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Die Universität von Kaddiss

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Genau wie Reander schlief ich viel auf dieser Kutschfahrt. In einem belebten Gasthof mit großem Stallgebäude wurden die Pferde ausgewechselt. Das war die einzige Unterbrechung, und so kamen wir schnell ans Ziel.

Als wir durch die Stadtmauern von Kaddiss fuhren, kam ich mir bei dem Gedanken daran, für wie gigantisch ich Mankindra gehalten hatte, wieder einmal ziemlich dumm vor. Die Stadt lag an den ersten Ausläufern des Solberges, der größten Erhebung Olasias. Die Häuser waren komplett aus Stein und wanden sich den Berg hinauf, einen gigantischen, ebenfalls steinernen Bau umrundend, der über der Stadt thronte.

„Die Universität von Kaddiss!“, sagte Reander mit ehrfurchtsvoller Stimme.

Die Kutsche hielt in den unteren Bereichen der Stadt an, und wir gingen den Rest des Weges zu Fuß. Steinerne Treppen, gepflasterte Straßen, sich ähnelnde Häuser. Alles aus dem rotbraunen Gestein des Solberges; manches blasser, anderes kräftiger.

Die Universität war noch einmal zusätzlich von einer hohen Mauer umgeben, in die ein großes Tor eingelassen war. Die reich verzierten eisernen Torflügel standen weit offen, und wir traten zwischen die altehrwürdigen Gebäude im Inneren. Die Steine hier waren heller und hatten einen Stich ins Graue. Die einzelnen Bauten waren deutlich größer als die Häuser weiter unten, standen aber ebenso dicht beieinander.

Mein Herz hüpfte, und ich hatte Schmetterlinge im Bauch. Schon seit ich zum ersten Mal von der Bibliothek dieser Universität gehört hatte, wollte ich sie mit eigenen Augen sehen. Jetzt, da uns das Schicksal hierher verschlagen hatte, würde sich das ja vielleicht einrichten lassen.

Mit großen Augen und offenem Mund folgte ich Reander durch die steinernen Bauten, bis er schließlich vor einem von ihnen stehen blieb.

„Hier müssten wir meinen Freund finden. Dies ist die Stätte seines Schaffens. Lasst uns herausfinden, was er weiß!“ Mit diesen Worten trat er durch die schwere Holztür. Im Inneren herrschte eine eigenartige Atmosphäre. Es war sehr still, die steinernen Gänge großzügig angelegt, und hinter den dicken Mauern staute sich die Kälte. Es war, als erfüllte das gesamte geballte Wissen diesen Ort und forderte sich Respekt ein. Ich fand es großartig. Rob schien sich nicht ganz so wohlzufühlen. Er wurde mit jedem Schritt sichtlich unruhiger und wirkte irgendwie fehl am Platz.

Die erste Person, der wir begegneten, fragte Reander nach seinem Freund Professor Leonard. Der junge Mann in Robe zuckte mit den Schultern und erklärte, er sei gerade vorgestern erst hier eingetroffen. Während er eilig davonging, verrutschten die Schriftrollen, die er in beiden Armen trug, und er hatte alle Mühe, sie festzuhalten und in eine bessere Position zu bringen. Dann war er um die nächste Ecke verschwunden.

Zwei Abzweigungen später, an denen wir uns immer links hielten – die beste Taktik in jedem Labyrinth –, trafen wir auf einen weiteren Mann in Robe, der an einem Tisch saß und gerade einen Brief versiegelte.

„Entschuldigt bitte die Störung!“, wandte sich Reander an ihn. „Wir sind auf der Suche nach meinem Freund Professor Leonard. Könntet Ihr mir sagen, wo ich ihn finde?“

Der andere schob seine Brille die Nase hoch und warf dann einen etwas erschrockenen Blick hindurch. Schließlich räusperte er sich und bat uns, ihm zu folgen. Er humpelte und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil wir ihn aufgescheucht hatten. Zu meiner Überraschung führte er uns wieder aus dem Gebäude hinaus und wir betraten kurze Zeit später ein anderes. Hinter einem Schreibtisch im ersten Stock saß ein älterer Mann mit zu klein geratenem Kopf und Schlafzimmeraugen, den unser Führer ansprach. „Ist der Dekan zu sprechen?“

„Dekan?“, fragte ich Reander leise. „Dein Freund ist der Dekan?!“ Reander zuckte nur verständnislos mit den Schultern.

