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Disruptionen

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Eine DisruptionDisruption ist eine Veränderung, die sich so verheerend auswirkt, dass sie alles bisher als gegeben Angesehene wie aus heiterem Himmel angreift und ablöst. Diese können so überraschend und unerwartet auftreten, dass sie alles, was bisher als gesetzt angesehen wurde, mit einem Mal auf den Kopf stellen. Ganz so, wie die Entdeckung des ersten schwarzen Schwans, wie Nassim Nicholas Taleb es beschrieben hat (Taleb 2015).

Wir alle haben solche Disruptionen schon erlebt. In meiner Jugend ging ich, wenn ich die neuste Musik unterwegs hören wollte, zuerst in einen Supermarkt und kaufte mir eine Audiokassette. Dann setzte ich mich ans Radio und wartete, bis mein Lieblingslied gespielt wurde. Hier musste ich sehr auf Zack sein, um den Anfang mitzubekommen und rechtzeitig die Aufnahmetaste am Kassettenrecorder zu betätigen. Dann hieß es Daumendrücken, dass der Moderator nicht mitten in den Song hineinredete oder ein Falschfahrer sich auf die Autobahn verirrt hatte, so dass der Verkehrsfunk sich meldete. Wenn alles gut lief, hatte ich am Ende des Tages eine schön bespielte Kassette, die ich in meinen Walkman stecken konnte. Wenn ich mir ansehe, wie die junge Generation heute diese Herausforderung angeht, dann entdecke ich da kaum noch Gemeinsamkeiten. Die meisten Jugendlichen kennen so etwas wie Musikkassetten gar nicht mehr. Und Radio ist auch nicht unbedingt das Medium, das sie begeistert. Heute sind Streamingdienste auf jedem Smartphone zu finden. Und die Abos kosten kaum mehr als die Musikkassetten früher. Was für ein Luxus.

Veränderungen vollziehen sich oft schleichend. Wenn die etablierten Unternehmen es bemerken, ist es oft schon zu spät. Von Musikkassetten ging man über zu CDs, die mehr Komfort boten und auch mobil mit einem Discman abgespielt werden konnten. Dann folgten die wilden Jahre des Musikdownloads und die goldenen Zeiten des MP3-Tausches. Die Musik wurde erst auf tragbaren MP3-Playern mitgenommen, dann wurden auch diese durch die Smartphones ersetzt. Irgendwann traten dann die Musik Streamingdienste ihren Siegeszug an. Und wem das nicht reicht, der kann gleich auf dem Smartphone noch das Musikvideo dazu streamen, was in meiner Jugend noch MTV übernahm. Auch wenn wir hier von einer Evolution sprechen können, die sich über mehrere Jahre hingezogen hat, so war doch der Schritt zu einer neuen Technologie eine Disruption, denn sie veränderte den Markt grundlegend.

Disruptionen sind dabei keine Neuheit in der Menschheitsgeschichte. Zu allen Zeiten haben sie stattgefunden. Ob es die Erfindung neuer Werkzeuge in der Steinzeit war, oder die Ablösung des Segelschiffs durch das Dampfschiff. Disruptionen haben zu allen Zeiten für gesellschaftliche Veränderungen gesorgt. Wie zum Beispiel einer großen Veränderung in der Landwirtschaft durch die Einführung starker Maschinen, die die Handarbeit auf ein Minimum reduzierten.

Allerdings bieten die technischen Entwicklungen der heutigen Zeit neue Möglichkeiten und beschleunigen diese Disruptionen enorm. Viele große Disruptionen der Vergangenheit waren nur großen Unternehmen oder sehr reichen Einzelpersonen möglich und der Wandel vollzog sich über einen längeren Zeitraum. Die Herstellung eines Dampfbootes, eines Automobils oder von Traktoren benötigte ein hohes Kapital. Durch die Digitalisierung haben sich hier die Grenzen verschoben. Start-ups können mit cleveren und smarten Ideen teilweise etablierte und finanziell um ein Vielfaches überlegene Konkurrenten angreifen und das Geschäftsmodell sogar ganz ablösen. Und das braucht auch je nach Geschäftsfeld nicht mehr Jahre, wie in meinem Beispiel mit der Musik, sondern kann auch über Nacht geschehen.

