Читать книгу Dämonenschließer - Diana Schwarzentraub - Страница 11

Das Tagebuch

Оглавление

Als ich aufwachte, hörte ich mehrere Männerstimmen, die sich leise unterhielten. Mühsam schlug ich die Augen auf und brachte mich schwerfällig in eine sitzende Position.

Reander und Rob saßen sich auf ihren Betten gegenüber, und an Reanders Seite saß Andeers. Er war heute ganz in Weiß gekleidet. Hose, Hemd und ein knielanger taillierter Ledermantel. Andeers Finger hoben sich kaum von der Farbe seiner Kleidung ab. Sie umschlossen ein Buch, dessen Äußeres den Eindruck machte, als habe man es häufig zur Hand genommen. Leonards Assistent war schrecklich blass, aber seine leise Stimme klang engagiert, nicht resigniert. „Ich gebe zu, ich habe euch nicht ganz die Wahrheit gesagt!“, verkündete sie gerade.

Das Gespräch versprach interessant zu werden, also machte ich mit einem lauten „Guten Morgen!“ dezent auf mich aufmerksam.

„Oh, Joana. Einen guten Morgen! Andeers wollte uns gerade etwas anvertrauen“, erklärte Reander und bedeutete diesem dann, fortzufahren.

Andeers nickte mir kurz zu. „Genau! Also, wie ich sagte: Ich war nicht ganz ehrlich zu euch. Ich wusste, dass ihr in der Bibliothek nichts über die Dämonen finden würdet, denn ... alle Unterlagen dazu sind in meinem Studierzimmer.“

„Was?“ Es war Rob, der das Wort laut aussprach, aber ich dachte es im selben Moment.

Andeers fuhr fort. „So ist es. Ich arbeitete mit Professor Leonard zusammen an diesem Thema. Genau genommen tue ich nichts anderes, seit ich hier bin.“

Jetzt war ich wirklich sprachlos. Warum um Himmels willen hatte dieser Kerl uns stundenlang suchen lassen, wenn er doch genau wusste, dass wir nichts finden würden? Und wieso rückte er erst jetzt mit der Sprache heraus?

„Weshalb hast du uns das nicht gleich gesagt?“, brummte Rob.

Andeers ließ sich Zeit. Er musterte Rob eine Weile schweigend. „Wozu braucht ihr diese Informationen über Dämonen?“, sagte er schließlich und schien angestrengt in Robs Augen nach der ehrlichen Antwort zu suchen.

Dieser schnaubte. „Um uns als Helden aufzuspielen, Olasia, die Welt, die Menschheit zu retten ... such dir was aus!“

Sarkasmus. Gerade jetzt. Ich rollte mit den Augen und erklärte schnell: „Wir wollen das Tor schließen und suchen nach den Büchern, die wir dazu brauchen.“ Reander runzelte leicht die Stirn, sagte aber nichts weiter zu meiner doch sehr offenen Antwort.

„Die Bücher, ja!“, sagte Andeers nachdenklich und eher an sich selbst gewandt. „Es hat mich tatsächlich aus der Bahn geworfen, als ich heute erfuhr, dass es mehr als eines gibt.“

Rob legte die Stirn in Falten. „Könntest du dich vielleicht etwas klarer ausdrücken?“

„Ja, natürlich. Vielleicht erzähle ich euch einfach kurz, was ich darüber weiß“, schlug Andeers vor und fuhr sich durch die langen Haare. „Also, ich weiß, dass ein Buch existiert, mit dem eine Verbindung zur Welt der Dämonen geöffnet werden kann. Bis heute glaubte ich, dass es genau ein weiteres Buch gibt, um die Verbindung wieder zu durchtrennen. Das „Buch des Schließens“. Die meiste Zeit meiner Studien hier haben Professor Leonard und ich uns mit der Geschichte dieses Buches befasst. Wir verfolgten seinen Weg durch die Hände zahlreicher Besitzer zurück und vor Kurzem ... fanden wir es endlich.“

Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff, was Andeers da gerade gesagt hatte. „Ihr habt das Buch? Es ist hier?“, stieß ich ungläubig hervor. Die gleiche Erkenntnis war auch in den Augen der anderen zu lesen.

Andeers machte ein gequältes Gesicht. „Ich vermute ja. Ich habe es nie zu Gesicht bekommen. Aber lasst mich kurz zu Ende erzählen. Dann versteht ihr besser, wo das Problem liegt. Professor Leonard fand das Buch also schließlich in einem Antiquariat.“

Ich hing an Andeers Lippen. Sie waren ebenso blass wie der Rest seines Gesichtes, und ich fing an, mir Sorgen um seinen Gesundheitszustand zu machen. Er hatte in nur einer Woche Professor Leonard und Lina verloren.

„Ich muss euch noch etwas sagen!“, fuhr er fort und zog eine Grimasse. „Das „Buch des Schließens“ ist nicht das erste der goldenen Bücher, das wir suchten und ... fanden.“ Er schluckte schwer und ich versuchte zu verstehen, was er uns mitteilen wollte. „Wir ...“, fuhr Andeers fort, „haben damals, das „Buch des Öffnens“ gefunden!“

„Was?“ Diesmal sprach ich das Wort selbst aus.

Andeers Muskeln zuckten wie unter Schmerzen. „Ja, Leonard hatte schon Jahre danach gesucht, als ich zu ihm stieß. Dann gelang uns der Durchbruch und wir fanden es.“

Ich konnte Andeers nur entsetzt anstarren. Seine Worte und sein schuldgeprägter Ausdruck sprachen ihre eigene Sprache. „Du hast das Tor geöffnet?“, fragte ich mit zitternder Stimme.

Andeers Kopf ruckte zu mir herum. Seine Augen waren weit aufgerissen. „Nein! Nein, natürlich nicht!“, versicherte er, sichtlich entsetzt von meinem Gedankengang. „Das „Buch des Öffnens“ war nicht lange in unserem Besitz. Es gibt da jemanden. Ich habe ihn nie getroffen, aber er hat unsere gesamten Studien auf dem Gebiet der Tore finanziert. Professor Leonard hat ihm das „Buch des Öffnens“ übergeben. Ich dachte, dieser Förderer hätte einfach Interesse am Thema. Ich konnte doch nicht ahnen, dass er tatsächlich ein solches Tor öffnen würde, oder dass so etwas überhaupt möglich ist.“ Andeers Stimme brach. Er ertrank in Schuldgefühlen, so viel war klar.

