Читать книгу Das vermehrte Ölfässchen - Denise Remisberger - Страница 4
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ОглавлениеEine Stunde nach Abfahrt, also um acht Uhr 34, fuhr der Zug in den Hauptbahnhof von Basel ein. Hedwig Sandmann zog ihre Identitätskarte aus ihrem voluminösen himmelblauen Portemonnaie.
«Es gibt keine Passkontrolle mehr, Hedwig, jetzt schon seit vier Jahren nicht mehr», verdrehte Tessa Weissfeld die Augen.
«Und was ist mit der Schleierfahndung, hä?! Da kann zwischen hier und einem guten Stück nach der schweizerisch-französischen Grenze jeder x-beliebige Zollschnösel daherkommen und uns alle kontrollieren. Und unsere Waren sowieso. Warenkontrolle gibt’s immer noch.»
«Was für Waren denn?! Wir tragen doch keine Lastwagenladungen mit uns mit!»
«Oh je!», rief Pfarrer Sebastienne, «hoffentlich nehmen sie mir meine Schuhe nicht weg.»
«Was sollen sie denn mit deinen Schuhen?!», kicherte die fünfjährige Babsi und klatschte in die Hände.
«Babsi, ehrlich», meinte ihre Mutter Gwendolen halbherzig.
«Der Pfarrer hat Schuhe, der Pfarrer hat Schuhe», sang die Kleine rhythmisch mit ihrer Mütze aus rotem Filz auf dem Kopf, die sie keinesfalls ausziehen wollte.
«Und unser Fräulein Teufelchen hier hat 13 Mützen eingepackt», lüftete Mutter Gwendolen das Geheimnis der grossen rosa-grün gestreiften Tragetasche und legte sachte eine Hand auf die beiden Hörnchen, die aus der roten Mütze herausragten.
«Ja, ja, wir haben eben alle unsere kleinen Geheimnisse. Was meint ihr, welches unser Jacques hütet?», seufzte Sebastienne, der ein bisschen verliebt war. Die fünf in diesem Abteil dachten darüber nach und kamen zu der Überzeugung, dass Jacques grundehrlich war. Wie sie sich da täuschten. Denn genau in diesem Moment meldete sich Pfarrer Jacques’ Handy mit einem flotten Glockenton, dessen Anrufnummer auf dem Display ihn dazu animierte, sich schleunigst auf die Toilette zurückzuziehen.
«Hans-Peter, was gibt’s?»
«Jacques, ich muss dir was erzählen», tönte es ganz aus dem Häuschen an des Pfarrers Ohr, «mein Abnehmer, der deutsche Bischof, ist auf der Suche nach einer Reliquie.»
«Wann ist er das nicht?!»
«Ja, ja. Sicher. Die Reliquie befindet sich wahrscheinlich in Paris, genauer gesagt, in der Nähe der Stadt. Und dort fährst du doch gerade hin, nicht wahr, Jacques? Du musst sie für mich, beziehungsweise für den Bischof, organisieren. Er zahlt, na ja, für dich bleiben dann noch, sagen wir, 10.000?»
«Ehrlich, Hans-Peter.»
«Also gut, das Doppelte.»
«Das Dreifache, Hans-Peter.»
«Gut, gut. Ich sende dir ein Bild von ihr mit der Adresse der Kirche, in der sie sich befinden sollte.»
«Ja, tu das. Ich kümmere mich dann darum. Ciao Hans-Peter.»
«Ciao Jacques und viel Glück», frohlockte der Prior des Klosters Sankt Gallen und machte sich an die Arbeit.
Als Abt Cornelius nach ihm rief, musste Hans-Peter allerdings seine Geheimaktion unterbrechen.
«Hans-Peter, Hans-Peter!»
