Читать книгу Dämonenschließer - Diana Schwarzentraub - Страница 8

Jagd

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Sobald wir das Osttor durchschritten hatten, folgten wir einige Zeit der Straße, die wir dann in südlicher Richtung verließen um uns in den Wald zu schlugen. Der Himmel bewölkte sich, der Regen blieb jedoch aus. Dennoch roch es feucht unter den Bäumen, und ich fühlte mich auf seltsame Art unwohl.

Auch Rob war unruhig. Er sah sich immer wieder nervös um. Von seinen Verletzungen war ihm nichts anzumerken. Entweder hatte er sich gut in der Gewalt oder die Schrammen waren nicht so tief gewesen, wie ich befürchtet hatte. Jedenfalls hielt er Reanders straffes Tempo problemlos durch. Besser als ich, die angestrengt versuchte, sich nicht zu sehr zu blamieren und mit dem sichtlich durchtrainierten alten Mann mitzuhalten, der sich zielsicher durch das dichter werdende Gestrüpp arbeitete. Die Unübersichtlichkeit des Geländes machte mich immer nervöser. Ich sah die Dämonen im Unterholz herumschleichen und uns ausspionieren, wenn auch nur im Geiste. Aber war da nicht ein Geräusch im Geäst? Nur Verfolgungswahn, Joana, beruhigte ich mich.

„Nun!“, durchbrach Reanders Stimme meine Paranoia. „Wo dein Zuhause ist und warum du mich aufgesucht hast, weiß ich. Doch wie steht es mit dir?“ Er sah Rob an.

Nach kurzem Zögern antwortete dieser: „Ich komme aus Sordas. Das liegt im Osten des Reiches.“

„Sordas ist mir ein Begriff“, unterbrach ihn Reander nachdenklich. „Was hat dich zu mir geführt?“

„Ich bin schon eine Weile unterwegs und gehe mit offenen Augen und Ohren durch die Welt. Da war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis mir jemand deinen Namen nannte. Geschichtenerzähler Reander. Du scheinst eine Koryphäe auf deinem Gebiet zu sein.“

Jetzt war ich doch wirklich überrascht. So gesprächig hatte ich meinen neuen Reisegefährten ja noch nie erlebt. Besonders dann nicht, wenn es um seine Person ging. Umso aufmerksamer hörte ich zu.

Reander ging nicht auf Robs Anspielung ein und fragte stattdessen: „Du hast das Reich bereist?“

„Ja, so könnte man es nennen.“

„Und du suchtest nach Informationen über Dämonen?“

„Ja, auch das.“

Da war sie wieder, die altbekannte Einsilbigkeit.

„Daraus schließe ich, dass du bereits Dämonen begegnet bist, bevor du Joana gerettet hast?“, hakte Reander nach.

„Ja“, entgegnete Rob tonlos und beschleunigte dann seine Schritte. Damit war das Gespräch beendet, wir sparten unseren Atem für das Laufen im nun stärker ansteigenden Gelände auf, und mein Verfolgungswahn kehrte zurück. Und griff um sich. Immer wieder warf Rob nervöse Blicke in alle Richtungen, in denen immer nur noch mehr Bäume und Gestrüpp zu sehen waren. Brachte das, was wir erlebt und gesehen hatten, ein solches Verhalten automatisch mit sich?

Je weiter wir liefen, umso dichter ging Rob an unserer Seite. Ich hatte beinahe das Gefühl, dass er uns umkreiste, denn er lief mal vor uns, mal hinter uns, dann an Reanders Seite und schließlich wieder an meiner.

Ein Vogel stob mit verärgertem Zänkern aus einem Strauch neben uns auf. Erschrocken zuckte ich zusammen. Was mir aber erst richtig Angst machte, war Robs Reaktion. Er packte mein Handgelenk, zog mich ruckartig zur Seite und schob sich zwischen mich und den betreffenden Busch. Jeder Muskel in seinem Körper war angespannt. Nach vier meiner veränstigten Herzschläge entspannte er zumindest einen kleinen Prozentsatz seiner Muskeln, unter anderem diejenigen, die mein Handgelenk umklammerten, und lief weiter, als sei nichts gewesen.

Reander schaute ihm besorgt nach. Mir verkrampfte sich der Magen. Hier stimmte doch etwas ganz und gar nicht! Meine überspannten Nerven gaukelten mir nun überall um uns herum Bewegungen und Geräusche vor. Ein Knacken! Das war aber doch real!? Ich fühlte plötzlich von überall Augen auf mir ruhen. Oder war es einfach eine alles umfassende Präsenz, die mich das glauben ließ?

„Der Weg ist nicht mehr weit!“, sagte Reander mit hörbarer Erleichterung in der Stimme, die sich daraufhin auch in mir ausbreitete. Ich wollte schnell wieder raus aus diesem dichten Wald, der so viele schreckliche Trugbilder für mich bereithielt. „Nahe der Jagdhütte fließt ein kleiner Bach. Dort können wir uns stärken und ausruhen“, fügte Reander hinzu.

Im Gebüsch vor uns knackte es. Diesmal war ich mir zu einhundert Prozent sicher, denn es war nah, sehr nah, und Rob blieb sofort wie vom Donner gerührt stehen. Kalte Angst rieselte in meinen Nacken. Es knackte wieder, und im nächsten Augenblick schoss etwas Riesiges aus dem Geäst und landete mit einer geschmeidigen Bewegung direkt vor uns.

