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Leidenschaft, Zwiespalt und Krise
ОглавлениеSome day you can have the Blues because your wife left you.
The other day you can get the Blues because your wife came back to you.
Willie Dixon4
Die Seele ist von Natur aus vielschichtig. Das alleine garantiert genügend Verwirrungen und Ambivalenzen, bei einem selbst, bei anderen wie in zwischenmenschlichen Beziehungen. Bereits die alten, vornehmlich auf Bewahrung ihrer Überlieferungen ausgerichteten Kulturen ahnten, wie schwer das Seelische zu kontrollieren ist, weshalb sie der ungreifbaren Seele eine natürliche Fluchttendenz unterstellten. Da eine Seele nach der historischen Vorstellung frei ist, muss sie von ihrem vorübergehenden Besitzer und der Gemeinschaft besonders gepflegt werden. Sonst droht der Verlust derselben. Wen also Umstände zwingen, sich in Gefahr zu begeben, und wer angehalten ist, sein Leben zu ändern, der gerät in eine psychische Notlage. Der ist in seinem angegriffenen Zustand kein guter Ort für eine ungefestigte Seele.
Jede Umwandlung des Selbst, jeder Entwicklungsschritt eines Menschen bedeutet in traditionalen Kulturen daher, die Grenze des bisher Bekannten zu überschreiten und seelisches Neuland zu betreten, sich aufzugeben, um neu entstehen zu können. Davon berichten die unzähligen Initiationsriten der Völker. Zwischendrin ist man, nicht mehr der gewohnte Mensch und noch nicht der zu werdende, vorübergehend seelenlos. Ist die Übergangskrise gemeistert, findet die Seele normalerweise zurück. Wenn nicht, müssen sich mächtige Heiler auf die Suche begeben und sie wieder einfangen.
So weit die schamanische Entwicklungsperspektive alter Kulturen. Was daran bis heute Geltung beansprucht, ist die existenzielle Erkenntnis, dass der Mensch nicht um Entwicklung herum kommt und seelische Krisen daher eine Begleiterscheinung des Lebens sind. Einerseits ist ein Organismus aus Gründen des Überlebens gezwungen, sich weiter zu entwickeln und an ein veränderliches Umfeld anzupassen. Andererseits aber, das macht den ambivalenten Hintergrund der Persönlichkeit aus, ist ein Organismus ebenso davon abhängig, möglichst viel Energie zu sparen und seine Struktur zu erhalten. Das erreicht er, indem er Bewährtes und Erfolgreiches wiederholt und Routinen entwickelt.
Ein junger Mann geht für zwei Jahre zum Studieren in die USA. Zweck des Auslandsaufenthaltes ist es, fließend Englisch zu lernen und später den Abschluss einer renommierten Universität vorweisen zu können. Seine Freundin bleibt derweil in Deutschland. Es ist vorgesehen, nach der Rückkehr zu heiraten. Beiden ist diese Aussicht, die Trennung durchzuhalten, der zukünftige Lohn. Anfänglich hat der junge Mann erhebliches Heimweh und stürzt sich daher umso intensiver in sein Studium. Das fällt ihm leicht und so plätschern die Tage dahin. Er freut sich auf Zuhause. Wenige Wochen vor dem Ende seines Aufenthaltes verliebt er sich in eine amerikanische Kommilitonin. Es ist viel Gefühl im Spiel und nach etlichem Hin und Her entscheidet er, sich von seiner deutschen Freundin zu trennen und in den USA zu bleiben. Beruflich klappt das wunderbar. Was bald nicht mehr funktioniert, ist seine neue Beziehung. Seine amerikanische Freundin wird ihm von Tag zu Tag fremder und er fühlt sich einsam neben ihr. Darauf war er nicht vorbereitet. Obwohl er verliebt ist, fühlt er sich bald außen vor. Sie sei so ›anders‹. Langsam wird ihm klar, dass sein neues Leben einen hohen Preis erfordert. Er muss bereit sein, Vertrautes aufzugeben in der Hoffnung, sich auf Dauer an das Neue und Irritierende zu gewöhnen. Er wird darüber depressiv. Nach einigen Monaten bricht er die Beziehung ab, kündigt seinen Job und geht wieder nach Deutschland. Zu Hause dauert es nur wenige Tage und er fühlt sich jetzt zwar alleine, aber wieder ›eins mit sich‹.