Der Mann hinter dem Schreibtisch wies stumm auf eine verschlossene Tür an der Wand zu unserer Linken, und wir folgten unserem hinkenden Führer hindurch.

Wir betraten ein geräumiges Zimmer, das jedoch abgesehen von ein paar Regalen an den Wänden und einem übergroßen Schreibtisch in der Mitte, an dem ein weißhaariger Mann in den Sechzigern saß, leer war.

„Dekan Rupert. Diese Besucher sind auf der Suche nach Professor Leonard!“ Die Art, wie der Brillenträger das sagte, löste bei mir ein unangenehmes Gefühl aus.

Auf der Stirn des Dekans bildete sich eine steile Falte. „Danke, Marco!“, sagte er, woraufhin dieser nickte und das Zimmer verließ. „Ihr seid auf der Suche nach Professor Leonard?“, wandte sich der leicht untersetzte Alte mit der breiten Brust an uns. „Dann muss ich Euch leider mitteilen, dass der Professor letzte Woche verstorben ist.“ Ich tauschte erschrockene Blicke mit Rob und Reander. „War er ein Freund von Euch?“

„Wenn Ihr so wollt“, erwiderte Reander. „Unsere Interessen galten dem gleichen Forschungsgebiet. Wir kamen her, um mit ihm darüber zu sprechen. Es wäre von großer Wichtigkeit gewesen.“ Er seufzte.

„Ich muss gestehen, dass selbst ich nicht immer über alle Themen informiert war, mit denen sich Professor Leonard beschäftigte“, räumte der Dekan ein, und ich konnte ihm ansehen, dass ihm dieser Umstand nicht gefiel. „Wenn es so wichtig ist, kann ich Euch mit seinem Assistenten bekannt machen und ihn bitten, Euch Professor Leonards Aufzeichnungen einsehen zu lassen.“

„Damit wäre uns sicher geholfen, vielen Dank!“, erwiderte Reander.

Dekan Rupert öffnete seine Zimmertür und wechselte einige schnelle Worte mit dem Mann im Vorzimmer. Kurze Zeit später erschien ein anderer junger Mann Mitte zwanzig, der sich als Andeers vorstellte. Es handelte sich um den Assistenten des verstorbenen Professors. Andeers hatte glatte, schulterlange schwarze Haare, die er offen trug. Auf eine Robe schien er keinen Wert zu legen, hatte stattdessen eine Hose und ein einfaches Hemd an, dessen Ärmel einige Male umgeschlagen waren. Seine Züge wirkten edel und aristokratisch.

Wieder wurden wir durch lange, kahle steinerne Gänge geführt. „Hast du ihn gut gekannt?“, fragte ich Reander, während wir liefen.

„Gut eigentlich nicht, viel eher lange.“

„Es tut mir leid!“, sagte ich, fing dabei ganz kurz Robs Blick ein und fuhr an Reander gewandt fort: „Wegen deines Freundes.“

„Das ist schon in Ordnung. Wie gesagt, so eng war unsere Verbindung nicht. Es tut mir einfach leid um ihn und ...“, auch er sah nun ebenfalls zu Rob hinüber, „und um die Informationen, die möglicherweise mit ihm gestorben sind.“ Rob starrte unverwandt aus den glaslosen Rundbogenfenstern zu unserer Rechten, die den gesamten Gang säumten. Andeers führte uns bis ans Ende dieses lichtdurchfluteten Korridors und schloss dort eine große zweiflügelige Holztür auf.

„Dies war Professor Leonards Studierzimmer“, sagte er, als er die Flügel aufstieß. „Es ist alles noch so, wie er es verlassen hat.“

Es war ein beklemmendes Gefühl, den Raum zu betreten. Alles machte den Eindruck, als käme sein Besitzer jeden Augenblick zurück.

