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»UND WAS IST MIT MIR?« Singlesein

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Von außen sieht das Reihenhaus nach gediegener Familienidylle aus: kleiner Vorgarten mit Schneeglöckchen, Blick ins Grüne und Eichhörnchen, die durch Baumwipfel hüpfen. Wären da nicht die Rennräder, die vor der Tür geparkt sind und im Haus an den Wänden hängen. Marita Schmidt wohnt in einer WG, die nicht nach zusammengewürfelter Studentenbude aussieht, sondern nach einem echten Zuhause. Wir trinken Kaffee im sonnendurchfluteten Wohnzimmer.

Marita hat eine ganze Reihe an Superkräften: Sie ist sportlich. Sie ist kommunikativ und kommt mit wirklich allen ins Gespräch. Sie ist so musikalisch, dass sie nicht nur fünf Instrumente spielen, sondern ad hoc auch immer eine passende zweite Stimme singen kann. Obendrein kann sie auch noch großartig mit Kindern umgehen. Letztere Superkraft kommt bislang hauptsächlich bei ihren zahlreichen Nichten und Neffen zum Einsatz.


Ich stellte mir früher immer vor, dass ich mal mit 24 Jahren heirate und mit 25 das erste Kind bekomme. So kannte ich das aus meiner Familie: Meine Eltern, meine drei älteren Geschwister und meine Onkel und Tanten waren alle mit Anfang oder spätestens Mitte zwanzig verheiratet und haben mehrere Kinder. Auch meine Freundinnen aus der Schule sagten immer: »Marita heiratet mal als Erste und bekommt früh Kinder.« Das war also die Vorstellung in meinem Kopf. Darüber, dass das mal anders kommen könnte, machte ich mir keine Gedanken. Heute bin ich 37, Single, und lebe seit fünf Jahren wieder in einer WG.

Als ich mit 19 fürs Studium in eine neue Stadt zog, lernte ich jemanden kennen, mit dem ich mich schnell gut verstand. Wir waren bald sehr, sehr gute Freunde. Bis er sich in mich verliebte und wollte, dass mehr aus uns würde. Ich selbst war aber nicht so weit und hatte zu dem Zeitpunkt keine Gefühle für ihn. Er fing daraufhin eine Beziehung zu einer anderen Frau an und beendete unsere Freundschaft von heute auf morgen. Das war sehr schmerzhaft und gleichzeitig prägend für mich. In dem Moment wurde mir klar, dass platonische Freundschaften zwischen Frauen und Männern wohl nicht funktionieren. Ich habe mich in den darauffolgenden Jahren deshalb stark auf Mädelsfreundschaften konzentriert. Gleichzeitig klärte ich sehr schnell die Fronten, wann immer ich den Eindruck hatte, dass jemand sich für mich interessierte.

Natürlich sah ich mir damals die Männer in meinem Umfeld an. Wenn jemand für mich dabei gewesen wäre, hätte ich sicher auch Interesse gezeigt. Ich denke, dass ich relativ hohe Ansprüche an einen Partner hatte. Ich suchte nach einem Mann, der wie mein Vater ein Leitertyp war und mit dem ich mich sehr gut unterhalten konnte.

In dieser Zeit dachte ich, dass der Mann für mich einfach noch nicht dabei gewesen war. Von der Vorstellung, dass Gott für mich einen bestimmten Partner vorbereitet hat, verabschiedete ich mich relativ schnell. Im Gespräch mit vielen Freunden hörte ich immer wieder heraus, dass sie sich für einen Partner entschieden hatten, es aber nicht notwendigerweise nur den Einen gab. Um mich herum kamen in dieser Zeit viele Paare zusammen. Eine Zeit lang gab es kaum eine Woche, in der nicht jemand ankündigte, mit jemandem zusammengekommen zu sein oder sich verlobt zu haben.

Am krassesten war es, als ich 25 war: In dem Jahr war ich auf vierzehn Hochzeiten eingeladen. Das war schon irgendwie hart. Trotz der Freude für meine Freunde drängte sich mir manchmal die Frage auf: »Okay, und was ist mit mir?« Ich begann damals, mich zu fragen, ob Gott mich in der Hinsicht eigentlich richtig versorgt. Den Gedanken, dass ich vielleicht mehr tun könnte, um jemanden kennenzulernen, hatte ich in der Zeit aber nicht. Im Studium lernt man ja ständig neue Leute kennen. Außer Frage stand für mich auch, dass ich vielleicht zum Singlesein berufen sein könnte. Der Wunsch in mir nach Beziehung, Ehe und Familie war ja immer da. Über die Jahre merkte ich: Ehelosigkeit ist eine Berufung und eine Geistesgabe, die ich definitiv nicht habe. Und ich glaube nicht, dass Gott uns Gaben aufzwingt, die wir gar nicht wollen.