Alle Anwesenden schrien gleichzeitig auf, aber der Schrei, der alles übertönte, stammte von dem Dämon vor uns. Ich hatte diesen Schrei schon einmal gehört. Wie konnten Menschen ihn ein zweites Mal ertragen? Das mussten sie nicht, sagte ich mir, denn wer diesem Dämon einmal gegenübergestanden hatte ...

„Verdammt!“, entfuhr es Rob.

Der löwenähnliche gehörnte Dämon verlor keine Zeit. Nur Augenblicke, nachdem er vor uns gelandet war, setzte er wieder zum Sprung an. Mit einer kraftvollen Bewegung stieß Rob sich ab und landete genau zwischen Reander und mir auf der einen und dem Dämon auf der anderen Seite. Die tiefen schwarzen Augen der Katze glitten zwischen Rob, Reander und mir hin und her. Die Angst schnürte mir die Kehle zu und lähmte mich, während sich der mächtige Feind erneut zum Sprung duckte.

In diesem Moment geschah das Unmögliche. Rob befand sich plötzlich in einer Lichtkugel. Licht, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks, denn es war dunkel. Schwarz. Und doch leuchtend und sogar erhellend. Jedenfalls war es nicht irdischen Ursprungs.

Robs Gestalt verschwamm. Nur noch ein schwarzer Schatten in schwarzem Licht. Dieser Schatten veränderte sich. Es dauerte alles nur Sekundenbruchteile, und einen Lidschlag später stand nicht mehr Rob zwischen uns und dem Gehörnten, sondern der geflügelte Dämon.

Der schwarze Löwe fauchte und sprang in Richtung Reander. Er kam nie bei ihm an. Der Geflügelte machte einen Schritt zur Seite und fing den Sprung ab, der ihn von den Füßen riss. In einem wilden Durcheinander aus Krallen und Zähnen rutschten die beiden den Waldboden hinunter. Büsche, umgestürzte Bäume, nichts konnte sie aufhalten. Ein Fauchen und Grollen schwang in der Luft. Die abflachende Steigung und ein Felsen, der beinahe wie eine überdimensionale menschliche Hand aussah, machten dem Schlittern ein Ende. Sofort befreiten sich die Dämonen voneinander.

Kaum hatten sie sich aufgerappelt, positionierten sie sich in Windeseile für einen neuen Angriff. Beide duckten sich zum Sprung. Robs Schwertscheide am Rücken des Geflügelten bemerkte ich erst, als dessen Klaue geschickt das Schwert herauszog.

Eine weitere Sekunde, in der ich nicht zu atmen wagte, verstrich, während die Kämpfenden einander anvisierten. Dann breitete der Schwertträger die Schwingen zu voller Größe aus – das mussten beinahe vier Meter sein – und fand in dem Gewirr aus Gehölzen tatsächlich genügend Platz, um vom Boden abzuheben.

Nahezu im gleichen Moment grub der Katzendämon die Krallen in den Waldboden und wandte sich zur Flucht. In schwindelerregendem Tempo rannte er zwischen den Bäumen entlang, sprang geschmeidig über die einen Hindernisse und schlug Haken um andere. Über den Baumkronen folgte ihm sein Widersacher. Ich konnte das Geräusch hören, das die ledernen Flügel verursachten. Im nächsten Augenblick waren die Dämonen aus meinem Blickfeld verschwunden.

Nur einen Lidschlag später entschied mein verängstigter Körper, dass die akute Gefahr vorbei war, und gestattete meinen Beinen, mir den Dienst zu versagen. Unsanft landete ich auf dem Waldboden. Reander stand noch, stütze sich aber schwer atmend auf seine Oberschenkel.

Das konnte doch unmöglich gerade passiert sein! Rob hatte sich nicht vor meinen Augen in einen Dämon verwandelt? Da war auch kein Licht gewesen, das es gar nicht geben konnte! Vermutlich hatte der Löwendämon Rob vor meinen Augen zerfleischt, und mein Verstand schützte sich vor dieser Erkenntnis, indem er mir andere Bilder zeigte. Ein Schock! So hatte es Gunner unser Dorfarzt doch damals genannt, als die kleine Tochter unserer Nachbarin ertrunken war. Genau, das musste es sein. Alles andere war einfach zu ... Aber hier war keine Leiche. Und was genau sollte ich bitte für eine verrücktgewordene Fantasie haben, die sich solche Bilder ausdachte? Und diese auch noch für besser als die Realität hielt!?

Mir verkrampfte sich der Magen. Ich rollte mich zusammen, würgte und erbrach die Reste meines Frühstücksapfels auf den Waldboden. Dann ließ ich mich auf den Rücken fallen und atmete eine Weile konzentriert ein und aus, bevor ich es schließlich schaffte, mich aufzusetzen und nach Reander umzuschauen. Er saß in einigen Schritten Entfernung auf der Erde und starrte zu Boden. Sein Atem ging schnell und abgehackt. Die Augen waren blutunterlaufen. Es sah aus, als hätte er geweint.

