Читать книгу Athanor 2: Der letzte König - David Falk - Страница 6
4
Оглавление»Ich habe gleich gesagt, dass ihm sein Name zu Kopf gestiegen ist«, schimpfte einer der Würdenträger, die sich in der Halle Thalas versammelt hatten. Verglichen mit dem Hohen Rat zu Anvalon ging es hier ungezwungen und impulsiv zu. Die Elfen saßen auf Kissen, die auf den blank polierten Dielen verteilt lagen, und niemand musste auf die Erlaubnis der Ältesten warten, um zu sprechen.
Dennoch verlor Athanor allmählich die Geduld. Er leerte einen weiteren Becher Wein, um nicht mit einem Fluch herauszuplatzen. Würden die verfluchten Elfen nun die Verfolgung aufnehmen oder nicht?
»Hätten seine Eltern ihn nicht Eleagon genannt, hielte er sich jetzt nicht für den wiedergeborenen großen Entdecker«, fuhr der empörte Mann fort, dessen Sohn offenbar zur Besatzung des Schiffs gehörte, mit dem sich Davaron gerade immer weiter von ihnen entfernte. Die Versammelten wussten zwar nicht, wie der Bastard den Schiffsführer dazu gebracht hatte, überstürzt in See zu stechen, aber wenigstens hatte einer der Seeleute verraten, dass er den Ozean überqueren wollte.
»Holt Euren Bengel eben zurück, wenn Euch so viel an ihm liegt!«, rief Athanor ungehalten. »Den Mörder halten Vindur und ich Euch schon vom Hals.«
Der Elf hatte nur einen strafenden Blick für ihn.
»Ihr wisst nicht, was Ihr da fordert«, rügte ein weißhaariger Alter. Er musste viel Zeit in Sonne und Wind verbracht haben, denn noch nie hatte Athanor einen wettergegerbten Elf gesehen. »Mein Name ist Thalasar«, stellte er sich vor. »Ihr Fremden kennt mich nicht, aber unter meinesgleichen bin ich als Schiffsführer bekannt.«
»Thalasar untertreibt«, warf Kalianara ein. »Er ist der beste Wind- und Wogenmagier unter den Söhnen Thalas und ein herausragender Seefahrer.«
Thalasar bemühte sich um eine bescheidene Miene, doch seine Augen konnten nicht verhehlen, dass er sich geschmeichelt fühlte. »Danke, Kalianara. Dein Lob verleiht meinen Worten für diese Fremden vielleicht mehr Gewicht. Denn auch wenn ich alt bin und die Kälte zu sehr in den Knochen spüre, um noch zur See zu fahren, liegen viele weite Reisen hinter mir. Sie führten mich entlang dieser Küste bis in die Eissee des Nordens und um das stürmische Trollkap in den Östlichen Ozean. Ihr werdet keinen Schiffsführer finden, der öfter und länger das Meer befuhr.«
Und wenn ich ihn reden lasse, werde ich darüber auch alt und grau werden. »Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Dass niemand lebensmüde genug ist, um diesen jungen Hitzkopf zu verfolgen. Der Versuch, den Ozean zu überqueren, ist eine Reise ohne Wiederkehr.«
»Sagtet Ihr nicht, dass er auf den Spuren dieses Entdeckers fährt?«
Thalasar nickte. »Aber Eleagon der Kühne gilt als der größte Seefahrer aller Zeiten! Er wurde vor über 2000 Jahren geboren, und seit jener Zeit ist es niemandem mehr gelungen, das geheimnisvolle Land Dion zu finden. Ich habe es selbst erlebt! Drei Mal habe ich die Segel gen Westen gesetzt, um mich mit dem Ozean zu messen, und stets musste ich aufgeben. Oft kamen wir nur knapp mit dem Leben davon. Eine Flaute beraubte uns der Wasservorräte. Ein Sturm beschädigte unser Schiff. Widrige Strömungen brachten uns vom Kurs ab, bis der Proviant zur Neige ging. Glaubt mir, junger Mensch, auf dem Westlichen Ozean liegt ein Fluch. Vielleicht lenkte ein wohlmeinender Astar Eleagons Schiff durch diese Gefahren. Vielleicht hatte er einfach Glück. Aber der junge Eleagon und der Mörder, den ihr sucht, werden sterben oder umkehren.«
Vindur brummte unzufrieden, aber er schwieg. Athanor sah sich in der Runde um. Wollte wirklich niemand wenigstens versuchen, diese Freunde und Verwandten zurückzuholen, die doch angeblich in ihr Verderben fuhren? Sollte Davaron mit seiner Bluttat davonkommen, wenn diesem Eleagon das Kunststück seines Namensvorgängers gelang? Die Elfen wichen seinem Blick aus. »Das ist doch feiges Gewäsch!«, rief er und sprang auf. »Nur weil Ihr vom Pech verfolgt seid, liegt noch lange kein Fluch auf dem Ozean. Wenn Euch der Mut fehlt, werde ich die Fahrt eben allein wagen – und wenn ich den ganzen Weg rudern muss!«
Thalasar lächelte altersmilde. »Ihr habt keine Vorstellung von den Entfernungen, über die Ihr redet. Die Menschen fahren nicht zur See. Vermutlich habt Ihr noch nie ein Boot gelenkt.«
»Das mag sein. Aber ich stelle mich der Gefahr, statt auf einem Kissen sitzen zu bleiben.« Athanor glaubte, das höhnische Gelächter der Toten zu hören, die er auf der Flucht vor den Drachen im Stich gelassen hatte.