Dabei spielen Plattformen eine große Rolle. Unternehmen wie Facebook, Amazon, Airbnb und Uber sind hier sehr anschauliche Beispiele. Ein Taxiunternehmen muss eine Menge Geld in die Hand nehmen, um Taxis anzuschaffen und so seine Fahrdienste anbieten zu können. Uber stellt nur eine Plattform zur Verfügung, über die Fahrdienstleistungen angeboten und in Anspruch genommen werden können. Sie müssen nicht ein einziges Taxi besitzen, um Dienstleistungen anzubieten und damit Geld zu verdienen. Für die Taxifahrer ist hier aus dem Nichts eine ernstzunehmende Konkurrenz entstanden. Ähnliches kann man auch über AirBnB sagen, die die Hotels unter Druck setzen, ohne eine einzige Immobilie besitzen zu müssen. Selbst Amazon bietet seine Online-Plattform gegen Gebühr auch für andere Händler an und kann so von deren Verkäufen mitprofitieren. Das Schöne dabei ist, dass Plattformen gut skalieren, das heißt, je mehr Leute daran teilnehmen und auf der Plattform vertreten sind, desto besser ist es für alle Beteiligten.

Disruptionen zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie einen Vorteil für die Kunden bringen und dadurch gegenüber dem klassischen Geschäftsmodell bevorzugt werden. Ein Blick in Wikipedia ist heute von überall aus möglich und die Informationen in dem Nachschlagewerk sind hochaktuell. Wer kauft da noch einen Brockhaus oder vergleichbare Lexika? Bei Netflix können Sie bequem vom heimischen Sofa aus den nächsten Blockbuster auf Ihren Fernseher holen, ohne dabei das Haus verlassen zu müssen. Wer braucht da noch eine Videothek? Über Amazon können Sie sich die neusten Waren per Knopfdruck bestellen und in vielen Gegenden werden sie Ihnen noch am gleichen Tag zugestellt. Wofür sollte man sich da den Stress antun und in die Stadt fahren?

Viele Unternehmen scheinen dann, wenn tatsächlich ein Disruptor erscheint, sehr überrascht zu sein. Hat Kodak die Digitalfotografie nicht kommen sehen? Doch, und Kodak war sogar aktiv an der Entwicklung beteiligt. Aber am Ende haben sie sich nicht getraut, ihr eigenes Geschäftsmodell – welches die klassische Filmfotografie betraf – anzugreifen. Und die menschliche Eigenart, Dinge, die Angst machen, einfach zu ignorieren oder herunterzuspielen, tat ihr übriges. Und so kam der Tag, an dem es zu spät war.

Heute belächeln noch viele Supermärkte die ersten Amazon-fresh-Transporter, die ganz vereinzelt durch die Straßen rollen. Das Angebot ist noch relativ klein und die Verbreitung ist auch noch nicht gegeben. Es stellt keine Konkurrenz für die Frischetheken im heimischen Supermarkt dar. Aber man sollte den Worten des Autors und Omnisophen Gunter Dueck Glauben schenken, wenn er in seinen Vorträgen immer wieder darauf hinweist: „Die üben nur!“2 Hier werden erst einmal Kenntnisse gesammelt. Und wenn das Geschäftsmodell vom Establishment dann irgendwann als Konkurrenz wahrgenommen wird, weil es plötzlich ausgereift ist, flächendeckend angeboten und auch genutzt wird, dann ist es für die schlafende Konkurrenz zu spät. Denn den Wissensvorsprung können sie kaum noch aufholen. Vielleicht stellt sich das Geschäftsmodell aber auch als nicht praktikabel heraus. Selbst dann hat Amazon einen Vorteil, denn sie haben daraus gelernt und können dieses Wissen verwenden, um ein besseres, tragfähigeres Geschäftsmodell zu finden.

Um diesem Schicksal zu entgehen, beginnen einige Unternehmen aktiv ihr Geschäftsmodell zu hinterfragen und im Optimalfall sogar selbst anzugreifen (Keese 2018). Somit bleiben sie auf Augenhöhe mit möglichen Angreifern und im Falle des Erfolgs ist man selbst an der Speerspitze mit daran beteiligt und kann davon profitieren. In vielen Fällen bilden sich dann kleine Einheiten, die zwar in irgendeiner Form noch an die Mutterorganisation angeschlossen sind, im Grunde aber sehr autark und losgelöst agieren. Diese Inkubatoren werden nicht durch die Prozesse und Regeln belastet, die das Mutterunternehmen so träge gemacht haben, sondern finden ähnliche Verhältnisse vor, wie die Start-ups, die als kleine, wendige und innovative Angreifer gesehen werden.

