Читать книгу Dämonenschließer - Diana Schwarzentraub - Страница 7

Reanders Geschichten

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Bereits am frühen Morgen wurde ich durch ein unsanftes Klopfen an der Zimmertür geweckt.

„Hey, Siebenschläfer!“, drang Robs Stimme gedämpft zu mir herein.

Verschlafen wühlte ich mich aus dem Bett und öffnete. Rob drehte sich geschickt an mir vorbei ins Zimmer, zwei dampfende Becher in den Händen. Einen davon reichte er mir und ließ sich mit dem anderen auf meinem Bett nieder.

Ich machte die Tür zu, schnupperte vorsichtig und trank dann einen Schluck von dem warmen schwarzen Tee. Es tat gut und ich war schlagartig deutlich wacher. Während ich schluckte, ging ich zum Fenster hinüber und schaute hinaus. Die Sonne warf gerade die ersten Lichtstrahlen des Tages auf die Stadt. „Meine Güte!“, sagte ich und drehte mich zu Rob um. „Du hast es aber wirklich eilig!“ Er trank aus seinem Becher und sah mich über den Rand hinweg an. „Ich bin ja schon fertig“, sagte ich schnell, stellte hastig den Tee ab und fing an, meine Sachen in den Rucksack zu stopfen.

Rob sah mir ruhig dabei zu und hob dann etwas auf, das neben dem Bett auf dem Boden lag. Er hielt es mir hin. „Was ist das?“

„Das geht dich gar nichts an. Du musst auch nicht alles wissen“, erwiderte ich kratzbürstig. Schnell nahm ich ihm das Päckchen mit der verblichenen Schrift aus der Hand und steckte es ein. Darüber würde ich mit ihm ganz bestimmt nicht reden. Vor meinem geistigen Auge sah ich ihn schon vor Lachen am Boden liegen oder kopfschüttelnd die Augen rollen oder irgendeine andere unpassende Reaktion zeigen. Zügig wusch ich Gesicht und Hände, warf dann einen letzten prüfenden Blick durchs Zimmer und wartete in der Tür auf meinen Begleiter. Der erhob sich, stellte den Tonbecher achtlos im Zimmer ab und trat an mir vorbei auf den Gang.

Wir verließen den Gasthof und dann das Zentrum der Stadt in Richtung der Lagerhallen, wie Reander es uns beschrieben hatte. Die Straßen waren in Anbetracht der frühen Morgenstunde noch kaum bevölkert, und ich genoss den Spaziergang durch die erwachende Stadt.

Reanders treffende Beschreibung und mein guter Orientierungssinn führten uns schnell ans Ziel. Das Haus des Geschichtenerzählers lag am Rande der Kernstadt und in unmittelbarer Nachbarschaft zu den großen hölzernen Lagerhallen, die Vorräte und andere Waren für Mankindra beherbergten. Die sandigen Straßen waren hier durchfurcht von den Rillen zahlloser Wagen, deren unaufhörliches Hin- und Herrollen heute Morgen aber noch nicht eingesetzt hatte. Das zweistöckige Haus, vor dem wir anhielten, war eines der größten und wirkte erhaben und großzügig, wenn auch etwas verschlafen so früh am Tage.

Angst lähmte mich, als ich auf das dunkle Holz der Eingangstür starrte. Eine Angst, die ich vor der Nacht im Wald nicht gekannt hatte. Die Angst vor Informationen. Was Rob bewegte, der steif neben mir stand, war an seinem Gesicht nicht abzulesen, aber er löste sich als Erster aus seiner Starre und ging auf das Haus zu. Seine knirschenden Schritte auf dem Sand kratzten an der frühmorgendlichen Stille. Dann plötzlich zerriss sie. Die gestaltlosen Rufe und angsterfüllten Schreie mehrerer Menschen schallten zwischen den Gebäuden umher.

Ich zuckte zusammen und versuchte auszumachen, woher das Getöse kam. Ein Brüllen erscholl, das nicht irdischen Ursprungs war. Tief und ebenso schrill, quietschend wie Fingernägel über eine Tafel, aber irgendwie ... lebendiger. Mir stellten sich die Härchen im Nacken zu Berge, und ich ballte automatisch die Hände zu Fäusten.

Von einer Sekunde auf die andere stürmte Rob los. Mit weit ausgreifenden Schritten rannte er an mir vorbei in Richtung des Lärms. Automatisch setzte auch ich mich in Bewegung, war aber einfach viel zu langsam. Ich sah Rob um eine Ecke biegen und zwischen den Lagerhallen verschwinden.

„Warte!“, rief ich ihm nach, aber er war bereits fort. Dennoch blieb ich nicht stehen. Die menschlichen Schreie verstummten, und ein katzenhaftes Fauchen erklang, gefolgt von einem tiefen Grollen. Danach kehrte die Stille zurück.