Schließlich fuhr er fort: „Jedenfalls, nachdem unser Förderer das „Buch des Öffnens“ in den Händen hielt, wies er uns an, alle Anstrengungen auf das Auffinden des „Buch des Schließens“ zu konzentrieren. Wir suchten über Jahre. Anscheinend konnte oder wollte er irgendwann nicht mehr warten.“ Er brach ab und blickte zu Boden.

„Wer war dieser Auftraggeber?“, fragte Rob.

„Das weiß ich nicht. Wie gesagt, ich hatte nie mit ihm zu tun. Ich ... Es tut mir so leid, ich wusste doch nicht was unsere Forschungen auslösen würden! Bitte, lasst mich euch helfen diesen Fehler wiedergutzumachen!“

„Gut, dann hilf uns! Gib uns das „Buch des Schließens“!“, sagte Rob ernst.

„Ja, deswegen bin ich hier!“, antwortete Andeers. Er hielt das Buch hoch, das er bei sich trug. „Euer Eintreffen hier und die Ereignisse von gestern.“ Andeers schloss kurz die Augen. „Das alles hat dazu geführt, dass ich mich an etwas erinnert habe. An das hier!“ Wieder winkte er mit dem Buch in seiner Hand. „Wenn ich an Leonard denke, begleiten mich viele Erinnerungen, aber diese eine ist besonders stark, weil sie sich so oft wiederholt hat. Ich sehe ihn Abend für Abend dasitzen und in dieses Buch schreiben. Es ist sein Tagebuch. Ich war nach seinem Tod so abgelenkt. Erst heute ist es mir wieder eingefallen. Ich fand es heute Morgen versteckt in seinem Zimmer.“ Er seufzte. „Ich weiß immer noch nicht, ob es richtig ist, in seinen privaten Gedanken herumzuschnüffeln, aber ich habe es getan. So erfuhr ich, dass Leonard bereits vermutet hatte, dass es noch mehr Bücher geben muss. Wenn auch erst seit Kurzem.“

Andeers hielt das Buch hoch. „Ihr solltet es lesen. Ich denke, die letzten vier Tage vor seinem Tod dürften für euch von Interesse sein. Sie waren es jedenfalls für mich.“

Schnell stand ich auf und nahm ihm das Buch aus der Hand. Dann setzte ich mich im Schneidersitz neben Rob aufs Bett, legte das Buch auf meine Beine und schlug es auf. Ich blätterte vom letzten Eintrag vier Tage zurück und begann vorzulesen:

04. Juli

Der Tag ist gekommen! All unsere Anstrengungen haben sich endlich ausgezahlt. Ich kann noch immer nicht glauben, dass ich hier sitze und das „Buch des Schließens“ in Händen halte. Es ist faszinierend! Diese ungewöhnliche Farbe des Einbandes, genau wie beim „Buch des Öffnens“. Was ist das für ein Material?

Alles, was darin steht, wirkt so real, so schlüssig. Beinahe könnte man glauben, dass es tatsächlich funktioniert ...

Ich frage mich, ob mein Auftraggeber das glaubt. Wird er es versuchen? Oder hat er es gar bereits versucht? Sein Drängen, das „Buch des Schließens“ zu finden, wurde in der letzten Zeit immer intensiver und ungeduldiger.

Ist es möglich, dass es tatsächlich funktioniert hat?

05. Juli

Waren meine Vermutungen richtig? Ist das möglich?

Heute standen Gesandte meines Auftraggebers vor mir und fragten nach meinen Fortschritten. Was für ein unglaublicher Zufall. Und ärgerlich! Ich habe ihnen das Buch nicht gegeben und ihnen auch nichts davon erzählt. Habe sie ein weiteres Mal vertröstet.

Warum?

Ich hätte ihnen das Buch geben müssen. Aber ich tat es nicht. Ich möchte zunächst noch mehr darin lesen. Es ist so interessant, und ich habe so viel Zeit darauf verwendet, es zu suchen.

Ich weiß nicht, wie sich das alles entwickeln wird. Ich habe da Gerüchte gehört. Vermutlich sind es nur Gerüchte, aber ich glaube, ich sollte das Buch an einem sicheren Ort verstecken, solange sie in der Nähe sind. Ich brauche mehr Zeit. Vielleicht sollte ich doch mit Andeers darüber reden.

06. Juli

Ich habe meinem Gefühl nachgegeben – seit wann tue ich so etwas? – und das Buch versteckt. Ich komme mir lächerlich dabei vor. Ich habe sogar eine verschlüsselte Notiz für Andeers geschrieben, die ihn zu dem Buch führen wird. Nur ihn. Er wird sie verstehen.

Ich habe mich dagegen entschieden, mit ihm über meine Bedenken zu sprechen. Natürlich ist er ganz erpicht darauf, das Buch selbst einmal zu sichten. Auch er hat viel Arbeit in die Suche investiert.

Aber ich denke, er sollte es jetzt noch nicht sehen. Nicht bevor ich mir über einiges im Klaren bin. Ich habe ihm gesagt, ich will es mir zunächst selbst ansehen. Das gibt mir ein paar Tage Bedenkzeit. Natürlich war er enttäuscht. Und er ist ein heller Kopf. Er wird bald merken, dass etwas im Busch ist.

Aber ist da wirklich etwas darin? Im Busch? Im Buch? In der Art, wie mein Auftraggeber es mit Ungeduld einfordert? Stricke ich mir nicht vielleicht nur Ausreden, damit ich den Lohn meiner harten Arbeit noch nicht aus der Hand geben muss?

Eine neue Entwicklung! Ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich ist. Nicht, nachdem ich mich nun schon so viele Jahre mit den Toren und den Büchern befasse. Wie konnte ich das übersehen? Jetzt ergeben die unlogischen Aufzeichnungen und Spuren über den Verbleib des Buches des Schließens Sinn!

Es gibt mehr als die zwei goldenen Bücher!

Welch eine Erkenntnis nach all den Jahren!

Und der Hinweis war hier. Direkt vor meiner Nase. All die Jahre!

Ich habe heute mit Lina gesprochen. Sie erzählte etwas von ihrer Kindheit und ihrem Adoptivgroßvater. Schließlich kamen wir auf eine Karte zu sprechen, eine Art Schatzkarte, die sie von ihrem Großvater bekam. Und wir sprachen über den Schatz, zu dem sie führt. Ein goldenes Buch. Lina hat keine Ahnung, um was es sich dabei handelt, aber die Daten und die Zeichnung, die sie mir zeigte und auf der „Buch der Versiegelung“ stand, lassen nur den einen Schluss zu: Es handelt sich dabei um ein weiteres goldenes Buch.