»Aus Unwissenheit«, wehrte Thalasar ab.
»Aus Euch spricht doch nur die Verzagtheit des Alten, dem die Kräfte schwinden! Ihr habt es selbst gesagt. Komm, Vindur, wir gehen! Irgendjemand wird uns schon ein Boot verkaufen.«
Der Zwerg sah verzagt aus, aber er stand auf.
»Gütiger Alfar von Wey!«, rief Thalasar aus. »Haltet ein mit Eurem Irrsinn! Ihr habt Euer Schiff.«
»Seid Ihr Euch sicher?«, fragte Kalianara überrascht.
Der Alte zuckte mit den Schultern. »Soll ich hier am Feuer sitzen, bis ich den Ruf des Ewigen Lichts vernehme, während Eleagon und dieser Mensch auf meinem Ruf herumtrampeln? Ich bin der beste Schiffsführer Sianyasas.«
* * *
Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, wollte Thalasar gleich am nächsten Morgen die Segel setzen. Die Zeit drängte nicht nur, weil Davaron einen Vorsprung hatte. Der alte Seemann glaubte nicht einmal daran, dass sie Eleagons Schiff auf dem weiten Ozean finden würden. Doch sie mussten es versuchen, und wenn erst die Herbststürme einsetzten, würde die Überfahrt vollends unmöglich werden.
Während die Elfen das Auslaufen vorbereiteten, wies man Athanor und Vindur ein Gästehaus für die Nacht zu. Bald lag Athanor in der Dunkelheit und lauschte dem Plätschern des Wassers unter dem Boden. Das schwimmende Haus hob und senkte sich kaum merklich, aber würde er auch auf einem Boot schlafen können? Mit nichts als ein paar dünnen Planken zwischen ihm und dem Ozean, der so tief war, dass an seinem Grund Riesen verborgen lagen? Im Gegensatz zu Vindur konnte er schwimmen, aber er wusste, wie schnell selbst einem guten Schwimmer in kaltem Wasser die Kräfte ausgingen. Wir könnten ertrinken. Davaron gönnte er diesen Tod von ganzem Herzen. Bevor ihm der Bastard entkam, sollte er lieber an der salzigen Brühe ersticken. Aber Vindur … »Diese Überfahrt ist ein großes Wagnis«, gestand er der Stille im Zimmer. »Und es wird eine Menge schaukeln.«
»Willst du mich abschrecken?«, empörte sich Vindur. »Vergiss es!«
»Aber Thalasar hat recht. Wir haben keine Ahnung, worauf wir uns da einlassen. Ich muss gehen. Ich habe geschworen, Davaron bis ans Ende der Welt zu jagen. Aber du …«
»Soll ich etwa allein unter Elfen bleiben? Außer mir bist du der Einzige in diesem Land, der kein hinterhältiger Zauberer ist. Und der Einzige, der ein gutes Bier zu schätzen weiß. Also werde ich genau dort hingehen, wo du hingehst – sogar auf ein verfluchtes Schiff!«
Athanor musste trotz allem grinsen. »Und ich bin froh, den Einzigen bei mir zu haben, der ein gutes Bier brauen kann.«
»Dann wären wir uns ja einig«, brummte Vindur und zog seine Decke enger um sich.