Als ich um die Halle bog, blieb mir fast das Herz stehen. Meine Beine hörten ganz von selbst auf, sich zu bewegen und überließen die Arbeit meinen Augen. Diese fuhren hektisch über die grauenhafte Szenerie, die sich ihnen bot. Zu beiden Seiten der Gasse, in der ich stand, befanden sich lange Gebäude, Lagerhallen, wie ich vermutete. Im Licht des frühen Tages warfen sie ihre Schatten, so dass es hier unten kalt war. Deshalb zitterte ich aber nicht. Der sandige Boden war blutgetränkt. Ein beige-braun-rotes Mosaik des Grauens. Die Überreste von mehreren Menschen waren darauf verteilt. Wie viele waren es? Fast unmöglich zu sagen, vielleicht fünf oder sechs. Das, was von ihrer Kleidung übrig war, ließ darauf schließen, dass es sich um Lagerarbeiter handelte. Sie sahen schrecklich aus, und ich musste nicht näher herangehen, um festzustellen, dass für sie jede Hilfe zu spät kam.

Mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen, und ich focht einen stummen Kampf mit meinen Beinen aus. Sie waren nicht bereit, mein Gewicht noch länger zu tragen. Diesen Kampf gewann ich, verlor aber gegen meinen Magen, der sich weigerte, seinen Inhalt bei sich zu behalten. Ich wankte zur Seite, stützte mich an der hölzernen Bretterwand ab und übergab mich. In meinem schwindelnden Kopf erschien immer wieder das Bild des geflügelten Monsters. Seine tiefschwarze Gestalt. Seine ledernen Schwingen. Seine Fratze.

Konzentriert starrte ich auf ein kleines unberührtes Fleckchen Boden in meiner Nähe, um von den Bildern in meinem Kopf und gleichzeitig von dem Anblick auf dem Weg verschont zu bleiben. Ich wollte nicht aufsehen und vielleicht feststellen, dass Rob unter den Toten war. Als vom anderen Ende der Gasse ein berstendes Geräusch erklang, tat ich es doch. Aufsehen. Ich riss meinen Blick geradezu hoch, und mir stockte der Atem. In einem Hagel von Holzsplittern schlitterte ein schwarzes Wesen um die Ecke. Keine Flügel, aber deshalb nicht weniger angsteinflößend. Es hatte die Statur eines Löwen, war aber um einiges größer. Schneckenförmige Hörner lugten aus der Andeutung einer Mähne hervor. Das raubkatzenartige Wesen grub seine Krallen in den Boden und rannte mit überirdischer Geschwindigkeit zwischen den Hallen entlang. Die Geschmeidigkeit der Bewegungen seines schwarzen Körpers und seine Schnelligkeit waren beeindruckend.

Nur einen angstvollen Atemzug später erschien ein zweites Geschöpf am Ende der Gasse. Diese geflügelte Kreatur erkannte ich sofort. Es war „mein“ Monster, das Wesen, das uns im Lager angegriffen hatte. Seine muskulösen Beine trugen es schnell vorwärts, wenn auch bei Weitem nicht so schnell wie den schwarzen Löwen. Diese Erkenntnis schien ihm auch gerade zu kommen, denn es breitete die Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Jetzt holte es schnell auf. Was taten diese Albtraummonster da? War das ein Spiel? Danach sah es nicht aus. Ein Konkurrenzkampf? Eine Jagd? Ein Streit um die Beute? Die Beute. In diese Kategorie fiel ich dann wohl auch, was mir umso deutlicher klar wurde, da die beiden in meine Richtung kamen.

Ein kurzer Schrei löste sich aus meiner Kehle. Der Rest meines Körpers blieb bewegungsunfähig und zwang mich, hilflos dabei zuzusehen, wie der schwarze Löwe zwischen den menschlichen Überresten hindurchfegte. Er beachtete sie nicht, ebenso wenig wie mich, als er Sekunden später an mir vorbeischoss und am Ende der Gasse scharf um die Ecke bog. Auch das zweite Monster glitt an mir vorbei und folgte dem ersten.

Fassungslos starrte ich auf die blutroten Abdrücke, die die Pfoten des schwarzen Löwen auf dem Boden hinterlassen hatten. Ich ergab mich nur einen Herzschlag lang diesem grauenhaften Bild. Dann taumelte ich drei Schritte zur Seite und brachte so die Monster zurück in mein Blickfeld.

Der Löwenähnliche schlug gerade einen Haken und verschwand im offenen Tor einer der Lagerhallen. Beinahe im selben Moment flog der Geflügelte zum Flachdach der Halle hinauf und stürzte sich dann mit den Füßen voran hindurch. Unter dem Splittern und Bersten von Holz verschwand er aus meinem Blick. Ein Brüllen, diesmal tiefer und grollender, erklang. Und wieder war es still.

So still, dass mir mein eigener beschleunigter Atem in den Ohren dröhnte. Was war dort drinnen passiert? Neugier und Angst fochten ein stummes Duell aus. Die Neugier spielte alle Karten aus, kämpfte mit Händen und Füßen und trug schließlich den Sieg davon.

Langsam und zögerlich ging ich auf das lädierte Gebäude zu. Am offenen Tor blieb ich stehen, stützte meine zitternde Hand an der Wand ab und spähte vorsichtig hinein. Mein Körper warnte mich mit jeder seiner Fasern davor, dort hineinzugehen. Jeder Muskel in mir schrie: LAUF. Aber die Neugierde war in diesem Augenblick so unfassbar stark und durchsetzungsfähig. Sie trieb meine Beine einige Schritte weiter in die Stille der Halle hinein.