Ich habe viele unserer Unterlagen noch einmal durchsucht und ich glaube, ich hatte Recht. Nun ja, beinahe. Larsson muss eines der goldenen Bücher besitzen. Es war nicht das „Buch des Schließens“, aber ich denke, er weiß mehr, als er mir sagte. Vielleicht habe ich ihm auch die falschen Fragen gestellt!?

Ich werde dranbleiben und weitersuchen.

07. Juli

Ich würde gern meine ganze Zeit mit Nachforschungen über die Bücher verbringen, meine neu gewonnenen Erkenntnisse weiter überprüfen, aber die Arbeit an anderen Projekten nimmt mich stark in Anspruch. Heute Nacht ist die Konstellation der Planeten optimal, und ich habe noch einige Vorbereitungen zu treffen.

Ich bin bislang nicht einmal dazu gekommen, Andeers einen Hinweis auf die Notiz zu hinterlassen, die ihn im Zweifelsfall zum Buch führt. Ich werde das bald in Angriff nehmen. Ich muss auf der Hut sein und es sehr beiläufig vermitteln, denn sonst wird er hellhörig und etwas in die Sache hineininterpretieren, das nicht existiert. Es ist ja eine reine Vorsichtsmaßnahme!

Ich habe mir die Zeit freigekämpft und noch einmal meine Unterlagen durchforstet. Langsam, aber sicher muss ich auf der Hut sein, denn Andeers sieht mich schon immer ganz eigenartig an, wenn ich den ganzen Tag in seinem Arbeitszimmer verbringe. Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass Linas Karte und Larsson die einzigen brauchbaren Hinweise auf weitere Bücher sind.

Ich muss Larsson so bald wie möglich aufsuchen. Aber der Dekan hält mich beschäftigt. Vielleicht schaffe ich es nächste Woche?

Ich beendete die Vorlesung, und es wurde still - Im Raum jedenfalls. Hinter meiner Stirn lärmten die Gedanken, stürzten durcheinander und verlangten alle gleichzeitig, gehört zu werden.

Professor Leonard hatte also Informationen zu den Büchern und, was noch besser war, er hatte eines davon gefunden und es nicht seinem ominösen Auftraggeber übergeben. Wir wussten jetzt wieder, wo wir ansetzen konnten. Es führte ein Weg aus dieser Sackgasse! Aber warum waren Leonard plötzlich Zweifel an seinem Förderer gekommen? In mir wuchs beinahe ohne mein Zutun ein beunruhigender Gedanke. „Wie ist Professor Leonard gestorben?“, fragte ich alarmiert.

Andeers sah mich traurig an und sagte: „Er verlor das Gleichgewicht und stürzte vom Astronomieturm.“

„Du glaubst doch nicht, dass sein Tod etwas mit dem Buch zu tun hat?“, mischte sich Reander ein.

„Ich weiß nicht“, sagte ich unsicher. „Es war nur so ein Gefühl.“

Andeers warf mir einen entsetzten Blick zu. „Das glaube ich nicht, wer sollte ...?“ Er brach ab.

„Nun lasst diesen Gedanken mal nicht zum Selbstläufer werden. Wir wissen doch garnichts Genaues! Womöglich gibt es für all das eine ganz einfache Erklärung!“, meinte Reander.

Ich sagte nichts mehr, aber mein schlechtes Gefühl blieb. Den anderen sah man ihre Zweifel ebenfalls an. Langsam blätterte ich das Tagebuch durch auf der Suche nach dem Namen von Leonards mysteriösem Auftraggeber, konnte ihn aber nicht finden. Der Professor hatte ihn, selbst hier in seinem persönlichen Tagebuch, nicht ein einziges Mal erwähnt.

„Was ist das für eine Notiz, die dich zu dem Buch führen soll?“, durchbrach Reander schließlich das Schweigen. „Hat er sie dir übergeben?“

Andeers atmete tief durch. „Nein, er hat sie mir nicht gegeben.“

„Wo könnte er sie aufbewahren?“, fragte Reander.

Während die Männer noch grübelten, löste sich dieses Problem von ganz alleine. Zumindest beinahe. Noch immer blätterte ich durch die Seiten des Tagebuches auf der Suche nach Hinweisen, mittlerweile ziemlich wüst. Plötzlich rutschte aus dem gepolsterten Ledereinband die Ecke eines Papieres heraus. Ich zog es hervor und warf einen Blick darauf. Dort stand:

10 o i 11 7 a 11 5 o

18 i o o 15 3 i o 14 u a 1 16 i o 14 o 16 a 11 15 e 14 a 6 16 3 o 14 9 e 6 11 3 o 14 u 14 1 o i 16 a 11 16 o 14 15 o i 11 o 15 5 9 o i 2 6 o 11

3 14 o 6 o 3 o 11 16 u 5 a 10 a 11 3 4 e 9 5 o 3 o 14 u a 4 5 o 6 o 11 3 o 11 15 e 11 11 o

o 14 6 o 1 o 3 o i 11 o 11 1 9 i 2 8 a 11 3 5 o 18 u 6 14 o 3 u 15

u 11 5 o 15 i 2 6 16 3 o 15 1 e o 15 o 11

11 5 15 3 e 16 18 21

Ich kniff die Augen zusammen, denn ich verstand kein Wort. „Könnte es das hier sein?“, fragte ich in Richtung von Andeers und Reander, die noch immer über den Verbleib der Notiz rätselten. Rob zog mir das Papier weg, warf einen Blick darauf und begann, es vor seiner Brust mehrfach im Kreis zu drehen. Anscheinend tat er das mit allen Dingen, die er nicht verstand. Ich verdrehte die Augen, nahm ihm den Zettel kopfschüttelnd aus der Hand und reichte ihn Andeers.

Er warf einen langen Blick darauf. „Es ist ein alter Code, den wir letztes Jahr entdeckten. Die Vokale a, e, i, o und u werden einfach entgegengesetzt verwendet. Das heißt a und u werden gegeneinander ausgetauscht, e und o werden gegeneinander ausgetauscht und i bleibt, wie es ist. Die Konsonanten werden in ihrer alphabetischen Reihenfolge mit aufeinanderfolgenden Zahlen von 1 bis 21 versehen“, erläuterte Andeers.

Rob schaute drein, als habe er bereits nach: „Es ist ein alter Code“, abgeschaltet.