„An was hat Leonard zuletzt gearbeitet?“, wandte sich Reander an Andeers.

„Er arbeitete immer an mehreren Projekten. Was sucht ihr denn, vielleicht kann ich behilflich sein?“

Reander ließ seinen Blick über die Unmengen an Papier, Schriftrollen und Büchern wandern, die sich nicht nur auf dem großen Schreibtisch, sondern auch auf mehreren Holztischen an den Wänden des Zimmers stapelten. Ich konnte regelrecht sehen, wie er den Wunsch, von unserer Mission so wenig wie möglich nach außen zu tragen, mit der Wahrscheinlichkeit, in diesem geordneten Chaos das Richtige zu finden, abwog. Dann fällte er eine Entscheidung.

„Wir interessieren uns für einige alte Legenden über ...“, hier hielt er kurz inne, „Dämonen.“

Andeers’ Augenbrauen hoben sich. „Da kann ich euch wohl doch nicht weiterhelfen!“ Beim Hinausgehen fügte er noch hinzu: „Viel Glück!“ Dann waren wir allein.

Ich ließ meinen Blick über die ganzen Haufen angesammelten Wissens gleiten. „Das kann ja Tage dauern!“, entfuhr es mir.

„Na, dann mal los!“, sagte Rob, krempelte sich die Ärmel weiter hinauf und ging auf einen der Tische zu. Reander und ich folgten seinem Beispiel.

Bald gewann ich den Eindruck, dass Professor Leonard zu allen Themen dieses Reiches Unterlagen besaß. Dem Lauf von Sonne und Mond, dem Verlauf von einigen Flüssen von der Quelle bis zur Mündung, Konstruktionszeichnungen einiger seltsamer Apparate und andere physikalische Experimente, von denen ich beim Überfliegen nicht einmal die Hälfte verstand. Es gab hier wirklich Informationen über alles. Alles außer darüber, wie man bestimmte verschollene Bücher fand, Verwandte der Regneas aufspürte, diese bescheuerten Tore schloss und Robs Seele rettete!

Nach drei Stunden und unzähligen durchwühlten Stapeln gab ich auf. „Das hat doch alles keinen Sinn!“, murrte ich und ließ mich in den Lehnstuhl am Schreibtisch fallen. Mein Blick glitt zu Rob hinüber, der im Schneidersitz auf dem Boden saß, umringt von stapelweise Papier.

Er streckte sich und lehnte sich nach hinten, auf die Arme gestützt. „Sie hat Recht!“, sagte er an Reander gewandt, der noch immer fleißig Papierberge umschichtete.

Der alte Mann drehte sich um und lehnte sich mit verschränkten Armen an den voll beladenen Tisch. „Ihr habt Recht. Wie es aussieht, hat sich Leonard wohl eher auf privater Ebene für Dämonen interessiert. Bei unserem letzten Treffen haben wir so ausführlich darüber gesprochen und er hatte ein so umfassendes Wissen zu diesen Wesen, dass ich davon überzeugt war, dass er sich im Rahmen seiner universitären Studien damit befasst. Es ist schon beinahe auffällig, dass sich hier rein gar nichts darüber findet.“ Er dachte einen Moment über seine eigenen Worte nach. „Nun gut! Das führt uns nicht weiter, aber wir haben hier die größte Ansammlung von Wissen des ganzen Reiches direkt vor unserer Nase“, fuhr Reander fort.

Sogleich wurde ich hellhörig. „Die Bibliothek!“, stieß ich hervor.

„Ich denke, wir sollten den Dekan bitten, uns dort einmal umsehen zu dürfen“, meinte Reander.

„Das wäre ja großartig!“, rief ich und sprang mit einem Satz auf die Füße. „Kommt, worauf warten wir noch!“ Ich war so schnell bei der Tür, dass sich die beiden Männer nur verwundert ansahen. Diesmal lief ich vorweg und hoffte, dass ich mich nicht verirrte, während meine zwei Begleiter versuchten, mit mir Schritt zu halten. Mein Orientierungssinn ließ mich nicht im Stich, und ich fand das Zimmer des Dekans auf Anhieb wieder.