Für den Lichteinfall sorgten hier drinnen nur eine Reihe kleiner glasloser Fenster in Dachnähe und momentan das übergroße Loch im Dach selber. Das Innere des langen Gebäudes sah aus wie nach einem Erdbeben, auf das ein Tornado gefolgt war. Die Trümmer des Daches lagen überall verteilt, und einige wenige Kisten, die hier gestanden hatten, waren in Bruchstücken über den ganzen Boden verstreut. Angespannt suchte ich in dem halbdunklen Durcheinander nach einer verräterischen Bewegung. Diese nahm ich jedoch aus dem Augenwinkel außerhalb des Tores wahr. Blitzschnell fuhr ich herum und starrte mit aufgerissenen Augen auf das, was da kommen mochte.

Es war Rob. Er humpelte langsam heran und presste sich die Hand auf den linken Arm. Ich atmete einmal tief durch und eilte ihm dann entgegen. Erleichterung überkam mich, ihn lebend und zumindest halbwegs gesund wieder zu sehen.

„Hast du das gesehen? Was ist denn passiert?“, platzte es aus mir heraus.

„Entwischt!“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und verzog das Gesicht.

„Entwischt?“, wiederholte ich schrill. „Was meinst du damit? Du willst doch wohl nicht andeuten, dass du versucht hast, alleine gegen diese beiden Monster zu kämpfen?!“

Rob humpelte weiter, schloss die Augen und schüttelte im Gehen den Kopf. Ob das nun eine Antwort auf meine Frage war oder eine Reaktion auf mein Verhalten, konnte ich nicht entschlüsseln.

Schnell lief ich ihm nach und fügte ungehalten hinzu: „Du hältst dich wohl für unbesiegbar, oder?“ Dann wurde mir bewusst, dass eine ähnliche Anwandlung von Übermut in jener Nacht wohl auch mein Leben gerettet hatte, und ich schwieg.

Wir liefen zurück zu Reanders Haus und klopften diesmal ohne anzuhalten oder zu zögern an die Haustür. Rob lehnte sich schwer gegen die Wand und verzog das Gesicht.

Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis geöffnet wurde, in der ich mehrfach nervöse Blicke über die Schulter warf. Reanders Gesicht erschien in der Tür. Blass und müde, als habe er die ganze Nacht nicht geschlafen. „Da seid ihr ja bereits. Ihr seid wohl sehr erpicht ...“ Er brach mitten im Satz ab, als er Rob erblickte und den Ausdruck auf unseren beiden Gesichtern sah. „Meine Güte! Was ist euch denn nur geschehen?“ Er hielt uns die Tür auf. „Kommt herein! Kommt herein!“

Gern nahm ich sein Angebot an. Die Vorstellung, dass diese beiden Monster noch hier draußen waren, ließ mich nicht zögern. Ich machte Anstalten, Rob ins Haus zu helfen, aber er wehrte mich ab und humpelte aus eigener Kraft an mir vorbei. Das Geräusch der sich schließenden Haustür klang beruhigend, und wir folgten Reander zu einer Sitzgruppe mit einem Eichenholztisch.

Seufzend ließ sich Rob auf einen der Stühle fallen. Schnell und bestimmt, damit er keine Widerworte geben konnte, griff ich mir seinen Arm und schob den zerrissenen Ärmel vorsichtig hoch. Zwei Striemen zogen sich über den linken Oberarm. Sie waren nicht besonders tief, sahen aber schmerzhaft aus.

Reander eilte wortlos aus dem Zimmer und brachte eine Schale voll Wasser, etwas Alkohol zum Desinfizieren, Binden und saubere Tücher. Dann setzte er sich zu uns an den Tisch, während ich vorsichtig die Wunde reinigte.

„Nun sagt schon, was geschehen ist!“, drängte er. Sein Blick hing an Rob.

Als dieser nicht antwortete, mischte ich mich ein. „Wollt Ihr damit sagen, Ihr habt den Tumult, die Schreie draußen nicht gehört?“

„Tumult?! Schreie?! Nein! Ich war unten im Keller. Ich bewahre dort einige meiner Unterlagen auf. Nicht unbedingt ideal, die Feuchtigkeit, aber ... Was hat es denn nun damit auf sich?“ Er sah sehr besorgt und alarmiert aus.

„Glaubt es oder glaubt es nicht“, antwortete ich und es war mir egal, wie verrückt sich das anhörte. „Da draußen sind gerade zwei Monster durch die Stadt getobt und haben die Leute angegriffen! Es ist schrecklich. Sie haben ... Es gibt mehrere Tote. Fünf oder sechs Lagerarbeiter.“ Ich schüttelte den Kopf und schloss fest die Augen, in der Hoffnung, diese grauenhaften Bilder nicht mehr zu sehen, aber es half nichts. Sie waren nicht länger hier draußen. Sie entsprangen meinem Kopf und dort würden sie von heute an vermutlich immer bleiben.

