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Historischer Ueberblick
der Anwendung der Aetherdämpfe durch Einathmen
ОглавлениеEs war dem Chemiker und Arzte Jackson, einem gelehrten Manne in Boston in den Nordamerikanischen Freistaaten, vorbehalten, in dem Schwefeläther das große Mittel gegen den Schmerz zu entdecken. Als Arzneimittel in anderer Beziehung längst gekannt, nahm Jackson zuerst bestimmter als Andere wahr, daß das Einathmen der Aetherdämpfe in kurzer Zeit einen Zustand von Bewußtlosigkeit und eine plötzliche Aufhebung jeder schmerzhaften Empfindung herbeiführe. Um diese interessante Erscheinung in Bezug auf schmerzhafte Operationen näher zu erforschen und in allen ihren Beziehungen genauer zu prüfen, stellte er vorläufig eine Reihe von Versuchen an, welche seinen Hoffnungen und Vermuthungen später die völlige Gewißheit gaben.
Er nahm ein zusammengelegtes, mit Aether getränktes Stück Leinewand, welches die Luft frei durchstrich, vor den Mund, und setzte das Einathmen so lange fort, bis er ohnmächtig wurde, und in einem eigenthümlichen schlaf- oder traumähnlichen Zustande in den Stuhl zurücksank. Dabei empfand er eine gewisse Frische und Heiterkeit, auf welche ein Wärmegefühl folgte. Endlich trat vollkommene Bewußtlosigkeit ein. Erst bei einem späteren Versuche entdeckte er, daß dieser Zustand mit einer vollkommenen Unempfindlichkeit für den Schmerz verbunden sei: auf diese Bemerkung wurde er dadurch geführt, daß ein heftiger Reizzustand in der Luftröhre, welchen er sich durch das Einathmen von Chlordämpfen zugezogen hatte, beim Einathmen der Aetherdämpfe mit dem Eintritt der Bewußtlosigkeit sogleich aufhörte, nachher aber wiederkehrte.
Wenn der Aether schwach ist, so hat er nach Jackson nicht den eigenthümlichen Effect, der Kranke wird dann nur berauscht, und empfindet später einen dumpfen Kopfschmerz.
Immer aber war der Aether als Mittel noch nicht ins Leben getreten, und es fehlte Jackson an Gelegenheit, seine schmerzstillende Wirkung bei chirurgischen Operationen zu versuchen. Er forderte daher den Zahnarzt Morton auf, die Aetherdämpfe beim Zahnausziehen zu prüfen, und gab ihm eine mit denselben angefüllte grosse Flasche, in welche eine Glasröhre mündete, als provisorischen Athmungsapparat. Schon bei den ersten Operationen bestätigte sich das vollkommen was Jackson erwartet hatte, denn das Ausziehen der Zähne gelang ohne alle Schmerzempfindung.
Jackson und Morton, beglückt, sich zu Herren des Schmerzes gemacht zu haben, wollten auch ihrerseits durch Geheimhalten dieser grossen Entdeckung vorläufig in dem alleinigen Besitz derselben bleiben, und ein Patent darauf nehmen. Bei uns mag das auffallen, in Amerika aber weniger. Doch war dies die Veranlassung, daß sämmtliche Chirurgen in Boston sich weigerten, größere chirurgische Operationen ohne vorherige Mittheilung des Betäubungsgeheimnißes vorzunehmen. Darüber waren Jahre seit der ersten Jackson'schen Entdeckung verstrichen, bis endlich der leicht erkennbare Aetherdunst zum Verräther des großen Geheimnißes wurde, und die bei Mortons Zahnoperationen zugegen gewesenen Aerzte bald der verborgenen Spur folgten. Nachdem sie dieselbe entdeckt, berauschten sie Kranke nicht bloß beim Zahnausziehen, sondern auch bei größeren Operationen mit demselben Erfolge wie Morton.
Da nun der Schleier des Geheimnisses gelüftet war, traten Jackson und Morton frei mit ihrer Entdeckung hervor, suchten ihr jetzt die möglichste Ausbreitung zu verschaffen und sich die wohlerworbene Priorität gegen die allenthalben nun aufstehenden Freibeuter zu sichern. Morton, welcher mittlerweile eine große Menge von Zahnoperationen in Boston und Massachusets vorgenommen hatte, meldete nun mit möglichster Eile die Jackson'sche Entdeckung an Dr. Boot in London. Warren in Boston, welcher mittlerweile einige größere, glückliche Operationen bei ätherisirten Kranken vorgenommen hatte, theilte in einem ausführlichen Schreiben an Dr. Forbes in London, dem Herausgeber der Englischen und fremden mediz. Zeitung (Review), seine erlangten Resultate und das ganze Verfahren dieser neuen Operationsart mit, und sagt nur in einer Nachschrift: »die Entdecker des Mittels sind die Doctoren Jackson und Morton.« Jackson aber hatte schon im November v. J. bei der Pariser Akademie zwei versiegelte Briefe niedergelegt, von denen der erste bekundete daß er schon vor 5-6 Jahren an sich selbst die betäubende Wirkung der eingeathmeten Aetherdämpfe beobachtet habe, zuerst bei einem zufälligen Versuch, dann bei einem starken Catarrh, welchen er sich durch Einathmen von Chlorgas zugezogen hatte. Der zweite Brief enthielt Mittheilungen über das schmerzlose Ausziehen der Zähne bei ätherisirten Kranken.
So war also die neue Entdeckung nach Europa und zwar zuerst nach England gelangt.
Die ersten Versuche in London wurden von Boot und Robinson beim Zahnausziehen gemacht, sie fielen eben so günstig aus wie die von Amerika aus berichteten, wo seitdem auch von anderen Chirurgen größere Operationen mit Erfolg vorgenommen worden waren. Nach diesen ersten Versuchen Londoner Zahnärzte begannen auch einige der berühmtesten Londoner Chirurgen, in ihren Krankenhäusern dies vielversprechende neue Mittel zu prüfen; der treffliche, behutsame Key, und der kühne Liston begannen nach neuer Weise zu operiren, und betraten als Neulinge die so oft betretene blutige Bahn.
Hatte die amerikanische Entdeckung den anglikanischen Boden erreicht, so verbreitete sie sich mit der Theilbarkeit des Aetherdunstes oder wie eine große politische Neuigkeit über Frankreich und Deutschland. Ein reger Wetteifer ergriff die Aerzte aller Länder, in denen die Wissenschaft sich regt, und heute, wo ich dies schreibe, wenige Monate nach der Entdeckung des Aetherdunstes als Schmerzstillungsmittel, sehen wir die Erfahrungen über diesen Gegenstand so massenhaft aufgehäuft, daß nur ein großer Foliant dieselben in ihrem ganzen Umfange darstellen könnte.