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6 DAS MÄDCHEN IN SCHWARZ

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Die dunkle Retterin schlich durch die Straßen. Dauernd drehte sie ihren Kopf nach links, um den Bentley nicht aus den Augen zu lassen. Das dunkelblaue Auto fuhr vorsichtig die finsteren Gassen entlang, auf dem Weg zu einem Versteck. Die Gasse sah aus wie alle Gassen, in denen das Mädchen in Schwarz so verkehrte; die Häuser waren heruntergekommen und Abfall lag in allen Ecken. Dadurch, dass die Straßenlaternen bestenfalls die Hälfte der Nacht lang durchhielten, waren diese Straßen die beste Möglichkeit, jemanden unbemerkt zu entführen.

Aber nur, wenn man nicht mit der dunklen Retterin rechnete.

Sie hatte immer noch nicht begriffen, wie es so viele Mädchen schafften, sich in dieselbe Situation zu bringen, aber eines wusste sie: Sie konnte das auf keinen Fall zulassen.

Das Auto beschleunigte auf einmal und die dunkle Retterin ging in die Offensive. Angriff war die beste Verteidigung, pflegte sie zu sagen. Ihre Hand glitt zu ihrer rabenschwarzen Jeans und ein Messer kam aus einer Tasche zum Vorschein. Das Messer flog auf das Auto zu, noch bevor es richtig in ihrer Hand war. Mit einem lauten Krachen landete es in den Scheinwerfern und der Bentley blieb ruckartig stehen. Innerhalb weniger als einer Minute war das Mädchen in Schwarz bei dem Auto angekommen und warf sich auf den Mann, der gerade aussteigen wollte. Dieser fluchte, wehrte sich, aber schlussendlich landeten beide auf dem Boden und rangen miteinander. Die dunkle Retterin zog die Beine an und rammte ihr Knie aufs Geratewohl in den Körper des Mannes. Seinem erstickten Stöhnen nach zu urteilen, hatte sie getroffen.

„Du schon wieder!“, keuchte er und entlockte dem Mädchen in Schwarz ein spöttisches Lachen.

„Schön, dich zu sehen“, behauptete sie, mit ihrem üblichen Sarkasmus in der Stimme. „Und noch schöner, wenn du dich einfach verpissen würdest.“

„Hättest du wohl gerne“, fauchte er aufgebracht, seine Faust schnellte vor und traf die dunkle Retterin seitlich im Gesicht. Sie kippte nach links und kam auf dem Boden auf. Fluchend richtete sie sich auf und kniff die Augen zusammen, bis sich die Welt aufhörte zu drehen. Das hatte man davon, wenn man mit einem perversen Blödmann Witze riss.

Sie sprang hoch, rannte von hinten auf den Mann zu, der auf dem Weg zum Auto war, und umschlang seinen Hals. Er kickte nach hinten und traf sie am Bein, doch sie blieb stur stehen und drückte fester zu. Mit ihren Beinen machte sie es ihm unmöglich, zu fliehen – das eine war vor seinem, das andere seitlich angelegt. Gerade wollte sie ins Auto schauen, um zu erkennen, wo das kleine Mädchen war, als jemand ihr auf die Schulter klopfte. Da stand das Mädchen aus dem Auto und hielt ihr einen Gegenstand hin – erst als sie ihn ergriff, erkannte sie, dass es sich dabei um ihr Messer handelte. Ungläubig starrte sie in die blauen Augen der Kleinen und strich ihr rasch über ihre blonden Locken.

„Danke. Versteck dich da hinten!“, flüsterte sie und wandte sich wieder dem Blödmann zu. Er schlug wieder um sich, befreite sich aus ihrem Griff und rannte davon. Mit einem wütenden Knurren setzte die dunkle Retterin ihm nach. Sie warf sich nach vorn, sprang und krallte sich an dem Hemd des Mannes fest. Sie fielen hin und das Mädchen in Schwarz begrub den Mann unter sich, das Messer gezückt.