Als ich mich zwang, die Augen wieder zu öffnen, blieben sie an Rob hängen. Plötzlich musste ich erleichtert aufatmen. „Zum Glück ist dir nicht noch mehr passiert!“, sagte ich leise und schaute in sein Gesicht. Er sah mich nur kurz an, gab aber keine Antwort.

Reander war in seinem Stuhl zusammengesunken und kreidebleich. Er hatte die Hände wie betend an die Nase gehoben und atmete langsam und konzentriert ein und aus. Nach einigen tiefen Atemzügen hatte er sich wieder in der Gewalt. „Nun gut!“, sagte er. „Es gibt einiges, über das wir dringend sprechen müssen. Wartet hier bitte einen Moment, ich hole nur noch rasch einige Unterlagen.“ Ruckartig schob er seinen Stuhl zurück und war mit wenigen schnellen Schritten verschwunden.

Mit dem Arm war ich fertig und kniete mich nun vor Rob auf den sauber gefegten Holzboden. „So. Jetzt zeig mir mal dein Bein!“, verlangte ich und schob das rechte Hosenbein hoch. Darunter kam ein langer Kratzer zum Vorschein, der sich seitlich an der Wade vom Knöchel bis zum Knie zog. Während ich auch diese Wunde verarztete, stützte Rob seinen Arm auf den Tisch und fuhr sich mit der Hand in die Haare. Er sah sehr müde aus.

Irgendwo im Haus fiel eine Tür zu, und kurze Zeit später stand Reander wieder im Zimmer. Er hatte die Arme voller Bücher und anderer Schriftstücke. Vorsichtig balancierte er alles zu uns herüber und ließ die Sachen auf den großen Tisch gleiten.

Robs Bein war fertig verbunden, und ich erhob mich. Er fing meinen Blick ein und sagte leise: „Danke!“ Ich lächelte ihn an und ließ mich dann auf einem der Stühle nieder.

„Sind die Verletzungen schlimm?“, fragte Reander an Rob gewandt.

„Nein!“, entgegnete dieser. „Jetzt lasst hören, was Ihr uns zu dieser Sache sagen könnt.“

„Ja, sicher! Doch wäre es von Vorteil, wenn ihr mir kurz erzählt, was ihr bereits wisst. Dann weiß ich, wo ich ansetzen kann.“ Während er sprach, sah er die ganze Zeit über Rob an. Trotzdem war wieder ich es, die antwortete, nachdem Rob keine Anstalten machte, etwas zu sagen. Ich berichtete kurz von den Ereignissen im Lager an der Straße und den Geschehnissen, die sich gerade draußen abgespielt hatten.

Nachdem ich fertig war, nickte Reander vor sich hin. Dann sagte er an Rob gewandt: „Ist das alles?“

„Das Wesentliche!“, antwortete dieser kurz.

Wieder nickte der Alte. „Nun gut, wo fange ich also an? Zunächst muss ich vielleicht anmerken, dass ich alles, was ich euch jetzt erzähle, im guten Glauben daran zusammengetragen habe, dass es sich um Legenden handelt oder dass alles doch zumindest schon vor sehr, sehr langer Zeit geschah. Ein derart realer Bezug, wie ihr ihn mir heute liefert, lässt viele meiner Überlegungen möglicherwiese etwas unausgereift erscheinen. Auch gibt es vermutlich noch unzählige Fragen, die ich nicht beantworten kann.“ Er machte eine Pause, in der er erst Rob und dann mich kurz aber durchdringend ansah.

„Also dann. Ich habe aus persönlichem Interesse angefangen, mich mit den Dämonen zu beschäftigen. Lange Zeit bereiste ich das ganze große Reich Olasia auf der Suche nach Informationen. Ich lauschte den Erzählungen der Alten und besuchte die großen Bibliotheken des Landes. Hier nun das, was ich auf diesen Reisen zusammentragen konnte. Wie viel Wahrheit darin steckt, das müsst ihr selbst beurteilen.“

Reander rutschte sich auf dem Stuhl zurecht, und seine Stimme klang bedeutungsschwanger, als er zu erzählen begann. „Neben unserer Welt existiert noch eine andere, düster und grauenerregend. Das ist das Reich der Dämonen. Sie sind alt, so alt wie die Zeit, und sie sind unsterblich, doch sie leben in einer sterbenden Welt. Für gewöhnlich sind die Welten strikt voneinander getrennt. Aber vor vielen Jahrhunderten entdeckten die Menschen einen Weg, ein Tor zwischen ihnen zu öffnen. Das Wer und Warum gingen verloren, doch seither existiert diese Möglichkeit. Ist das Tor offen, gelangen die Dämonen hinüber in unsere Welt und säen Tod und Leid.

Beim ersten Öffnen wurden die Menschen beinahe ausgelöscht. Doch schließlich gelang es ihnen, einen Weg zu finden, das Tor wieder zu schließen und die Verbindung der Welten zu durchtrennen. Der Frieden kehrte zurück.