Reander sagte: „Ich verstehe!“, und ich ging zu dem kleinen Tisch hinüber, nahm dort eine Schreibfeder aus ihrer Halterung, knobelte eine Weile und schrieb dann auf die Rückseite des Papiers:

mein junge

wie es die raubtiere tun, so ruht der lohn der arbeit unter seines gleichen

drehe den tag um und folge der aufgehenden sonne

erhebe deinen blick und gewahre das angesicht des boesen

ngsdotwz

Rob kam zu mir herüber, hob meine Übersetzung auf und sagte mit einem kritischen Blick auf die Worte, die ich geschrieben hatte: „Viel besser ist das ja auch nicht! Damit kann doch etwas nicht stimmen!“

Ich schaute ihn böse an. Andeers streckte seine Hand aus. „Kann ich das mal sehen?“ Er runzelte die Stirn. „Ja, das muss die betreffende Notiz sein. Sie ist an mich gerichtet. Mein Junge, so hat er mich immer genannt.“ Sein Blick wurde traurig. „Der Rest ist wohl so etwas wie ein Rätsel.“

„Es sagt dir nichts?“, fragte Reander.

Andeers schaute noch einmal konzentriert auf meine Übersetzung. „Der Lohn der Arbeit“, wiederholte er. „Damit muss doch das Buch gemeint sein, oder? Und unter seinesgleichen bedeutet dann, dass ...!“

„Die Bibliothek!“, unterbrach ich ihn.

„Ja, so muss es sein!“, murmelte Reander.

„Dann lasst uns doch dort weitersuchen. Vielleicht ergibt der Rest dort einen Sinn!“, drängte ich.

„Gut, gehen wir!“, schloss sich Andeers an.

Einige Minuten später standen wir wieder am Eingang der gigantischen Bibliothek. Nachdem wir bereits beinahe einen ganzen Tag hier zugebracht hatten, war sogar meine Begeisterung darüber, wieder hier zu stehen, stark gedämpft.

„Und was jetzt?“, fragte Rob.

„Lass mich das nochmal sehen!“, sagte ich.

„Den Tag umdrehen und der aufgehenden Sonne folgen! Die Sonne geht im Osten auf und im Westen unter. Wenn wir den Tag umdrehen, dann wäre der Sonnenaufgang im Westen. Heißt das jetzt, dass wir uns nach Westen wenden müssen oder vielleicht einfach nach links gehen?“

„Glücklicherweise läuft das in diesem Fall auf dasselbe hinaus“, erklärte Andeers. Er wandte sich direkt hinter dem Eingang nach links und lief so lange geradeaus, bis er die Bücherregale an der dortigen Wand erreichte. Wir folgten ihm.

„So, und was nun?“, fragte Rob.

„Wir müssten jetzt im Angesicht des Bösen stehen“, murmelte ich vor mich hin.

„Hier kann aber etwas nicht stimmen!“, mischte sich Reander ein, der bereits die Titel der Bücher vor uns studierte. „Das sind alles Bücher über den Menschen, seine Anatomie und Entwicklung.“

Andeers lächelte traurig. „Wenn das so ist, dann sind wir hier genau richtig!“ Er erntete nur verwirrte Blicke. „Es geht um etwas, das Leonard einmal während einer Diskussion über Gut und Böse zu mir sagte. Ach was, fiel er mir damals ins Wort. Gut oder Böse, hin oder her, papperlapapp. Wenn es darauf ankommt, mein Junge, so ist das einzig Böse der Mensch selbst!“

„Interessante Sichtweise!“, murmelte Rob.

Hier standen wir nun also vor dieser Bücherwand. „Aber was soll dieses letzte“ - ich musste mich zwingen, es als solches zu bezeichnen - „Wort heißen?“ Umständlich versuchte ich die scheinbar wahrlose Aneinanderreihung von Buchstaben auszusprechen. „Ngsdotwz!“

Anders trat an meine Seite und schaute unschlüssig auf das Stück Papier in meiner Hand. Reander und Rob gingen bereits die langen Regalwände entlang auf der Suche nach etwas Auffälligem. Andeers und ich schlossen uns schließlich an. Nach einer Weile hatten wir alle Titel in diesem Abschnitt der Bibliothek gelesen.

„Nichts!“, sagte Reander und fuhr sich durch den Bart.

„Ich hab doch gesagt, da kann was nicht stimmen!“, nörgelte Rob.

Ich drehte das Papier in meiner Hand um und las nochmals die Originalnotiz. Dabei fiel mir etwas auf, über das ich vorhin einfach hinweggegangen war. Einige der Zahlen in der letzten Zeile waren unterstrichen. „Moment mal!“, rief ich. „Was, wenn es sich hierbei tatsächlich um Zahlen handelt?“

Nicht nur meine Begleiter sahen mich überrascht an. Auch einige der anderen Besucher der Bibliothek schauten, aufmerksam geworden durch unsere immer lebhaftere Diskussion und meine lauten Worte, zu uns herüber.

„Joana! Diskretion!“, wies Reander mich leise zurecht.

Mir war es in diesem Moment egal. Konzentriert sah ich mir die letzte Zeile der Notiz unter diesem veränderten Gesichtspunkt noch einmal an und übersetzte neu: n 5 s 3 o 16 w 21. Die Abkürzungen für die vier Himmelsrichtungen stießen jetzt sofort ins Auge. Ich ging an Rob vorbei, der mit verschränkten Armen dastand und sich hier sichtlich unwohl fühlte, und begann, die Bücherreihen vom Boden bis zur Decke des ersten Stockes zu zählen. Acht! Das passte genau. Ich zählte fünf Reihen von oben und drei von unten ab und begann auf dieser Ebene vom linken Regalrand 21 Bücher abzuzählen.

„Was genau treibst du denn da?“, hörte ich Rob hinter mir, doch ich ließ mich nicht beirren, machte das Gleiche von rechts, diesmal nur sechzehn Bände weit und ... landete bei unterschiedlichen Büchern. Noch gab ich nicht auf. Wenn meine Theorie stimmte, so war diese Art der Karte, wie Leonard sie uns hinterlassen hatte, doch eher gefährlich ungenau. Ich zog die beiden Bücher, die ich ausgezählt hatte, heraus, sowie die beiden, die zwischen ihnen standen, und schlug eines nach dem anderen auf. Beim dritten hatte ich Glück. Das Buch hatte im Innern einen Hohlraum, in dem ein anderes, etwas kleineres Buch steckte. Ich wusste sofort, dass ich es gefunden hatte. Diese außergewöhnliche goldene Farbe des Einbands war unverkennbar. „Buch des Schließens“ stand darauf.