„Wie oft muss ich dich noch verprügeln?“, zischte sie aufgebracht und hielt ihm das Messer an den Hals, auch wenn sie nicht vorhatte, ihn zu töten. Seine Augen weiteten sich, er begann zu zappeln und um sich zu schlagen, aber ihr Griff war erbarmungslos. Mit einer ruckartigen Bewegung fuhr ihr Messer quer über seine Brust, jedoch darauf bedacht, ihn nicht tödlich zu verletzen. Als sie sicher war, dass er unfähig war, ihr zu folgen, schnellte sie hoch und eilte zu der Kleinen zurück, die brav auf sie wartete.

„Hey, du Süße“, sagte das Mädchen in Schwarz leise und betrachtete das Mädchen, das wie ein kleiner Engel aussah. Es stand leicht zitternd in der Ecke und blickte sie mit verängstigtem Blick an. Die Kleine reagierte völlig unerwartet auf die dunkle Retterin: Sie warf sich blindlings in ihre Arme. Berührt von der Umarmung lächelte das Mädchen in Schwarz. Sanft streichelte sie ihr über den Kopf und flüsterte: „Du bist ein starkes Mädchen. Alles wird gut, Kleine.“ Und nach einer Weile: „Wo wohnst du? Ich kann dich nach Hause bringen.“

Das Mädchen schaute sie abschätzend an, dann sagte sie zögerlich: „Da hinten.“ Und zeigte die Gasse hinauf. „Es dauert etwa fünf Minuten, ich habe nur vor meinem Haus gespielt, als ...“, sie brach ab, presste die Lippen zusammen und sagte nichts mehr. Die dunkle Retterin nahm sie mitfühlend am Arm – die Geste des Mädchens war so typisch, dass es ihr fast das Herz zerbrach. Darauf bedacht, immer um die Straßenlaternen herumzugehen, setzte sich das Mädchen in Schwarz in Bewegung.

„Ganz ruhig, alles wird gut. Ich bringe dich nach Hause“, redete sie beruhigend auf das Mädchen ein, eilig den Weg einschlagend, den die Kleine beschrieben hatte. Sie hastete ihr hinterher, ihre Hand fest umklammert. Dieses Mädchen hatte es nicht verdient, so was in dem Alter zu erleben. Sie hätte mit ihren Freundinnen Pyjamapartys machen sollen und einem Jungen nachschwärmen, so wie jedes Kind mit zwölf Jahren. Auch wenn das Mädchen in Schwarz liebend gerne diese eine Nacht aus ihrem Leben geschnitten hätte, sollte niemand anderes dasselbe durchmachen. Ein Ruck ging durch ihre Hand und sie hielt an. Das kleine Mädchen war stehen geblieben und deutete auf ein Haus vor ihnen, das wie alle anderen Häuser in dieser Straße groß war und weiß gestrichen. Im Gegensatz zu den heruntergekommenen Gassen, in die die Entführer so gerne gingen, leuchteten hier alle Straßenlaternen und die dunkle Retterin verdichtete die Schatten um sich herum.

„Da wohnst du?“, fragte sie.

Das Mädchen nickte, sodass ihre blonden Locken in alle Richtungen flogen.

„Gut. Dann geh ich mal“, meinte sie und ließ die Hand der Kleinen los, doch diese schüttelte vehement den Kopf und krallte sich an ihr fest. „Nein! Geh nicht!“

Die dunkle Retterin beugte sich vor, hastig gab sie der Kleinen einen Kuss auf den Kopf. „Tut mir leid“, flüsterte sie und meinte es ernst. „Vielleicht sehen wir uns mal wieder.“

Das Mädchen lächelte und rannte dann, so schnell es konnte, zum Haus.

Es dauerte einen Moment, bis das Mädchen in Schwarz merkte, was es vorhatte und panisch ließ sie die Schatten um sich herum schwarz werden. Als die Mutter des Kindes im Türrahmen erschien, um die Retterin ihrer Tochter zu sehen, war diese schon weg und hatte nur noch ein Stück Dunkelheit hinterlassen.

Tigermädchen

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