes, zu Papier gebrachtes Konzept möglicher Reformen vorzulegen. Zum anderen ist es genauso wichtig, das Konzept »europäisch« auszuarbeiten. Adolph Muschg hat in seinem Essay »Was ist europäisch« (2006) auf die besondere Kultur des europäischen Diskurses hingewiesen. Das Besondere läge darin, Widersprüchen zu begegnen, Enttäuschungen zu ertragen und Konflikte gelten zu lassen, und das im vollen Wissen um die Ambivalenz aller Lösungsvorschläge. Daher sah Adolph Muschg damals auch in den neuen ostmitteleuropäischen EU-Mitgliedern eine Hoffnungsquelle dafür, den europäischen Diskurs zu beleben. Jene Länder seien, so meinte er, »widerspenstig« genug, um aufgrund eigener Erfahrung und Geschichte auf ihrer Identität zu bestehen und daher neuen Wind in die Debatte um den berühmten europäischen Wahlspruch »Einheit in Vielheit« zu bringen.
Diese besondere Art des europäischen Diskurses erscheint uns die richtige Haltung angesichts der widersprüchlichen Herausforderungen, denen es zu begegnen gilt. Denn es ist genauso schwer, sich ein Europa mit Grenzen vorzustellen, wie ein grenzenloses Europa. Die Ökonomie ist zwar nicht ausreichend als europäisches Fundament; ohne ökonomischen Zusammenhalt ist die europäische Vereinigung jedoch genauso schwer denkbar. Die europäischen Nationalstaaten stärken zwar partikulare und fragmentierende Tendenzen in der EU; ohne die Nationalstaaten ist die vitale Partizipation der Bürger am politischen und ökonomischen Leben aber kaum zu realisieren.
Doch Reformkonzepte unter Anerkennung der nationalen und kulturellen Diversität auszuarbeiten, ist einfacher gesagt als getan. Wie viel schneller und einfacher wäre es, einfach nur die eigenen Gedanken zu Papier zu bringen und erst dann vor dem europäischen Publikum zu diskutieren! Bei der Erstellung dieses Bandes haben wir aber bewußt den zwar mühseligeren, jedoch umso spannenderen »europäischen« Weg gewählt. Die vorliegende Publikation ist daher die Folge einer aufregenden Debatte zwischen profilierten Denkern aus unterschiedlichsten kulturellen und nationalen Kontexten, deren Positionen nach intensiver Diskussion und Abstimmung nunmehr zwischen zwei Buchdeckeln versammelt wurden. Man muß dabei allerdings auch anerkennen, daß derartige partizipative Verständigungsprozesse Persönlichkeiten mit Organisationstalent und Gespür für die Bereicherung durch kulturelle Differenzen verlangen. Herr Professor David Engels ist so eine Persönlichkeit. Für seinen Einsatz bei der Entstehung dieses Buches danke ich ihm sehr.
Justyna Schulz | Poznań, im März 2019 |