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(Kapitel 4 – Undine)
ОглавлениеDer Exzess in seiner höchsten Form, der Überfluss am Genuss führt unweigerlich zum Tod, zur Qual, zur Destruktion. Das Warten und das Verlangen sind viel schöner als der eigentliche Akt – das masochistische Warten, die Vorstellung der Möglichkeit, die Vorstellung der Tat.
Strömend prasselte das heiße Wasser auf ihn nieder, massierte seine Stirn, lief über seine Augen, an seiner Nase entlang, über seine Wangen und Lippen. Dann fuhr er sich mit seinen Händen übers Gesicht und wischte das Wasser herunter, bevor er seinen Kopf zu Boden fallen ließ. Massierend schlug es jetzt in seinen Nacken. Er stütze sich an der Wand vor ihm ab und schaute auf dem weißen marmornen Boden. Ganz still stand er so für einige Augenblicke, bevor er den Wasserhahn schloss und sich aufrichtete. Langsam tropften die letzten warmen Reste an ihm herunter, während er sie leicht von sich strich und erleichtert ausatmend aus der Dusche trat. Das Handtuch war rau und trocken, so dass er jede Faser an seinem Körper spürte. Den beschlagenen Spiegel bemerkte er erst, als er wieder trocken war. Mit dem Handtuch noch über seine zerzausten Haare fahrend, betrachtete er die verschwommene Gestalt im Spiegel. Während er die Gestalt beim Heraustreten aus dem Nebel beobachtete, rutschte das Handtuch von seinen Kopf und legte sich um seinen Hals. Langsam löste sich der Nebel auf. Ganz ruhig und entspannt fuhr er sich durch die Haare und legte sie sanft zurecht, ohne dabei die Gestalt aus den Augen zu verlieren. Sie folgte ihm. Gedankenleer starrte er in ihre nackten Augen.
›Wie merkwürdig, dass man sich selbst nie in die Augen sehen kann.‹ Wie die erste Schneeflocke im Winter, fiel der Gedanken auf ihn nieder und trat in die Leere, bevor sie unter den Anderen im wilden Schneegestöber verschwand. ›Wie kann es sein, dass man immer nur ein Auge zur selben Zeit sehen kann?‹ – stumm starrte er das rechte Auge an. ›Wirklich sehen, das andere verschwindet ja nicht, aber es hängt doch bloß leer im Hintergrund, obwohl ich doch gerade mit ihm zusammen das eine Auge betrachte. Merkwürdig, dass nicht nichts, nicht eine Sache, sondern immer fremde Eindrücke mit hineinfallen‹, ohne sich zu bewegen, wechselte er seinen Fokus auf das linke Auge, ›und kaum fällt der Blick auf das Fremde, scheint es doch bereits bekannt zu sein, während das zuvor bekannte plötzlich selbst fremd erscheint.‹
Langsam schwankte er nach vorne, lehnte sich mit der Hüfte ans Waschbecken und beugte sich ganz nah an den Spiegel heran, in der Hoffnung beide Augen gleichzeitig zu sehen.
»Wie unglaublich fremd doch alles wirkt. Von dem, der hier steht, sich fühlt und dieser Figur, die mir da Gegenüber steht. Naja, wer sieht denn schon immer das Gleiche. Wer ist sich selbst denn nie Fremd?«
Aber sich selbst nie fremd sein und sich immer fremd zu sein, sind zwei große Unterschiede.
–
Stumm starrte er in sein fast leeres Glas und betrachtete gedankenleer die goldene Flüssigkeit, die sich über den gläsernen Boden legte. Mit einem Arm umklammerte er das Glas, während der Andere entspannt auf dem Tisch lag. Die verqualmte Luft brannte in seinen Augen. Vom sich im Zimmer ausbreitenden Zigarettenrauch waren sie bereits leicht rot angelaufen. Nur kurz, wenn jemand hinein oder hinaus ging, konnte der Qualm durch die Tür fliehen, sonst schwebte er leblos im Zimmer herum. Neben dem ekelhaften Qualm, war die Luft zudem noch vom verschütteten Alkohol geradezu durchtränkt. Kein schöner, reiner Spiritusgeruch, sondern eine Mischung aus allen Möglichen Alkoholgerüchen, gepantscht mit viel zu viel Zucker, so dass alle Tische verklebt waren. Steif, ohne sich im Raum sichtbar zu machen, hob er sein Glas und nahm einen tiefen Schluck.
»Ah« – er verzog sein Gesicht, während die Flüssigkeit brennend seinen Hals hinunterlief.