* * *
Früh am nächsten Morgen führte sie Thalasar zu seinem Schiff. Halb Sianyasa schien bereits auf den äußeren Stegen versammelt zu sein. Aufgeregte Elfenkinder balgten sich um die Plätze mit der besten Aussicht und scheuchten damit die Möwen auf, die auf jedem Pfosten saßen. Entlang der Stege lagen elegante Einbäume und kleine Schiffe vertäut, meisterhaft gearbeitet und mit geschnitzten Wogen und Muscheln verziert. Jedes dieser Boote besaß mehr Wert als so mancher vermeintlich prunkvolle Thron, auf dem die Könige der Menschen gesessen hatten.
Warum blieb Thalasar vor einer dieser Nussschalen stehen? Selbst auf dem seichten Sarmander waren größere Lastkähne an Athanor vorübergesegelt. Das schlanke Schiff vor ihm schnitt sicher majestätisch durch die Wellen, doch es maß in der Länge kaum mehr als ein Dutzend Schritte und war nicht breiter als eine Festtafel in Theroias Palast. Hinter der niedrigen Bordwand, die gerade einmal einen Schritt übers Wasser ragte, gab es kein Deck – nur die nackten Planken und sechs Seekisten, die als Ruderbänke dienten, auch wenn noch keine Ruder bereitlagen. Den meisten Raum nahmen der Mast und das breite, noch zusammengeschnürte Segel ein.
»Gefällt Euch die Linoreia nicht?«, fragte Thalasar verwundert. »Ihr Name steht für die Schaumkronen auf den Wogen, wenn der raue Nordwind bläst.«
»Nein, nein, sie ist sehr schön.« Angesichts der Einlegearbeiten aus Perlmutt, die den Bug zierten, und der edlen rotbraunen Hölzer wäre alles andere eine Lüge gewesen. »Aber … mit diesem Schiff wollt Ihr über den Ozean segeln?«
Einer der vier Elfen, die sich an der Takelage zu schaffen machten, stand nah genug, um Athanors Frage zu hören. »Was gibt es daran auszusetzen?«, blaffte er.
»Nichts«, knurrte Athanor. Boote waren für diese Männer offenbar ein ebenso heikles Thema wie Pferde für theroische Krieger, doch es war auch sein Leben, das davon abhing. »Ich hatte nur etwas Größeres erwartet.«
»Das liegt nur daran, dass ihr Menschen nichts von Schiffen versteht«, befand Thalasar.
»Ich bin zweifellos kein Mensch, aber auch mir kommt Euer Schiff klein vor«, pflichtete Vindur Athanor bei, obwohl sein Blick mehr Sorge über den weiten Himmel verriet. »Schwappt nicht bei der ersten hohen Welle Wasser hinein?«
Der Elf aus Eleagons Mannschaft verdrehte nur die Augen und wandte sich ab.
»Ihr könnt der Linoreia vertrauen«, behauptete Thalasar. »Längere Schiffe brechen bei Sturm schneller in zwei Teile, weil stärkere Kräfte auf sie einwirken. Man könnte sie stabiler bauen, aber dann werden sie träge und schwieriger zu manövrieren. Man braucht mehr Segel, mehr Männer, mehr Magie, und dennoch gewinnt man kaum an Sicherheit hinzu. Vertraut unserer jahrtausendelangen Erfahrung. Es gibt keine besseren Schiffe als diese.«
Es fiel Athanor schwer, ihm zu glauben, aber was konnte er gegen das überlieferte Wissen der Elfen schon einwenden? Er betrat die schaukelnden Planken und warf einen Blick auf die Ritzen dazwischen.
»Der Bootsbauer lässt sie durch Magie miteinander verwachsen«, erklärte Thalasar stolz. »Verstaut Euer Gepäck unter den Bänken und setzt Euch, damit Ihr der Mannschaft nicht im Weg seid!«
Da sie nur hatten, was sie am Leib trugen, ließ sich Athanor mit dunklen Ahnungen nieder. Doch sein Hass auf Davaron vertrieb die Bedenken rasch. Er fand es unpassend, dass jemand das Schiff mit Girlanden aus Muscheln geschmückt hatte und eine weiße Seeschlange aus Seide an der Mastspitze flatterte. Schließlich stachen sie nicht zu einem Angelausflug in See. Doch auch die meisten Elfen waren festlich gekleidet, während Thalasar und seine vier Seemänner einfache, ungefärbte Hemden und Hosen trugen, die Athanor an die Kittel theroischer Bauern erinnerten.