«Ja doch, ich bin hier», eilte der Prior seinem Abt auf dem frisch gebohnerten Gang des kleinen bewohnten Klosters entgegen, das im ehemaligen weitläufigen Abteigelände, das heutzutage teilweise für Regierungsbüros und teilweise von der katholischen Diözese Sankt Gallen inklusive Bischofswohnung genutzt wurde, beheimatet war.
«Bischof Markus hat mir gerade ein Geschenk für die Nonnen des Klosters Notkersegg rübergebracht, Hans-Peter. Bringst du es den Damen bitte?»
«Wieso ich?»
«Ich hab Rheuma, wie du weisst. Und da oben hat es die ganze Nacht heftigst geschneit. Du willst mir doch keinen Fussmarsch da hinauf zumuten, Hans-Peter, oder?!»
«Fussmarsch?»
«Du darfst den Bus nehmen bis Mühlegg, keine Sorge, Hans-Peter. Aber von der Haltestelle an musst du laufen.»
«Ich könnte auch den Lancia nehmen, Cornelius, der hat Vorderradantrieb. Wenigstens bis zur Badanstalt.»
«Also gut. Aber von dort aus läufst du! Hans-Peter, ein bisschen Bewegung wird dir gut tun. Sonst rollst du uns noch weg», kicherte Abt Cornelius.
«Findest du mich zu dick?»
«Na ja, wer viel Nachtisch schöpft, braucht auch viel Sport, sag ich immer.»
«Sport, aha, Sport», schimpfte der genussfreudige Prior vor sich hin, während er das sperrige Geschenk in seinen Rucksack packte und sich ins verdeckte Cabrio setzte. Heizung und Radio Toxic FM voll aufgedreht, flitzte er die Speicherstrasse entlang und den Nordhang des Schattenhügels der Stadt hinauf, sang zu den letzten Tönen Just Breathe von Pearl Jam, schaltete dann auf Radio FM1 Melody um, wo gerade Two Piña Coladas von Garth Brooks lief und vergass das angebliche Dicksein. Auf dem Weg vom Parkplatz der Badanstalt bis zum Kloster kam es ihm allerdings wieder in den Sinn, denn die Strecke war noch nicht gepfadet worden, sodass der runde Prior mit seinen zwar teuren, aber eher ungeeigneten Wildlederstiefeln bei jedem Schritt tief einsank. Und rutschig war es auch.
«Kerstin, ich hab ein Geschenk für euch», rief der Prior ausser Atem und peilte die Schnee schaufelnde Nonne an, die vor dem Eingang ihres Zuhauses eine Schneise freilegte.
«Hans-Peter, was tust denn du hier bei uns oben?», hielt die Nonne mit Schaufeln inne.
«Bischof Markus schickt mich.»
«Wieso sollte Bischof Markus ausgerechnet dich schicken?» Schwester Kerstin traute dem Prior nicht für fünf Rappen über den Weg.
«Ich bin immerhin der Prior.»
«Ja, das ist mir auch so ein Rätsel.»
«Na ja, eigentlich war es die Idee des Abtes, dass ausgerechnet ich Armer bei diesem elenden Wetter hier hinaufstapfen muss. Hast du nicht ein Gläschen für mich?»
«Nein, kein Gläschen. Um diese Zeit gibt es nur ein Tässchen.»
«Grappa?»
«Nicht im Traum, Hans-Peter. Schwarztee. Biologisch. Mit Milch und Rohrzucker. Los, komm rein. Und stell dich nicht so wehleidig an.»
Im Gästehaus bekam Hans-Peter seinen gesunden Tee und überreichte Schwester Kerstin das Geschenk des Bischofs, einen in sonnigen Farben gehaltenen Gobelin, welcher das Kloster Notkersegg und dessen Umgebung mit den „Drei Weiern“ darstellte. Eine gute Stunde später, endlich wieder daheim in seiner luxuriösen Kammer, sendete der Prior ein Bild der gewünschten Reliquie und die Adresse der kleinen Kirche ausserhalb von Paris an Pfarrer Jacques’ Handy.