Der Mann im Vorzimmer ließ uns ebenso lustlos passieren wie beim ersten Mal, und ich schob Reander vor mir her in Ruperts Zimmer.

Nur etwa fünf Minuten später verließen wir den Raum wieder mit einer Karte des Universitätskomplexes und der Erlaubnis, die Bibliothek nutzen zu dürfen. Schnell nahm ich Rob die Karte aus den Händen, der sie auf der Suche nach oben und unten mehrfach vor sich im Kreis gedreht hatte. Nach einem gründlichen Blick darauf führte ich uns durch die verschiedenen Bauten zum größten Gebäude des ganzen Komplexes. Ehrfurchtsvoll blieb ich vor der schweren Holztür stehen und legte beide Hände an die großen runden Eisengriffe. Dann atmete ich tief durch und trat ein.

Der Anblick war noch viel unglaublicher als in meiner Vorstellung. Wir hatten einen riesengroßen Raum betreten. Alle Wände waren über und über mit Büchern bedeckt. Große offene Steintreppen in der Mitte des Raumes sowie den Randbereichen verbanden drei offene Stockwerke voll mit den verschiedensten Büchern. Überall standen Tische, Stühle und Pulte, an denen die unterschiedlichsten Menschen lasen und schrieben. Der Geruch von Leder und Papier lag in der Luft.

„Wundervoll! Seht euch das nur an!“ Begeistert klatschte ich in die Hände und stieß einen quietschenden Laut aus. Rob und Reander sahen sich an und hoben leicht irritiert, aber auch schmunzelnd die Schultern. Ich ließ die beiden stehen und begann, an den langen Regalreihen entlangzulaufen. Dabei strich ich mit den Fingern über die Buchrücken. Ich konnte gar nicht genug bekommen und versuchte den Anblick, den Duft und die Atmosphäre dieses Ortes in mich aufzusaugen. Dabei lief ich weiter und weiter. Es war einfach großartig!

Irgendwann packte Rob von hinten mein Handgelenk. „Komm, du Verrückte! Reander hat sich erkundigt und eine Ecke entdeckt, in der wir etwas finden könnten.“ Er zog mich hinter sich her. Nur widerwillig ließ ich mich mitschleifen, zu gefangen von diesem fantastischen Ort.

Als wir Reander erreichten, war ich wieder halbwegs in die Realität zurückgekehrt. Rob ließ mich los und fing an wahllos, Bücher aus den Regalen zu ziehen und darin zu blättern. Ich ging an den Reihen auf und ab, las die Titel und schlug ab und zu eines der Bücher auf. Die Bibliothek war doch nicht ganz so sortiert, wie wir es uns gewünscht hätten. Es gab jedenfalls keine Abteilung mit einer Überschrift wie: „Dämonen und wie man sie bekämpft“.

Es dauerte nicht lange, und wir dehnten unser Suchgebiet weiter aus. Einige vielversprechende Bücher zog ich aus den Regalen und balancierte mit dem Stapel zu einem Tisch hinüber. Nachdem ich einige davon durchgesehen hatte, fiel mir ein Buch mit dem Titel „Heimsuchungen der Menschheit“ in die Hände. Ich schlug es auf, fing an zu blättern und sog erschrocken die Luft ein.

Das Buch war so aufgebaut, dass jeweils auf der linken Seite eine Zeichnung der betreffenden Heimsuchung zu sehen war und rechts gewisse Erläuterungen dazu. Das ging von Heuschrecken über Bären bis hin zu allerhand absonderlichen Fantasiegestalten. Aber mitten unter diesen starrte ich wie gebannt in das mittlerweile so bekannte Antlitz des geflügelten Dämons. Die Zeichnung traf ihn so exakt, dass ich ihn beinahe spüren konnte. „Dragoth“ stand in großen Buchstaben über dem Bild.