Kalianara trat vor und wartete, bis Thalasars Blick auf ihr ruhte. Mit erhobener Hand gebot sie der Menge zu schweigen. »Töchter und Söhne Thalas! Heute ist ein großer Tag für Sianyasa. Unser bester Schiffsführer bricht auf, um zu vollbringen, was seit Eleagon dem Wagemutigen niemandem mehr geglückt ist. Möge seine Reise mit den Plänen der Götter im Einklang stehen, deren Wille über die Geschicke Ardaias entscheidet.«
»Warum bittet sie diese Götter nicht um ihren Segen?«, raunte Vindur. »Wir Zwerge unternehmen nichts Großes ohne den Beistand des Großen Baumeisters.«
»Die Elfen glauben nicht, dass Gebete erhört werden«, erwiderte Athanor. »Sie sagen, die Götter stehen zu hoch über den Angelegenheiten der Sterblichen.«
Vindur runzelte die Brauen, während Kalianara längst weitersprach.
»Mögen Euch günstige Winde rasch nach Dion leiten«, wünschte sie, »und ebenso bald zurück nach Sianyasa. Doch vor allem anderen: Mögt Ihr auf den Planken Eures Schiffs wiederkehren und nicht auf weißen Schwingen. Lebt wohl!«
Die ganze Stadt stimmte in den Ruf mit ein. Für Thalasar war es das Zeichen zum Aufbruch, denn er gab nun Befehl, abzulegen. Die Seeleute lösten die Leinen und gaben ein paar Handbreit des offenbar dreieckigen Segels frei. Sobald sich Wind in dem leuchtend weißen Stoff fing, setzte sich die Linoreia in Bewegung.
Zwei Mitglieder der Mannschaft schoben sie mit Stangen vom Steg fort, während sich der Bug langsam auf den Ausgang der Bucht richtete. Trotz des Schaukelns stand Thalasar wie eine Statue im Heck, den Blick auf den Horizont geheftet. Athanor ahnte, dass der Elf das Schiff mit Magie lenkte, denn das Steuerruder hing unbenutzt über dem Wasser. Umso lauter rief die begeisterte Menge ihnen gute Wünsche nach, winkte und warf weiße Blütenblätter aufs Wasser. Sicher ein Opfer an die Geister der See.
»Was für ein Augenblick«, sagte Vindur ergriffen. »Ich bin sicher, es ist das erste Mal, dass ein Zwerg aufs Meer hinausfährt.« Lag es am Wind, oder schimmerten Tränen in seinen Augen? »Und niemand wird in Firondil davon berichten.«
Dabei wäre es mindestens einen Eintrag in der Halle der Ahnen wert. Athanor legte seinem Freund für einen Moment die Hand auf die Schulter. »Die Elfen werden sich erinnern.« Doch in dieser Vorstellung lag wenig Trost.
* * *
Sobald sie die schützende Bucht verlassen hatten, ergriffen höhere Wellen das Boot. Das Schaukeln erinnerte Athanor an ein langsam galoppierendes Pferd. Erst hob sich der Bug, dann senkte er sich, während das Heck emporstieg, und so ging es in einem fort. Als die Elfen das Segel hissten und die Linoreia schneller durchs Wasser glitt, ließ das Schaukeln nach, doch dafür wurde die Fahrt rauer. Gischt spritzte um den Bug auf und sprenkelte alles auf dem Boot mit winzigen Tropfen. Auch Thalasar ließ sich nun nieder und steuerte das Schiff mithilfe des Ruders.
Während die Küste zu einer immer dünneren Linie am Horizont verkam, befreite die Mannschaft ihr Boot von den Girlanden an Bug und Bordwand. Die aufgefädelten Muscheln türmten sich bald zu einem beachtlichen Haufen. Einer der Elfen, Medeam, der ein jüngerer Verwandter Thalasars war, übernahm das Ruder, damit der Schiffsführer nach vorn gehen konnte. Neugierig beobachtete Athanor, wie Thalasar die sichtlich schweren Muschelschnüre anhob.
»Was wir dem Ozean nehmen, das geben wir ihm zurück«, sagte der Alte feierlich und warf die Girlanden in hohem Bogen über Bord.
Noch ein Opfer. Und das, obwohl die Elfen sonst so wenig darauf gaben, das Wohlwollen der Götter zu gewinnen.