„Nein!“, stammelte er immer wieder vor sich hin.

Panik kroch mir den Rücken hinauf, und ich robbte zu ihm hinüber. Als ich Reander die Hand auf die Schulter legte, zuckte er zusammen und sah mich dann an, als käme er gerade aus einer anderen Welt. Er starrte mir ins Gesicht und nach einigen endlosen Sekunden klärte sich sein Blick.

„Joana?“, fragte er leise.

„Ja! Ist alles okay?“ Sein erschreckender Zustand ließ mich meine Angst für den Moment vergessen und bewahrte mich vor einem erneuten Panikanfall.

„Es ist alles in Ordnung!“, sagte er schließlich, erhob sich und half mir auf. Besorgt schaute er sich nach allen Seiten um und stapfte dann den Hang weiter hinauf. Im Gehen drehte er sich zu mir herum und sagte: „Wir sollten nicht hierbleiben. Komm mit zur Hütte!“ Sein Blick fügte noch ein „Beeil dich!“ hinzu, und ich gehorchte.

Wenige Minuten später war die Steigung des Geländes kaum noch wahrnehmbar, das dichte Unterholz beseitigt worden, ich hörte Wasser fließen und wir standen vor der kleinen Holzhütte. Reander hatte sich wieder vollends in der Gewalt und öffnete die Tür mit einem rostigen Schlüssel, den er von einem Haken an der Wand nahm. Er ließ mich zuerst eintreten.

Licht fiel nur durch ein glasloses Fenster hinein, dessen leicht verwitterte Läden offen standen. Ich erkannte einen Tisch und niedrige Hocker, einen Schrank und zwei provisorische Betten. Alles aus dem gleichen Holz wie die Hütte selbst, vermutlich Kiefer. Zusätzlich gab es noch einen winzigen Ofen.

Reander machte Feuer und zündete dann eine Kerze an, aber erst, nachdem er die einzige Tür nach draußen sorgfältig mit einem schiefen, morschen Holzriegel verschlossen hatte. Erst als sich eine wohltuende Wärme in der Hütte ausbreitete, wurde mir bewusst, dass ich am ganzen Körper zitterte.

Reander schob mich zu einem der Betten, setzte sich mir gegenüber auf einen Hocker und sah mich forschend an. „Wird es gehen?“

„Ja, ich denke schon. Das ... das war ...“ Ich fand keine Worte und hatte doch das Gefühl, die vergangenen Ereignisse irgendwie kommentieren zu müssen.

„Ja, das war es!“, nahm Reander mir die Worte aus dem Mund, nur um dann ebenfalls zu schweigen. Was sollte man in so einer Situation auch sagen?

Die Stille waberte zwischen uns hin und her und wurde so unerträglich, dass ich etwas Brot aus meinem Rucksack nahm und Reander die Hälfte reichte. Unsere trockenen Kaugeräusche füllten die Stille an und machten sie leichter zu ertragen. Es war, als warteten wir auf etwas. Keine Ahnung worauf. Vielleicht auf eine Erklärung oder darauf, dass der Dämon zurückkam. Nein, dass einer der Dämonen zurückkam.

Das Geräusch gleichmäßiger Atmung holte mich schließlich aus meinen Gedanken. Reander schlief zusammengesunken auf seinem Hocker. Die Erschöpfung vertiefte die Linien in seinem sonst wenig faltigen Gesicht und malte das Alter auf seine Züge. Draußen ging die Sonne langsam unter. Leise stand ich auf und schaute aus dem Hüttenfenster. Meinen nächsten Atemzug vergaß ich einfach. Dort draußen im Licht zwischen den Bäumen saß Rob. Die Beine leicht angezogen, die Arme darauf verschränkt und die Stirn auf die Arme gebettet. Er drehte mir den Rücken zu.

Mein Herz begann wie wild zu schlagen. Was sollte ich jetzt tun? Ich hatte Angst.

Rob war ein Dämon, oder?

Gerade jetzt zumindest nicht ... oder?

Er hatte uns gegen den schwarzen Löwen verteidigt. Und er hatte den Mann im Lager getötet. Wie passte das zusammen? Und was tat er da draußen? Oh ja, ich hatte Angst!

Aber wie er dasaß, sah er so unglaublich zerbrechlich aus. Hatte er nicht wenigstens eine Chance verdient, alles zu erklären? Gab es eine Erklärung, die ich glauben konnte, eine, die mich zufrieden stellte? Ich beschloss, es herauszufinden.

Leise ging ich zur Tür und streifte meinen Umhang über. Dann, ich weiß nicht, ob aus Angst oder Hilflosigkeit, zog ich den Dolch aus dem Gürtel und hielt ihn fest in der rechten Hand. Vorsichtig schob ich den morschen Riegel an der Tür zur Seite. Er zerbrach unter meinen Fingern und rieselte in kleinen trockenen Bruchstücken zu Boden.