Die gute Laune mit der er sein Zimmer verlassen hatte, war längst verflogen – eigentlich war sie in dem Moment verschwunden, in dem er den Raum betreten hatte und ihn der Zigarettenqualm ins Gesicht geschlagen war. Gegen den Alkohol hatte er nichts, ganz im Gegenteil, aber der Qualm … und dann gab es noch nicht einmal die Möglichkeit, ein Fenster zu öffnen, weil das Meer die ganze Zeit gegen die Bullaugen schlug und den Raum in kurzer Zeit unter Wasser gesetzt hätte. Schwefelgelbes Licht ersetzte die totale Dunkelheit – fast schreiend unterhielten sich die kleinen Gruppen an den Tischen. Sie störten sich gegenseitig und mussten sich von der Lautstärke immer wieder gegenseitig übertrumpfen, damit sie überhaupt noch etwas verstehen konnten. Er saß mitten drinnen in diesem Lärmkegel und starrte in sein Glas. Es war nicht das richtige Glas, aber naja, man kann ja nicht alles haben, besonders nicht mitten im blauen Nichts. Immerhin hielt der Lärm ihn von seinen eigenen Gedanken fern und half ihm sich zu fokussieren, sich zu isolieren.
»Hèn?«
»...ob du schon mal mit dem Kapitän gesprochen hast?«
Nochmal nahm er sein Glas und kippte den letzten Rest hinunter, atmete nach dem Schluck tief durch und grinste die Gruppe schief an.
»Ja hab ich.« Er griff nach der Flasche und schenkte sich neu ein. »Wann war das nochmal – gestern? oder heute morgen? – draußen am Deck.« Wieder nahm er einen Schluck aus dem neu gefüllten Glas.
»Kein Wunder, so oft wie du da draußen rumhängst. Der Einsame schützt den König vor dem Pöbel.«
»Ja oder der König den Einsamen vor dem Pöbel.«, schallte es lachend aus der Gruppe.
Verwirrt und unsicher, wie er das verstehen sollte, schaute er die Runde entlang.
»Ja und? Was war?«, kam ihm aus dieser nach kurzem Zögern entgegen.
»Wie was war?«
»Ouah Alder, lebst du hinterm Mond oder wat? Was hat er gesaacht?«
»Getan?«
»Was ist passiaat?«
»Ja nichts. Wir haben kurz gesprochen, dann ist er wieder gegangen.«, wehrte er sich gegen die Gruppe.
»Ouah ey, „Nichts“ scheint dein Lieblingswort zu sein, wa? Was habt ihr denn besprochen?«
»Ja nichts.« Er griente ironisch, obwohl er es unabsichtlich gesagt hatte. »Er wollte, wie alle hier, wissen, warum ich denn immer vorne am Deck stehe«, wieder nahm er einen Schluck und verzog sein Gesicht »und dann hat er mich noch für den Wachdienst eingeteilt.«
»Und – warum lungerst du immer vorne am Deck rum?«
»Keine Ahnung«, antwortete er nach kurzem Überlegen, »es ist ruhig und friedlich.«
»Ruhig und friedlich,« lachte ihn sein Gegenüber an, »hast du mal durchs Glas gesehn, da is Sturm draußen.«
»Mann kennt ihr das nicht? – Ihr steht vor etwas großem Unüberwindbaren und ihr kommt euch plötzlich ganz klein und unwichtig vor, ihr erkennt, dass ihr nur ein ganz kleiner Teil seid, machtlos gegenüber diesen Gewalten.«
Es war still geworden am Tisch und alle schauten ihn verwirrt an. Das Problem war nicht unbedingt, dass sie ihn nicht verstanden, das merkwürdige war nur, dass sie ja eben nicht machtlos waren. Sie waren auf einem riesigen Schiff mitten im Meer, mit dem völlig natürlichen und normalen Ziel es zu überqueren. Dazu kam noch, dass sie gerade einem Sturm trotzten und trotzdem keine Gefahr bestand. Das Schiff war dem Meer nicht schutzlos ausgeliefert, es brauchte keine Angst davor zu haben. Aber genau darum ging es ihm nicht –
Unverstanden nahm er einen großen Schluck, stellte das Glas mit einem Ruck auf den Tisch, dass es einen lauten Knall gab, verzerrte sein Gesicht stärker als nötig gewesen wäre und schob seinen Stuhl zurück.
»Will noch jemand was zu trinken? – Nein? Ok!«
Dann zog er sein Glas über den Tisch und ging zur Theke.
»Ich hätte in meinem Zimmer bleiben sollen.«, murmelte er, stellte sein Glas auf den Tresen und lehnte sich gegen ihn.