Ein weiterer großer Einschnitt war mein 30. Geburtstag. An runden Geburtstagen schaut man ja zurück und fragt sich, was man bisher geschafft hat. Und ich dachte: »Jetzt werde ich bald dreißig und bin immer noch Single. So habe ich mir das echt nicht vorgestellt!« In dieser Phase haderte ich viel mit Gott und sprach mit ihm über das Thema. Ich war Gott gegenüber schon immer ziemlich unverhohlen. Ich wuchs in einer christlichen Familie auf und traf mit 12 Jahren die bewusste Entscheidung, Kind Gottes zu sein. Daraufhin ließ ich mich auch taufen. Ich bin also schon ziemlich lange mit Gott unterwegs. Meine Enttäuschungen habe ich ihm schon so manches Mal hingeknallt. Das mache ich auch heute noch, wenn ich sauer bin oder mich vergessen fühle. Ich bringe es so zu Gott, wie es ist. Er kommt damit klar, schließlich weiß er, wen er sich mit mir ins Boot geholt hat. Und er geht trotzdem liebevoll mit mir um. Er zeigt mir immer wieder, dass er um meine Sehnsucht weiß und meinen Schmerz kennt. Bei mir wechselt es ab zwischen Hadern und Trost bekommen. Und wieder Hadern und Sauersein und Zuspruch bekommen: »Du bist mein Kind, ich liebe dich. Ich mache es gut mit dir. Ich lasse dich nicht allein. Ich habe dich nicht vergessen.«

Zwei Tage vor meinem 30. Geburtstag stand wieder einmal eine Hochzeit an. Einige Freunde aus der Gemeinde und ich beschlossen, das Wochenende zu verlängern und im Anschluss meinen Geburtstag zu feiern. Dadurch konnte ich mich doch darauf freuen. Die Hochzeit fand an einem Freitag statt und wir blieben das Wochenende noch vor Ort, feierten von Samstag auf Sonntag in meinen Geburtstag rein und brunchten sonntags alle miteinander. So hart ich es fand, dreißig zu werden: Dreißig zu sein war dann schon nicht mehr so schlimm.

Ab da fing ich an, einige Ansichten von mir über Bord zu werfen. Zum Beispiel fand ich die Vorstellung, im Internet auf Partnersuche zu gehen, viele Jahre lang richtig unattraktiv. Ich dachte, dass ich das vielleicht mal mache, wenn ich 35 bin. Irgendwann sagte der Mann meiner besten Freundin zu mir: »Was ist denn dabei? Melde dich doch einfach an und guck mal. Und wenn es dich nervt, kannst du dich ja wieder abmelden.« Bislang hatte ich immer gedacht, dass diese Mission »Mann finden« dann einen so großen Raum einnehmen würde, und das wollte ich nicht. Ich probierte es aber einfach mal und war etwa ein Jahr lang auf einer Online-Plattform angemeldet. Tatsächlich lernte ich da auch einen tollen Mann kennen. Der war zwar nichts für mich, aber ich stellte ihn einer Freundin von mir vor, die er dann tatsächlich auch heiratete. Es hatte also schon einen Sinn, auch wenn damals für mich niemand dabei war.

Zu diesem Zeitpunkt wohnte ich schon seit ein paar Jahren allein. Ich wollte zumindest einmal ausprobieren, wie das ist, eine Wohnung für mich zu haben. Dabei wusste ich eigentlich von vornherein, dass ich ein Gemeinschaftsmensch bin. Mit knapp 32 entschloss ich mich dann dazu, wieder in eine WG zu ziehen – mit gemischten Gefühlen. Einerseits war es eine ganz bewusste Entscheidung, von der ich wusste, dass sie richtig war. Ich freute mich auch darauf, wieder mit anderen zusammenzuwohnen. Andererseits fühlte es sich wie ein Rückschritt an. Ich dachte: »Krass, jetzt wirst du 32 und ziehst wieder in eine WG. Bei allen geht es weiter und du entwickelst dich zurück.«

Ich denke, dieses Gefühl hing auch damit zusammen, dass mein Lebensweg damit eben nicht dem klassischen Bild entsprach, wie es normalerweise – und vor allem in der christlichen Welt – so läuft: Schule, Ausbildung oder Studium, Kennenlernen, Hochzeit, Hauskauf, Kinder. Bei mir war es anders. Ich stellte fest, dass man immer wieder versucht, zurück auf den »normalen« Weg zu kommen, wenn man auf diesem anderen Weg unterwegs ist. Anstatt zu akzeptieren, dass jeder Weg und jedes Leben anders ist. Und dass das gut ist und auch so sein darf.