Reander war nicht aufgewacht, und so lief ich nun alleine und angespannt zu Rob hinüber, den dolchförmigen Rettungsanker umklammernd. Ganz langsam, Schritt für Schritt. Als ich endlich neben ihm ankam, hob Rob den Blick und sah mich an. Dann ließ er ihn weiter zu dem Dolch in meiner Hand gleiten, und ein solch tiefer Schmerz trat in seine Augen, dass ich mir unglaublich schlecht und albern vorkam. Schnell ließ ich die Waffe im Gürtel verschwinden und setzte mich vorsichtig an Robs Seite. Einen gewissen Sicherheitsabstand hielt ich automatisch ein. Rob hatte den Kopf wieder auf seine Arme gebettet, das Gesicht nach unten.

Äußerlich war ich ruhig. Vielleicht ein Reflex der Beute, keine unbedachten Bewegungen zu machen. Doch in meinem Inneren tobte es. Ich wollte gleichzeitig schreiend wegrennen, in Tränen ausbrechen, wimmern und den Mann neben mir trösten. Es war verrückt. Und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Schließlich sprach er.

„Diesmal keine Fragen?“

„Ich weiß nicht, ob ich die Antworten verstehen würde“, entgegnete ich ebenso leise wie er.

„Willst du es versuchen?“ Seine Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern, genau wie meine.

„Ja!“

Rob hob den Kopf, sah mich jedoch nicht an, sondern hielt den Blick starr nach vorn gerichtet. Dann begann er zu erzählen. „Ich komme aus Sordas. Ich bin dort bei meinem Onkel und meiner Tante aufgewachsen. Eines Tages, vor etwa drei Jahren, kam ein Dämon in unser Dorf. Es war der geflügelte Dämon, den du heute gesehen hast.“ Er brach ab und sammelte sichtbar neue Kraft, bevor er fortfuhr.

„Dieser Dämon fegte über das Dorf hinweg und hinterließ Zerstörung und Tod. Meine Tante und viele weitere Dorfbewohner fielen ihm zum Opfer. Seit diesem Tag kannte ich nur einen Gedanken: Rache. Ich wollte sie rächen und den Dämon töten. Doch wie? Er war unsterblich.“

Seine Stimme klang bitter, und ich konnte den Hass in seinen Augen sehen, auch wenn sie noch immer starr geradeaus blickten. Ich unterdrückte den Impuls, von ihm wegzurücken.

„Ich fand einen Weg. Alte Geschichten, die von Generation zu Generation erzählt werden und die ich schon seit meiner Kindheit kannte, boten eine Lösung. Das Schwert ist der Schlüssel!“ Er stieß einen kurzen sarkastischen Lacher aus, und seine Augen suchten die Schwertscheide, die neben ihm auf der Erde lag. „Ich wusste nicht, was das heißt, aber es klang ... hilfreich. Also zogen wir“ – die Muskeln in seinem Gesicht zuckten bei diesem Wort – „los, fanden das sagenhafte Schwert und spürten den Dämon auf. Ich stellte mich ihm, und meine Wut und mein Hass trugen mich und machten das Unmögliche möglich. Ich tötete einen Dämon. Doch wie sich herausstellte, hatte das, wie alles im Leben, seinen Preis. Ich rechnete nicht damit. Die Klinge durchstieß seinen Rücken und dann ...“

Rob schluckte schwer und schloss kurz die Augen, bevor er weitersprach: „Der Körper des Dämons starb. Seine Seele nicht! Sie nistete sich in mir ein. Und dort ist sie noch.“ Seine Stimme brach. Durch seinen Blick fraß sich der Schmerz dieser grausamen Erfahrung. Er schwieg eine Weile, und ich wagte kaum zu atmen, hatte es vielleicht einfach verlernt. Als er weitersprach, hatte seine Stimme alle Kraft verloren.

„Seither kämpfe ich mit ihm. Jeden Tag. Irgendwann fand ich heraus, dass ich, sozusagen, seine äußere Form benutzen kann. Ich machte es mir zur Aufgabe, die Dämonen zu bekämpfen, und suchte nach ihnen. Dann spürte ich einen zweiten auf und auch seine Seele trage ich in mir. Etwas muss an ihm anders gewesen sein, denn seine Gestalt kann ich nicht verwenden. Schließlich hörte ich von Reander und ... traf dich.“

Stille breitete sich um uns herum aus. Nach einer Weile fand ich meine Stimme wieder und konnte eine der unendlich vielen Fragen stellen, die seine Geschichte aufwarf. Ich wählte diese, weil ich wusste, dass er sie beantworten konnte und weil von dieser Antwort so viel abhing. „Warum hast du ihn getötet? Den Mann im Wald“, flüsterte ich.

Es dauerte eine Weile bis er antwortete. „Dir ist das Messer in seiner Hand nicht aufgefallen, oder? Die beiden gespiegelten Ms auf dem Griff? Es war nicht für mich bestimmt. Diese Messer sind für menschliche Kehlen. Hast du schon einmal etwas von „Marks Männern“ gehört?“

Ich schüttelte den Kopf, was er mit einem kurzen Seitenblick registrierte, bevor er weitersprach. „Sie sind so etwas wie das organisierte Verbrechen. Sie arbeiten jeder für sich und doch zusammen, haben Kontakte nach oben, bestechen die Stadtwache. Ich weiß nicht viel darüber, doch eines weiß ich: Sie berauben und töten Reisende, die allein unterwegs sind.“

Ich musste schlucken. Die Angst kroch mir wie tausend Spinnen den Nacken hinauf. „Das war ich!“, brachte ich hervor.