Im Grunde freute er sich sogar, dass seine Kollegen es nicht nachvollziehen konnten. Er fühlte sich bestätigt. Es war Seins und nur Seins. Plötzlich fing er laut an zu lachen – stoppte dann aber abrupt wieder und trank sein Glas in einem Zug leer. Er spürte den Alkohol in seinen Beinen und seinem Gesicht. Trotzdem fühlte er sich noch klar, wusste noch genau was er tat und wie er es tat, auch wenn die Umsetzung seiner Bewegungen unsicher und verzögert waren. Das, was der Alkohol wirklich tat, auch das konnte er genau spüren, war ihm seine Scham zu nehmen, die sich hinter seiner sonstigen Ruhe versteckte.
›Schade‹, dachte er, man müsste immer betrunken sein…‹ unkontrolliert begann er zu grinsen, bevor er lachend zum leerem Glas sagte: »oder betrunken nüchtern.« ›Frei von allen Zweifeln und Ängsten und trotzdem klar. Wild und ungezähmt und trotzdem ganz bewusst. Alles sehen und trotzdem blind.‹ Dann schenkte er sich erneut ein und nahm wieder einen tiefen Schluck.
Zuerst war er traurig gewesen, dass sie nicht zwischen den Anderen saß, doch jetzt freute er sich darüber. Es erleichterte ihn. Auch wenn er sich immer nach ihr sehnte, war sie doch ein Gewicht auf seiner Brust, ein Anker, der ihm das Atmen schwer machte oder ein Tuch, das sich auf seine Auge legte und ihn das sehen erschwerte. So konnte er sich in Ruhe betrinken. Erschöpft atmete er aus und starrte traurig in sein Glas. Er wusste wirklich nicht, was das zwischen ihnen war – Was wusste er denn schon von ihr? Nur weil sie sich ohne zögern auf ihn einließ? Was hatte das schon zu bedeuten? Ein paar freundliche Augen! Das schien alles viel zu nüchtern und dabei waren es schon die Gedanken eines Betrunkenen. War es denn wirklich so kompliziert?
›Der Betrunkene ist wie ein Kind‹, dachte er – was war er von beiden?
»Nicht so trübselich,«
Er war so in Gedanken, dass er die fremde Stimme gar nicht bemerkt hatte.
›Wie lässt sich etwas anfassen, was man fühlt?‹
»dat Meer is ock kin freedsamer Ort.«
›Es fehlt an Wahnsinn.‹
»Was?« verwirrt drehte er sich nach der Stimme um.
»Ick hab vorhin gehört, wat de über dat Meer gesacht has und gloub mir, ick bin schon sou lang ob ihr unterwechs, ick kenn sie besser als meene eegene Fruu.«
»Sie?« fragte er ironisch, während er sein Glas zum Trinken ansetzte.
»Jaja, für euch Jungspunde ist das alles Unsinn, schon klar, aber weißte, wenn man sou lange obm Meer herumschippert, sie einen bricht, hin und her wirft und einen dann wieder lieb in die Arme nimmt, dann entsteht eine seer enge Beziehung, die wie die Liebe zu meener leeben Frau ist.«
»Nur etwas tiefer und größer.«, erwiderte er leicht verächtlich und lachte hustend durch seine Nase. Er wollte sich gerade wegdrehen –
»Hast du denn vorhin etwas anderes gemeint?«
»Vielleicht etwas tieferes als das!«, antwortete er höhnisch.
»Und die Liebe zu einer Frau ist etwa nichts Tiefes?«
»Doch, aber...«
Daraufhin lachte der Alte. »Muss es denn immer gleich im Meer versinken, damit es wahr ist? Mag sin, dat ich keen Poet oder Philosoff bin und mich nicht so söhn ausdrücken kann wie du, sondern nur ein alter betrunkener Matrose bin, aber immerhin, wohnt dieser Matrose obm Meer und nicht nur in söunen Gedanken drüber. Und eens kann ick dir ock verspreken, im Gegensatz zu deenen tollen Gedanken, is dat nich so moi.« Er nahm einen Schluck aus seiner Flasche und griente ihn an, »wie die Liebe übrigens auch nicht.«
»Wen interessiert schon die Realität –« murmelte er in sein Glas.
»Den Träumer!«, antwortete der Alte sofort.
Verwirrt schaute er von seinem Glas auf und sah seinen Gesprächspartner zum ersten mal an.
»Ja – wo kickst du denn hin, wenn du am Deck stehst? Wovon solltest du denn sonst Träumen, wenn nicht von ihr?«
Der Alte hielt ihm seine Flasche zum Prost entgegen. Beide nahmen einen großen Schluck, dass der Alte ihm sein Glas wieder auffüllen musste und dabei fortfuhr:
»Und wer weiß, vielleicht ist die Realität manchmal mehr Traum als der Traum selbst.«
»Seemannsgarn?«, fragte er nüchtern sein Glas hebend.