Da die Menschen aber nur allzu oft nicht aus ihren Fehlern lernen, gab es im Laufe der Zeit immer wieder neue Dummköpfe, die auf das Wissen um die Tore stießen und es gedankenlos einsetzten. Wie durch ein Wunder gelang es jedes Mal aufs Neue, die Tore wieder zu schließen, auch wenn die Menschheit diese Fehler mit einer großen Zahl an Opfern bitter bezahlen musste.“

„Wie?“, unterbrach ihn Rob. „Wie schließt man das Tor?“

Der Alte sah ihn an. „Ja, ich hätte nie gedacht, dass dies einmal die vordringlichste Frage sein könnte, wenn ich mein gesammeltes Wissen zum Besten gebe. Doch bitte, gedulde dich noch einen Augenblick. Ich komme gleich dazu. Wie es scheint, ist also das Tor wieder geöffnet worden.“

„Unglaublich!“, flüsterte ich vor mich hin.

„Ja, das ist es, und doch müssen wir es glauben. Und es ist nun an uns, die wir um die vergangenen Ereignisse wissen, diesen Fehler wieder zu beheben. Unser wichtigster Schlüssel dazu ist vermutlich dies hier.“ Reander zog ein dickes Buch über den Tisch zu sich heran, dessen Aussehen auf ein hohes Alter schließen ließ. Ich las den verblichenen Titel: „Die Welt der Dämonen“.

Es war still geworden in unserer kleinen Runde. Eine Welt der Dämonen ... Dämonen. Immer wieder hörte ich das Wort in meinem Kopf. Ich drehte es hin und her, beleuchtete es von allen Seiten und ordnete es schließlich da ein, wo es hingehörte, wo es seinen Platz schon seit Jahrhunderten innehatte. Dämonen. Ich sah sie vor mir, diese schwarzen Geschöpfe, und merkte, wie alle Bezeichnungen wie Monster, Kreatur oder Bestie verschwanden und sich verband, was seit Urzeiten zusammengehörte. Das waren Dämonen.

„Was hat es denn nun mit diesem Buch auf sich?“, durchbrach Robs Stimme die Stille.

„Es beschreibt, wie die Tore zur Welt der Dämonen“ – bei diesem Wort stellten sich die Härchen in meinem Nacken auf – „geöffnet und geschlossen werden können. Doch freut euch nicht zu früh. Das Öffnen eines Tores ist eine erschreckend leichte Angelegenheit. Ein bestimmtes Buch und jemanden mit der besonderen Fähigkeit, die Worte daraus vorzutragen. Mehr wird nicht benötigt. Nun ja, damit meine ich nicht nur die Fähigkeit, lesen zu können, etwas mehr gehört schon dazu. Aber hierzu komme ich gleich.

Das Schließen eines Tores ist schon etwas aufwendiger. Laut der „Welt der Dämonen“ werden dazu ganze fünf Bücher benötigt. Jedes dieser fünf scheint eine gewisse Komponente im Ritual des Schließens zu enthalten. Welche das genau sind, weiß ich noch nicht.“

Wieder herrschte einen Moment Stille. „Um das Tor zu schließen, brauchen wir also diese fünf Bücher?“, fasste ich zusammen.

Der Alte nickte. „Exakt. Aber das ist, wie ich bereits erwähnte, noch nicht alles. Es ist auch unumgänglich, jemanden zu finden, der das Ritual durchführen kann. Was ich aus alten Schriften darüber entnehmen konnte, ist, dass von jeher eine Blutlinie existiert, die dazu im Stande ist. Regneas, so werden sie in den Schriften genannt. Ihre Nachfahren alleine haben die Macht dazu, das Tor zu öffnen oder zu schließen.“

Während Reander erzählte, hatte ich die Beine an den Körper gezogen und hielt sie fest umschlungen. Jetzt legte ich den Kopf auf meine Knie und sah zu Rob hinüber. Er hatte beide Ellbogen auf den Tisch gestützt und rieb sich mit den Handflächen über Augen und Gesicht. „Gibt es Aufzeichnungen, aus denen hervorgeht, was aus dieser Blutlinie wurde?“, fragte er.

„Nicht direkt. Es ist überliefert, dass bei der letzten Öffnung eines Tores noch genau fünf der Regneas am Leben waren. Das war zur Zeit meines Urururgroßvaters. Aus den Unterlagen geht hervor, dass diese letzten fünf Regneas das Tor gemeinsam schlossen. Danach wurde jedem von ihnen eines der Bücher anvertraut. Ihre Aufgabe war es, diese so zu verwahren oder zu verstecken, dass sie kein Unheil mehr würden anrichten können.

Gleichzeitig hatten sie zwar denjenigen besiegt, der damals das Tor geöffnet hatte, das „Buch des Öffnens“ war jedoch verschwunden. So hatten sie keine Wahl. Sie mussten die Bücher verwahren, konnten sie nicht zerstören, denn sonst hätten sie keine Handhabe gegen ein erneutes Öffnen des Tores besessen. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, bei der Suche nach den Büchern auf die Nachfahren der Regneas zu treffen oder umgekehrt. Was wir aber auch nicht aus den Augen verlieren dürfen, ist, dass einer dieser Nachfahren das Tor geöffnet haben muss.“

„Warum tut jemand nur so etwas?“, entfuhr es mir. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie jemand diese unsterblichen Dämonen auf seine eigene Welt loslassen konnte.