Nachdem ich mich wieder in der Gewalt hatte, winkte ich Reander und Rob heran. Sie erschienen in meinem Rücken und schauten mir über die Schulter. Wortlos deutete ich auf die Zeichnung. Reander stockte der Atem. Rob griff über mich hinweg, nahm sich meinen Fund und setzte sich neben mich. Langsam legte er das Buch auf dem Tisch ab.

„Dragoth!“, murmelte er. Neben dem Namen gab das Buch noch einige andere Auskünfte: Orte, die Dragoth heimgesucht hatte, seine Vorlieben in Bezug auf die Jagd und eine ausführliche Beschreibung seiner Erscheinung, auch wenn es der in unserem Fall nicht bedurft hätte. Es war beinahe unmöglich, sich vorzustellen, dass all diese Informationen, die aus den verschiedensten Zeitepochen zusammengetragen waren, alle „unseren“ Dämon betrafen. Wie oft hatte er das Tor zu unserer Welt schon durchschritten? Und wie war es gelungen, ihn zurückzuschicken?

Nachdem Rob eine Weile auf die Zeichnung gestarrt hatte, blätterte er weiter. Einige Seiten später stoppte er wieder und ich erkannte dort eine exakte Abbildung des Katzendämons „Leondra“. Wieder blätterte Rob. Er fand eine weitere Seite, starrte sie ebenfalls eine Weile an, und stand dann auf um wortlos davonzugehen.

Neugierig zog ich das Buch wieder zu mir herüber und betrachtete die aufgeschlagene Seite. Die Kreatur, die hier abgebildet war, kannte ich nicht. Sie sah aus wie eine übergroße Schlange, die sich aufrichtete. Auch sie war schwarz in allen Schattierungen, die man sich bei Schwarz vorstellen konnte. Hinterm Kopf hatte sie so etwas wie einen Hautlappen, der sich fächerartig aufspannte. „Hygra“ stand über dieser Zeichnung.

„Ist das der zweite Dämon, den Rob in sich verschlossen hat? Was meinst du?“, wandte ich mich leise an Reander.

„Ich denke, so ist es“, erwiderte dieser nickend und ein gequälter Ausdruck trat in seine Augen angesichts dieser neuen Abscheulichkeit.

Mit einem Knall klappte ich das Buch zu. Mehr wollte ich für den Moment gar nicht sehen. Dragoth, Hygra, Leondra; dass diese Schrecken nun einen Namen hatten, machte es auch nicht besser.

Noch eine Zeit lang suchten wir schweigend weiter. Buch um Buch, Regal um Regal, bis wir als letzte Besucher in der Bibliothek zurückblieben. Müde stützte ich die Ellbogen auf den Tisch und rieb mir die Augen. Ich konnte die einzelnen Buchstaben kaum noch erkennen. Ein leises Schnarchen verriet mir, dass Reander einige Stühle weiter gerade eingeschlafen war. Resigniert stützte ich mein Gesicht in die Hände. Rob schob einige Bücher zur Seite, setzte sich auf die Tischplatte und stellte seine Füße auf den Stuhl neben mir. Er ließ seinen Blick über das Chaos schweifen, das ich um mich herum auf dem Tisch ausgebreitet hatte.

„Hast du noch irgendwas Brauchbares gefunden?“, fragte er, wobei ihm die Antwort im Grunde schon klar zu sein schien.

Müde schüttelte ich den Kopf. „Nein. Das ist wie verhext. Es muss hier doch mehr Informationen geben. Dies ist die größte Bibliothek des ganzen Reiches. Ich verstehe das nicht!“ Ich war regelrecht enttäuscht. Tief in meinem Inneren war ich immer davon überzeugt gewesen, dass man in Büchern die Antworten auf alle Fragen finden konnte. Hier gab es unzählige von ihnen, und sie ließen mich im Stich.

Rob zuckte die Schultern und ließ sich dann einfach nach hinten fallen. Er verzog kurz das Gesicht, als er mit dem Rücken auf einigen weiteren Büchern landete, schob sie dann aber einfach zur Seite und machte es sich bequem. Er seufzte und schien angestrengt über etwas nachzudenken.

