Читать книгу Das vermehrte Ölfässchen - Denise Remisberger - Страница 10
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Оглавление«Da bist du ja endlich!», flüsterte Sebastian, nachdem er Roszalia in sein Zimmer im Hotel L’Hôtel gelassen hatte.
«Ich musste unterwegs noch essen gehen, sonst wäre ich ohnmächtig am Steuer zusammengebrochen. Sag mal, Sebastian, der olle Fulminand hat mir zwar deine Zimmernummer durchgegeben, aber nicht meine. Ich hoffe, in der Zwischenzeit hat er reserviert.»
«Roszalia, dies ist ein sehr teures Hotel. Wir können uns nur ein Zimmer leisten.»
«Ich soll mit dir zusammen in diesem Doppelbett hier nächtigen?»
«Ich tu dir schon nix. Ich steh nicht auf junges Gemüse.»
Roszalia stemmte die Fäuste in ihre schlanke Taille, schüttelte ihr honigblondes langes Haar und starrte auf die gediegene Bettstatt. Das wurde zwar alles von Sebastian registriert, doch sogleich wieder unterdrückt. Der Geist von Oscar Wilde, der in diesem Hotel gestorben war, konnte da nur lachen.
«Ich nehme die Fensterseite», bestimmte Roszalia.
Draussen im Gang ertönte lautes Lachen und aufgeregtes Durcheinanderreden.
«Das sind sie», sagte Sebastian. «Gehen wir, komm.»
Während die beiden Pfarrer, Sabine, Hunki und Klara im Lift nach unten trudelten, eilten Sebastian und Roszalia die Treppen hinunter, um die Gruppe inkognito zu verfolgen und zu beobachten, ob Hunki Chrüter hier im Ausland Drogen vertickte oder sonst irgendetwas Illegales tat. Wieso Abteilungsleiter Normann Kluss diesen armen Tropf unbedingt überführen wollte, wussten beide nicht. Bisher wurde Chrüter nämlich nur als Konsument diverser Drogen auffällig und keinesfalls als Dealer. Und selbst wenn er den Gassennamen eines Kleindealers kannte, was nützte das schon?
Die fünf Munteren – die anderen der Reisegruppe waren schlafen gegangen – setzten sich in den Citroën, natürlich wieder mit Sabine am Steuer, die keine Hemmungen hatte, sich im Pariser Stadtverkehr zurechtzuhupen, und sausten von der rue des Beaux Arts im sechsten Arrondissement auf der linken Seite der Seine ins La Bellevilloise in der rue Boyer im zwanzigsten Arrondissement.
«Wow, die vielen Lichter», sah Roszalia staunend aus dem Peugeot-Fenster.
«Roszalia, wir sind nicht wegen der Schönheit von Paris hier, sondern um den abgetakelten Hunki Chrüter zu beschatten. Und ausserdem finde ich es äusserst nervenaufreibend, in dieser Stadt Auto zu fahren. Hinzu kommt, dass diese Gestörte da vorne einen Affenzahn drauf hat und, o je!, immer im allerletzten Moment den Blinker setzt.»
Sebastian Meyer, als allerbester Autofahrer der Kantonspolizei Zürich gefeiert, schaffte es nur knapp, Sabine nicht aus den Augen zu verlieren.
«So, hier sind wir», frohlockte Sabine, stieg aus dem Citroën und strich ihr schickes Abendkleid glatt. Die beiden Pfarrer hatten sich im Partnerlook in schwarze Jeans und olivgrüne Rollkragenpullover geworfen, Klara trug ein dunkelblaues Wollkleid und Hunki eine Flare-Jeans plus indisches Krepp-Oberteil.
«Machen wir, dass wir reinkommen», meinte Hunki mit den langgezogenen Silben eines Zugedröhnten, «hier draussen ist es saukalt.»
«Dass du das in deinem Zustand überhaupt noch merkst», rümpfte Klara die Nase.
«Ich merke alles», posaunte Hunki und fiel prompt über seine eigenen Füsse. «Oh Mann», stöhnte er und liess sich wieder aufhelfen.
«Hast du dich verletzt?», wollte Klara wissen.
«Nein, nein, es geht schon.»
Drinnen, im Parterre des mehrstöckigen Lokals, fand gerade ein Konzert statt.
«Tönt wie Isabelle Boulay», meinte Sabine.
«Und ist sie es auch?», fragte Sebastienne.
«Ich weiss nicht. Der Kellner, den ich nach einem Ort zum Ausgehen gefragt habe, hat mir nur die Lokalität empfohlen. Das aktuelle Programm kannte er nicht. Ist ja auch egal. Hauptsache, wir sind hier.»
An der bemalten langen Bar holten sie sich fünf Pernods, um sich damit um eine der breiten Säulen zu drapieren. Die kleinen Tische waren leider alle besetzt.
«Da ist Chrüter», zeigte Sebastian auf den Beschatteten.
«Was ist, wenn Hunki einer der im Hotel gebliebenen Frauen den Auftrag zum Dealen gegeben hat? Vielleicht hätte ich dort bleiben sollen», warf Roszalia eine Hypothese in den Raum.
«Wem denn?» Die Einzige, der er das zutrauen würde, die Schicke, war anwesend. «Vielleicht den beiden Rentnerinnen?», zweifelte Sebastian.
«Ja, früher, als die noch klein waren, war schmuggeln und auf dem Schwarzmarkt handeln noch ein Kavaliersdelikt.»
«Ja, die damals noch jungen Damen und ihre Mütter und Tanten wollten halt ihren Kaffee haben. Und die Kaffeesteuer in der Nachkriegszeit war nicht ohne.»
«Von Belgien nach Deutschland über die Schweiz nach Italien.»
«Mein Grossvater war damals Buchhalter und da meine Grosseltern auf dem Land lebten, besassen sie auch Hühner, eine Ziege, zwei Obstbäume und einen grossen Gemüsegarten. Den Rest kaufte meine Grossmutter im Dorfladen. Nur, dort gab es keine Luxusgüter. Und nachher kam die Hochkonjunktur. Das waren sicher tolle Zeiten, nicht wie heute mit den vielen Arbeitslosen.»
«Ja, wir können froh sein, dass wir Abteilungsleiter Kluss bei Fuss gehorchen dürfen», meinte Roszalia trocken.
«Hier sind wir fern der Heimat. Hier können wir ein bisschen sanfter durchgreifen, sofern das unter uns bleibt.»
«Klar. Ich kann lügen wie gedruckt. Keine Sorge», grinste Roszalia und warf ihr Haar nach hinten, direkt ins Gesicht eines hübschen jungen Franzosen, der sie anlächelte.
Nach dem Konzert gab es Disko kunterbunt, von Pulp zu Placebo, von Runrig zu Beth Rowley. Die fünf Beobachteten tanzten unbekümmert, Roszalia alberte mit dem jungen Franzosen herum und Sebastian lehnte missmutig an einer Säule. Irgendwann in den frühen Morgenstunden brachen sie auf, Sabine hauptsächlich nüchtern am Steuer, die anderen vier sturzbetrunken, Sebastian mit Roszalia hinterdrein.
«Was wolltest du bloss von dem?», schimpfte Sebastian über die französische Konkurrenz.
«Bastilein, es ist vier Uhr morgens.»
«Zum ungeniert Flirten hattest du aber noch genug Kraft.»
«Darum habe ich jetzt keine mehr», meinte Roszalia noch und war auch schon tief und fest eingeschlafen.