Alle starrten eine Weile vor sich hin. Dann fragte Rob: „Wo also sind jetzt diese Bücher?“

„Ihr müsst verstehen, dass ich mich mit diesem Thema nur aus Interesse und nur auf Ebene der Theorie befasst habe. Die Bücher wirklich einmal benutzen zu müssen, wäre mir nie in den Sinn gekommen.“

„Schon gut!“, seufzte Rob. „Ich werde sie schon finden.“

„Oh, bitte versteht mich nicht falsch!“, warf Reander lächelnd ein. „Ein gewisses Interesse hatte ich schon daran, diese Werke einmal zu sichten. Ich habe die Geschichte eines bestimmten Bandes zurückverfolgt und kann heute mit Stolz verkünden, dass er sich in meinem Besitz befindet.“

Schlagartig saß ich kerzengerade. Er hatte tatsächlich eines dieser ominösen Bücher gefunden? Seine Existenz machte alles so real. Sie zog die Legende über Dämonen und Tore aus dem Reich der Märchen zu uns in die Realität hinüber. „Darf ich es einmal sehen?“, flüsterte ich, ohne mir darüber im Klaren zu sein. Wie mochte so ein Buch wohl aussehen und was würde darin stehen?

„Oh nein, ich bewahre das Buch nicht hier auf“, sagte Reander schnell. Meine Euphorie wollte gerade wieder in Mutlosigkeit umschlagen, als er hinzufügte: „Aber es ist nicht weit von hier. Wir können es holen, bevor wir zur Suche nach den anderen Büchern aufbrechen.“

Rob warf den Kopf ruckartig hoch. „Was soll das heißen: Bevor wir die anderen Bücher suchen? Ihr werdet auf keinen Fall mitkommen. Ich mache das allein!“

Allein? Was meinte er damit ... allein? Reander und ich holten gleichzeitig Luft, um zu protestieren, aber ich war es, die zuerst den Mund aufmachte. „Du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass ich dich allein losziehen lasse? Ich hänge in dieser Sache genauso drin wie du!“

Rob warf den Kopf zu mir herum, und seine dunklen Augen funkelten mich böse an. Dann lachte er. Es klang nicht besonders humorvoll.

„Was genau ist so witzig?“, fuhr ich ihn an, aber im nächsten Moment wandte sich Reander wieder an Rob.

„Es ist doch so, Junge: Ich verfüge über die Informationen und das Buch. Und keines von beidem wirst du bekommen, wenn ich dich nicht begleite. So einfach ist das! Morgen bei Sonnenaufgang brechen wir auf. Übrigens könnt ihr ruhig du sagen.“

Rob stand so heftig auf, dass der Stuhl hinter ihm krachend umfiel. Die Hände zu Fäusten geballt rannte er regelrecht aus dem Zimmer. Von seinen Verletzungen merkte man dabei nichts mehr.

Jetzt sah ich alle meine Felle davonschwimmen. Ich hatte kein Druckmittel wie Reander, aber ich würde mich unter keinen Umständen abschütteln lassen. Das hier ging mich genauso etwas an wie die anderen. Schließlich war es auch meine Welt, die hier zur Debatte stand. Blitzschnell sprang ich auf und lief hinter Rob her.

Draußen vor der Haustür holte ich ihn ein. „Rob, warte!“, rief ich und ließ einen mit Kisten beladenen Zweispänner passieren, bevor ich zu ihm aufschloss.

Er drehte sich ruppig zu mir herum. „Oh, Joana, ich bitte dich! Das hier ist nichts für dich! Geh! Geh nach Hause und schreib dein Buch. Genug Material hast du doch nun!“

Das tat weh, und während er ungerührt weiterlief, stiegen mir Tränen in die Augen. Verzweifelt kämpfte ich dagegen an. „Nein!“, rief ich mit schriller Stimme. „Das hier ist auch meine Welt. Ich kann dir helfen!“

Während mein rechtes Auge tapfer durchhielt, verriet mich das linke und ließ eine Träne passieren, die mir langsam das Gesicht hinunterlief. Rob blieb wieder stehen, drehte sich um und kam langsam zwei Schritte zurück. Dabei rieb er sich mit der Hand die Schläfen. Seine Stimme war jetzt weicher und klang erschöpft. „Joana. Versteh das doch! Es ist nur zu deinem Besten.“ Leiser fügte er hinzu: „Es ist für niemanden gut, zu viel Zeit mit mir zu verbringen.“ Rob stand jetzt so dicht vor mir, dass er meine verräterische Träne sehen konnte, und ich verfluchte sie. Zögernd hob er die Hand, wie um den Verräter fortzuwischen, führte die Bewegung dann aber nicht zu Ende.

Ich fuhr mir selbst mit der Hand übers Gesicht und sagte: „Ich werde auf jeden Fall nach den Büchern suchen und dieses verdammte Tor schließen. Ob du nun mitkommst oder nicht!“ Dann drehte ich mich ruckartig um und ging schnellen Schrittes zurück ins Haus, wobei ich fast von einem zweiten voll beladenen Wagen erfasst wurde. Rob folgte mir nicht. Drinnen warf ich die Tür zu und kam mir ziemlich dumm vor, weil ich mich gerade wie ein trotziges Kind benommen hatte. Dennoch stand mein Entschluss fest. Auf keinen Fall würde ich mich abschütteln lassen.