Athanor wandte sich Vindur zu, der ungewohnt bleich aussah. Um die Nase hatte die Haut sogar einen grünlichen Ton angenommen. »Hast du einen Geist gesehen? Du bist leichenblass.«
»Ich muss etwas Verdorbenes gegessen haben«, krächzte Vindur.
Athanor zog die Brauen zusammen. Er hatte mit seinem Freund gefrühstückt, und ihm ging es gut. Er verspürte sogar schon wieder Hunger.
»Das ist die Wogenübelkeit«, behauptete Medeam. »Bei uns Elfen tritt sie selten auf, aber vielleicht ist es bei Zwergen anders.« Seine Miene verriet deutlich, was er von Vindurs Schwäche hielt. »Wahrscheinlich, weil Zwerge nun einmal unter ihre Berge gehören.«
»Da sind wir ausnahmsweise einer Meinung«, keuchte Vindur und hing im nächsten Augenblick würgend über der Bordwand. Athanor packte ihn am Gürtel, damit er nicht ins Wasser fiel, und blaffte Medeam an, ihm irgendein Tuch zu reichen.
Während sich Vindur mit Meerwasser säuberte, kehrte Thalasar ans Ruder zurück. Bald hockte die Mannschaft herum und unterhielt sich leise über den erhebenden Abschied, den ihr Volk ihnen bereitet hatte. Es erfüllte sie sichtlich mit Stolz, doch Athanor ging anderes durch den Kopf. »Was meinte Kalianara, als sie davon sprach, dass ihr nicht auf weißen Schwingen zurückkehren sollt?«
Thalasar musterte ihn abschätzend. »Was wisst Ihr über das Ewige Licht, Kaysasohn?«
»Nur, dass ihr Elfen furchtbare Angst davor habt, in der Fremde zu sterben, weil eure Seelen dann nicht in dieses Licht eingehen.«
»Diese Sorge entspringt nicht nur der Angst vor dem Nichts«, widersprach Thalasar. »Vielmehr ist es sogar unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass unsere Seele nach dem Tod wieder ins Ewige Licht zurückkehren kann. Denn sonst erlischt es, und dann würden keine Elfen mehr geboren werden.«
Athanor zuckte mit den Schultern. »Es kamen auch stets wieder Menschen auf die Welt, obwohl unsere Seelen in die Schatten gehen.«
»Deshalb sind die Menschen den Elfen auch unterlegen. Unsere Seelen sind alt und tragen die Weisheit vieler Leben in sich!«
Selbst Vindur, der noch immer grünlich aussah, konnte sich eine Grimasse nicht verkneifen. Doch es rächte sich sofort. Wieder musste er sich gefährlich weit übers Wasser beugen, um dem Ozean unfreiwillig sein Frühstück zu opfern.
Athanor schüttelte nur den Kopf. Wie lange er wohl mit Elfen zusammenleben musste, um von ihrem Hochmut nicht mehr überrascht zu werden? »Und was hat meine Frage nun mit dem Ewigen Licht zu tun?«
Thalasar seufzte, als rede er mit einem begriffsstutzigen Kind. »Wie ich bereits andeutete, kehren nicht alle Schiffe von ihren Reisen zurück. Das bedeutet Sterbende, deren Seelen unwiederbringlich verloren sind, wenn sie das Ewige Licht nicht vor ihrem Tod erreichen. Deshalb ist es nur jenen Elfen erlaubt, Seeleute zu werden, die sich bei Gefahr in einen Seelenvogel verwandeln können. Habt Ihr schon einmal einen Seelenvogel gesehen?«
»Nein.«
»Es sind große weiße Tiere, die man noch weit draußen über dem Ozean antrifft. Wer die Gestalt eines Seelenvogels annimmt, kann auch ohne Schiff die Elfenlande erreichen. Selbst verwundete Elfen haben es auf diese Weise schon geschafft, rechtzeitig zum Ewigen Licht zu gelangen.«
»Warum verwandeln sie sich dann nicht einfach in ihre wahre Gestalt zurück?«
»Weil es dafür meist zu spät ist. Wer zu lange ein Seelenvogel war, bleibt in diesem Körper gefangen.«
Athanor schnaubte. Das sind ja nette Aussichten. Wenn’s brenzlig wird, flattern die Elfen davon, und wir ersaufen allein.
* * *
»Glaubst du, dass wir je wieder Land sehen werden?«, tönte Vindurs Stimme hohl aus dem leeren Wasserfass.