Triumphierend zog ich es heraus und wedelte damit herum. Ich stellte die leere Hülle zurück und deutete dann mit einem Kopfwinken an, dass die anderen mir folgen sollten. Schnellen Schrittes verließ ich die Bibliothek.

Draußen angekommen trat Andeers auf mich zu. „Darf ich?“, fragte er und nahm mir das Buch aus den Händen. Bewundernd strich er über den Einband und schlug es dann vorsichtig auf. „Das ist fantastisch!“, murmelte er.

„Ja, fantastisch wäre es auch, wenn wir mit unserer Beute hier nicht mitten unter all den neugierigen Augen herumstehen würden!“, dämpfte Rob Andeers`Begeisterung.

„Er hat Recht!“, stimmte Reander ihm zu, und wir zogen uns hastig wieder in den Schlafsaal zurück. Dieser war jedoch nicht mehr leer. Vier Personen wühlten in großen ledernen Koffern oder hatten sich auf den Betten ausstreckten. Wir grüßten knapp und sahen einander unschlüssig an.

„Lasst uns doch in meinem Studierzimmer weiterreden!“, schlug Andeers leise vor. Ich nickte und suchte schnell mein Gepäck zusammen. Wir nahmen unseren ganzen Besitz mit, und Andeers führte uns zu seinem Arbeitszimmer. Der Raum war klein und mit nur einem Fenster relativ dunkel. Alles lag voller Dokumente und Bücher, die aber einer strikten Ordnung zu folgen schienen.

Reander hatte sich das „Buch des Schließens“ genommen und blätterte nun aufgeregt darin herum. Ich erinnerte mich an Leonards Tagebuch und fragte Andeers: „Wer ist denn nun dieser Larsson, den Leonard erwähnte?“

„Ich kenne ihn nicht persönlich“, antwortete Andeers. „Aber ich habe von ihm gehört. Er lebt ganz in der Nähe, in Myka.“

„Dann sollten wir ihn vielleicht als Nächstes aufsuchen!“, schlug ich vor.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Rob neben mir den Kopf schüttelte. Bevor ich fragen konnte, was nun schon wieder sein Problem war, sagte er: „Wie ist das denn mit dieser Karte. Kann ich die mal ansehen?“

Andeers zog ein größeres Stück Papier aus den Seiten von Leonards Tagebuch, das ich bei meiner Sichtung zuvor komplett übergangen hatte, und reichte es Rob. „Das ist das Tal der 100 Seen!“, stellte Rob fest, nachdem er sich die Linien und Markierungen eine Weile konzentriert angesehen hatte.

Ich erinnerte mich an Robs limitiertes Geschick beim Karten lesen, sah ihn an und fragte: „Bist du dir ganz sicher?“

Er rollte mit den Augen. „Ja, ich bin schon dort gewesen. Die Seen da sind unglaublich zahlreich und sehen für einen Fremden alle gleich aus. Selbst mit dieser Karte werden wir den richtigen Ort da niemals finden!“

„Na gut, dann gehen wir jetzt eben erst mal zu Larsson. Das ist doch sowieso viel näher. Für das Problem mit der Karte finden wir danach schon eine andere Lösung!“, sagte ich.

In Robs Augen blitzte es auf. „Nun lass doch mal diesen Larsson! Er hat keines der Bücher und kann uns auch sonst nicht weiterhelfen!“, sagte er gereitzt.

„Woher willst du das wissen!“, entgegnete ich bissig. Was zum Henker hatte Rob denn für ein Problem? Hier war eine wunderbare Chance, und er machte sie einfach so zunichte.

Andeers beobachtet verunsichert unsere Diskussion. Auch Reander hatte in Anbetracht der gestiegenen Lautstärke unserer Unterhaltung von seiner Lektüre aufgeschaut. Ich ignorierte die beiden.

„Was ist denn los mit dir, Rob? Wir haben hier zwei plausible Hinweise, die im Grunde schon von so etwas wie einem Experten überprüft worden sind, und du stellst dich hin und machst beide zunichte!“, fuhr ich ihn an. „Im Tal der Seen finden wir sowieso nichts, Larsson weiß ohnehin keinen Bescheid!“, äffte ich ihn nach. „Etwas Optimismus wäre hier durchaus angebracht, verdammt!“

Robs Blick sprühte jetzt keine Funken mehr. Er war eher resigniert. „Joana, warum kannst du mir nicht einfach mal glauben, wenn ich dir sage, dass Larsson eine Sackgasse ist?“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn wütend und gleichzeitig fragend an. Er seufzte. „Ich bin dort gewesen! Ich habe mit ihm gesprochen, und er hat keines der Bücher, hat nie eines gesehen. Er glaubte nicht einmal, dass sie tatsächlich existieren. Er ist Geschichtenerzähler! Nichts weiter. Also, können wir es jetzt bitte dabei belassen?“

Nicht nur ich sah Rob überrascht an. Er war schon bei Larsson gewesen? Wann? Und woher wusste er von ihm? Wir waren doch erst heute auf seine Spur gekommen. Ich verstand gar nichts mehr.

Für Rob waren Larsson und das ganze Thema damit abgehakt. Er betrachtete wieder die Karte des Tals der 100 Seen und schüttelte pausenlos den Kopf. Wütend lehnte ich mich gegen die Wand, noch immer mit verschränkten Armen.

„Nun gut!“, setzte Reander an, der das „Buch des Schließens“ zugeklappt hatte. „Dann müssen wir uns wohl jetzt ins Tal der 100 Seen begeben.“

„Wir werden uns rettungslos verlaufen. Das ist nicht zu schaffen!“, verbreitet Rob ungehemmt seinen Pessimismus.

„Nicht ohne Hilfe!“, mischte sich Andeers ein. „Ich kann euch helfen. Nehmt mich mit!“

„Nein!“, folgte Robs entschiedene Antwort nur Sekundenbruchteile später.

„Aber“, wagte ich einen Vorstoß. „Vielleicht kann er uns ja helfen, ich meine, er ...“

„Nein!“, wiederholte Rob energisch. „Ich bringe schon jetzt viel zu viele Menschen in Gefahr. Durch meine Mission und ... meine Gegenwart.“ Er ließ seinen Blick über Reander und mich gleiten.

„Ich bitte euch! Ich stelle euch alles zur Verfügung, was ich weiß und was ich besitze!“ Andeers Stimme war jetzt flehend.

„Robert, womöglich finden wir in seinen Unterlagen doch noch Informationen über die anderen Bücher, da wir nun wissen, wonach wir suchen müssen!“, mischte sich Reander ein.