Reander saß noch immer vor seinen Unterlagen. Er sah mir ins Gesicht und sagte ruhig: „Womöglich hat er ja Recht, und du solltest wirklich nach Hause gehen.“

Wut und Verzweiflung kochten erneut in mir hoch. Ich sah ihm in die Augen und schüttelte nur den Kopf.

„Nun gut. Jetzt wollen wir das Thema erst einmal sein lassen. Du bist bestimmt hungrig.“ Er wies auf die Tischgruppe, verließ den Raum und ich hörte ihn eine Weile nebenan herumhantieren. Reander servierte Suppe, und ich aß hungrig zwei Teller leer. Dann fragte er: „Hast du eine Bleibe für heute Nacht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Du kannst hier übernachten, wenn du das möchtest.“

Hastig willigte ich ein. Dieses Haus und Reander waren mein einziger Anhaltspunkt. Wenn Rob es sich überlegte und doch zurückkam, dann hierher. Und ich würde ihn hier erwarten.

Nach dem Essen führte mich Reander in einen unbewohnten Raum, der wohl als Gästezimmer diente. Er legte einige Decken auf einem schmalen Bett ab, wünschte mir eine gute Nacht und blieb dann noch einmal in der Tür stehen, die Hand am Knauf. „Er wird zurückkommen. Aber hast du dir genau überlegt, warum du all das auf dich nehmen möchtest?“

Mit diesen Worten und hochgezogenen Augenbrauen verließ er das Zimmer. Die Tür schloss sich, und mit Reander verschwand das Licht seines Kerzenleuchters. Ich blieb alleine in der Dunkelheit zurück, in der sich seine letzten Worte wie in einem Netz verfingen und mich zum Nachdenken brachten.

Dir genau überlegt, warum ... Die Worte schaukelten im Netz und stießen mich immmer wieder an. Warum? Ich war im Begriff, mich auf eine gefährliche Reise mit ungewissem Ausgang zu begeben. Dämonen würden darin eine Rolle spielen. Dämonen und Gefahr und der Tod. Warum also wollte ich unbedingt mitgehen? Geweckte Abenteuerlust? Pflichtbewusstsein? Die Suche nach einer guten Geschichte – noch immer?

Die Antwort lag vermutlich irgendwo dazwischen, streifte all das. Eine leise Stimme im meinem Hinterkopf mischte sich ein und flüsterte mir zu, dass es da noch einen anderen Grund gab.

Ich ignorierte das Flüstern. Glücklicherweise war es leise genug.

Mit offenen Augen lag ich auf dem Bett. Der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Ich hatte Angst, die Augen zu schließen, denn immer, wenn ich es tat, erschienen Bilder, die ich nicht sehen wollte, die mich verwirrten oder ängstigten. Der Geflügelte, der auf mich zuging. Die geschmeidigen Bewegungen des Löwendämons, eine tödliche Waffe. Und dazwischen auch immer wieder Robs Gesicht. Wo war er gerade? Und wo waren die Dämonen? Ich hoffte nicht am selben Ort. Rob war irgendwie so waghalsig, und das machte mir Sorgen. Aber gerade deshalb hatte er mein Leben gerettet. Vielleicht würde ich ihm das eines Tages zurückzahlen können.

Draußen vor dem Fenster formten die vom Wind bewegten Äste einer großen Platane immer neue Schattengebilde, deren Anblick in mir die Frage aufwarf, welche Arten von Dämonen es wohl noch dort draußen gab. Ich fröstelte und konzentriete mich auf die Geräusche im Innern des Hauses. Sie wirkten beruhigend, normal. Türen öffneten und schlossen sich, Schritte durchquerten den Flur. Reander schlief nicht, und mehr als einmal sah ich das Licht seines Leuchters durch den Spalt unter der Zimmertür. Ich war froh, nicht allein zu sein, doch der Schlaf kam nicht, und so zündete ich mir eine Kerze an und kramte Feder, Tinte und Papier hervor.

Wort für Wort schrieb ich die unglaubliche Geschichte des alten Mannes auf. Es kam mir wie ein Märchen vor. Irreal. Nur eine Geschichte, nur Legenden und doch ... Die Dämonen waren real. Und wie passte Rob in diese Geschichte? Was wusste er? Schließlich gab ich das Schreiben und das Grübeln auf und kroch zurück ins Bett. Der Schlaf kam. Die Kerze ließ ich brennen.