»Ich glaube nicht, sondern ich weiß, dass ich mir dämlich dabei vorkomme, vor den Elfen mit einem Fass zu sprechen«, erwiderte Athanor gereizt.
»Ich setze es erst wieder ab, wenn meine Haut aufhört, Blasen zu werfen.«
Athanor seufzte und kniff die Augen gegen das Gleißen der Sonne auf dem Wasser zusammen. Obwohl es ihm durch den ständigen Wind nicht allzu heiß vorkam, hatte sich selbst seine gebräunte Haut in den letzten Tagen gerötet. Doch Vindurs war aufgeplatzt wie bei einer überreifen Frucht und hing in weißen Fetzen. Unter dem Fass, das er sich übergestülpt hatte, ließ wohl auch die Angst nach, die ihn unter dem endlosen Himmel über dem Ozean schlimmer beutelte denn je.
Wie lange war es her, dass die Küste am Horizont verschwunden war? Sechs Tage? Sieben? Athanor fiel es schwer, sie zu zählen, weil sie so gleichförmig waren. Er erinnerte sich, dass Vindur am zweiten Tag winzige Rostflecken auf seinem Helm entdeckt hatte. Daraufhin waren sie dem Vorbild der Besatzung gefolgt und hatten Waffen und Rüstungen in Ölpapier eingeschlagen und in die Kisten gepackt. Eines anderen Morgens hatten sie riesige Fische gesehen, die länger als die Linoreia waren. Doch zum Glück hatten die Giganten nur seltsame Fontänen gen Himmel geblasen. An einem anderen Tag hatten Regen und raue See Vindur erneut die Wogenkrankheit beschert, während Athanor immer nur nagenden Hunger empfand. Aber den Rest der Zeit waren sie einfach nur gesegelt, Tag und Nacht, hatten gegessen, geschlafen und schweigend aufs Meer gestarrt, um nach dem Schiff des jungen Eleagon Ausschau zu halten. Athanor versuchte, die Strecke zu schätzen, die sie bereits zurückgelegt hatten, doch es blieb ein vages Unterfangen. Ohne Landmarken verlor er das Gefühl für Entfernungen. Niemals hätte er sich vorstellen können, dass der Ozean so groß war und sie noch immer nicht das Ende der Welt erreicht hatten. Was erfreulich war, denn seine Lehrer hatten ihm erklärt, dass sich das Wasser dort über den Rand hinab ins Totenreich ergoss.
»Ist das Euer Ernst?«, wunderte sich Thalasar. »Wenn das Wasser über den Rand der Welt fiele, müsste der Ozean längst leer sein.«
Der Kerl hält sich wohl für den Allerklügsten. »Euer hohes Alter in Ehren, aber jedes Kind weiß doch, dass das Wasser als Fluss Thasos aus dem Totenreich zurück in die Welt fließt.«
Thalasar lächelte nachsichtig. »Nur, dass den Thasos auch noch niemand gesehen hat.«
»Vielleicht nur kein seefahrender Elf«, hielt Athanor dagegen. »Er soll sich weit im Westen, hinter den Steppen der Orks befinden.«
»Wenn wir über den Rand der Welt fallen, werden wir ihn finden«, sagte Thalasar belustigt.
Mürrisch stapfte Athanor über die von der Gischt schlüpfrigen Planken zum Bug und zurück. Es hieß, der legendäre Eleagon habe auf seiner Reise viele Umwege gemacht und sei oft in die Irre gefahren, weil er in unbekannten Gewässern unterwegs war. Deshalb wussten die Elfen nicht, wie weit Dion auf direkter Route entfernt war. Sie kannten nur die Richtung und vertrauten darauf, genügend Proviant zu haben.
»Wie lange werden wir noch brauchen?«, fragte Athanor dennoch.
Wie erwartet seufzte Thalasar resigniert. »Es könnten vier Tage sein, aber auch acht. Es hängt auch vom Wind ab.«
»Über das Wetter kann sich nur Vindur beschweren. Ihr habt reichlich übertrieben, was die Gefahren angeht. Diese Fahrt ist so langweilig, dass ich mir wünschte, es gäbe einen Fluch, der sich uns in den Weg stellt.«
»Nur weil Ihr Eure Schlachten bislang überlebt habt, heißt das auch nicht, dass sie nicht gefährlich waren«, gab Thalasar zurück.