„Ich weiß!“, sagte er und sah mir für einen kurzen Moment in die Augen. „Er hielt das Messer schon in der Hand, als ich euch entdeckte. Ich musste schnell handeln. Habe mich verwandelt, ohne groß darüber nachzudenken. Vielleicht hätte ich nicht ... Manchmal fällt es mir schwer, ihn zu kontrollieren. Er ist stark.“ Rob verstummte wieder, und ich wischte mir den kalten Angstschweiß von der Stirn.

„Ich glaube, wir haben noch einiges mehr zu bereden“, erklang Reanders Stimme hinter uns. Erschrocken drehte ich mich um. „Du hast alles gehört?“, fragte Rob tonlos.

„Ich habe genug gehört“, antwortete Reander. „Jetzt kommt erst einmal herein! Wir haben vieles zu besprechen!“

Ich erhob mich steif und sah dabei zu, wie Rob bei dem Versuch, aufzustehen ins Taumeln geriet und beinahe hingefallen wäre. Reflexartig wollte ich hinzutreten, aber er winkte ab und schleppte sich auf zitternden Beinen in die warme Hütte. Dort setzte er sich schwerfällig auf eines der Betten. Robs Gesicht war so blass, dass ich Angst bekam und ihm aus purer Hilflosigkeit ein Stück Brot und etwas Obst aufnötigte. Sein Versuch eines dankbaren Lächelns ähnelte mehr einer Grimasse.

„Ich muss mich entschuldigen!“ Reanders Stimme klang gequält. „Mir war nicht bewusst, wie sehr dich diese Geschichte schon in ihre Fäden verstrickt hat.“ Er schaute Rob fest in die Augen. „Es gibt noch mehr zu den Dämonen zu sagen, Dinge, die ich bislang noch nicht angesprochen habe.“ Reander atmete tief durch und fuhr dann fort:

„Waren die Tore zur Welt der Dämonen erst einmal geöffnet, konnte es sein, dass dieser Zustand über Jahre anhielt. Die Menschen litten dann sehr unter den Angriffen der unsterblichen Dämonen, denen sie hilflos ausgeliefert waren. Getrieben von Hoffnung suchten sie nach einem Weg, die Feinde dennoch zu bezwingen. Und fanden ihn. Ein Sterblicher, Gordan, schloss einen Pakt mit dem einen Gott selbst. Er und all seine Nachfahren würden als lebendiges Gefängnis für die Seelen der Dämonen in dieser Welt dienen. Und der eine Gott gab ihnen eine Waffe, mit der dies möglich wurde: den Dämonenschlüssel!“

Reanders Blick wanderte über das Schwert an Robs Rücken. Meine Augen folgten ihm. Eine Waffe aus Gottes Hand!

„Seitdem lebten Gordan und alle Menschen seines Blutes mit dieser Bürde. Sie sind die Dämonenschließer.“

„Das wusste ich nicht“, sagte Rob leise.

„Es scheint wie ein unglaublicher Zufall“, erwiderte Reander, „dass ausgerechnet ein Nachfahre Gordans nach all den Jahren beschließt, dieses Schwert zu finden und zu benutzen. Aber vielleicht war es das gar nicht, Zufall, meine ich.“ Reander schluckte und fuhr sich nervös durch den kurzen Bart. „Es ist nicht ungefährlich, einen Dämon in sich aufzunehmen. Wie es scheint, kann er nur begrenzte Zeit im Körper eines Schließers verbringen, da er – ich weiß nicht, was es bedeutet – die Seele des Schließers vernichtet.“

Nach diesen Worten wurde es totenstill in dem kleinen Raum. Robs Gesicht schien versteinert zu sein. Es gab nichts von dem preis, was hinter seiner Stirn vorging.

„Es heißt“, fuhr Reander nach einer Weile fort, „dass es auf den Schließer und den Dämon ankommt, wie lange es gut geht. Aber ich habe nirgendwo etwas darüber gefunden, was passiert, wenn jemand die Seelen von zwei Dämonen in sich aufnimmt. Ich wusste nicht einmal, dass so etwas möglich ist!“

„Drei!“, verbesserte Rob ihn mit unbewegtem Gesicht.

Mein Kopf ruckte zu ihm herum. „Was? Hast du ...?“

„Den Löwendämon erwischt, ja!“, vollendete er den Satz.

Ich presste mir die Hand vor den Mund. Was machten solche Nachrichten mit der Seele eines Menschen? Einer Seele, die drohte, vernichtet zu werden. Was bedeutete es, sie zu verlieren? Ich unterdrückte den Impuls, Rob tröstend den Arm um die Schulter zu legen, da ich nicht wusste, wie er reagieren würde und sein ausdrucksloses Gesicht mir Angst machte. Auf Reanders Gesicht stand das blanke Entsetzen geschrieben. Immer wieder sah ich seine Lippen tonlos diese Zahl formen. Drei!

„Ich bin müde!“, sagte Rob schließlich. Er schwang die Beine um mich herum ins Bett und legte sich mit dem Gesicht zur Wand. Schnell verlagerte ich meinen Sitzplatz auf einen der Hocker.