Rob schüttelte unwillig den Kopf und rieb sich die Schläfen. „Warum nur seid ihr alle so versessen darauf, eure Zeit in der Gegenwart des Bösen zu verbringen?“, sagte er leise. An Andeers, der Rob mit einem undefinierbaren Blick ansah, gewandt fügte er hinzu: „Gut, wir schauen nach, was wir hier noch finden können. Dann sehen wir weiter.“

Und wieder wühlten wir uns durch Berge von Papier, die diesmal zwar fein säuberlich geordnet waren, was aber dem wachsenden Unmut keinen Abbruch tat.

„Unglaublich, wie die Geschichte innerhalb von ein paar Jahrzehnten verschwimmen kann!“, sagte ich in das Schweigen konzentrierten Arbeitens.

Etwas später sagte Andeers: „Das hat doch keinen Sinn. Leonard und ich haben das alles schon unzählige Male durchgesehen. Selbst unter den neuen Aspekten geben diese Dokumente nicht mehr her!“

Ich seufzte. „Was schlägst du vor?“

„Lasst mich euch im Bezug auf die Karte helfen!“, war Andeers’ Vorschlag.

Rob warf auf: „Und wie? Willst du jetzt behaupten, dass du dich da unten wie in deiner Westentasche auskennst?“, fragte er gereitzt.

„Nein, das nicht!“ Andeers schmunzelte. „Aber ich weiß, wo wir jemanden finden, der uns behilflich sein kann! Und ...“, sagte er triumphierend. „Ich kann uns Pferde besorgen.“

„Dann ist es entschieden! Andeers wird uns begleiten!“, sagte Reander bestimmt.

„Und seit wann hast du das zu entscheiden?“, fragte Rob giftig.

„Jetzt sei doch mal vernünftig!“, mischte ich mich ein. „Wir können seine Hilfe wirklich gut gebrauchen!“ Ich dachte an all das, was Andeers verloren hatte, zum Teil durch den Dämonenangriff. Es war ziemlich offensichtlich, warum er seine Meinung geändert hatte und uns nun helfen wollte. Die Chance dazu sollte er auch bekommen. Gerade Rob müsste ihn doch verstehen!

Dieser fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und schüttelte den Kopf. „Gut! Wie ihr wollt“, sagte er resigniert und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Ich bemerkte Andeers verunsicherten Gesichtsausdruck und erklärte: „Der kriegt sich schon wieder ein!“

Dann verbrachten Reander und ich die nächste Stunde damit, Andeers auf den aktuellen Stand zu bringen. Wir erzählten von „Die Welt der Dämonen“, aus dem wir den Großteil unserer Informationen herausnahmen, vom Tor und den fünf beziehungsweise sechs Büchern und davon, dass wir bereits im Besitz des „Buchs des Rufens“ waren und dass wir einen der Regneas finden mussten um das Tor zu schließen. Von unseren anderen Problemen sprachen wir nicht. Keiner erwähnte die Dämonenschließer, ihre Aufgabe oder ... ihren Erben. Wir waren wohl beide übereinstimmend der Meinung, dass das nur Rob selbst tun konnte, sofern er es wollte.

Andeers erzählte uns von einem seiner ehemaligen Kollegen an der Universität von Kaddiss, der sich mit der Gewässerforschung befasst hatte und dafür einige Jahre im Tal der 100 Seen zugebracht hatte. Dabei war er dort auf ein Volk von „zivilisierten Eingeborenen“ gestoßen, wie er sie nannte. Er hatte sich mit ihnen angefreundet und sie hatten ihn zuverlässig durch das Labyrinth der Seen geführt. Diesen Kollegen wollte unser neues Gruppenmitglied besuchen und ihn bitten uns zu führen. Der im Tal ansässige Naturstamm war, wie es schien, nicht immer so hilfsbereit, wie im Fall von Andeers Kollegen, besonders dann, wenn sie eine Gefahr für ihr Volk befürchteten. Außerdem war die Lage ihrer Siedlungen nicht bekannt.

„Wo hält sich dein Freund auf?“, fragte Reander.

„Ich weiß, dass er nach Osten ging, als er die Universität verließ“, antwortete Andeers. „Ich glaube, er lebt jetzt in einem kleinen Dorf namens Sordas.“

„Sordas?“, wiederholte ich. „Das Dorf, aus dem Rob stammt?“ Ich sah Reander an. Er nickte. Diese Entwicklung fand ich äußerst interessant. Auch wenn Sordas östlich von hier lag und es einen großen Umweg bedeutete – das Tal der 100 Seen befand sich weit süd-westlich von uns im Süden Olasias –, so freute ich mich doch, Robs Heimat einmal zu sehen.

Andeers entschuldigte sich, um einige Vorbereitungen zu treffen und ich beschloss, nach Rob zu suchen. Als ich durch die Gänge lief, fiel mir meine heruntergekommene Kleidung wieder ein und ich wünschte mir inständig, etwas Dunkleres angezogen zu haben, auf dem der ganze Schmutz wenigstens nicht so auffiel.

Ich fand Rob schließlich außerhalb der Mauern der Universität auf einem großen Stein sitzend. Langsam ging ich zu ihm hinüber. „Und? Hast du dich abgeregt?“

Er sah mich nur böse an. Trotzdem kletterte ich neben ihn und ließ die Beine baumeln. „Andeers trifft noch einige Vorbereitungen, bevor wir aufbrechen. Reander und ich haben ihn eingeweiht. Wir…“ Ich schaute ihm fest in die Augen. „Wir haben von dir nichts erzählt.“ Er nickte, und ich musste wieder daran denken, was alles auf ihm lastete. Wie sehr die Dämonen in seinem Inneren ihn wohl quälen mochten, ohne dass wir Außenstehenden es auch nur erahnen konnten. Noch einmal sah ich seine Verwandlung in Dragoth vor mir. „Wie ist das, die Verwandlung? Tut es weh?“, fragte ich vorsichtig und starrte dabei auf meine Füße.

Es dauerte einen Augenblick, bis er antwortete: „Es sind nur minimale körperliche Schmerzen, falls du das meinst. Es ist nur ... Ich muss dafür den Dämon ein Stück weit freigeben, könnte man sagen. Wenn ich seine Gestalt annehme, dann ist er viel stärker als sonst. Ich ...“

„Du hast Angst, dass du ihn dann nicht mehr kontrollieren kannst!“, vollendete ich seinen Satz.