»Zum Dunklen mit Eurer Spitzfindigkeit! Sagt mir lieber, wie Ihr auf diesem endlosen Ozean das Schiff des verfluchten …«
Ein Ruf unterbrach Athanor.
»Schiffsführer!« Medeam stand im Bug und deutete schräg voraus.
Dunkle Wolken sammelten sich am Horizont.
* * *
»Dieser Sturm kommt verdammt schnell auf uns zu«, stellte Thalasar besorgt fest. »Holt das Segel ein! Irgendetwas stimmt mit diesen Winden nicht.«
»Ist die Sonne weg? Es ist auf einmal so dunkel«, tönte Vindurs Stimme hohl aus dem Fass.
»So gut wie«, antwortete Athanor und wich der Mannschaft aus, die das große Segel herabließ und verschnürte.
»Vindur, bindet Euch mit einem Seil am Mast fest, wenn Euch Euer Leben lieb ist«, riet Thalasar. »Vielleicht solltet Ihr das auch tun, Athanor, damit Euch keine Woge über Bord spülen kann.«
»Und was ist mit Euch?«
»Wir sind Söhne Thalas. Uns zwingt das Wasser nicht so leicht seinen Willen auf.«
Wie Ihr meint. Athanor schnappte sich ein herumliegendes Tau und warf es Vindur zu, sobald der Zwerg das Fass abgesetzt hatte. »Hast du Thalasar gehört?«
Vindurs Blick schoss zwischen Athanor und der Wolkenwand hin und her, die sie schon fast erreicht hatte. Schon zerrte der Wind an ihren Haaren und heulte in der Takelage. Als Athanor mit einem weiteren Seil zum Mast eilte, band sich Vindur bereits eine Schlinge um den Leib. Hastig knoteten sie das andere Ende ihrer Rettungsleinen um den Mast.
»Hier!« Medeam reichte Athanor einen Holzeimer.
»Was soll ich damit?«
»Den Ozean wieder hinauswerfen, wenn er hereinkommt.« Der Elf zog zwei weitere Eimer zwischen den Kisten hervor und drückte einen davon Vindur in die Hände.
Die Antwort blieb Athanor im Hals stecken, denn in diesem Moment richtete sich die Linoreia so steil auf, dass seine Füße über die schlüpfrigen Planken rutschten. Vindur schlitterte mit einem Fluch gegen den Mast und klammerte sich daran fest. Gischt sprühte vom Kamm der gigantischen Woge herab, die das Schiff erklomm wie einen Berg. Im nächsten Augenblick fanden sie sich haushoch über dem Wellental wieder. Hügel aus Wasser türmten sich vor ihnen in der hereinbrechenden Dunkelheit auf. Das stetige Knarren des Schiffs, das Athanor kaum noch wahrgenommen hatte, wurde lauter. Die Planken bewegten sich unter seinen Füßen, als sei die Linoreia zum Leben erwacht. Einer der Elfen hastete an ihm vorbei nach vorn und kniete dort nieder, während das Boot kippte – erst langsam, dann rasend schnell.
»Festhalten!«, schrie Vindur.
Athanor schlang einen Arm um den Mast und starrte am Bug vorbei in die Tiefe, in die sie stürzten. Ihm war, als werde sein Magen nach oben gezogen, während er fiel. Jeden Moment mussten sie aufprallen und ins plötzlich eiskalte Wasser tauchen.
Der im Bug kauernde Elf hielt seine Hände beschwörend vor sich. Athanor traute seinen Augen nicht. Die Spitze der Linoreia hob sich. Wasser wallte zu beiden Seiten auf, trug den Bug empor und fing den Sturz damit ab. Zwar jagte der Aufprall dennoch einen Ruck durchs Schiff, doch es bohrte sich nicht in die See, sondern glitt weiter, schickte sich an, den nächsten nassen Hang zu erklimmen.
»Ich dachte, Thalasar sei der große Zauberer«, höhnte Athanor gegen das anschwellende Rauschen der See.
»Wir sind eine Mannschaft«, rief Medeam in das Tosen. »Thalasars Magie hält das Schiff auf Kurs.«
»In diesem Sturm?«
»Er sorgt dafür, dass wir die Wellen im richtigen Winkel nehmen«, brüllte Medeam gegen den Wind an, der auf dem Wellenkamm mit neuer Wucht an ihnen zerrte. »Sonst kentern wir.«
Athanor wollte antworten, doch der Wind riss ihm die Worte aus dem Mund. Erneut stürzte sich das Boot ins Wellental wie ein Schlitten, der einen Hang hinabsaust. Athanor spürte an seinem Haar, wie der Wind hin- und hersprang, als könnte er sich nicht für eine Richtung entscheiden. Die Linoreia begann im Sturz, sich zu drehen. Mit einem Mal kam das Wellental der Breitseite des Boots bedrohlich näher.