Nun saß ich Reander gegenüber, und wir starrten uns stumm an. Keiner wusste, was er noch hätte sagen sollen. Für den Moment hatte ich keine Fragen mehr, nicht, wenn Rob die Antworten nicht hören wollte, nicht, wenn mich jede Information weiter in diese schreckliche Geschichte hineinzog, nicht jetzt.

Als ich Reander so lange in die grauen Augen gestarrt hatte, dass ich glaubte, jede Trübung, jede blaue Schattierung zu kennen, stand er auf und ging zu dem zweitürigen Schrank hinüber. Bevor er diesen jedoch erreichte, trat er geschickt mit der Ferse auf das Ende einer der Holzbohlen, die den Boden bedeckten. Darunter kam ein Hohlraum zum Vorschein, aus dem der Alte etwas herauszog, das in mehrere Tücher gewickelt war. Er trug das seltsame Paket zum Tisch. Unter den vielen Schichten kam ein altes Buch zum Vorschein. Der Einband hatte eine merkwürdige Farbe, die an Gold erinnerte, aber nicht glänzte. Grob und stumpf war er. Auf der Vorderseite stand in verblassten Buchstaben: „Buch des Rufens“.

Ich beobachtete Reander aufmerksam und fragte dann leise: „Ist es das? Eines der fünf Bücher?“

Er nickte, legte das Buch vorsichtig auf den Tisch und schlug es auf. „Die „Welt der Dämonen“ beschreibt es als das erste der fünf Bücher. Es leitet die Zeremonie zum Schließen des Tores ein, liefert einige verworrene Erklärungen. Es ist schon eine Weile her, dass ich mich damit befasst habe.“

Seine Augen glitten über die Buchseiten, und er schien mich vollkommen vergessen zu haben, was mir in diesem Moment so gar nicht passte. Ich war nervös, wollte mehr erfahren und mich nicht mehr so hilflos fühlen.

Schließlich stand ich auf und warf über Reanders Schulter einen Blick auf die verblassten verschnörkelten Buchstaben. Sie waren einmal mit schwarzer Tinte geschrieben worden und noch immer gut zu entziffern. Wahllos las ich einen der Absätze. Dort stand etwas vom Einleiten der Schließung und vom Anrufen der Mächte. Ich konnte mich nicht konzentrieren, brach ab und spielte nervös mit meinen Fingern.

„Vielleicht solltest du dich auch ein wenig hinlegen“, schlug Reander vor. „Ich werfe noch einen kurzen Blick in das Buch. Möglicherweise finde ich etwas heraus über ...“ Er beendete den Satz nicht, sondern ließ seine Augen stattdessen kurz über Robs Rücken gleiten.

Ich verstand Reanders Anspielungen – beide – und legte mich schnell in das zweite Bett, um ihn nicht weiter zu stören. Nach wenigen Minuten war er bereits über den alten Buchseiten eingeschlafen. Dies war ein kräftezehrender Tag gewesen, für uns alle, also weckte ich Reander und bot ihm mein Bett an, doch er lehnte ab und machte es sich mit ein paar Decken neben mir auf dem Fußboden bequem. Ich löschte das Licht in dem Gefühl, Rob so viel Privatsphäre wie möglich geben zu müssen.

Schlaflos warf ich mich hin und her. Als ich merkte, dass auch Reander noch nicht schlief, stellte ich eine der Fragen, die mir im Kopf herumschwirrten, leise und in der Hoffnung, dass Rob sie nicht hörte: „Reander? Was passiert, wenn man seine Seele verliert?“

Der alte Mann drehte sich im Dunkeln zu mir um. „Darauf kann ich dir leider keine genaue Antwort geben. In den Aufzeichnungen, die ich studiert habe, heißt es ... Es heißt, dass der Dämon in diesem Fall die Kontrolle über den Körper übernimmt und ihn verändert.“ Reanders Stimme klang eigenartig und ängstlich bei diesen Worten.

„Können wir denn gar nichts tun? Können wir ihm denn nicht irgendwie helfen?“, flüsterte ich verzweifelt.

„Es gibt bestimmt einen Weg. Morgen sehe ich mir alle Unterlagen und das Buch noch einmal an. Und wenn ich nichts finde, dann gibt es ja noch die anderen vier Bücher. Noch ist nicht die Zeit, aufzugeben!“, erwiderte er aufmunternd.

Es wurde still im Zimmer. Ich hörte Robs unregelmäßige Atemzüge und war mir sicher, dass er noch wach lag und uns gehört hatte. Vermutlich würde er in dieser Nacht überhaupt nicht schlafen.

Als ich am Morgen nach nur etwa zwei Stunden Schlaf aufwachte, war Robs Bett leer. Sofort machte ich mir Sorgen. Er hatte einiges zu verarbeiten. War er gegangen, um dies alleine zu tun? Kraftvoll schwang ich beide Beine aus dem Bett, und traf Reander, der daraufhin schlagartig ebenfalls wach war.

„Es tut mir so leid!“, entschuldigte ich mich und durchquerte bereits die Hütte, während er abwinkte, sich aber mit verkniffenem Gesicht die Hüfte hielt. Ich erhaschte einen schnellen Blick auf den leeren Bereich vorm Fenster, warf Reander noch mein schönstes entschuldigendes Lächeln zu und eilte nach draußen.