Er nickte. „Es ist so eigenartig und unnatürlich! Alles, was ich am Körper trage zum Zeitpunkt der Transformation, den Dämonenschlüssel einmal ausgenommen, verwandelt sich mit. Es ist, als ob sich die Form des Dämons um mich herum aufbauen würde, gar nicht richtig wie eine Verwandlung, mehr wie eine Hülle.“

„Das ist es ja auch. Nur eine Hülle“, sagte ich und sah ihm fest in die Augen. Dann musste ich an seine Worte von vorhin denken. „Warum nur seid ihr alle so versessen darauf, eure Zeit in der Gegenwart des Bösen zu verbringen?“, hatte er gesagt. „Rob, du bist nicht das Böse!“ Irgendwie kam ich mir dumm vor bei diesen Worten. Dennoch glaubte ich, dass er sich für viel zu viele Dinge die Schuld gab und wollte ihm ein wenig dieses Gefühles nehmen.

Er sah mir eine Weile in die Augen. „Vielleicht noch nicht“, sagte er dann leise. „Aber je mehr Zeit verstreicht, desto weniger macht das einen Unterschied.“ Mit diesen Worten stand er auf und klopfte sich die Hose ab. Er lief los, blieb dann aber noch einmal stehen und sagte, ohne den Kopf zu drehen:

„Kommst du?“ Schnell stand ich auf, und Seite an Seite gingen wir wieder ins Innere der Universitätsmauern.

Während wir liefen, fiel mir plötzlich unser nächstes Ziel wieder ein. Strahlend drehte ich mich zu Rob herum und sagte: „Rate mal, wo wir Andeers Bekannten treffen, der uns durch die Seenlandschaft führen soll!“ Er sah mich wartend an. „In deiner Heimatstadt!“, posaunte ich hinaus.

Mit der Reaktion, die nun folgte, hatte ich nicht gerechnet. Rob blieb unvermittelt stehen. Seine Augen weiteten sich, und der nur allzu bekannte Schmerz in ihnen flammte wieder auf.

„Ich dachte, du freust dich darüber, mal wieder nach Hause zu kommen!“

Er machte ein verächtliches Geräusch und lief so schnell an mir vorbei, dass man es fast als rennen bezeichnen konnte. In Sekundenschnelle war er um die nächste Biegung verschwunden.

„Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?“, rief ich in den nun leeren Korridor. Meine Stimme hallte von den kahlen Wänden wider, und ich kam mir in diesem Moment klein und verlassen vor.

Als ich Andeers`Arbeitszimmer erreichte, waren alle bereits wieder dort. Rob saß in einer Ecke auf dem Boden und schwieg vor sich hin. Reander warf mir einen fragenden Blick zu, doch ich konnte nur mit den Schultern zucken.

„Die Pferde sind morgen früh für uns bereit“, sagte Andeers gerade. „Ebenso genügend Vorräte und ein Zelt. So sind wir nicht auf Städte und Gasthöfe angewiesen und kommen schneller voran.“ Andeers betrachtete uns von Kopf bis Fuß. „Wenn ihr wollt, könnt ihr euch in meinem Kleiderschrank bedienen!“ Er sah mich an. „Für eine Frau, wird da allerdings wenig drin sein. Du kannst es aber gern versuchen!“

Er führte uns ins Nebenzimmer, an dessen kahlen Wänden sein Bett, eine Truhe und zwei Schränke standen, und ließ uns wieder allein. Reander öffnete einen der Schränke und wurde schnell fündig: Eine einfache blaue Hose und ein graues kurzärmeliges Hemd. Beides war eigentlich nicht seine Größe, wirkte aber erstaunlicherweise an ihm elegant und passend. Seine alten Sachen entsorgte er gleich auf der Stelle und verließ dann den Raum, um sich irgendwo zu waschen.

Blieben noch Rob und ich. Dieser sah die Sache entspannt. Er fand eine schwarze Hose, die ihm gut passte, und riss dann die langen Ärmel von seinem Hemd ab, die ohnehin zerrissen waren. Voilà! Ein vor Schmutz starrendes, ärmelloses „neues“ Oberteil.

Ich beschloss, später etwas gegen den Grad der Verschmutzung zu unternehmen. Im Schrank befand sich beim besten Willen keine Hose, die ich hätte tragen können. Ich suchte mir ein dunkelgrünes Hemd mit kurzen Ärmeln heraus und zog es über. Glücklicherweise war es lang genug, also schlüpfte ich aus meiner Hose und hielt Rob auffordernd die Hand entgegen.

„Was?“, fragte er verwirrt.

„Gib mir dein Oberteil!“, sagte ich fordernd und winkte mit den Fingern. Er zögerte. „Nun mach schon!“, sagte ich ungeduldig. „Ich werde dich so bestimmt nicht länger rumlaufen lassen und die Sachen wenigstens waschen!“ Er gab nach und schälte sich aus den Resten seines schwarzen Hemdes.

Zügig eilte ich aus Andeers Schlafzimmer, den Gang hinunter und steuerte einen Brunnen an, den ich draußen gesehen hatte. Mehr als einmal erntete ich verwirrte und belustigte Blicke, wie ich da ohne Hose in einem viel zu großen Hemd stand und unsere Sachen wusch. Ich nahm es entspannt. Es war bereits später Nachmittag, und die Zahl der Passanten hielt sich in Grenzen.

Als ich wiederkam, warteten Reander und Rob bereits auf mich. Wir machten uns auf den Weg zurück in den Schlafsaal. Einige merkwürdige Blicke ernteten wir schon: Ein Mann ohne Hemd und eine Frau ohne Hose laufen durch eine Universität.

Zu unserer Überraschung war der Schlafsaal leer, als wir dort eintrafen. Keine Spur mehr von den vier Fremden, die sich hier zuvor häuslich eingerichtet hatten. Andeers gesellte sich in dieser Nacht zu uns. Warum, wusste ich nicht, vermutlich wollte er einfach nichts verpassen. Vielleicht wollte er auch mit seinen Erinnerungen nicht allein sein, was ich gut verstehen konnte.

Wir nahmen zusammen ein schnelles Abendbrot ein, auf das sich niemand so richtig konzentrierte. Andeers blätterte begeistert und faziniert in „Die Welt der Dämonen“ und sagte immer wieder: „So ist das also! Das ist ja unglaublich! Hätten wir dieses Buch doch nur schon vor Jahren gehabt. Das hätte uns vor so vielen Fehleinschätzungen bewahrt. Dieses Buch ist wahrlich ein Schatz!“

Rob hockte auf seinem Stuhl, hatte die Füße auf die Sitzfläche gezogen und seine Beine mit den Armen umfasst. Er rührte sein Essen nicht an, starrte stattdessen gedankenverloren vor sich hin. Reander blätterte noch immer im „Buch des Schließens“ und schüttelte hin und wieder langsam den Kopf. Ich saß vor Papier und Tinte, die Feder in der Hand, und machte mir einige Notizen zu den Geschehnissen und Erkenntnissen des Tages. Schließlich gingen wir zu Bett.