»Seemannsgarn.«, antwortete der Alte und hob seine Flasche zum Prost.
»Riesenkraken und ein weißer Wal oder was?«
Wieder lachte der Alte nur. »Es gibt etwas viel Gefährlicheres als das, was sich in der Dunkelheit verbirgt.“
»Und dat wär?« Er ahmte ihn nach.
»Die Dunkelheit selbst.«
Er schaute ihn mit unglaubwürdigen Augen an. »Naja die Dunkelheit kann sich wohl schlecht in sich selbst verbergen?«
Der Alte hatte eine große rot-geschwollene Nase im Gesicht, die einige Pickel trug. Den Rest seines Gesichts versteckte er hinter einem rauen, grauen Bart aus dem ein schiefes gelbes Lächeln hervortrat. Seine groben aderreichen Hände zitterten und waren übersät mit braunen Flecken. Man sah ihm sein raues und arbeitsreiches Leben an. Doch trotz dieses groben Aussehens, lagen ihm zwei freundliche zufriedene Augen gegenüber, die seinem Misstrauen strahlend standhielten. Und es war dieses Lächeln, das ihm Angst machte. Er fühlte, dass der Alte recht hatte. Nein, er fühlte es nicht nur, er befürchtete es – ›womit denn?‹ Er war schon zu betrunken, er konnte nicht mehr klar denken.
Der Alte hatte seinen Einwand ignoriert und war einfach fortgefahren. »Oh gloub mir, dat Meer ist viel gefährlicher als du gloubst. Unberechenbar is se.«
»Ja, das hab ich schon oft in den letzten Tagen gehört.«
»Du gloubst, dat hier is'n Sturm? Dat is'n Witz, nix weeder als ne leichte Böe.«
Der Alte hörte jetzt gar nicht mehr auf zu reden, ging nicht weiter auf ihn ein. Er machte nur eine Pause, um einen weiteren Schluck aus seiner Flasche zu nehmen.
Und er machte es ihm nach, nahm bei jeder Pause einen tiefen Schluck aus seinem Glas und hörte schweigend zu.
»Swarz wird de Himmel, so dunkel, wie du ihn noch nie gesehn hast und die Wellen sind rasende Tiere mit wild, schäumenden Mündern, alles verslingenden Armen, die wie wilde Paukenschläge gegen unsere Wände slagen.«
Er steigerte sich so vom Alkohol angeregt hinein, dass seine Sätze immer sprunghafter und unverständlicher wurden.
»Fallen, fliegen, reiten obm Water, dass nur mit uns spielt … solange du noch am Treiben bist, weißt du dat allet good is … wir slagen oufs Wassa, wild slagen die Pauken … Angst kommt, wenn die Stille … wir fallen, zu lang, zu lang … wenn wir nicht mehr slagen, wer slegt dann … dann die swatte Wand, ein dunkler Schadden … Himmel oder See … Sekunden vergehn und keine Pauke schlegt … nicht unser Schiff, nicht das Meer, nicht unsere Herzen … und dann bricht sie – wie kann sie brechen, eine Welle kann verswinden, tanzen, aber brechen … mittn obm Meer … sie slägt zu mit aller Gewalt … bricht das Deck … bricht die Scheiben … alles Schwarz … überall Lärm … überall fliegen Container umher, zertrümmern unsere Köppe … 's gibt keen Deck, keen Meer, keen Boden … alles Schwarz… Lärm.«
»Ach so ein Quatsch.«
Eingenommen und eingeschläfert hatte er die dritte Stimme, die zu ihnen an den Tresen gekommen war, überhört. Alles hatte sich vor ihm aufgelöst, die Tische, die Theke, der Erzähler, alles war in einer betrunken Wolke verschwunden.
»Wenn es solch alles verschlingende in die Dunkelheit ziehende Wellen wirklich geben würde, hätten sie doch schon längst viel mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Schon alleine wegen der ganzen verlorenen Container.«
»Schräze icht unkelleit«
Er wusste, was er sagen wollte, aber sein Mund brachte nicht die richtigen Wörter hervor.
»Was sachst du?«
Er wurde ausgelacht.
»Ä at zweän hit unkllait tsa.«
»Und wo soll da bidde der Unterschied sein.«
»ner udershit st n' le.«
Der Himmel wurde Schwarz, ein seichtes Gold der untergehenden Sonne war noch zu sehen. Dann sind es nur noch schwarze Wolken, schwarze düstere Wolken, die den blauen Nachthimmel verschieben. Lärm.