Die durch die Blätter gefilterten Sonnenstrahlen wärmten meine Haut, ich hörte einen Eichelhäher und eine Krähe rufen und sah einen kleinen klaren Bach, der sich in der Nähe dahinschlängelte. An seinem Ufer hockte Rob. Erleichtert ging ich zu ihm hinüber. Er trug kein Hemd und wusch sich gerade das Gesicht, hatte mich aber offensichtlich schon bemerkt, denn er begrüßte mich mit einem „Guten Morgen, Joana!“ Dann spritzte er sich noch einmal Wasser ins Gesicht, hob ein Rasiermesser von einem Stein am Ufer auf und klappte es zusammen.

Ich wartete, bis er sich aufrichtete und mich ansah. Aufmerksam musterte ich sein Gesicht. Es hatte wieder etwas Farbe, und Rob brachte sogar ein kleines Lächeln zu Stande, als er sagte: „Sieh mich nicht so an, es geht mir gut!“

„Sieht so aus“, erwiderte ich. Doch der neue Schmerz in seinen Augen entging mir nicht. Erst nachdem ich mit der Inspektion seines Gesichtes fertig war, bemerkte ich die Schrammen, die quer über seine Brust liefen. Eine Erinnerung an seinen Kampf mit dem Katzendämon. Automatisch legte sich meine Stirn in Falten.

„Schon in Ordnung“, sagte er, bevor ich etwas dazu äußern konnte. „Sie tun kaum noch weh und sind nicht sehr tief.“ Dann zog er sich sein Hemd wieder an und ging zurück zur Hütte.

Kritisch schaute ich ihm nach. Die Wunden sahen tatsächlich gut aus, waren schon beinahe vernarbt. Es würden nicht die einzigen Narben sein. Auf Robs Oberkörper gab es viele von ihnen. Stammten sie alle aus Kämpfen mit Dämonen?

Nachdenklich kühlte ich den Schwall immer neuer Fragen, die sich in meinem Kopf zusammenbrauten, mit dem eiskalten Wasser des Baches ab. Die Kälte verschlug mir fast den Atem, und ich beließ es bei einer Katzenwäsche.

Als ich die Hütte wieder betrat, machten die Männer schweigend Frühstück. Ich half ebenso wortlos.

Während wir aßen, blätterte Reander unaufhörlich abwechselnd in der „Welt der Dämonen“ und dem „Buch des Rufens“.

„Noch etwas entdeckt?“, fragte ich schließlich.

Rob beobachtete Reander aufmerksam, machte dann eine Kopfbewegung in Richtung des goldenen Buches und fragte: „Ist das da das Buch, wegen dem wir hier sind?“

„Du hast es dir doch gestern schon angesehen und auch bevor du es versteckt hast. Glaubst du wirklich, du wirst darin noch etwas Neues finden?“, bohrte ich weiter.

„Was machen wir jetzt als Nächstes?“, fügte Rob noch eine weitere Frage hinzu.

Reander sah von seiner Lektüre auf und seufzte. „Ich mache euch einen Vorschlag“, sagte er. „Ihr gebt mir ein paar Minuten Ruhe, und ich durchsuche das Buch noch einmal nach Hinweisen.“

Das war deutlich. Schnell schluckte ich den letzten Bissen herunter und verließ die Hütte. Hinter mir trat Rob durch die Tür und zog sie zu. Als er an mir vorbeiging, fiel mein Blick auf das Schwert an seinem Rücken. Eine Waffe aus der Hand Gottes?

„Darf ich?“

Als er mich ansah, machte ich eine Kopfbewegung in Richtung des Schwertes. Rob zögerte kurz, kam dann aber einen Schritt zurück und zog die Waffe langsam aus der Scheide. Er hielt mir den Griff hin. „Sei vorsichtig damit! Ich habe keine Ahnung, was passiert, wenn man es gegen einen Menschen richtet!“, sagte er ernst.

Ich schluckte. Ganz langsam und vorsichtig nahm ich ihm das Schwert aus der Hand. Obwohl es sehr lang war, hatte es kaum Gewicht. Wenn das Sonnenlicht darauf traf, sah es so aus, als liefen rote Funken über die schmale Klinge. Sie war weitgehend schmucklos. Nur in Griffnähe befand sich auf beiden Seiten das kleine Symbol eines altmodischen Schlüssels. Die ganze Waffe umgab eine Aura der Macht. Schnell hielt ich sie Rob wieder hin und war froh, als dieser sie in der Scheide verschwinden ließ. Beinahe hätte ich laut aufgeatmet.

Rob begann vor der Hütte auf und ab zu laufen, während ich eine Weile unschlüssig herumstand, dann zum Bach ging, trank, die Bäume ringsum, die Vögel darin und auch Rob beobachtete und schließlich beschloss, wieder nach drinnen zu gehen. Reander war so in das Buch vertieft, dass er mich nicht bemerkte. Leise packte ich zusammen und bereitete unseren Aufbruch vor, wohin auch immer. Endlich klappte Reander das Buch zu.

„Und?“, fragte ich.