Es war stickig im Schlafsaal, was auch daran lag, dass es draußen beträchtlich wärmer geworden war. Ich lag im Bett und dachte über die Ereignisse dieses Tages nach. Auf der positiven Seite: Wir hatten eines der goldenen Bücher hinzubekommen. Wir hatten ein vielversprechendes Ziel und wussten, wie es weiterging. Andeers hatte sich uns angeschlossen. Ich verbuchte auch das unter Haben.

Auf der anderen Seite: Rob war irgendwie mal wieder wütend. Warum dem so war, wusste ich natürlich mal wieder nicht. Eine vielversprechende Spur, Larsson, hatte sich zerschlagen.

Während ich darüber nachdachte, fielen mir Robs Reaktion und seine Aussagen zum Thema Larsson wieder ein. Er hatte ihn schon aufgesucht, das war mittlerweile klar. Und er hatte uns nichts davon gesagt, war erst mit der Sprache herausgerückt, als wir praktisch schon mit einem Fuß der Tür hinaus gewesen waren. Warum? Was hatte er für einen Grund, uns das zu verheimlichen?

Dann hatte ich einen Einfall, eine Vermutung. Ich wusste, wann Rob bei Larsson gewesen war. Es musste der Tag gewesen sein, an dem der Vogeldämon den Marktplatz angegriffen hatte. Das machte Larsson natürlich zu einem kritischen Thema. Es erinnerte Rob an seine fatale Abwesenheit während des Dämonenangriffes.

Aber warum hatte er nichts davon gesagt, uns in dem Glauben gelassen, wir befänden uns in einer Sackgasse? Ein weiterer Gedanke schlich sich in meinen Geist, eine weitere Vermutung: Er wollte uns nicht mitnehmen. Hatte er versucht, alleine weiterzumachen? Zu ihm passen, würde es. Eine ideale Gelegenheit, uns loszuwerden. Aber warum war er wieder da? Weil Larsson ein Reinfall gewesen war?

Im Dunkeln drehte ich mich in Richtung von Robs Bett um und fragte betont: „Woher wusstest du von Larsson?“ Ich machte mir nicht die Mühe, ihn mit Namen anzusprechen, wusste, er war wach und wusste, es war ihm klar, dass die Frage ihm galt. Er bewegte sich. „Rob!“, sagte ich dann doch mit Nachdruck, als ich keine Antwort bekam.

Er seufzte. „Ich habe einen Hinweis auf ihn in Leonards Unterlagen gefunden“, antwortete er schließlich. Man konnte seiner Stimme anhören, dass er wusste, dass es mit dieser Aussage nicht getan war. Sie warf zu viele Fragen auf.

Eine davon stellte ich. „Warum hast du uns nichts davon gesagt?“ Ich konnte nicht verhindern, dass eine verletzte Note in meiner Stimme mitschwang.

Rob atmete geräuschvoll ein und aus. „Ich dachte einfach, es wäre besser so, okay!“

Nein, das war ganz und gar nicht okay, aber ich sagte nichts mehr. Fürs Erste hatte ich genug gehört. Meine Vermutung hatte sich bestätigt. Ich drehte mich wieder auf die andere Seite, weg von Rob, hörte ihn nochmal seufzen und sich bewegen. Dann war es still.

In dieser Nacht schlief ich unruhig und wachte mehrmals verschwitzt auf. Ich träumte von Rob. Im Traum war ich Kind, und Rob sagte zu mir: „Nein, ich kann dich nicht mitnehmen, Joana! Geh und spiel mit Andeers und Lina!“ Ich fing schrecklich an zu weinen, aber er ging einfach weg, ohne sich umzusehen.

Als ich aufwachte, hatte ich meine Decke aus dem Bett geworfen und mein Laken zerwühlt. Langsam setzte ich mich auf. Rob stand mit dem Rücken zu mir am offenen Fenster. Sein blanker Oberkörper glänzte feucht. Ich war mir sicher, dass auch er diese Nacht von Alpträumen verfolgt worden war.

Leise schlüpfte ich in meine Hose, die ich abends zum Trocknen aufgehängt hatte, und knotete Andeers Hemd an der Taille zusammen. Dann trat ich mit Robs ebenfalls getrocknetem Hemd an seine Seite.

Wortlos reichte ich es ihm, und er zog es über, ohne die Knöpfe zu schließen. Eine Weile schauten wir aus dem Fenster auf die Stadt hinaus, die langsam erwachte. Eine glühend rote Sonne ging auf und tauchte die rotbraunen Häuser in ein warmes Licht. Alles war ruhig und die warme Luft unbewegt. Nur das leise Geräusch unser beider Atem war zu hören. Es war ein Moment tiefen Friedens, der erst endete, als Andeers und Reander aufwachten.

Ein schnelles Frühstück, unsere Sachen packen und dann war es an der Zeit, sich von der Universität und Kaddiss zu verabschieden. Als wir durch die großen Universitätstore gingen, blieb Andeers noch einmal stehen und schaute zurück. Seine Gesichtszüge verrieten seine Empfindungen nicht. Er atmete tief durch und schloss sich uns dann an.

Die Stadt wirkte so friedlich. Es waren noch kaum Menschen unterwegs. Die Sonne beschien sanft die Häuser. Und doch fröstelte mich, als wir auf dem Weg nach unten den Marktplatz streiften. Auch er sah friedlich aus, aber leer. Seit dem Angriff hatte es keinen Markttag gegeben. Ich kämpfte gegen die Erinnerungen, von denen ich wünschte, sie wären nicht vorhanden, und sah, wie Andeers dasselbe tat. Reander beschleunigte seine Schritte. Auch er schien hier nicht verweilen zu wollen. Rob sagte kein Wort, scheinbar quälte er sich ebenso wie der Rest von uns.

Die Pferde warteten vor der Stadt. Sie waren groß und grau, hatten kluge Augen und boten eine kraftvolle Erscheinung. Wir stiegen auf, und bald hatten wir die Stadt im Schatten des Berges hinter uns gelassen und ritten in die aufgehende Sonne.

Dämonenschließer

Подняться наверх