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Vorwort

VON WILLOUGHBY BRITTON

2012 hatte ich ein Zusammentreffen mit Seiner Heiligkeit, dem XIV. Dalai Lama, in der Mayo Klinik in Rochester, Minnesota. Ich besuchte das 24. Mind & Life Dialogforum. Dort geht es um die Verknüpfung von Wissenschaft und kontemplativer Praxis, und ich präsentierte meine Forschung zum Thema Achtsamkeit und Meditation.1

Als klinische Neurowissenschaftlerin war ich es gewohnt, vor anspruchsvollem Publikum zu sprechen, aber an diesem Tag fühlten sich die gewohnten Schmetterlinge in meinem Bauch eher wie mittelgroße Flugsaurier an. Der Dalai Lama sah aufmerksam zu mir hin, und ich machte mir Sorgen, wie er auf meine Arbeit reagieren würde.

Ich erforsche die möglicherweise schädlichen Auswirkungen der Meditation. Während sich der Großteil meiner Forschung der letzten 20 Jahre auf die klinischen Vorzüge meditativer Praxis konzentrierte, habe ich meine Arbeit des letzten Jahrzehnts um die Untersuchung der eher problematischen Aspekte kontemplativer Praxis erweitert. 2007 hatte ich in meinem Labor an der Brown Universität eine Studie mit dem Titel Die Vielfalt kontemplativer Erfahrung begonnen.2

Das Projekt beinhaltete Interviews mit mehr als 100 meditationserfahrenen Menschen und Meditationslehrern, die sich, sofern vorhanden, mit den Schwierigkeiten beschäftigten, die sich innerhalb ihrer Praxis aufgetan hatten. Trauma kristallisierte sich bei diesem Projekt als ein Hauptthema heraus – vom Doktoranden, der bei einem Zehn-Tage-Retreat quälende Flashbacks erlebte, bis hin zum erfahrenen Meditationslehrer, der, wie sich herausstellte, seit Jahren trauma-bedingte Dissoziation in seiner Praxis erfuhr.3

Immer wieder stieß ich in meiner Forschung auf diese schwierige Beziehung zwischen Meditation und Trauma. Als Menschen, die beim Meditieren mit Trauma assoziierte Probleme hatten, mich um Hilfe baten, konnte ich nicht viel mehr tun, als ihnen zu versichern, dass sie nicht alleine waren und dass das, was sie erlebten, nicht ihr Fehler war.

Gern hätte ich diesen Menschen damals mehr geboten – eine umfangreiche Erklärung etwa, warum sie diese Probleme hatten und was dagegen zu tun war.

Dann, einen Monat nach meiner Präsentation bei Mind & Life, stolperte ich online über das unscharfe Video der Verteidigung einer Doktorarbeit zum Thema Achtsamkeitsmeditation und Trauma. Ich hatte zuvor noch nie von David Treleaven gehört, saß jedoch wie gebannt da, während er sehr eloquent die Antworten auf die Fragen gab, die ich mir seit Jahren stellte. Über längere Zeit hatte ich nach einem klaren Rahmen gesucht, den ich den Meditierenden, die mit ihren Schwierigkeiten zu mir kamen, zur Verfügung stellen konnte, ebenso wie Meditationslehrern und Wissenschaftlern, die sich für Meditation und Achtsamkeit interessierten. Plötzlich hatte ich diesen Rahmen gefunden. Ein Puzzleteil nach dem anderen fand seinen Platz.

Letztlich überwies ich zahlreiche Menschen an David, von denen mir viele berichteten, dass ihre Arbeit mit David und das Rahmenwerk, das er bereitstellte, ihr Leben positiv verändert hatte. Ihre Geschichten waren so überzeugend – und ihr Fortschritt so offensichtlich –, dass ich mich entschloss, eine mehrjährige Ausbildung in Traumatherapie aufzunehmen.

Bis dahin hatte ich gedacht, dass ich eine ausreichende Vorbildung als Psychologin und Neurowissenschaftlerin mitbrachte, aber durch Davids Erkenntnisse wurde mir klar, dass ich mein Wissen zum Thema Trauma erweitern musste, um die Probleme, denen ich in meiner Praxis und Forschung begegnete, effektiv angehen zu können.

David und ich hielten Kontakt, und als ich den ersten Entwurf des Buches, das Sie nun in Ihren Händen halten, las, fühlte es sich wie ein Geschenk an. Basierend auf den Unterhaltungen, die ich mit Meditationslehrern, Wissenschaftlern und Achtsamkeitspraktikern geführt habe, glaube ich, dass dieses Buch für viele Menschen eine langersehnte Quelle der Information und Unterstützung sein wird. Gewissenhaft und mit Mitgefühl und Einsicht behandelt es einige der häufigsten, bislang jedoch kaum beachteten Probleme, denen Meditierende, die Traumata erfahren haben, begegnen können.

