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Ruhige und aufregende Zeiten
ОглавлениеDamit an dieser Stelle kein Missverständnis entsteht: Krisen sind der Indikator und das Schwungrad von Entwicklungen, und dennoch kann es natürlich gute Gründe geben, über Vertrautes nicht hinauszugehen und Konflikte zu vermeiden. Selbst gesteckte Grenzen sind nicht automatisch Ausdruck von Erfahrungsdefiziten. Treue fußt etwa auf freiwilliger Begrenzung. Insbesondere in Verbindung mit einer erfüllten Sexualität ist Treue ein erheblicher Wohlfühlfaktor und erhöht das Empfinden, dass es der Beziehung an nichts mangelt.
Umgekehrt ziehen viele, die etwas vermissen, das Fremde schneller der gewohnten Heimat vor. Eifersucht auf mögliche Nebenbuhler und sexuell Erfahrene ist daher beileibe kein Hirngespinst. Je mehr Willkommenes eine Beziehung enthält, desto weniger kommt es zu neidvollen Blicken und Motiven, die sich im Außen erfüllen wollen. Die gute Balance zu finden zwischen einengender Moral und der potenziellen Freiheit individuellen Handelns, zwischen meinen und deinen Bedürfnissen, zwischen Gewohntem und Unbekanntem ist für die Praxis der Liebesbeziehung essenziell.
Selbstverständlich stimmt aber auch die Binsenweisheit, dass eine Beziehung nicht für alles aufkommen kann und nicht immer anregend ist. Sonst käme es gar nicht zu Defiziten, Konflikten und Krisen. Die Lust aneinander, die herausgehobene Wertschätzung füreinander und das erkennbare Bemühen um den anderen sind zwar entscheidende Trümpfe, der fühlbare Stoff, aus dem sich Bindungen momentan vorwiegend festigen. Die besondere Herausforderung heutiger Paare liegt aber darin, ihren Bestand nicht nur mit emotionalen Mitteln zu sichern, sondern immer wieder auch neue Wege zu suchen, die das Alte und Gewohnte stören. Das bekannte Terrain muss ab und an einer kritischen Inventur unterzogen werden.
Das war früher beileibe nicht so wichtig. Hinter den Ehen der Vergangenheit standen weniger die liebevollen Gefühle der Eheleute und die Hinterfragung des eigenen Lebenskonzepts als mächtige Familientraditionen, die zur Begründung und Fortbestand einer Beziehung verpflichtet haben. Der Anker der modernen Paarbeziehung liegt auf der persönlichen Bevorzugung des anderen und dem freiwilligen Spiel zu zweit.
Wenn zwei sich mit dem Herz finden, dann führt das anfänglich zu einer fröhlichen Anarchie. Die leidenschaftliche Liebe ist dann anfangs normalerweise ein sinnlicher Selbstläufer. Längerfristig bedarf es zum Gelingen aber auch heute einer höherrangigen Ernsthaftigkeit. Dabei ist es im Grunde egal, ob es weitere sinnstiftende Perspektiven neben der Liebe gibt, wichtig ist vielmehr, ob für den gemeinsamen Weg genügend Motivation existiert. Beispielsweise kann das Engagement eines Paares für ökologische Lebensthemen, an sich ein löbliches Unterfangen, als Bereicherung erfahren werden oder am Wohlbefinden zehren, je nachdem, wie es die Beziehung beeinflusst. Gemeinsame Anstrengungen stärken nicht automatisch eine Beziehung. Das folgende Beispiel zeigt, wie die Entwicklung der Beziehung aber auch von der Überwindung einer individuellen Krise profitieren kann.
Ein erfolgreicher Industrieller erleidet kurz nacheinander mehrere Herzinfarkte. Der behandelnde Arzt warnt davor, das bisherige Leben ungebremst fortzusetzen, sonst könne er für nichts mehr garantieren. Nach dem sich der Patient eindringlich mit seiner Frau beraten hat, beschließt das Ehepaar, die Zelte in Deutschland abzubrechen, nach Namibia auszuwandern und dort ein neues Leben anzufangen. Die beiden sind zu diesem Zeitpunkt bereits Mitte fünfzig. Man erwirbt ein Stück Land und baut sich ein Haus und lebt zurückgezogen. Von Anfang an sind sie überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Bald erkennen sie auch, dass in der neuen Heimat einiges im Argen liegt, und gründen eine Ausbildungsstätte für junge Frauen. Diese ist bald so erfolgreich, dass sie heute als Vorzeigeprojekt gilt. Das Paar hat zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt des Lebens einen Neuanfang gewagt und viel gewonnen. Nach einem erfüllten Leben sterben Mann und Frau im hohen Alter kurz hintereinander.