»Tut etwas!«, brüllte Athanor Thalasar zu, der mit konzentriertem Blick im Heck saß und einen Zauber wirkte, da er nicht einmal mehr das Ruder hielt, das stattdessen in der Luft hing. Wahrscheinlich hörte der Elf nichts, denn in diesem Augenblick rauschte die Linoreia in solcher Schräglage durch das Tal und in die nächste Woge hinein, dass sich ein Wasserschwall über die Bordkante ergoss. Bis in Athanors Stiefel schwappte es, bevor es, der neuen Neigung folgend, ins Heck floss, doch es blieb genug zurück, dass es Athanor bis über den Knöchel stand.
Wie auf ein stummes Kommando ließen Vindur und er den Mast los und gossen Eimer um Eimer Wasser über Bord, so rasch sie konnten. Auf dem Wogenkamm gelang es Thalasar, das Boot wieder gerade zu richten. Bug voran ging es den nächsten Hang hinab. Das eingedrungene Wasser brandete in dem kippenden Schiff nach vorn wie eine Springflut.
Noch ein solcher Schwall, und die Linoreia sinkt wie ein Stein! Athanor stemmte sich auf den abschüssigen Planken gegen die Kraft, die ihn gen Tiefe zog, und schöpfte um sein Leben. Immer wilder heulte der Wind in den Tauen. Immer unberechenbarer türmten sich die Wellen auf, verwandelten sich von gleichmäßig anrollenden Hügeln in ein zerklüftetes Gebirge. Wie Treibgut wurde das Boot durch die Dunkelheit gewirbelt. Auf dem tintenschwarzen Wasser tanzten Muster aus weißem Schaum.
Athanor blickte nicht mehr auf. Seine Arme bewegten sich wie von selbst. Längst spürte er die vom kalten Wasser tauben Finger nicht mehr, und doch hielten sie den Henkel des Eimers umklammert. Die durchnässten Kleider klebten ihm am Leib. Der Wind peitschte ihm das Haar ins Gesicht, doch er wagte nicht, es zurückzubinden, denn dafür hätte er den Eimer loslassen müssen – die einzige Waffe gegen diesen übermächtigen Feind.
Sosehr sich die Elfen auch mühten, wann immer Athanor glaubte, den Stand des Wassers im Boot gesenkt zu haben, schwappte neues herein. Auf der anderen Seite des Masts betete Vindur in endloser Folge dieselben Flüche vor sich hin, verwünschte Davaron, Schiffe und sämtliche Ozeane der Welt, bis ihm die Stimme versagte.
Wieder und wieder stieg die Linoreia einen Wellenberg hinan, nur um im nächsten Augenblick in einen Abgrund zu rasen. Athanor kippte mit ihr nach vorn und wieder nach hinten, rang um sein Gleichgewicht und das Leeren des nächsten Eimers zugleich. Mal neigte sich das Boot gefährlich weit zur einen, dann zur anderen Seite, sodass er gegen den Mast treten musste, um sich zu stützen. Bald wusste er nicht mehr, wie oft er geglaubt hatte, dass es nun zu Ende ging, dass Thalasars Zauberkraft schwand und sie zu den Riesen am Grund des Ozeans sinken würden.
Je länger ihm der Wind in die Ohren brüllte, je öfter die See das Schiff auf und nieder warf, desto gleichgültiger wurde er gegen das Toben der Elemente. Stur schöpfte er gegen das eindringende Wasser an. Längst waren seine Arme schwer. Sein Rücken ächzte, als stemme er Trolle über Bord. Doch er hatte nicht gegen blutrünstige Chimären und Heere von Untoten gekämpft, um sich jetzt einem dämlichen Sturm zu ergeben. Hörst du, Dunkler? Lass dir was Besseres einfallen! Ich werde den Bastard einholen und dir zu Füßen werfen!
Der nächste Brecher prallte auf die Linoreia, dass die Bordwand krachte. Wassermassen klatschten ins schwankende Boot, und Athanor schwang den Eimer mit neuer Wut.