„Hinweise auf die anderen Bücher oder die Nachfahren der Regneas sind im „Buch des Rufens“ natürlich keine zu finden. Was Robs Problem betrifft: nichts. Keinerlei Informationen darüber.“ Er streckte sich, und ich machte ein enttäuschtes Gesicht. „Nun gib mal nicht gleich auf!“, sagte er aufmunternd. „Es existieren ja schließlich noch vier weitere Bücher. Vier weitere Chancen!“

„Aber wie finden wir sie?“, entgegnete ich.

„Ich setze meine Hoffnungen nun zunächst einmal auf meinen Freund in Kaddiss. Dies sollte unser nächstes Ziel sein.“ Ich nickte. Nur einige Minuten später hatten wir unser Gepäck geschultert, und Reander verschloss die Tür der Jagdhütte.

„Gehen wir von hier aus erst einmal nach Stag“, schlug er vor. „Von dort aus können wir mit etwas Glück eine Kutsche nach Kaddiss nehmen.“

„Ok, dann los!“, sagte Rob und marschierte zügigen Schrittes voran. Wo er diese Kraft hernahm, war mir ein Rätsel.

Als wir die Bäume hinter uns ließen, konnten wir Stag bereits in der Ferne sehen, doch die Strecke zog sich. Wir hatten alle kaum geschlafen und waren müde von den Ereignissen des letzten Tages.

Am Nachmittag marschierten wir endlich durch die Straßen des Dorfes. Die Häuser ein Gemisch aus Holz, Lehm und Stein, ebenso bunt zusammengewürfelt wie die Menschen dazwischen. Stag war klein, wenn auch immer noch größer als Winkaln, was ich natürlich niemandem verriet. Es gab nur einen Gasthof, was man uns auf Nachfrage zögernd verriet. Dort erkundigten wir uns nach einer Weiterreisemöglichkeit nach Kaddiss. Wir hatten Glück - die Postkutsche würde in nicht einmal zwei Stunden abfahren.

„Warum nutzen wir nicht die Zeit, um uns umzuhören und nach den Büchern zu fragen?“, warf ich ein. „Ich fange gleich hier an. Wir treffen uns dann an der Kutsche.“ Mit diesen Worten schob ich die beiden verdutzten Männer auf die Straße hinaus.

Reander blieb gerade noch genug Zeit: „Aber bitte seid diskret!“, einzuwerfen, bevor ich ihm mit einem bösen Blick die Tür vor der Nase zuzog.

Durch das kleine Fenster darin sah ich die beiden eine Weile unschlüssig auf der Straße stehen und dann in entgegengesetzte Richtungen davongehen. Ich musste lächeln. Für einen Moment sahen sie sich beinahe ähnlich. Dann drehte ich mich um und suchte den Wirt.

Als wir uns später an der Kutsche wiedertrafen, mussten wir ernüchtert feststellen, dass unsere Fragen hier auf fruchtlosen Boden fielen. Wir waren nur um zwei, drei Geschichten über Monster, die nachts die Kinder stahlen, reicher. Schier unglaublich, wie ahnungslos die Menschen hier waren. Aber das war ich ja bis vor ein paar Tagen auch gewesen.

Reander handelte mit dem Kutscher den Fahrtpreis aus und übernahm die Kosten. Wir waren die einzigen Gäste. Erschöpft ließ ich mich neben Rob in die erstaunlich bequemen Polster sinken. Reander nahm uns gegenüber Platz.

Eine Weile versuchte ich aufzuschreiben, was ich von Reander und Rob in den letzten Tagen erfahren hatte. Die Sitzfläche war jedoch zu weich und ich stieß mehrmals hässliche Löcher ins Papier und hinterließ Tintenflecken, während ich so viel Platz beanspruchte, dass sich Rob in einer Ecke zusammenquetschen musste. Dann versuchte ich es auf dem Boden der Kutsche. Dadurch wurde nun nicht nur Rob, sondern auch Reander in seiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt, und das Holpern des Gefährtes wirkte sich eindeutig negativ auf die Lesbarkeit der Notizen aus. Schließlich lächelte ich entschuldigend und gab auf.

Nachdem ich aufgehört hatte, Chaos zu verbreiten, wurde es ruhig. Das Schaukeln der Kutsche, die vorbeiziehende Landschaft und das eintönige Geräusch der Räder und Pferdehufe machten mich schnell schläfrig. Reander waren bereits die Augen zugefallen, nur Rob sah nicht so aus, als würde er Schlaf finden. Meine Lider wurden schwer, und langsam rutschte ich im Sitz zur Seite.

Als ich aufwachte, durchdrang mich ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit. Ich ließ mir Zeit damit, die Augen zu öffnen, hörte auf die Geräusche der Kutsche und genoss die Wärme, die ich fühlte.

Als ich die Augen schließlich doch aufmachte, stellte ich fest, dass ich im Schaf zur Seite gerutscht war und mit meinem Kopf an Robs Schulter lag. Schnell setzte ich mich auf. Rob sah mich kurz an und blickte dann wieder zurück aus dem Fenster. Ich spürte, wie ich rot wurde und tat es ihm auf der anderen Seite der Kutsche gleich. Was war eigentlich los mit mir? Ich benahm mich ja wie ein dummes Huhn. Oder noch schlimmer ... wie meine Schwester. Gott bewahre. Verärgert über mich selbst verschränkte ich die Arme vor der Brust.

Dämonenschließer

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