Die Entscheidung für ein Leben in Gemeinschaft war für mich auf jeden Fall der richtige Schritt. Ich liebe es, in der WG zu wohnen! Vor allem im Moment, zu Zeiten von Corona. Ich weiß, dass mir die Decke auf den Kopf fallen würde, wenn ich jetzt alleine wohnen würde. Trotzdem fiel es mir damals nicht leicht, diesen Schritt zu gehen.

Die meisten Menschen in meinem direkten Umfeld finden es klasse, wie ich mein Leben gestalte. Meine Familie geht auch toll mit meiner Situation um. Sie sehen, dass ich es mir anders wünsche, und sie wünschen sich das auch für mich. Sie beten mit mir, und sie glauben und hoffen mit mir, dass mein Wunsch nach einer Beziehung in Erfüllung geht. Klar fragen sie auch mal, ob es etwas Neues gibt. Aber ich spüre von ihrer Seite aus überhaupt keinen Druck. Vor allem geben sie mir nicht das Gefühl, auf einem falschen Weg zu sein. Die Menschen, die mir wichtig sind, wissen ja auch aus eigener Erfahrung, dass der eine Weg nicht viel besser sein muss als der andere. Und sie sehen, wie ich mir das Leben schön mache, weil ich Freiheiten habe, die sie gerade nicht haben. Ich liebe Reisen, vor allem Fernreisen, zum Beispiel nach Hawaii, Fidschi, Kambodscha oder Australien. Manchmal lege ich dafür nur die ersten zwei Übernachtungen fest und der Rest ergibt sich vor Ort. Meine Freunde mit kleinen Kindern freuen sich für mich, statt auf mich und meine Freiheiten neidisch zu sein, weil das in ihrer Lebenssituation gerade nicht geht. Die meisten in meiner Umgebung können das differenzieren.

Ein paar dumme Sprüche bekomme ich manchmal aber auch zu hören. Ich habe zum Beispiel eine Verwandte, die immer mal wieder unangebrachte Kommentare macht und mich gleich als Erstes bei einer Begegnung fragt: »Und, was macht die Liebe so?!«, oder: »Komisch, warum will dich denn keiner?!« Solche Sprüche versuche ich zu ignorieren. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass gerade in der christlichen Welt mehr über das Thema Singlesein gesprochen wird. Dass die Facetten davon mehr und differenzierter beleuchtet werden. Gerade in Bezug auf Beziehung und Sexualität geht es zum Beispiel oft ausschließlich um Verheiratete. In Büchern oder Seminaren heißt es dann nur, dass Sexualität für die Ehe bestimmt ist. Da denke ich manchmal: »Ja, super, und ich als Single habe keine Sexualität, oder was?!« Wir sind doch alle als sexuelle Wesen geschaffen. Es kann nicht sein, dass wir die Sexualität so lange verdrängen sollen, bis wir endlich verheiratet sind. Es ist schade, dass es relativ wenig gutes Material dazu gibt, wie man als Single gesund damit umgehen kann. Ich würde mir viel mehr Literatur darüber wünschen und auch eine Enttabuisierung des Themas. Ich würde gern eine größere Lockerheit dabei sehen, Wege zu finden, die eigene Sexualität zu entdecken. Ich brauchte lange, um mich aus ganz viel Scham und Schuld zu befreien, die aus den verqueren Gedanken entstanden, die andere mir dazu auferlegt haben. Heute bin ich damit versöhnt und denke, es ist okay, seinen eigenen Körper kennenzulernen und zu schauen, was einem Lust bereitet. Die Frage ist, wie das auf eine gute Art und Weise geht, in der man auch seine Gedanken dabei beschützt.

Relativ lang steckte ich auch in einem Belohnungsdenken fest und dachte: »Hey, Gott, ich war immer so straight. Ich habe nicht mit Beziehungen und körperlicher Nähe herumprobiert. Ich habe noch nicht mal rumgeknutscht. Stattdessen habe ich immer schnell das Gespräch gesucht, wenn ich gemerkt habe, dass jemand an mir interessiert ist, und habe das geklärt. Ist das jetzt der Dank dafür?« Aber irgendwann wurde mir klar, dass es falsch ist zu glauben, dass man automatisch eine Belohnung erhält, wenn man etwas richtig gemacht hat. So funktioniert Glaube nicht, und so funktioniert auch Gott nicht.