Leserinnen und Leser dieses Buches werden wissen, dass Achtsamkeit seit einigen Jahren in aller Munde ist. Von Schulen und Kliniken bis hin zu Gefängnissen und Unternehmen – Achtsamkeit und Meditation werden heute an einer Vielzahl von Schauplätzen praktiziert, und wissenschaftliche Erkenntnisse untermauern ihre Vorzüge. Man kann jedoch nicht uneingeschränkt davon ausgehen, dass Achtsamkeit und Meditation eine Art Allheilmittel für alle möglichen Probleme und eben auch Traumata sind. Wir alle haben gehört und gelesen, welche Vorteile es hat, zu meditieren, und viele Menschen, die dies regelmäßig tun, kommen in den Genuss dieser Vorteile. Aber ich habe auch Menschen kennen gelernt, die sich zutiefst schämen, wenn sie diese positiven Erfahrungen nicht machen – und besonders häufig sind dies Menschen, die ein Trauma erfahren haben. Sie fühlen sich oft, als hätten sie beim Meditieren versagt, etwas falsch gemacht oder als wären sie zutiefst und unwiderruflich gebrochen.

Davids Buch begegnet dem Problem der Scham frontal. Es stellt sich der Annahme entgegen, dass Menschen, die beim Meditieren Schwierigkeiten erfahren, schlichtweg unzulänglich oder schlechte Meditierende seien. Viele der Meditierenden, die mich kontaktieren – oft sind sie selbst Meditationslehrer –, fühlen sich gedemütigt dadurch, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Symptome mit Meditation positiv zu beeinflussen. David zeigt uns die Risiken für Traumaüberlebende, die Achtsamkeit praktizieren, erklärt, warum sie existieren und stellt Praktiken vor, die eine sichere und transformative trauma-sensitive Praxis unterstützen. Seine Arbeit stützt sich auf Belege, ist in klinischer Forschung verwurzelt und offen für Anpassungen, sobald neue wissenschaftliche Erkenntnisse verfügbar werden. Insofern dient dieses Buch auch als Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema.

Das Buch bietet uns darüber hinaus einen systemischen Blick auf Traumata. Analog zu Davids eigenem Weg überführt es Achtsamkeit vom isolierten Leiden einzelner Meditierender – und deren individuellem Nervensystem – in die sozialen, kulturellen und politischen Räume, die eine Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Traumata spielen. Obwohl die Idee der Interdependenz – dass wir alle zutiefst miteinander verbunden sind und uns gegenseitig beeinflussen – für die Achtsamkeitsgemeinschaft keine neue ist, wird sie oft dargestellt, als wäre sie eine Art metaphysische Salbe, die prosoziales Verhalten inspiriert, ohne dass eine tiefere persönliche Auseinandersetzung erforderlich ist. Durch seine Arbeit mit Organisationen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, fordert David uns heraus, unser Umfeld zu hinterfragen, um, wie er sagt, die „Rahmenbedingungen, die uns geboten wurden, kritisch zu durchleuchten und uns zunehmend unserer eigenen Rolle bewusst zu werden“.

Davids Buch erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem eine nuanciertere Diskussion zum Thema Achtsamkeit und Meditation dringend nötig ist.

Ich habe den Großteil meiner akademischen Karriere damit verbracht, mich für diese Form des Dialogs stark zu machen, ob es in meinem Hörsaal war, in meinem Labor, bei akademischen Konferenzen, bei achtsamkeitsbasierten Interventionen, Lehrerausbildungen oder mit Journalisten, die nach vielversprechenden Slogans über die Vorzüge von Achtsamkeit suchten.4 Manchmal fühlte ich mich, als wäre ich die einzige Person, die argumentierte, dass wir bei der Nutzung kontemplativer Praktiken vorsichtig vorgehen und uns der potenziellen Schwierigkeiten, mit denen Menschen sich beim Meditieren konfrontiert sehen, bewusst werden müssen.5 In letzter Zeit vertreten jedoch zunehmend mehr meiner Kollegen diese Auffassung. Im Jahr 2018 kamen 15 Achtsamkeitsforscher zusammen, um Richtlinien zu erstellen, die sich für eine vorsichtigere und nuanciertere Präsentation von Achtsamkeitsmeditation aussprechen und sowohl die Vorteile als auch ihre Grenzen benennen.6 Diese Herangehensweise soll Menschen nicht von der Meditation abschrecken, ganz im Gegenteil: Ihr Ziel ist es, die Praxis zu stärken und für ein breiteres Publikum anwendbar zu machen.

Ich freue mich, sagen zu können, dass wir mit diesem Buch zusammen einen weiteren Schritt in diese neue Richtung gehen. David Treleaven hat für diejenigen von uns, die Achtsamkeit in einer traumasensitiven Form praktizieren möchten, eine fundierte, zugängliche und empirisch belegte Ressource geschaffen. Es ist ein Geschenk zur rechten Zeit, und ich hoffe, es ist eines, das Ihnen genauso sehr helfen wird, wie es mir geholfen hat.

WILLOUGHBY BRITTON, PH.D.

Willoughby Britton ist klinische Psychologin und Neurowissenschaftlerin an der Brown University Medical School; sie ist ausgebildet als MBSR-Lehrerin und gilt als eine der wichtigsten Frauen der Achtsamkeitsbewegung. Ihr

Forschungsschwerpunkt liegt auf möglichen unerwünschten psychologischen Nebenwirkungen von Meditation.

Traumasensitive Achtsamkeit

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