Erschöpft faltete ich die Arme auf dem Tisch und legte meine Stirn darauf. Ich wollte mir einfach nicht eingestehen, dass wir in einer Sackgasse gelandet waren. Aber wir hatten hier doch alles abgesucht. Der Professor war tot. Ihn konnten wir nicht mehr fragen. Sein Assistent und der Dekan wussten von nichts. In Leonards Studierzimmer war nichts zu finden, und auch die Bibliothek hatte sich als praktisch nutzlos erwiesen. Was sollten wir jetzt machen? Wie sollten wir die Bücher finden? Über diesen trüben Gedanken fielen mir schließlich die Augen zu.

Ich schreckte hoch, als jemand die schwere Holztür nach draußen öffnete. Verschlafen blickte ich auf. Die zahlreichen Kerzen waren zum Teil heruntergebrannt und erfüllten die weitläufige Bibliothek nur mit spärlichem Licht. Zweimal musste ich hinsehen, bevor ich Andeers erkannte.

Er kam mit einem Kerzenleuchter in der Hand auf uns zu und setzte sich zu uns an den Tisch. „Konntet ihr finden, was ihr sucht?“, fragte er. Rob kämpfte sich in eine sitzende Position, streckte sich und gähnte dann ausgiebig.

„Sieht das hier denn so aus?“, fragte ich müde.

Andeers sah sich mit unbewegter Mine das Chaos an, das wir auf den Tischen ausgebreitet hatten. „Nein!“

„Bist du gekommen, um uns zu sagen, dass du uns für Spinner hältst und dass du wusstest, dass wir hier nichts finden würden?“, fragte Rob in seiner ihm eigenen Art.

Andeers sah ihn durchdringend an. „Nein! Dekan Rupert schickt mich. Die Universität hat einen Schlafsaal für Gäste, und er möchte euch anbieten, die Nacht dort zu verbringen.“ Er machte eine kurze Pause, in der er den freien Platz auf der Tischplatte musterte, wo noch kurz zuvor Rob gelegen hatte. „Ihr könnt natürlich auch hier schlafen, wenn euch das besser gefällt!“, fügte er hinzu.

Ich für meinen Teil zog eindeutig ein richtiges Bett vor. Also antwortete ich schnell: „Wir nehmen die Einladung gerne an! Danke!“

„Dann kommt mit. Ich bringe euch hin!“

Damit stand er auf und ich ging zu Reander hinüber, der noch immer tief und fest schlief, und rüttelte ihn sachte an der Schulter wach. „Komm, wir tauschen den Tisch mit einem richtigen Bett!“, erklärte ich ihm.

Wir folgten Andeers durch die stillen leeren Gänge. „Was sollen wir jetzt machen, Reander?“, fragte ich leise. „Wie es aussieht, kommen wir hier nicht weiter!“

Er seufzte tief. „Ach, Joana, wenn ich das wüsste. Ich hatte meine ganzen Hoffnungen auf Leonard gesetzt! Aber sie haben sich nicht erfüllt. Vielleicht sollten wir noch eine weitere Universität besuchen. Meine Reisen durch Olasia sind lange her, und damals hatte ich noch nicht den gleichen Informationsstand wie heute. Möglicherweise ist mir etwas entgangen.“ Er zuckte die Schultern.

Ich hatte im Prinzip natürlich nichts dagegen, noch mehr Bibliotheken zu sehen, aber die Enttäuschung darüber, wie nutzlos diese hier war, dämpfte meinen Optimismus gewaltig.

„Wir sollten morgen erst einmal in die Stadt hinuntergehen und neue Vorräte kaufen. Ich werde mir Gedanken darüber machen, welche Universität einen Besuch lohnen könnte. Vielleicht die in der Hauptstadt.“ Reander brach ab und versank in seinen Gedanken.

„Ist morgen Markt in der Stadt?“, wandte ich mich an Andeers.

„In Kaddiss ist jeden Tag Markt!“, antwortete er, und ich kam mir einmal mehr wie ein Hinterwäldler vor.