Im Moment geht es mir ziemlich gut mit dem Singlesein, aber das wechselt auch immer wieder. Es gibt Phasen, in denen ich es wirklich schwierig finde. Und dann gibt es andere Phasen, in denen ich mir denke: »Mein Leben ist gut, und es ist auch gut ohne Partner.« Ich will immer mehr an den Punkt kommen, an dem ich das so glauben kann. Gleichzeitig will ich Partnerschaft, Ehe und Familie auch nicht glorifizieren: Ich will nicht denken, dass das die einzig mögliche und sinnvolle Option für mein Leben ist. Ich möchte hier und jetzt leben, weil es das einzige ist, was ich habe. Ich möchte auch keine verbitterte alte Jungfer werden – selbst wenn ich am Ende vielleicht tatsächlich ohne Beziehung bleibe. Wer weiß, vielleicht muss ich mich auch irgendwann von dem Thema Kinder verabschieden. Wenn das tatsächlich so sein sollte, wird Gott mich da auch irgendwie durchbringen. Das weiß ich.

Ich trage einen bislang unerfüllten Wunsch in mir. Aber ich will mein Leben trotzdem wertschätzen, so wie es jetzt ist. Es ist ein Spannungsfeld zwischen Glauben, Hoffen, Vertrauen und Festhalten an Gottes Zusage, dass es irgendwann, zu seiner Zeit, so weit sein wird. Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, dass ich nicht bitter werden möchte. Deswegen schaue ich auch bewusst auf das viele, für das ich dankbar sein kann. Dankbarkeit ist eigentlich unabhängig von Umständen. Darin übe ich mich. Ich möchte ein Mensch sein, der Jesus immer ähnlicher wird und der fröhlich und dankbar durch die Welt geht. Ich weiß, dass Gott mich führt. Auch wenn manche Führung rätselhaft bleibt.

Vor zwei Jahren hielt jemand auf einer Skifreizeit eine Andacht, durch die bei mir vieles zum Thema Singlesein hochkam. Als ich anschließend mit dem Redner sprach, sagte er zu mir: »Marita, Gott hört dein Gebet.« Und dann setzte er noch einmal nach und sagte: »Er hat es schon erhört.« Auf genau dieser Freizeit lernte ich einen Mann kennen, mit dem ich dann später auch zusammenkam. Interessanterweise stellte ich zufällig fest, dass sein Name »Gott hat erhört« bedeutet. Als er mir seine Liebe gestand, berührte mich das tief. Und trotzdem hatte ich auch Angst. Ich brauchte mehrere Wochen, bis ich mich auf die Beziehung zu ihm einlassen konnte. Wahrscheinlich musste ich mich erst mal von der Vorstellung befreien, dass es auf jeden Fall das Richtige sein muss. Ich hatte Angst davor, etwas falsch zu machen. Damals telefonierte ich viel mit meiner Schwester und sie entlastete mich sehr mit ihrer Reaktion. Sie meinte: »Dein Ja zu ihm ist erst mal ein Ja für eine Beziehung. Und nicht ein Ja für eine Ehe.«

Drei Monate später machte er mit mir Schluss. Er meinte, dass er mich wirklich geliebt habe. Trotzdem glaubte er, dass es nicht passte. Das hat mich schon ziemlich gecrasht. Die Beziehung mit ihm, meine erste Beziehung, hatte ich wirklich als Gebetserhörung und als Erfüllung von Gottes Zusage für mich wahrgenommen. Ich denke, dass Gott durchaus etwas Gutes daraus hätte machen können, auch wenn diese Beziehung wahrscheinlich viel Arbeit gewesen wäre. Aber er war ein ganz anderer Typ als ich und hatte viele Ängste, die ich nicht nachvollziehen konnte. Wahrscheinlich wäre ich tatsächlich keine gute Frau für ihn gewesen. Denn alles, was er an Bedenken in Bezug auf unsere Beziehung hatte, konnte ich als Problem nicht wirklich nachvollziehen. Wenn man da nicht übereinkommt, ist es auch schwer, gemeinsam das Leben zu meistern.