Noch im Dunkeln stand ich auf, wusch mich, suchte meine Sachen zusammen und stand bereits abmarschbereit neben Reanders gepacktem Rucksack, als mein Gastgeber die Treppe zum Obergeschoss herunterkam. Er musste kurz schmunzeln, sagte dann aber ernst: „So hast du dich also entschieden?“ Ich nickte nur. „Nun gut, dann folge mir in die Küche und pack dir ein paar Vorräte ein, dann werden wir weitersehen.“

Auf einem Tisch in der Küche standen zwei beinahe identisch zusammengestellte Stapel mit Lebensmitteln. Wie es aussah, hatte Reander bereits gewusst, wie ich mich entscheiden würde. So gut es ging, stopfte ich alles in meinen Rucksack, schnürte ihn zu und drehte mich herum. In der Küchentür stand Rob. Er lehnte mit verschränkten Armen am Rahmen und beobachtete mich. Wer hatte ihn reingelassen? Wiedereinmal schüttelte er den Kopf. Dann sah er Reander an und sagte vorwurfsvoll: „Und du unterstützt sie noch dabei?“

„Sieh mich nicht so an, es ist ihre Entscheidung. Ich wollte nur dafür Sorge tragen, dass sie uns unterwegs nicht verhungert.“

Trotzig funkelte ich Rob an. Er behandelte mich wie ein kleines Kind, und das ärgerte mich maßlos. Er drehte sich wortlos um und verließ das Haus.

Ich wartete noch, bis Reander sein Gepäck schulterte. Er hatte sich schwer beladen. Ein Rucksack, eine große Umhängetasche und ein Wasserschlauch sowie ein langer Bogen und Pfeile. Er warf mir zwei Äpfel zu und sagte: „Frühstück!“ Während ich in einen hineinbiss, deutete er auf den zweiten und sagte: „Gib diesen dort deinem Freund.“ Ich rollte nur mit den Augen und folgte Reander, als er das Haus verließ.

Als wir vor die Tür traten, schob sich gerade die Sonne über die Dächer der Stadt. In einigen Schritten Entfernung stand Rob und wartete auf uns. Schroff und ohne Vorwarnung feuerte ich ihm den Apfel entgegen. Er fischte ihn ohne Probleme aus der Luft – ich hatte nicht gerade gut geworfen – und biss herzhaft hinein.

Reander schloss seine Haustür ab und verstaute den Schlüssel in seinem Gepäck. Dann warf er noch einen letzten Blick auf sein Zuhause, und wir drei gingen Seite an Seite die Gasse hinunter.

„So, wo befindet sich denn nun dieses Buch?“, wandte sich Rob, über beide Backen kauend, an Reander.

„Ich hielt es für eine gute Idee, es nicht in der Stadt und somit in der Nähe so vieler Menschen aufzubewahren. Allein im letzten Jahr wurde zweimal bei mir eingebrochen. Also versteckte ich es in der Jagdhütte eines guten Freundes. Sie liegt im Wald, weniger als einen Tagesmarsch von hier entfernt. Wir sollten sie heute ohne Probleme erreichen.“

„Und wie gehen wir dann weiter vor?“, erkundigte ich mich.

„Da gibt es einen alten Bekannten von mir, den ich gerne anschließend aufsuchen möchte“, antwortete Reander. „Er hat sich ebenfalls mit den Verbindungstoren befasst, und seine Forschungen schienen vielversprechend zu sein, als wir uns zuletzt unterhielten. Wir finden ihn in Kaddiss.“

„In Kaddiss!“, wiederholte ich verblüfft. „Wo die große Universität ist?“

„Ja. In Kaddiss befindet sich eine der größten Universitäten Olasias. Er arbeitet dort als Professor.“

Ich war beeindruckt. Von der Universität in Kaddiss hatte ich schon viel gehört und seitdem immer den Wunsch gehabt, sie einmal zu besuchen. Sie beherbergte die größte Bibliothek des ganzen Reiches.

Wir liefen durch die wiederum fast menschenleere Stadt in Richtung Osttor. Ich dachte an all die Menschen, die hier lebten und noch nichts wussten von der Bedrohung, die ihre Welt heimsuchte. Und dann überlegte ich, auf welche Art sie es wohl erfahren würden. Würden sie die schrecklich zugerichteten Überreste der Opfer von gestern finden oder würde man ihnen davon erzählen? Würden sie es glauben? Oder würden sie selbst Zeugen des Angriffs eines Dämons werden? Oder erfuhren sie vielleicht erst in den letzten Sekunden ihres Lebens von dieser Bedrohung, in denen sie selbst zum Opfer wurden? Bei diesem Gedanken wurde mir schlecht.

Neben mir zog Rob etwas aus seinem Gepäck und hielt es mir hin. Es war ein Gürtel, an dem ein langes Messer, ein Dolch oder ein Kurzschwert hing. Ich hatte keine Ahnung, was genau es war, aber es war länger als ein Dolch und kürzer als ein Schwert. Ich nahm die Waffe entgegen und zog sie aus der Scheide. Während ich die zweischneidige leichte Klinge in der Hand wog, sah ich Rob fragend an.

„In diesem Reich gibt es viele Gefahren“, sagte er. „Und du sollst dich wenigstens gegen die minimalsten davon zur Wehr setzen können.“

Zwar bezweifelte ich, dass ich mit dieser Waffe umgehen konnte, steckte sie aber zurück und band mir den Gürtel um. Dann musste ich schmunzeln. Anscheinend war nicht nur Reander klar gewesen, dass man mich so schnell nicht abschütteln konnte.

Dämonenschließer

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