Reander tauchte aus seinen Gedanken wieder auf. „Gibt es einen Schmied in der Stadt, oder sonst jemanden, der Pferde verkauft?“, fragte er.

„Sicher. Ich habe morgen selbst einige Besorgungen zu machen. Ich kann euch zu ihm bringen“, bot Andeers an. „Man muss auf der Hut sein, er haut gerne Leute übers Ohr. Aber er ist ebenso feige wie dreist und kennt mich. Er wird euch nicht betrügen, wenn ich dabei bin!“

„Vielen Dank! Das wäre sehr hilfreich!“, versicherte Reander.

Wir erreichten schließlich den Schlafsaal. Andeers hielt uns die Tür auf und ließ uns eintreten. Drinnen gab es zehn Betten, die aber alle frei waren. Eine stämmige Frau Ende vierzig, die ihre Haare zu einem Knoten hochgesteckt hatte, schüttelte gerade einige Kissen auf. Als sie uns ankommen hörte, drehte sie sich um. Ein Lächeln breitete sich auf ihren freundlichen Zügen aus. „Andeers! Wie schön, dich mal wieder hier zu sehen! Du hast mich schon so sträflich lange nicht besucht!“, tadelte sie und zog dabei eine Schnute.

„Ich war doch erst vorgestern hier, Lina!“, erinnerte er, und zum ersten Mal spielte ein kleines Lächeln um seine Mundwinkel.

Lina strahlte ihn an. „Wie immer zu lange her!“, sagte sie. Dann wandte sie sich uns zu. „Hallo! Ich bin Lina! Ich bin hier im Grunde für alles zuständig. Akademiker!“ Sie rollte spielerisch mit den Augen, was sie jünger wirken ließ. „Wenn ihr also irgendetwas braucht, sagt es mir einfach!“

Ich nickte dankbar. Dann schien Lina uns auch schon wieder vergessen zu haben. Ihre Augen untersuchten Andeers Gesicht, und eine derart mütterliche Wärme lag darin, dass ich beinahe Heimweh bekam. „Du siehst müde aus!“, sagte sie und legte Andeers ihre Hand an die Wange. „Du solltest mehr schlafen!“

Andeers seufzte tief. „Ich weiß, Lina. Ich versuche es. Im Moment schlafe ich einfach nicht so gut.“

Lina nickte wissend, und die Wärme in ihren braunen Augen steigerte sich noch. Nach einigen weiteren Sekunden nahm sie schließlich die Hand von Andeers Gesicht und wünschte uns eine gute Nacht. Im Gehen drehte sie sich noch einmal zu Andeers herum. „Schlaf gut!“, sagte sie betont und lächelte dann noch einmal bevor sie durch die Tür verschwand.

„Ich hole euch morgen früh wieder hier ab, wenn es euch recht ist“, sagte Andeers, dem die ganze Situation scheinbar etwas peinlich war.

„Ja, nochmals vielen Dank!“, entgegenete Reander. Daraufhin wünschte Andeers uns eine gute Nacht und ging.

Ich war totmüde. Mit viel Mühe versuchte ich, mich aus den Trägern meines Rucksacks zu schälen. Er war plötzlich viel zu schwer. Mein linker Ellbogen verkeilte sich, und ich zog genervt an allem, was ich greifen konnte. Hektisch fuchtelte ich herum und brummte dabei unwillig.

Irgendwann konnte es Rob scheinbar nicht mehr mit ansehen und kam herüber, um mich aus meinen selbst verursachten Fesseln zu befreien. „Halt einfach mal einen Augenblick still!“, ordnete er an. Als ich tat, wie geheißen, schob Rob vorsichtig meinen mittlerweile schmerzenden linken Arm aus dem Träger und hob dann den schweren Rucksack von meinem Rücken. Es war eine Wohltat, und ich atmete erleichtert auf.

„Danke!“, sagte ich geschafft und ließ mich dann einfach auf das nächste der Betten fallen. Nur Sekunden später war ich eingeschlafen.

Dämonenschließer

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