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Vorwort


»An dir ist ein Lehrer verlorengegangen«, seufzt meine Frau, wenn ich wieder einmal einen ihrer Sätze nicht einfach im Raum stehenlassen kann, sondern seine Vorder-, Hinter- und Untergründe erkläre. Die Kinder sagen das noch etwas prägnanter: »Papa, du nervst!«

Ja, ich gebe es zu: An mir ist ein Lehrer verlorengegangen. Mütterlicherseits entstamme ich einer seit sieben Generationen ununterbrochenen Linie von preußischen Dorfschullehrern, hin und wieder mit Landpfarrern durchsetzt. Schon vor meiner Einschulung habe ich meiner Mutter über die Schulter geschaut, wenn sie Diktate korrigierte - und mich königlich gefreut, wenn ich einen Fehler fand, den sie übersehen hatte. Später habe ich für meine Biolehrerin Arbeitsblätter auf Matrizen getippt und bin vor Scham im Erdboden versunken, als mich der Englischlehrer dabei ertappte, dass ich meine Hausaufgaben vergessen hatte.

Als Student wollte ich natürlich Professor werden - oder Politiker. Mein Vertrauensdozent von der Studienstiftung des Deutschen Volkes riet mir von beidem dringend ab: In diesen Berufen habe nur Erfolg, wer sich voll und ganz auf ein Thema konzentriere, und das passe ja überhaupt nicht zu mir. Da bin ich eben Journalist geworden.

Kollegen verpassten mir den spöttischen Beinamen »Ozean des Wissens«; ich trug ihn als Ehrentitel. Es macht mir Freude, den anderen mit einer kleinen Portion Wissen auszuhelfen, und wenn einer dann meint, sooo genau hätte er es gar nicht wissen wollen, dann hätte er mich eben gar nicht erst fragen sollen.

In jüngster Zeit wurden die Fragen seltener. Nicht nur, weil ich seit sieben Jahren freiberuflich arbeite und nur gelegentlich in Redaktionen tätig bin, sondern vor allem, weil immer dann, wenn man etwas Bestimmtes wissen will, Google oder Wikipedia eine Antwort parat haben. Okay, nicht immer nur eine, und nicht immer die richtige, aber für den Hausgebrauch in der Regel ausreichend. Wenn ich weiterhin meine Umwelt an meinen Wissensschätzen teilhaben lassen wollte, sollte ich ihr nicht so sehr das Wissen liefern, das sie braucht, sondern das, das sie nicht braucht.

Als vor drei Jahren die Zeitung »Die Welt«, für die ich jeden zweiten Samstag eine Kolumne schreibe, mit dem Konzept eines Kleinformats namens »Welt Kompakt« schwanger ging, schlug ich ihr deshalb für den Kleinen eine Kolumne im Kleinformat vor. Ein bis drei Sätze, maximal zehn Zeilen, und immer ein Stückchen Wissen, wie es sonst gerade nicht in der Zeitung steht. So entstand »Gürtlers gesammelte Grütze«, und so entsteht sie immer noch.

Grütze sammle ich vorwiegend auf Reisen. Ich bin viel zwischen Deutschland und Spanien im Flugzeug und innerhalb Deutschlands in der Bahn unterwegs. Was immer mir da an Buchstaben über den Weg läuft, ist dran: Zeitungen, Zeitschriften, vor allem aber Bücher - alte und neue, bekannte und unbekannte, deutsche und undeutsche. Wenn ich auf einer Seite etwas finde, das grützentauglich sein könnte, kriegt sie ein Eselsohr. Und wenn ich mal wieder am Computer sitze, wird Eselsohr für Eselsohr abgearbeitet und in die passende Kleinform gebracht.

Mit diesem Buch werden meine Mikrokolumnen erstmals der Vergänglichkeit des Zeitungspapiers entrissen. Ich konnte bei dieser Gelegenheit der Versuchung nicht widerstehen, das Material neu aufzubereiten und zu strukturieren. Ich habe mich dafür der Schubladen bedient, in die wir unser Wissen auch sonst abzulegen pflegen: die Schul- beziehungsweise Studienfächer.

Ich kann dafür garantieren, dass man nichts von dem, was ich in die jeweilige Schublade gesteckt habe, wirklich braucht, um in diesem Fach sein Examen zu bestehen. Aber schließlich haben uns ja auch alle unsere Lehrer immerwieder den abgewandelten Satz des Philosophen Seneca vorgehalten, dass wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen sollen. Und für dieses Leben sollten wir uns immer wieder den alten John-Lennon-Satz vor Augen halten: »Life is what happens while you’re busy making other plans.«

Viel Spaß beim Leben.

Marbella, im August 2007

Detlef Gürtler

Gürtlers gesammelte Grütze

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