Dieses Mindset, sich nie allzu sicher zu fühlen und sein eigenes Geschäftsmodell anzugreifen (oder sogar zu Kannibalisieren), ist eine grundlegende Fähigkeit, die jeder Unternehmer mitbringen sollte: „Das Crossover, das Zusammenführen von Gegensätzlichem, wird zu einer Schlüsselfähigkeit für das 21. Jahrhundert“ (Mutius 2017).

Dabei entstehen neue Innovationen und Geschäftsfelder oftmals genau aus dem, was wir am Anfang anhand des Beispiels der Pommes Frites in dem kleinen Restaurant gesehen haben: durch Vernetzung. So wie das Smartphone Kommunikation und Entertainment zusammengebracht hat. Und man sieht einmal mehr, wie wichtig es ist, Gegensätze vereinen zu können. Auf der einen Seite ist man einem großen Marktdruck und einer sehr starken Konkurrenzsituation ausgesetzt, auf der anderen Seite sind Zusammenarbeit und Integration enorm wichtig geworden.

Die Frage für die Zukunft wird sein, wie sich die neuen technologischen Entwicklungen auswirken werden. Zum einen kann es nicht falsch sein, in die Vergangenheit zu schauen und daraus Schlüsse zu ziehen. Die vergangenen technischen Revolutionen haben die Arbeit vieler Menschen erleichtert und generell eher dazu geführt, dass neue Jobs geschaffen wurden. Die Angst, Maschinen würden Arbeitsplätze stehlen und zu Massenarbeitslosigkeit führen, ist unbegründet gewesen. Dies heißt aber nicht, dass sich die Arbeitswelt nicht verändert. War es noch vor ein paar Jahren erstrebenswert und völlig normal, von der Lehre bis zur Rente im gleichen Beruf zu arbeiten, so sprechen Experten und Berufsverbände heute davon, dass Arbeitnehmer deutlich flexibler sein müssen. Das lebenslange Lernen bekommt eine immer stärkere Bedeutung. Was in der Lehre gelernt wird, ist nicht zwangsläufig auch der Beruf zum Renteneintritt. Darauf müssen die jungen Menschen vorbereitet werden. Das hat auch Auswirkungen auf die Berufswahl.

Wie wahrscheinlich Ihr eigenes Berufsbild einer Automatisierung zum Opfer fällt, können Sie im Internet sehr einfach herausfinden.3 Hier sehen Sie, dass zum Beispiel der Beruf eines Steuerfachangestellten aus 12 verschiedenen Tätigkeiten besteht, die schon heute komplett von einem Roboter übernommen werden könnten. Die Automatisierbarkeit in diesem Beruf ist also enorm hoch und die Wahrscheinlichkeit, in absehbarer Zukunft etwas anderes suchen zu müssen, ist damit auch sehr groß. Zumindest, wenn die Automatisierung billiger oder qualitativ besser ist als die Arbeit eines Menschen. Trotzdem empfehlen viele Berufsberater jungen Menschen immer noch, in diese Berufe zu gehen. Schaut man sich die Entwicklung der Stellen als Steuerfachangestellte an, so sieht man, dass diese in den letzten Jahren gestiegen sind. Und ebenso ist das Gehalt nach oben gegangen. Nur weil ein Beruf also irgendwann vielleicht automatisiert werden könnte, muss es heute keine schlechte Berufswahl sein.

Allerdings gibt es auch Stimmen, die davon ausgehen, dass die neuen Technologien und künstliche Intelligenz eine ganz neue Dimension der Veränderung darstellen, die nicht mit den bisherigen Revolutionen vergleichbar ist. Schließlich wird hier nicht nur die Muskelkraft ersetzt, sondern auch viel Kopfarbeit. Also das, was der Mensch bisher den Maschinen voraushatte. Während es hier sehr optimistische Zukunftsbilder gibt, die den Menschen von der Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit befreit sehen (Precht 2018), gibt es auch die etwas pessimistischere Sicht, die den Menschen am Rande seiner Nützlichkeit für Evolution sieht (Harari 2018).

Was immer die Zukunft auch bringen mag, Disruptionen gehören zum Alltag und können zukünftig noch stärkere Umwälzungen hervorrufen als bisher. Mit den daraus entstehenden Unsicherheiten werden wir umgehen müssen und Strategien entwickeln. Das „disruptive Denken“ und das Gestalten der Zukunft ist ein guter Startpunkt. Denn überall da, wo Sie Raum zur Gestaltung vorfinden, da entstehen Chancen, die Sie nutzen können.

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