Durch diese Erfahrung lernte ich viel dazu. Zum Beispiel legte ich die Angst davor ab, mich auf eine Beziehung einzulassen. Denn so läuft es eben: Es gibt eine Zeit, in der man sich öffnet und verletzlich macht. Und in dieser Zeit schaut man, ob es passt oder nicht. Dafür ist eine Beziehung da. Das kann man in einer reinen Freundschaft nicht herausfinden. Außerdem lernte ich auch viel über mich selbst: Ich fand heraus, wer ich eigentlich bin, wer ich auch in einer Beziehung bin. Dafür bin ich sehr dankbar. Heute bin ich sogar dankbar dafür, dass er so früh Schluss gemacht hat. Ich selbst hätte wahrscheinlich länger gebraucht, um herauszufinden, dass es wirklich nicht passt, und wäre dann emotional viel involvierter gewesen. Auch wenn die Beziehung kaputtgegangen ist, halte ich noch an Gottes Zusage für mich fest. Wenn Gott mein Gebet erhört hat, heißt das ja nicht, dass es jetzt sofort passieren muss.

In der Corona-Pandemie war ich einige Male krank und hatte dadurch mehr Zeit, um nachzudenken. Durch die Krisen- und Krankheitsphasen kam ich in manchen Situationen wirklich an meine Grenzen und wurde damit viel abhängiger von Gott. Es ging auch gar nicht anders. Ich glaube, je mehr wir Gottes Wahrheit in unser Leben sprechen lassen und unsere Beziehung zu Jesus pflegen, desto leichter kann sich auch seine Sicht auf uns in uns manifestieren. Im letzten Jahr habe ich mir mehr Zeit genommen, Predigt-Podcasts zu hören, in der Bibel zu lesen, Workshops und Seminare mitzumachen – gerade auch zu dem Thema, wie Gott uns sieht. Dadurch bin ich viel mehr zu der Identität gekommen, die ich in Gott habe.

Eine Folge davon ist, dass ich heute einen liebevolleren Umgang mit mir selbst habe. Auch in Bezug auf das, was nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle. Zum Beispiel habe ich ein paar körperliche Beschwerden, die einfach nicht weggehen und bei denen es mir bislang schwerfiel, sie zu akzeptieren. Ich habe im letzten Jahr zu mir selbst gefunden und geübt, gut zu mir zu sein. Vor einiger Zeit las ich: »Sei dir selbst eine gute Freundin«. Damals ist mir aufgefallen, dass ich das in vielen Punkten nicht bin. Ich bin oft sehr hart zu mir und habe hohe Ansprüche an mich. Wenn ich mich mal wieder über mich selbst ärgere, fange ich jetzt an zu überlegen, was ich in der Situation zu einer Freundin sagen würde. Und diese Sachen sage ich dann zu mir selbst. Ich bin jetzt viel barmherziger mit mir und meinem Körper und lebe versöhnter mit mir.

Ich sehe, dass dieser Weg mich hat wachsen lassen. Tatsächlich ist es für mich ein Segen, dass ich mich in den letzten Jahren so viel mit mir selbst beschäftigen konnte. Ich weiß heute, wer ich bin und wohin ich will. Das ist eine schöne Position, weil ich manches Destruktive, von dem ich mich verabschiedet habe, nicht mehr mit in eine neue Beziehung hineinnehmen werde. Meine Mutter hatte mit dreißig schon vier Kinder. Sie fing erst mit Anfang sechzig an, sich wirklich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Sie freut sich für mich, dass ich das jetzt schon kann. Weil ich in meiner Situation nicht die Verantwortung für andere habe, sondern nur für mich selbst. Manchmal denke ich: »Toll, ich muss erst vierzig werden, bis ich so weit bin, und andere durften das früher«, aber das ist ein falscher Umkehrschluss. Ich habe das Privileg, jetzt zu reifen und an mir zu arbeiten, um mal eine bessere Ehefrau und Mutter zu sein.

Ich finde, Segen steckt oft in Dingen, die wir erst mal nicht als offensichtlichen Segen erkennen. Häufig liegt er auch in dem, was wir uns ganz anders vorgestellt hatten. Vielleicht führt uns das in eine größere Abhängigkeit von Gott und dazu, dass wir uns mehr auf den Himmel freuen, auf diese vollendete Herrlichkeit. Durch diese Abhängigkeit von Gott kann ich mich umso mehr auf das freuen, was noch kommt. Es heißt ja, Vorfreude ist die schönste Freude. Ich glaube, es kommt noch was Tolles, Großes für mich und es ist okay, dass ich nicht weiß, wann es so weit sein wird.

Das hatte ich so nicht bestellt

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